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Das Buch des Jahres

Deutsche AnarchosyndikalistInnen im Spanischen Bürgerkrieg

| Heiko Schmidt, Berlin

Dieter Nelles / Ulrich Linse / Harald Piotrowski / Carlos Garcia: Deutsche AntifaschistInnen in Barcelona 1933 - 1939. Die Gruppe Deutsche Anarchosyndikalisten" (DAS). Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2013. 425 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 24.90 Euro, ISBN 978-3-939045-22-9

Von vielen lang erwartet, ist im Oktober 2013 die deutsche Ausgabe des dicken Buches über die Mitwirkung deutscher AnarchosyndikalistInnen an der spanischen Revolution bzw. des (Bürger-)Kriegs erschienen. Im Dezember 2013 wurde „Deutsche AntifaschistInnen in Barcelona 1933-1939“ von der Berliner Bibliothek der Freien als „Buch des Jahres“ ausgezeichnet.

Etwa 250 Deutsche kämpften in anarchistischen Milizen, manche davon waren auch Mitglied der Gruppe DAS (Deutsche Anarchosyndikalisten), der in Barcelona ansässigen Sektion der Fortführung der anarchosyndikalistischen FAUD (Freien Arbeiter Union) im Exil. Deren Haupttätigkeit bestand – zwischen Putsch und Revolution im Juli 1936 und dem Ende ihrer Existenz als Gruppe im Zusammenhang mit den Maiereignissen 1937 – im Wesentlichen in der Bekämpfung des örtlichen Nazi-Netzwerkes, die u.a. in der Veröffentlichung des „Schwarzrotbuches“ resultierte, einer umfangreichen Zusammenstellung von Nazi-Dokumenten, die die AktivistInnen der Gruppe DAS beschlagnahmen konnten.

Zeitweise waren die deutschen AnarchosyndikalistInnen sogar ganz allgemein mit der Kontrolle Deutscher in Barcelona betraut, worin nun eine gewisse Ironie liegt: ausgerechnet AnarchistInnen als „Fremdenpolizei“?

Zu den Stärken des Buches gehört es, dass es diesen und andere „schwierige“ Aspekte keineswegs ausblendet. Davon gab es viele: interne politische und persönliche Konflikte, das schwierige Verhältnis zur CNT, oder den Dualismus derselben, die gleichzeitig staatstragend und revolutionär auftrat. Gerade im Kleinen ist Erstaunliches zu lesen: die Gruppe DAS schloss Johannes Noll aus, weil er gewaltloser Anarchist war? Und Ferdinand Götze, 1933 Leiter der illegalen Geschäftskommission der FAUD, versuchte sich in Spanien an einer Art Super-Volksfront, nämlich einem Zusammenschluss aller nicht-kommunistischen AntifaschistInnen – unter Einschluss oppositioneller Nazis?

Eine weitere Stärke des Buches liegt in seiner Mehrstimmigkeit, die wiederum mit der komplizierten Entstehungsgeschichte zu tun hat. Harald Piotrowski und Carlos Garcia, beide Barcelona, gehörten 2006 zu den Herausgebern eines Sammelbandes (1), in dem Berichte ausländischer libertärer und linkssozialistischer Zeitzeugen der Maiereignisse 1937 erstmals ins Spanische übersetzt wurden, darunter solche der Gruppe DAS.

Als deren Geschichte weiter erforscht werden sollte, stießen sie auf Dieter Nelles, der bereits in den 80er Jahren gemeinsam mit Ulrich Linse u.a. an dem Thema gearbeitet hatte, ohne dass das Projekt zu einem Abschluss kam. Texte aus diesem alten Projekt wurden nun, teils überarbeitet, mit den neueren Arbeiten von Piotrowski und Garcia zusammengefügt und erschienen so zunächst in spanischer Sprache (2).

Zur Mehrstimmigkeit gehört, dass bei Nelles und Linse Innenansichten eine zentrale Rolle spielen, also Berichte und Korrespondenzen der Akteure, während Piotrowski und Garcia durch Archivrecherchen vor Ort bislang unbekannte Außenansichten zusteuern konnten, etwa Presseartikel, amtliche Dokumente usw.

Auffallend ist auch, dass sich die Texte im Tonfall unterscheiden: bei Linse und Nelles dominiert eine nüchtern-sachliche Darstellungsweise, während Piotrowski und Garcia eine gewisse rhetorische Schärfe erkennen lassen, vor allem, wenn es um die Stalinisten geht, um die Bürokratie und die katalanischen Eliten, da gibt es Sarkasmus, Aggressivität, und sogar mal ein Ausrufezeichen! Beides scheint dem Thema angemessen.

Der „Kurze Sommer der Anarchie“ war bekanntlich kurz, und der Einfluss der Gruppe DAS ist spätestens seit Herbst 1936 im Schwinden gewesen, und nach den Maiereignissen war es als Gruppe bald vorbei. Etliche sind außer Landes gedrängt worden, anderen saßen plötzlich in republikanischen Gefängnissen, manche hat’s auch erwischt. Hiervon berichten das letzte Kapitel des Buches sowie der ausführliche biographische Anhang, so dass sich, gemeinsam mit den vorangestellten Kapiteln zur Einwanderung nach Barcelona vor 1936 sowie der Frühgeschichte der Gruppe DAS, ein umfassendes Bild ergibt. Kleine Unebenheiten gibt es, ins Gewicht fallen sie meiner Ansicht nach nicht.

Was bleibt davon?

Zum einen sicherlich der Respekt vor dem Engagement gegen die Nazis. Die konstruktiven Leistungen der sozialen Revolution? Die scheinen in diesem Buch nur hier und da auf, was aber nicht an der Darstellung liegt, sondern daran, dass die hier behandelte Personengruppe in dieser Hinsicht nur in geringem Maße aktiv war – dazu vielleicht auch gar keine Gelegenheit hatte. In den Zitaten, mit denen sowohl Piotrowski / Garcia als auch Nelles ihre Texte enden lassen, dominieren folgende Perspektiven: Bei Piotrowski / Garcia ist es der deutsche Syndikalist Mauricio Lipschulz, der über seine Haft in einem Gefängnis der Volksfrontler berichtet – also: das Abwürgen der Revolution durch eine Allianz von Stalinisten und überkommenen Eliten.

Nelles zitiert aus einem Brief von Karl Brauner. Der war über die KPO zur FAUD gekommen, seit 1934 in Spanien, Mitglied der CNT, im Juli 1936 an der Niederschlagung des Putsches beteiligt, dann Milizionär, 1937 verhaftet, geflohen, illegal in Barcelona, wieder inhaftiert, in Frankreich interniert, an die Nazis ausgeliefert, Zuchthaus, überlebt, DDR, und dann schreibt der 1991: Das habe ihn nie verlassen, damals in Spanien mit anderen zusammen „etwas ‚Historisches‘ in Gang gebracht“ zu haben.

Das kann nun dem oder der zu pathetisch sein, ich finde aber schon, dass es eine Art von Würde hat. Eine seltsame Art von Würde, für die es vielleicht noch nicht einmal eine Revolution braucht.

(1) C. García / H. Piotrowski / S. Rosés: Barcelona, mayo 1937. Testimonios desde las barricadas. Alicornio Ediciones, Barcelona 2006.

(2) D. Nelles / H. Piotrowski / U. Linse / C. García: Antifascistas alemanes en Barcelona (1933 - 1939). El Grupo DAS: sus actividades contra la red nazi y en el frente de Agagón. Editorial Sintra, Barcelona 2010. Rezensiert von Martin Baxmeyer in der Graswurzelrevolution Nr. 362, Oktober 2011