Am 24.11.2012 machten sich zig Flüchtlinge aus der so genannten "Bundesbetreuungsstelle für Asylwerber" im niederösterreichischen Traiskirchen auf ins nahe gelegene Wien. Sie protestierten mit dem Marsch gegen die ihnen auferlegten Lebensbedingungen.
Sie besetzten den zentral gelegenen Sigmund Freud Park und zogen nach dessen Räumung in die benachbarte Votivkirche um, in der sie bei Minusgraden den Winter verbrachten.
Zeitweise im Hungerstreik. Im März 2013 zogen sie in das Servitenkloster im 9. Wiener Bezirk, aus dem sie wegen Umbauarbeiten Ende Oktober hinausgeworfen wurden. Die Suche nach einer alternativen Gemeinschaftsunterkunft, die die Flüchtlinge fordern, blieb trotz öffentlichem Bittbrief der Caritas erfolglos. Unterstützt werden die Männer aus Pakistan – 17 von ihnen sind noch im Asylverfahren, 7 sind bereits abgelehnt – darüber hinaus von autonomen „Supporter_innen“ sowie von einigen Intellektuellen. Von den kirchlichen Organisationen zeigten sich die Refugees auf einer Diskussionsveranstaltung jedoch enttäuscht, im Kloster wären sie wohl auch noch länger geblieben.
In der Graswurzelrevolution Nr. 376 vom Februar 2013 war die Leitung der Akademie der bildenden Künste Wien noch als positives Beispiel für couragiertes öffentliches Auftreten in Sachen Flüchtlingspolitik zitiert worden. Damals hatte das Rektorat verlauten lassen, das „Bundesministerium für Inneres soll endlich dafür sorgen, menschenwürdige Lebensverhältnisse für Asylwerber_innen in Österreich zu schaffen“.
Rund neun Monate später protestieren die Flüchtlinge vom Refugee Camp Vienna immer noch gegen ihre miserablen Lebensbedingungen in Österreich. Vom 29. Oktober 2013 an in der Akademie. An diesem Dienstag mitten im Semester hatten die verbliebenen 24 Aktivisten – seit Beginn der Proteste im November 2012 sind acht Protagonisten der Bewegung nach Pakistan abgeschoben worden – in der Aula der Akademie am Wiener Schillerplatz eine Diskussionsveranstaltung organisiert, auf der sie u.a. verkündeten, am Ort zu bleiben.
Noch während der Diskussion erklärte die Rektorin Eva Blimlinger mit aller Deutlichkeit, für Debatten und Pressekonferenzen stehe die Akademie jederzeit zur Verfügung. Um darin zu leben jedoch auf keinen Fall.
Im Laufe der Woche wurde ein Ultimatum verhängt, die Männer sollten bis zum 4.11. die Kunstakademie verlassen.
Nach langen Gesprächen zwischen Rektorat, UnterstützerInnen und den Flüchtlingen selbst akzeptierten letztere einen Vorschlag der Rektorin, die Aula zu bestimmten Tageszeiten nutzen zu können, nicht aber nachts. Ein drohender Polizeieinsatz konnte auf diese Weise abgewendet werden.
Dass er überhaupt im Raum stand, hat aber dem Image der Akademie durchaus geschadet. Schließlich steht diese Institution wie kaum eine vergleichbare für die gesellschaftskritische Haltung ihrer KünstlerInnen wie auch für Themen wie Migration und Postkolonial Studies im Theorieprogramm.
Viele empfanden das Handeln der Rektorin als scheinheilig. Facebook-Kommentare aus allen Richtungen, aber auch die Tageszeitung Der Standard sparten mit Häme nicht. Nachdem man erst die freie Wahl des Wohnortes gefordert habe, sei man nun, wo die Wahl auf das eigene Haus fiele, „weniger solidarisch“. (Der Standard, 4.11.2013)
Das hat sich die Rektorin einerseits selbst zuzuschreiben. Schließlich sprach sie ihr Ultimatum bloß vehement aus, begründete es aber nicht. Dass man in der Akademie nicht wohnen könne, weil die Akademie „keine Wohnstätte“ sei, war ein schwaches Argument.
Die Votivkirche, in der die Flüchtlinge Monate lang auch bei Eiseskälte ausharrten, ist zum Wohnen auch nicht konzipiert. Dennoch gibt es freilich Unterschiede zwischen einem Gotteshaus, in dem bestenfalls sonntags etwas los ist und einer Akademie im laufenden Studienbetrieb. Auf diesen wies aber niemand hin.
Andererseits ist die Häme die falsche Bekundung an die falsche Adresse. Schließlich ist es nicht die linke Historikerin, die jetzt als Akademie-Rektorin in die Bredouille geraten ist, die über Asylpolitiken zu entscheiden hat.
Bis Mitte 2013 wurde in Österreich über 706 Asylanträge von Menschen aus Pakistan entschieden, nur neunmal wurde Asyl gewährt. Die statistische Wahrscheinlichkeit für einen asylrechtsbasierten, legalen Aufenthalt liegt für die Protestierenden also bei rund einem Prozent. Mit einer Gesamtanerkennungsrate der Asylgründe von 28 Prozent (4455 Personen im Jahr 2012) liegt Österreich im EU-Durchschnitt.
Im österreichischen Innenministerium nimmt man die Protestierenden dementsprechend wenig ernst. Die Top-Meldung auf der Homepage des Ministeriums lautete Anfang November 2013: „Polizei warnt vor Taschendieben auf Weihnachtsmärkten“.
Schlimmer noch
Im Sommer waren die Refugees einer vom konservativ geführten Innenministerium forcierten Pressekampagne ausgesetzt, in denen sie als „Schlepper“ denunziert wurden, die, so Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zur Zeitung Kurier (vom 3.8.2013), schwangere Frauen „hilflos auf der Route zurückgelassen“ hätten.
Diese und die Vorwürfe, Millionen mit dem Schicksal anderer gemacht zu haben, konnten jedoch nicht bestätigt werden. Das war zum Auftakt des Wahlkampfes – Österreich wählte Ende September ein neues Parlament -, in dem die Flüchtlingspolitik dann aber, ähnlich wie in Deutschland, keine große Rolle mehr spielte. In einem Land, in dem rund ein Drittel der Bevölkerung ultra rechts wählt, muss die Thematisierung von Flüchtlingspolitik von links als kontraproduktiv erscheinen.
Insofern ist „das System“, das die Flüchtlinge als ungerecht anprangern, längst nicht nur die EU-Gesetzgebung.
Es geht auch grundsätzlich um das Denk- und Sagbare innerhalb des staatspolitischen Rahmens.
Mittlerweile sind die Flüchtlinge in Privatquartieren untergebracht, nutzen aber (zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe) die Aula der Akademie für Pressekonferenzen und politische Diskussionen. Immerhin ein Teilerfolg, denn eines ist klar: Wer dafür plädiert hat, dass die Refugees doch einfach in die ihnen zustehenden privaten Unterbringungen gehen sollten, verkennt das Offensichtliche: Nur im kollektiven Protest sind sie als Subjekte gesellschaftlich sichtbar.
Immer wieder machen die Protestierenden klar: „Es geht nicht um Wohltätigkeit, sondern um Menschenrechte.“