anarchismus

… vorneweg mit ’ner Ziege an der Hand

Ein Interview mit Holger-Isabelle Jänicke vom Rechtshilfebüro für Gewaltfreie Aktionen über ein neues Projekt zum Versammlungsrecht

| Interview: Besalino

Graswurzelrevolution: Holger-Isabelle, du bist seit Jahrzehnten in den Sozialen Bewegungen mit deinem Spezialwissen zur Rechtshilfe unterwegs. Du hast dir das alles selber beigebracht, dürftest aber mindestens auf dem Gebiet der Aktionen Zivilen Ungehorsams, und was damit zu tun hat, jeden ausgebildeten Juristen in den Schatten stellen.

Angefangen hat deine Unterstützungsarbeit für verfolgte AktivistInnen vor bald 30 Jahren in Mutlangen, das zum Standort der Mittelstreckenraketen Pershing II und Cruise Missile werden sollte. Im nächsten Schritt hast du die Rechtshilfe bei X-tausendmalquer, Stichwort Blockade der Castortransporte, aufgebaut; dann bei Gendreck-weg die sog. „Feldbefreiungen“, also das demonstrative Ausreißen genmanipulierter Maispflanzen, von juristischer Seite einige Jahre betreut.

Nun hast du mit einigen anderen ein neues Projekt gestartet, das um das Versammlungsrecht kreist. Worum geht es da?

Holger-Isabelle: Es geht bei diesem Projekt darum, das uneingeschränkte Recht der Versammlung zurückzugewinnen, nachdem es in den letzten Jahren zunehmend eingeschränkt wurde. Wir haben lange Zeit immer wieder das Problem von Auflagen bei Versammlungen gehabt, die mit der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung begründet worden sind.

Seit zweieinhalb Jahren haben wir eine neue Entwicklung: Nicht mehr nur unter Berufung auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung werden Versammlungen eingeschränkt, sondern es wird sogar gesagt, Infotische auf Kundgebungen seien nicht versammlungsimmanent, weil sie der Gewinnerzielung dienten, oder Zelte seien nicht versammlungsimmanent etc. Nach meiner Überzeugung sind wir, die wir die Versammlung durchführen, die Einzigen, die das Recht haben zu definieren, wie unsere Versammlung aussieht und was dazugehört.

Das Projekt startet am 1. Januar 2014. Das ist der Startschuss.

GWR: Der Träger des Projektes ist das Rechtshilfebüro für Gewaltfreie Aktionen, das von dir und anderen betrieben wird. Wie versteht ihr eure Arbeit, wie viele Leute seid ihr?

Holger-Isabelle: Das Rechtshilfebüro ist entstanden aus der Rechtshilfe-Arbeit für verschiedene gewaltfreie Gruppen. Diese Rechtshilfe-Arbeit haben wir nun zusammengefasst in diesem Büro und bieten jetzt den verschiedenen Gruppen Beraterverträge und Aktionsbegleitungsverträge an. Unser Anspruch ist, emanzipatorisch zu wirken. Es geht also nicht darum, den Leuten zu sagen, was sie machen müssen, sondern ihnen die verschiedenen Optionen verständlich zu erklären, die sie haben, damit sie selbst entscheiden, wie sie vorgehen; sie also dazu in die Lage zu versetzen. Das ist der Hauptgedanke. Wie viele Leute wir sind, ist nicht so einfach zu sagen. Ich bin derjenige im Rechtshilfebüro, der den ganzen juristischen Kram macht: Rechtsberatung, Rechtsbeistand bei Prozessen etc. Es gibt dann noch eine Person, die angestellt ist, die sich um die ganzen technischen Dinge kümmert: Webseite, Computer, Fundraising und Vernetzung usw.

Dann gibt es noch zwei Leute, die sich um Aktenführung und Verwaltungskram kümmern, auf Fristen achten und so. Außerdem gibt es noch ein bis vier Leute, auf die ich zurückgreife, wenn ich Recherchen habe.

GWR: Warum fühlt ihr euch denn dazu berufen? Was macht es nötig, dass ihr dieses Projekt angeht?

Holger-Isabelle: Weil alle Gruppen, mit denen wir zusammenarbeiten, nicht die Versammlung als solches zum Thema haben. Das Versammlungsrecht ist ein Instrument für sie und das ist ja auch gut so. Die haben andere Themen, die wichtig sind und an denen sie dran bleiben müssen. Zwangsläufig versucht man, sich dann mit den Auflagen zu arrangieren und die Versammlung trotzdem halbwegs vernünftig durchzuführen. Wenn die Versammlung vorbei ist, geht die politische Arbeit weiter und man scheut die Arbeit und das finanzielle Risiko, im Nachhinein die Auflagen anzufechten. Ich erlebe das dann immer wieder so, dass ich von Gruppe zu Gruppe gereicht werde, weil jede Gruppe das Problem hat und keine Gruppe bereit ist, das durch zu klagen.

GWR: Ihr habt einen Förderantrag bei der Bewegungsstiftung gestellt und eine Anschubfinanzierung erhalten. Das heißt, ihr habt Gelder und wollt das Projekt die nächsten zwei Jahre professionell angehen.

Holger-Isabelle: Ja. Das Geld ist nicht für die Verfahren, sondern eigentlich dazu da, um Geld einzusammeln, damit wir die Verfahren führen können – eine Reihe exemplarischer Verfahren zu bestimmten Themenbereichen. Dazu brauchen wir noch Projektpartner, also Gruppen, die zu ihrem Thema Versammlungen mit spannenden versammlungsrechtlichen Aspekten durchführen wollen und mit denen wir dann Musterklagen durchführen können.

GWR: Was hat es mit dem Begriff „Störfaktor“ auf sich? Das ist der Titel, den ihr eurem Projekt gegeben habt. Was verbindet ihr damit?

Holger-Isabelle: Auf der einen Seite ist es so, dass VersammlungsteilnehmerInnen von Seiten der Polizei immer wieder nicht als VersammlungsteilnehmerInnen wahrgenommen werden, sondern als Störer. Das finde ich unmöglich! Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass, wenn wir uns das Versammlungsrecht angucken, als Grund- und Menschenrecht, ist es ein Recht, um in die Politik einzugreifen, um politisch etwas zu verändern. Das kann ich nur machen, wenn diese Versammlungen auch einen Störfaktor für die herrschende Politik darstellen. Darum geht es für mich in diesem Projekt: Das zu fördern, da die Handlungsräume wieder zu erweitern, dass Versammlungen wieder das sein sollen und sein müssen!

GWR: Euer Ansatzpunkt ist diesmal nicht, direkt Betroffene juristisch zu unterstützen, sondern das Versammlungsrecht zurückzuerobern. Ihr verfolgt also ein strategisches Ziel?

Holger-Isabelle: Ja, ganz klar.

GWR: Wie wollt ihr da vorgehen? Kannst du das an Beispielen verdeutlichen?

Holger-Isabelle: Ja, es gibt da schon erste Ideen, wobei wir im Team noch nicht festgelegt haben, mit welcher Priorität wir sie angehen. Es gibt z.B. die Idee, eine Vermummungsdemonstration zu machen. Gruppen, an die wir da denken, sind Gruppen, die irgendwie zum Thema Überwachung, NSA usw. arbeiten. Die Idee ist, eine Versammlung zu einem Ort der Überwachung zu machen und aus diesem Grunde schon im Aufruf dazu aufzufordern, sich für die Demo zu vermummen als Zeichen gegen die Überwachung.

Vermummung ist ja schon seit Jahren ein Streitpunkt im Versammlungsrecht. Ich denke, das wäre so ein Vehikel, das noch mal öffentlich zu thematisieren, noch mal daran zu rütteln.

Eine andere Überlegung, die wir haben, ist, eine Versammlung mit Tieren durchzuführen. Es gibt immer wieder die Auflage des Verbots, größere Tiere mitzuführen. Ich möchte gerne eine Versammlung machen – wahrscheinlich eher aus dem landwirtschaftlichen Bereich, oder wenn’s um Patente um Leben geht – wo man mal eine Demo explizit mit Tieren macht: Schweine, Kühe … alles, was es so gibt. Bei der Demo möchte ich gerne vorneweg marschieren mit einer Ziege an der Hand.

GWR: Ihr arbeitet also zweigleisig. Ihr versucht einmal juristisch durchzufechten, dass das Versammlungsrecht uneingeschränkte Gültigkeit hat und andererseits auch, auf der Ebene direkter Aktion von der Straße weg Druck aufzubauen.

Holger-Isabelle: Ja, die juristische und die Aktionsschiene wollen wir parallel fahren. Aber es kommt noch ein Ansatzpunkt hinzu. Es sind ja nicht nur Juristen, die das Versammlungsrecht falsch verstehen oder nicht weit genug interpretieren, sondern zum Teil auch wir selber. Wir selber haben da manchmal unsere Hemmnisse. Deshalb ist es mir auch wichtig, nicht nur die Juristen anzugehen, sondern auch die VersammlungsteilnehmerInnen. Es sollten Versammlungen mit besonderem Charakter sein, wo wir auch bewusst über das Gewohnte hinausgehen. Nicht nur einfach eine Latschdemo machen – die Demo sollte zu einem emanzipatorischen Erlebnis- und Lernraum werden. Darüber hinaus würden wir auch gerne mit Projektpartnern im Rahmen des Projekts eine Schulung zum Versammlungsrecht machen.

Denn es hilft uns nichts, wenn wir Erfolg bei Gericht haben, aber die Gruppen und VersammlungsteilnehmerInnen sich nicht im Versammlungsrecht auskennen und deshalb die erkämpften Rechte nicht selbstbewusst wahrnehmen.

Also, wir brauchen auch ein neues Bewusstsein vom Menschenrecht des Versammlungsrechts!

GWR: Wir siehst du euer Projekt im Spannungsfeld Staat – Anarchismus? Ist es nicht ein Widerspruch, wenn ich einerseits innerhalb staatlicher Institutionen für Verbesserungen kämpfe und andererseits als Ziel Emanzipation und eine gewaltfreie, herrschaftsfreie Gesellschaft anstrebe?

Was antwortest du auf solche Fragen?

Holger-Isabelle: Zum einen: Auch in einer anarchistischen Gesellschaft will ich davon ausgehen, dass es so was wie ein Rechtsbewusstsein gibt und ein Bewusstsein dafür, dass eine Minderheit sich öffentlich versammeln kann. Das finde ich ganz wichtig; sonst, denke ich, macht eine anarchistische Gesellschaft keinen Sinn. Das andere ist: Wir leben im Moment nicht in einer anarchistischen Gesellschaft, sondern in der Realpolitik.

Das ist noch ein langer und schwieriger Weg, den wir vor uns haben, und da kommen wir meines Erachtens nicht drum herum, uns die Freiräume und Handlungsspielräume auch immer wieder neu zu erstreiten. Wenn wir es zulassen, dass das Versammlungsrecht immer weiter eingeengt wird, dann wird es auch umso schwieriger, hierarchiefreie Strukturen in der politischen Arbeit zu erkämpfen. Insofern denke ich, steht das nicht im Widerspruch, man muss es dialektisch sehen.

GWR: Was würde denn dem Projekt zum Versammlungsrecht gut tun? Was würdet ihr euch wünschen?

Holger-Isabelle: Wenn es uns gelänge, im Spätfrühjahr/Sommer eine Versammlung mit einer Partnergruppe durchzuführen, die nicht vorrangig der Größe wegen, sondern wegen der inhaltlichen Ausstrahlung, wegen des Reizes der Versammlung an sich, für Aufmerksamkeit sorgt und die öffentliche Diskussion fördert.

GWR: Viel Erfolg und herzlichen Dank für das Interview!

Kontakt & Infos

Projekt "Störfaktor"
Für das volle uneingeschränkte Versammlungsrecht!
www.stoerfaktor.org

Rechtshilfebüro für Gewaltfreie Aktionen
Tel. 040-23518307
info@rechtshilfebuero.de
www.rechtshilfebuero.de