Graswurzelrevolution: Andreas, Du warst als Anarchist aktiv im Projekt A. Was ist für Dich Anarchie?
Andreas Ess: Das ist ein bisschen schwierig. Vielleicht sollte ich erst einmal aus dem Leben erzählen, weil ich denke, dass das dazu gehört. Du wirst ja nicht an einem schönen Sommertag zum Anarchisten, weil du sagst: „Ich bin jetzt Anarchist“. So ist es in der Regel ja nicht. Sondern, da ist ja eine Menge vorher gelaufen.
Ich komme aus einem katholischen Elternhaus und bin auch ziemlich katholisch erzogen worden, auch von Nonnen. Die Feststellung war irgendwann, dass die alle ziemlich matschig in der Birne sind. Das war das, was bei mir hängen geblieben ist. Die haben, sicher ohne es zu wollen, so etwas wie Widerstandsgeist bei mir geweckt.
Also, immer wenn man Fragen gestellt hat, die sie nicht mochten, dann bekam man etwas aufs Maul. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich an dieser Stelle dann weiter gedacht habe.
Irgendwann habe ich mich dann auch gefragt wie viele Sachen so gelaufen sind im Elternhaus. Mein Vater war ja noch Kriegsteilnehmer, und ich habe mich gefragt, wie ein Mensch, der friedlich war, der eigentlich gar nicht auf die Idee kommt, Dinge mit Gewalt durchzusetzen, dazu gekommen ist, in den Krieg zu ziehen. Er hat mir das dann relativ einfach erklärt. Der hat dann gesagt: „Nun, ich bin katholisch, ich bin Christ, ich habe einfach auf meine Leute in der Kirche gehört“. Das war dann unter anderem auch der Bischof Clemens von Galen aus Münster, der gesagt hat, dass die deutschen Jungen und Mädchen in den Krieg ziehen sollen. Und das hat mein Vater dann auch getan. Das hat mich zum Nachdenken gebracht.
Kardinal von Galen wird heute als „Widerständler“ geehrt und gelobt, aber er hat letztlich Tausende von deutschen, katholischen Männern in den Krieg geschickt. Wenn man sich die frühen Äußerungen von ihm durchliest, die sind von einem fiesen Nationalismus durchsetzt. Das ist Standard gewesen bei den Herrschaften. Nur wenige haben in der Kirche erkannt, was tatsächlich schief läuft. Das hat mir zu denken gegeben. Dann war es logisch für mich, sich weiter mit dem Nationalsozialismus zu beschäftigen. Da bin ich sehr tief eingetaucht, habe viel gemacht, nicht nur schulisch. Dann bin ich irgendwann dazu gekommen, festzustellen, dass das alles nicht zufällig so gekommen ist. Das hatte System, das hat auch etwas mit Demokratie zu tun und mit Fehlerhaftigkeit von Demokratie. Im Rahmen von Jugend- und Protestbewegungen bin ich dann als „Anarcho“ geendet. Für mich war das damals weniger eine politische Äußerung, als ein Happening mit Spaßcharakter. Wir waren auf jeder Demo dabei, wir waren schlicht und ergreifend „Der schwarze Block“. Das haben wir weniger politisch gesehen.
GWR: Das war dann Anfang der 1980er Jahre?
A: Ja, Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre, also Brokdorf, Wackersdorf, Gorleben, wir waren überall da, wo es richtig getobt hat. Frankfurt, Startbahn West, Kalkar, da waren wir dabei, praktisch jedes zweite, dritte Wochenende. Wobei, wie gesagt, politisch war da bei uns nicht viel. Wir haben das nicht großartig hinterleuchtet. Wir waren dagegen, eigentlich gegen alles. Das passte auch gut, es war eine Anti-Haltung, eine klassische Geschichte in der Jugend.
Ich habe dann irgendwann angefangen mein Denken zu verändern, nach der letzten großen Brokdorf-Demo, die war ja praktisch militärisch, also, wenn man sich die Bilder heute noch mal anguckt, das ging hart ans Militärische heran, da tauchten dann riesige Hubschrauber des Bundesgrenzschutz auf, die haben Truppen hinter der „Front“ abgesetzt. Und die haben dann ganz fürchterlich auf uns eingeprügelt. Auf unserer Seite war dann eine ganz ähnliche Organisation, wir waren quasi „paramilitärisch“ organisiert.
Als ich nach Hause kam und meine verbeulte Birne quasi wieder verheilt ist, da habe ich mich gefragt, wo das hingeht. Ist dies das, was ich will? Und was ist das Nächste? Für mich wäre das Nächste gewesen, dass wir uns regelrecht bewaffnet gegenüber gestanden hätten. Und nein, da hatte ich keinen Bock drauf, das wollte ich nicht. Das haben dann in Frankfurt einige Leute getan, aber ich habe da nicht zu gehört. Ich wollte eine friedliche Gesellschaft, die kriege ich nicht damit hin, dass ich anderen aufs Maul haue. Das funktioniert nicht.
GWR: Und wie bist Du dann zum Projekt A gekommen?
A: Na ja, das Projekt A. Man muss sagen, diese ganze politische Geschichte war eine Freizeitbeschäftigung. Ich bin morgens zur Arbeit gegangen, ich habe eine Ausbildung auf einer Ruhrgebiets-Zeche gemacht. Das war nicht witzig, vor allem weil die Zechen traditionsgemäß eine faschistoide Grundstruktur haben, mit vielen Vorgesetzten, das geht vom Bergwerksdirektor bis runter zum Steiger, da sind 15 Stationen dazwischen, und die haben dann alle etwas zu sagen und die sind alle ganz wichtig, und du als Auszubildender bist dann da der letzte Arsch.
Ich habe also jeden Morgen um Halbsechs am Schacht gestanden, bin da eingefahren, habe meine Arbeit gemacht, die teilweise völlig sinnlos war. Vor allem, weil wir auch wussten, dass die Kohle so hoch subventioniert wird, dass sie sich nur so rechnet. Man hätte gleichzeitig auch zum Beispiel aus Australien Kohle importieren können, für den halben Preis. Das wusste jeder. Und damit war auch das Ende schon absehbar. Da haben wir uns krumm gearbeitet und viele sind letztendlich auch unten geblieben, weil das auch keine ungefährliche Arbeit war. Man hat seinen Körper durch die Arbeit geschädigt und fragte sich: „Was tue ich hier eigentlich?“.
In der Freizeit waren wir dann politisch aktiv. Ich bin jeden Tag arbeiten gegangen als Anarcho, und auf der Arbeit wusste keiner was ich für politische Einstellungen hatte. Da hat man nix davon gemerkt. Das hat sich dann ein Stück weit im Zivildienst fortgesetzt, aber da wurde dann auch klar, dass ich auf Dauer so gar nicht leben will. Das ist Mist, weil es ein Stück weit auch eine gespaltene Persönlichkeit voraussetzt. Also, du gehst jeden Tag arbeiten und abends oder am Wochenende machst du dann Politik. Das war es nicht. Dann habe ich über einen Bekannten aus dem autonomen Spektrum das Projekt A-Buch von Horst Stowasser in die Hand gekriegt.
Dann habe ich Kontakt zu Horst Stowasser gekriegt, den ich vorher schon kannte, über Bücher, die er vorher herausgegeben hat, die mehr dokumentarischer Natur waren. Ich habe ihn dann persönlich kennen gelernt und fand ihn witzig. Er war ein tofter Kerl. Ich habe dann gedacht, okay, das scheint etwas zu werden. Ich fand das auch von der Denke her hoch spannend. Es war völlig anders, als das, was wir bisher gemacht haben.
GWR: Erzähl doch mal, was das Projekt A überhaupt war. Was war da so spannend für Dich?
A: Das Normale war, wenn sich drei Anarchos treffen, dann machen sie eine Zeitung. Wir haben mindestens fünf oder sechs verschiedene Zeitungen in meinem Leben herausgegeben und die waren alle Schrott. Die hat keiner gelesen, außer uns selber. Wir haben uns im Prinzip damit einen Spaß gemacht, aber nicht begriffen, dass das keine Relevanz hat. Wenn wir Gruppen-Harakiri begangen hätten, hätte das auch keiner gemerkt. Das war das, was Horst dann in seinem Buch als „plakativen Anarchismus“ bezeichnet hat. Also, wir hauen den Leuten Plakate an die Birne: „Guck mal, so geht das Leben wirklich“. Aber die Leute haben uns für verrückt erklärt, völlig zu recht. Wir waren ja Verrückte. Wir haben jeden Tag malocht oder waren arbeitslos und haben dann Freizeitpolitik betrieben. Was wir erzählt haben, das hatte mit der Realität nichts zu tun. Wir konnten nix zeigen. Wenn uns einer gefragt hat – „wie geht denn das?“ -, dann haben wir auf die Spanische Revolution verwiesen oder auf die Machno-Bewegung in der Ukraine. Aber den Durchschnittsbürger hat Spanien 1936 gar nicht interessiert. Die wussten da nichts drüber und wollten auch nichts wissen. Und dann kam Horst und sagte, dieser „plakative Anarchismus bringt uns außer Selbstbefriedigung nichts.
Wir müssen etwas tun, wo wir a) uns selbst mit beschäftigen, unseren Lebensunterhalt auf eine halbwegs anständige Weise verdienen und b) dann auch Effekte in der Gesellschaft erzielen.“
Das hat er dann auch aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen, die er unter anderem in Südamerika gemacht hat, auf ziemlich gute Füße gestellt, nach meinem Gefühl.
Er hatte dann die Idee des Doppelprojekts. Es gibt immer zwei Projekte, die quasi zusammen gehören, das eine ist eins, wo man Geld mit verdienen kann, zum Beispiel eine Kneipe, das andere beispielsweise ein Buchladen. Ein Buchladen ist typischer Weise etwas, was Anarchos gerne tun, was ihnen aber außer Ärger nicht viel einbringt. Wenn man das kombiniert, dann hat man einerseits die Möglichkeit, dass die Leute Geld verdienen, man hat die Möglichkeit mit Leuten in Kontakt zu treten, mit denen wir normaler Weise nicht in Kontakt geraten. Also, wer verliert sich denn in einen klassischen Anarchobuchladen? Anarchos. Das heißt, wir reden nur noch miteinander, wenn überhaupt. In der Kneipe sitzen auch mal die Leute von nebenan, wenn sie Durst auf ein Bier haben. Wenn man dann nicht blödsinnig vorgeht, kommt man auch ins Gespräch mit den Leuten. Das muss ja nicht direkt über den Anarchismus sein, aber irgendwann redet man darüber. Das war die Grundidee. Wenn man das Ganze in einer Kleinstadt macht, dann hätte es auch die Möglichkeit gegeben, dass das eine gewisse Relevanz entwickelt. Ich bin 1986/87 dazu gestoßen, da war außer dem Projekt A-Buch und ein paar Leuten noch nichts vorhanden. Da war Horst, der saß in Wetzlar und hatte da sein Anarchistisches Dokumentationszentrum, das AnArchiv. Das war auch eine klassische Anarchonummer, ein Ding, das keiner braucht, außer den Anarchos selber. Da saß er drin und machte Zeitungen, wie alle anderen Anarchos auch. Da versammelten sich dann Stück für Stück Leute, um diese Ideen zu verwirklichen.
GWR: Erzähl doch bitte mal von den Erfahrungen, die Du im Projekt A in Wetzlar gemacht hast.
A: Das Projekt A gab es ja noch nicht. Wir haben dann Treffen veranstaltet. Die Leute kamen von überall her. Wir hatten Österreicher dabei, Niederländer, die meisten kamen von überall aus Deutschland. Die technischen Mittel, wie wir sie heute kennen, die gab es noch nicht, wir hatten nicht die Möglichkeit zum Beispiel übers Internet kostenlos zu kommunizieren.
Also haben wir uns regelmäßig getroffen. Mein erstes Projekt A-Treffen war in Oldenburg. Da trafen sich die Leute, die Interesse am Projekt A aufgrund des Buches hatten. Man lernte sich kennen und versuchte Gemeinschaften zu bilden, die dann loslegen wollten. Ich war zu dem Zeitpunkt gerade aus dem Zivildienst raus, hatte noch keine neue Arbeit, keine Idee, was ich tun sollte. Ich bin dann nach Wetzlar gezogen, weil der Horst Leute suchte, die dann zusammen die eigene Zeitung herausgeben und die Informationen kanalisieren und den ganzen Kram machen.
GWR: Das war das AHA!, das als „internes Bulletin zum Projekt A“ unregelmäßig von 1985 bis 1996 mit kleinen Auflagen bis 200 Stück erschienen ist und der internen Kommunikation zwischen den Projekt-A-Interessierten dienen sollte. Wie viele Leute waren am Projekt A beteiligt?
A: Das ist kaum abzuschätzen. Auf den Treffen waren es immer zwischen 30 und 100. Das war unterschiedlich. Es gab ja auch unterschiedliche Thementreffen. Später gab es auch Treffen, die dann regional abgehalten wurden. Ein Treffen gab es beispielsweise in Wien. Wenn man dann aus dem Ruhrgebiet kam, dann hatte man schon ein Stückchen zu fahren gehabt. Das ist nicht unbedingt effektiv gewesen. Das haben wir dann erkannt und dann Ruhrgebietstreffen oder Hamburg-Treffen gemacht oder die Österreicher haben sich auch mal getroffen. Ich denke in dem Bereich waren wir 150 bis 200 Leute.
GWR: Was waren positive Erfahrungen, die Du dort gemacht hast?
A: Wir haben in Wetzlar gut zusammen gelebt, trotz aller Konflikte, die es in solchen Projekten gibt. Es waren teilweise auch sehr lustige Erfahrungen. Wir haben viele schöne Sachen gemacht. Ich habe gute Leute kennen gelernt. Also, Horst gehört dazu. Er war ein toller Geschichtenerzähler. Es war fein, ihm zuzuhören, wenn wir abends in der Kneipe saßen. Er hat immer Wein getrunken und seine komischen Stumpen geraucht. Das war klasse, wenn der erzählt hat. Er hat aus Spanien erzählt, so als wäre man dabei gewesen. Natürlich gab es auch andere Seiten.
GWR: Die negativen. Warum bist Du rausgegangen? Was gab es für Entwicklungen, die Dich dazu bewegt haben, das Projekt zu verlassen?
A: Ich habe es eigentlich nicht wirklich verlassen. Das ist das Verrückte dabei. Das hat sich irgendwie so ergeben. Na klar, es gab eine ganze Reihe negativer Erfahrungen. Einmal mussten wir feststellen, dass das Projekt A aufgrund seiner Grundstruktur auch viele Leute angezogen hat, die für so ein Projekt schlicht und einfach nicht geeignet waren. Das waren Leute, die bürgerlich massiv gescheitert waren und dann die Hoffnung hatten, ohne Veränderungen an sich, mit den gleichen verrückten Ideen, die sie vorher hatten, dann ganz toll rauskommen zu können.
Dass das nicht funktionieren konnte, das hätte sich jeder denken können, der bis 3 zählen kann. Wenn du es nicht schaffst im normalen Arbeitsleben pünktlich aufzustehen und deine Arbeit zu machen, dann schaffst du das auch nicht in einem Anarchobetrieb, wo keiner hinter dir steht und dir in den Hintern tritt. Das funktioniert garantiert nicht. Wenn die Leute dann nachmittags um 3 mal für eine Stunde zum Arbeiten kommen, weil die Kneipe dann mal für eine halbe Stunde offen sein soll, dann ist das Ding zum Scheitern verurteilt.
Du brauchst in einem selbstorganisierten Projekt eine deutlich höhere Selbstdisziplin als du sie in einem kapitalistisch geführten Betrieb brauchst.
Weil du da ja jemanden hast, der dich nach zehn Minuten anruft und fragt wo du bleibst, wenn du nicht pünktlich bist. So etwas gibt es in einem Anarchobetrieb ja eher weniger. Du solltest das schon selbst auf die Kette kriegen und keinen Chef brauchen, der dir sagt: „Jetzt komm mal zur Arbeit, du faule Socke!“. Viele waren dazu nicht in der Lage, hatten psychische Probleme, waren Alkoholiker oder ewig auf irgendeiner Droge, die konntest du für gar nix gebrauchen. Außer zum Haschisch organisieren.
Letztlich hat Horst gesagt: „Wir brauchen Ideen, die abseits von dem sind, was klassisch anarchisch ist“. Er hat in seinem Buch, meine ich, vom „57. Shillum-Projekt“ geredet, das er als völlig sinnlos betrachtet hat. Also, wir bauen Geräte für die Kiffer und verkaufen die dann an die Kiffer? Das ist es eben nicht! So sollte das nicht sein. Das sollten Leute sein, die dann an die bürgerlichen Leute auch Dinge verkaufen, die die auch brauchen, und nicht irgendwelche Pappblumen, die die gar nicht haben wollen. Das wird heute von vielen als Provokation verstanden, aber Horst meinte das ernst, dass wir in dem Kiosk eben auch die Bildzeitung verkaufen würden. Und ich stand da auch hinter. Das war eine gute Idee. Nehmen wir mal an, heute würde ein Anarcho einen Kiosk eröffnen. Das erste, was passiert; er schmeißt die ganzen rechten Zeitungen raus. Das ist logisch, es ist ja seine politische Überzeugung.
Schwuppdiwupp hat er damit aber auch alle Kunden, die nicht Anarchos sind, gleich mit herausgeschmissen. Die kommen nie wieder. Die kriegen ihre Bildzeitung ja nicht.
Ich komme ja aus dem Handwerk. Der klassische Handwerker wackelt morgens am Kiosk vorbei, holt sich da seine Bildzeitung, ein Brötchen und eine Cola und, wenn es das gibt, eine Wurstsemmel. Der wird das weiterhin tun, ob du als Anarcho den Kiosk übernimmst oder nicht, das spielt überhaupt keine Rolle. Und wenn du dann die Bildzeitung und die Wurstsemmel nicht mehr verkaufst, weil du a) Vegetarier und b) Anarcho bist, dann wird der zu dir nicht mehr kommen.
Horst wollte, dass wir als Anarchos wieder mit ganz normalen Menschen in Kontakt treten. Und natürlich nicht freudestrahlend ständig die Bildzeitung verkaufen, das ist nicht das Ziel gewesen, sondern vielleicht auch irgendwann mal eine Anarchozeitung wie die Graswurzelrevolution einfach daneben legen. Und nicht sagen: „Pass auf, hier gibt es die Scheißzeitung nicht mehr, hier gibt es jetzt nur noch eine gute Zeitung“. Die will er nicht haben. Aber vielleicht schenkst du ihm mal eine. Vielleicht sagt er auch: „Ich will das Ding nie wieder lesen. Behalt den Scheiß!“ Aber dann hast du eine Möglichkeit, auch mit ihm zu reden.
Aber der klassische Anarcho schließt sich vom Kontakt mit dem normalen Spießer aus, weil er die Sprüche nicht ertragen kann, da sind auch mal rassistische, sexistische Sprüche dabei. Das ist alles da. Aber das wird fröhlich ignoriert, mit solchen Leuten rede ich nicht, Feierabend! Oder ich beschimpfe sie und dann wundere ich mich, dass die mit mir nicht mehr reden. Aber ich verändere nichts dadurch, dass ich Leute nicht akzeptiere, in ihrer ganzen Beschränktheit auch. Wir müssen sehen, dass unsere ganze Gesellschaft darauf ausgerichtet ist, Leute zu beschränken. Die sollen ja bestimmte Gedanken nicht haben.
Wenn ich dann auf Leute stoße, die genau da rein passen, dann kann ich doch nicht mit Abscheu reagieren und sagen: „Ich rede mit den Leuten nicht mehr!“. Das ist ja völlig verrückt, so ändere ich doch niemanden. Mal ganz abgesehen davon, dass ich sowieso nur mich selber ändern kann. Du änderst dich. Und wenn du Glück hast, kriegt der eine oder andere draußen das noch mit und sagt: „Aha, interessant“. Vielleicht auch nicht. Ich bin da ein bisschen offener geworden. Und ich fand, die Idee war sehr gut. Da haben sich viele Polit-Anarchisten vor den Kopf gestoßen gefühlt. Und das war auch gut so.
(1) Livestream auf www.antenne-muenster.de. Wg. GEMA leider nur ohne Musik, werden die Radio Graswurzelrevolution-Sendungen danach voraussichtlich auch auf www.freie-radios.net zu hören sein.
Teil 2 des Interviews erscheint im Januar 2014 in der Graswurzelrevolution Nr. 385.