antirassismus / transnationales

Manuel Valls und seine Hasspropaganda

Verschärfung der Abschiebungen und des offenen Rassismus gegen Roma in Frankreich

| Snowman

Am 24.09.2013 hat er wieder losgelegt, wie schon unzählige Male zuvor seit seinem Amtsantritt als Innenminister der Regierung der absurder Weise sich noch immer PS (Parti socialiste; Sozialistische Partei) nennenden, reaktionären, pro-kapitalistischen und kriegstreibenden Regierung Hollande: Manuel Valls.

Diesmal war das bekannte Radio France Inter das mediale Vehikel, um seine Hassparolen unter die Bevölkerung zu streuen. Die Kommunalwahlen vom März 2014 rücken näher, die Sympathiewerte für den Präsidenten Hollande sind so tief im Keller wie noch nie bei irgendeinem Präsidenten vorher, die Konservative Partei (UMP; Union pour une majorité populaire) läuft längst im Gleichschritt den Inhalten des neofaschistischen Front National unter Marine LePen hinterher.

Quasi im Wochentakt lässt Valls, der Rechtsaußen der Regierung und gleichzeitig der Minister mit den höchsten Sympathiewerten, Sätze raus wie etwa diesen bei France Inter: Die Roma seien „eine Bevölkerung mit einem extrem anderen Lebensstil als dem unseren und es ist daher selbstverständlich, dass sie auf Konfrontation aus sind.“

Er fügte gleich hinzu, dass sie die „vocation“ hätten, nach Rumänien oder Bulgarien zurückzukehren. „Vocation“ ist im Französischen ein dehnbarer Begriff, das kann Schicksal, Ausrichtung, Bestimmung, Lebensstil heißen, aber auch bis zur Unterstellung einer genetisch-biologistischen Tendenz der Nicht-Integrierbarkeit gehen. Valls fuhr in seinem Interview fort: „Ich helfe den Franzosen gegen diese Bevölkerungsgruppen, die gegen die Franzosen vorgehen.“ (1)

Soll heißen: Die Roma sind also selbst schuld, wenn die französische Regierung und auch Teile der französischen Bevölkerung, die schon mal in Selbsthilfe Roma-Niederlassungen zerstört haben, gegen sie vorgehen. Die Wahrheit wird einfach dahingehend verdreht, es seien im Gegenteil die Roma, welche die Franzosen angriffen, gerade so als sei Betteln ein persönlich-physischer Angriff auf Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit.

Auf Betteln sind sie übrigens angewiesen, denn in Frankreich haben sie bis heute kein Recht auf einen französischen Pass und kein Arbeitsrecht (im Französischen ist „Rom“ der Überbegriff, es gibt, je nach Herkunft, außerdem Gitanes, Sinti, Manouches u.a.).

Ursachen dafür, dass sich der offene Rassismus eines stetig wachsenden Teils der französischen Bevölkerung so auf die Roma konzentriert, sind erstens eine althergebrachte Hassphantasie auf nomadische Lebensweisen (die falsch ist, denn die Roma würden gern jahrelang in ihren Wohnwagen-Niederlassungen bleiben, schon wegen der Einschulung der Kinder, werden aber ständig geräumt und so erst zum Nomadismus gezwungen); zweitens eine Sündenbock-Reaktion jüngeren Datums auf die ökonomische Krise, aus der Frankreich nicht herauskommt; drittens aber auch Ausdruck der permanenten Propaganda des Innenministeriums, die den Leuten immer mehr zu Kopf steigt. Das ganze Jahr 2013 über hat Valls in seiner Propaganda der falschen Schuldzuweisung nie nachgelassen.

In einem Interview mit der äußerst reaktionären Tageszeitung Le Figaro, die dem medial exponierten Eigentümer des großen Rüstungskonzerns Dassault, dem UMP-Senator Serge Dassault, gehört, hörte sich Valls schon im März so an:

„Eingenistet an den Rändern populärer Stadtviertel, die eh schon von der Krise getroffen werden, sind sie die Ursache der Probleme des Zusammenlebens, die manchmal beunruhigende Formen annehmen, wovon zur Anzeige gebrachte Brände zeugen.“ (2)

BrandstifterInnen sind die Roma demnach also auch noch.

Valls stellte sich dann am 10. September bei der Eröffnung einer Industriemesse mit Serge Dassault zusammen hin und ließ sich vom Rüstungsproduzenten über den grünen Klee loben:

„Ich möchte Manuel etwas sagen. Für mich, für uns, ist die Frage der Sicherheit keine Frage der Linken oder der Rechten. Und ich kann Ihnen sagen, dass uns Ihre Aktionen sehr glücklich machen.“ (3)

Ebenen des Protests mit unterschiedlichem Erfolg

Die Sans-Papier- und Roma-Hilfsorganisationen sind empört. Am 12.11.2013 klagte die Menschenrechtsorganisation Mouvement contre le racisme et pour l’amitié entre les peuples (MRAP) vor dem französischen Obersten Gerichtshof, der einzigen Gerichtsinstanz, bei der überhaupt Klage gegen einen Minister in Ausübung seiner Amtsfunktion eingereicht werden kann. In der Klageschrift heißt es richtig: „Manuel Valls schafft eine Atmosphäre der Ablehnung der Roma. Er stiftet an zu Gewalt, Hass und rassistischer Diskriminierung.“ (4)

Der Klage werden jedoch kaum Chancen eingeräumt, bis jetzt verläuft sie im Sande. Dasselbe muss über den zaghaften Protest der inzwischen minoritären ParlamentarierInnen gegen Valls gesagt werden, die eh aus den Reihen der PS-Linken oder der Grünen kommen, weil die Rechte mit Valls übereinstimmt. So hat Wohnungsministerin Cécile Duflot von den Grünen die Propaganda und die Räumungspolitik der Roma-Niederlassungen von Valls einmal offen kritisiert, wurde aber sofort – und nicht etwa Valls – von der Regierung zur Ordnung gerufen und kuschte auch gleich: Den Ministerposten wollte sie dann doch nicht verlieren.

Viel erfolgreicher als solche wirkungslosen, höchstens „symbolischen“ Proteste sind die Basisgruppen, die inzwischen ein Netzwerk gebildet haben und Roma oder andere Abschiebehäftlinge bis zum Flughafen begleiten und es auf dem Terminal schon erreicht haben, dass die Fluggäste sich weigerten, mit dem Abschiebehäftling zusammen loszufliegen.

In einigen Fällen konnten Abschiebungen so verhindert oder zumindest verzögert werden. Besonders die Assoziation Réseau éducation sans frontière (RESF; Netz für Bildung ohne Grenzen) nimmt bei diesen Aktionen eine wichtige, koordinierende Rolle ein.

Verbreitet ist bei den von Räumungen bedrohten Roma-Niederlassungen – sie bekommen einen Räumungsbefehl mit Datum der Räumung zugestellt – auch der Auszug oder Fortzug aus ihrer Niederlassung in der Nacht vor dem Anrücken von Polizei und Bulldozern (meist in den frühen Morgenstunden), um anschließende Abschiebungen zu verhindern.

In der Regel werden sie von einigen AntirassistInnen unterstützt, die aber bei den Räumungen außer der Skandalisierung in der Öffentlichkeit nicht viel unternehmen können.

Die Affären Taubira und Leonida

Durch die permanent wiederholte Regierungspropaganda, besonders des Innenministers Valls, ist die öffentliche Atmosphäre in den letzten Wochen und Monaten immer rassistischer geworden. Die Konzentration auf die Roma ist dabei ganz besonders absurd: Derzeit leben in Frankreich rund 300.000 Menschen illegal (Sans-Papiers), das sind nur 0,005 Prozent der Gesamtbevölkerung – und davon wiederum sind nur ca. 15-20.000 Roma (von insgesamt rund 2 Millionen rumänischen Roma). (5)

Wenn davon welche abgeschoben werden, kehren sie direkt in Rumänien wieder um und kommen nach Frankreich zurück – meist mit dem Abschiebegeld, das sie bisher für einen Neuaufbau einer Existenz in Rumänien mitbekommen haben, doch das soll nun stark gekürzt oder sogar gestrichen werden.

Zurück in Frankreich erwartet sie wieder die unbarmherzige Räumungspolitik von Valls.

Unter ihm ist die Zahl der Abschiebungen von Anfang an auf demselben Niveau wie unter der Sarkozy-Präsidentschaft geblieben. Doch die Politik der ständigen Räumungen von Roma-Niederlassungen ist im Vergleich zu Sarkozy-Zeiten stark angestiegen: Amnesty International beklagte in einer Erklärung vom September 2013, dass im ersten Halbjahr 2013 10174 Roma-MigrantInnen von den rund 400 Roma-Siedlungen (davon die meisten in der näheren Umgebung von Paris) „aus ihren Camps und Slums verjagt worden sind – eine Zahl, die seit Beginn dieser Räumungszählung im Jahr 2010“ noch nie erreicht worden sei. (6)

Unklar bleibt, ob und wo die verjagten Roma, die nicht gleichzeitig abgeschoben werden, dann unterkommen – eine Wiederansiedlungspolitik nach erfolgter Räumung ist nicht zu erkennen, so dass sie einfach an anderer Stelle ihre Niederlassung wieder aufbauen und sich so unter Zwang die falsche französische Bezeichnung „Gens de voyage“ (Reisende Leute) einhandeln, die den Phantasmen der Bevölkerung entspricht.

Unter den Bedingungen einer solchen Propaganda und Praxis der Regierung Hollande-Valls wundert es denn nicht mehr, dass in letzter Zeit alle Dämme gesellschaftlicher Tabus gegen Rassismus gebrochen wurden: Das fing mit der Erklärung des Bürgermeisters von Cholet Ende Juli 2013 an, der meinte, Hitler habe nicht genug Roma umgebracht. (7)

Das ging weiter mit einem zwölfjährigen Mädchen, das der schwarzen Justizministerin guayanischer Herkunft, Christiane Taubira, im Beisein ihrer Eltern bei einem Besuch in der Stadt Angers am 25. Oktober zurief: „Äffin, friss deine Banane!“ (8) sowie, ebenfalls im Oktober, mit der Verhaftung und unmittelbaren Abschiebung der 15-jährigen Schülerin und Roma-Kosovarin Leonarda Dibrani, die bei einem Landausflug ihrer Schule direkt aus dem Bus verhaftet und zusammen mit ihrer Familie abgeschoben worden ist. Hollande hatte ihr, nachdem die Abschiebung endlich zum öffentlichen Skandal wurde, – gegen jede Rechtslage – angeboten, allein nach Frankreich zurückkommen zu können, ohne ihre Familie, was Leonarda abgelehnt hat. (9)

Nur wenige Tage nach Leonarda wurde der 19-jährige Pariser Gymnasiast Khatchik Kachatryan nach Armenien abgeschoben. Er bezeugte, die PolizistInnen hätten ihm einen Knebel in den Mund gesteckt, nachdem er geschrieen habe, als er ins Flugzeug gezwungen worden sei. (10)

Solidarität für Leonarda und nächste Attacke: Angriff auf das jus soli

Die Forderung nach einer Rückkehr von Leonarda mit Familie hat in der von der Valls-Propaganda verblendeten französischen Öffentlichkeit trotz medialer Skandalisierung dieser Abschiebung keine Mehrheit in der Bevölkerung. Der Rassismus ist soweit verbreitet, dass sich direkt während der öffentlichen Debatte noch immer 65 Prozent aller Franzosen/Französinnen gegen eine Rückkehr von Leonarda aussprachen. (11)

Immerhin wandte sich spontan eine Welle von studentischen Universitätsbesetzungen und Demonstrationen von mehreren Tausend GymnasiastInnen gegen die Abschiebepolitik von Valls. Die Bewegung war spontan, anfangs stark und forderte die Einstellung von Abschiebungen eingeschulter Kinder von MigrantInnen und deren Familien.

Die Protestierenden thematisierten auch die Kontinuität der Abschiebepolitik von Sarkozy und der angeblich linken PS-Regierung. Doch dann kamen die zweiwöchigen Herbstferien dazwischen – seit 1968 sind Ferien die größten Demonstrationskiller von SchülerInnen und StudentInnen.

In dieser Ferienzeit kam es zum Widerstand in der Bretagne gegen die geplante Ökosteuer der Regierung, die zu Recht als reine Abzocke einer verschuldeten Regierung betrachtet wird. Doch die „Rotmützen“ aus der Bretagne protestieren nur für ihre eigenen Interessen – eine Aufnahme der Themen des GymnasiastInnenprotestes gegen die Abschiebepolitik war in der Bretagne weit und breit nicht in Sicht.

So sind die zur Zeit recht zahlreichen Proteste gegen die Hollande-Valls-Regierung noch immer Ein-Punkt-Bewegungen, zudem permanent bedroht von Infiltrierungen oder Instrumentalisierungen rechter Strömungen wie der Anti-Schwulen-Bewegung oder des Front National.

Als die GymnasiastInnen Anfang November wieder in die Schule zurückkehrten, waren ihre Demonstrationen nur noch ca. 1-2.000 Leute stark. Nur noch bei 18-30 von rund hundert Pariser Gymnasien wurde der Unterricht zugunsten der Diskussion um Leonarda und Khatchik unterbrochen oder gestört. (12)

Schon kündigt sich die nächste reaktionäre Radikalisierung von oben an, um bei den anstehenden Kommunal- und Europawahlen den Themen des Front National hinterherzulaufen: die Infragestellung des jus soli (Bodenrecht) bei der Anerkennung der französischen Staatsbürgerschaft.

Dafür macht sich nun besonders der Parteichef der UMP, Jean-François Copé, seinerseits Propagandist der Allianz mit dem neofaschistischen Front National, stark. Marine LePen vom Front National freut das sehr. Sie braucht bloß zu sagen, der Front National habe das schon immer gefordert. (13)

Bereits einmal, von 1993 bis 1998 wurde das jus soli fünf Jahre lang ausgehebelt, als es durch das Gesetz des Konservativen Charles Pasqua nicht mehr selbst verständlich war, dass ein auf französischem Boden geborenes Kind einer ImmigrantInnenfamilie automatisch französisches Geburtsrecht bekam und damit nicht mehr abgeschoben werden konnte. Der zwischenzeitliche Regierungschef Lionel Jospin hat wenigstens das 1998 wieder rückgängig machen können. (14)

Nun wird diese Aushebelung erneut propagiert. Es wäre kein Wunder, wenn die PS-Regierung auch hier bald umfallen würde. Der Front National gibt die Themen vor, und brav marschieren zuerst die UMP und in unmittelbarer Folge die PS-Regierung immer weiter nach rechts – kein Ende absehbar! Noch ist der Widerstand zu schwach, gespalten und zu sehr an Eigeninteressen orientiert.

(1) Vgl. Le Monde, 12.11.2013.

(2) Valls zit. nach Dépêches tsiganes, 29. März 2013.

(3) Ebenda.

(4) Vgl. Le Monde, 12.11.2013.

(5) Vgl. Dépêches tsiganes, 29. März 2013 sowie Daniel Vernet: "Ce que les politiques savent de l'immigration et ne disent pas" (Was die Politiker über die Immigration wissen, aber nicht sagen), auf der Info-Website Slate.fr, 26.10.2013.

(6) Amnesty International-Erklärung zit. nach Le Monde, 17.10.2013.

(7) Vgl. den Artikel zum Front National in der letzten GWR, Nr. 383, S. 1f.

(8) Die Szene wurde gefilmt, der Ausdruck ist also genau belegt, vgl. Libération, 2.11.2013

(9) Vgl. mehrere Artikel in Libération, 21. Oktober 2013.

(10) Ligue des Droits de l'Homme: "Expulsion d'un lycéen: Valls révise du manuel du petit Sarkozy" (Abschiebung eines Gynmasiasten: Valls verschlimmert die Verfahren des kleinen Sarkozy), Website www.ldh-france.org, 14. Okt. 2013.

(11) Umfrage nach der Zeitung Le Parisien vom 22.10.2013.

(12) Vgl. Le Monde, 5.11.2013.

(13) Jonathan Bouchet-Petersen: "Attaques contre le droit du sol" (Angriffe auf das Bodenrecht), in: Libération, 23.10.2013.

(14) Vgl. den historischen Artikel über das jus soli in Frankreich im Blog christroi.over-blog.com vom 16. Jan. 2010.