Karsten Krampitz / Klaus Lederer (Hg.): Schritt für Schritt ins Paradies, Karin Kramer Verlag, Berlin 2013, 250 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-87956-374-6
Auf den ersten Blick eine super Idee: ein Buch zum Thema „Freiheit“, mit der Absicht verbunden, den Freiheitsbegriff wieder als fortschrittlichen, utopischen Begriff zurückzuholen aus den Kreisen der Neoliberalen, denen es im Mainstream-Bewußtsein weitgehend gelungen ist, ihre Wirtschaftsfreiheit als die wahre Freiheit zu verkaufen. Gemeint ist aber ein sehr reduzierter Freiheitsbegriff: die Freiheit zum Konsum, die als persönliche Freiheit erlebt werden soll, selbst dann noch, wenn die persönliche Situation prekär, flexibilisiert oder perspektivlos geworden ist.
Die Auswahl von Karsten Krampitz und Moritz Lederer verheißt viel: Emma Goldman, Jaroslav Hasek, Max Stirner, B. Traven stehen für die „anarchistischen Klassiker“, Bernd Kramer, Philippe Kellermann oder Jochen Knoblauch für zeitgenössische Anarchisten; dazu viele andere, einige aus dem Umfeld der Partei „Die Linke“, andere aus kulturellen Zusammenhängen wie den Erich-Mühsam-Feten in Berlin oder der Kultgruppe aus den 70ern „Ton, Steine, Scherben“, von deren Song auch der Buchtitel entlehnt wurde.
Am Beginn des Buches steht mit „Freiheit heute“ ein vielversprechender kurzer Aufsatz von Jochen Knoblauch. Er kommt nach einer Google-Suche auf 43.600.000 Einträge zum Thema „Freiheit“. Unter diesem Label wird also alles verkauft, der laufende Krieg und die neue Automarke und natürlich fanden sich auch die Anarchisten, die das Wort Freiheit ganz bewusst als zentralen Begriff nutzen: „Freiheit pur“ (Horst Stowasser), „Revolution für die Freiheit“ (Paul und Clara Thalmann), „Ein Leben für die Freiheit“ (Augustin Souchy) oder „Die Ökologie der Freiheit“ (Murray Bookchin), um nur eine Miniauswahl anzusprechen.
Interessant ist auch, dass sich hier AnarchistInnen und marxistische Linke bemühen, den „Freiheitsbegriff“ gemeinsam gegen eine „Anything goes-Marlboro-Freiheit“ zu retten.
Diese Autorenvielfalt verheißt ein unterschiedliches Herangehen an das Thema und es sind – soviel vorweg – tatsächlich ganz unterschiedliche Beiträge ins Buch aufgenommen worden:
Manche Beiträge machen lediglich klar, dass auch in der linken oder Anarchoszene nicht überall „freiheitliches Verhalten“ gelebt wird, obwohl doch „frei“ draufsteht – so die nachdenklich stimmende Geschichte von Manja Präkels zur „Bibliothek der Freien“ bei der es pikanterweise dann auch noch um „Besitz“ geht. In anderen Beiträgen findet sich die Freiheit bisweilen als Negation zu dem beschriebenen, wie z.B. in Bernd Kramers „Ameisenstaat“, der die bürgerliche Wortwahl für das Tierreich anprangert.
Das ist aber mehr eine vergnügliche Bettlektüre, ähnlich wie der Beitrag des tschechischen Anarchisten und Satirikers Jaroslav Hasek, in dem sich die Freiheit als Negation zu den Hausmeistern findet, die die Eingangstüren zum Wohnblock für spätheimkehrende Mieter nur gegen Gebühr öffnen.
Auch B. Travens kurze Story aus dem Nachlass des Leipziger Literaturforschers Rolf Recknagel erzeugt dieses Schmunzeln, wenn einem Herrscher einfach ein Feuer unter den Hintern gestellt wird, sollte er sich zu lange auf dem Sitz der Macht aufhalten wollen.
Es gibt auch ernsthaftere Beiträge, auch theoretisch langatmige oder philosophische, wobei man den Einschätzungen der AutorInnen nicht immer zustimmen muss, wie z.B. der Beschäftigung Bernd Kramers mit Max Stirner. Hier wird Stirner zugestimmt, der den Schiller’schen Satz „Die Gedanken sind frei“ zugunsten der „Gedankenlosigkeit“ verwirft. Die „Gedankenfreiheit“ wird als Forderung einer „liberalistischen Öffentlichkeit“ interpretiert und deshalb als von der Mainstream-Meinung „okkupiert“ angesehen. Eine Interpretation, der mensch nicht folgen muss, weil die Schillersche Gedankenfreiheit sehr wohl systemkritische, aufständische Gedanken umfassen kann und eben nicht automatisch „okkupiert“ ist.
Philippe Kellermanns Beitrag „Zur Auseinandersetzung zwischen Anarchismus und Marxismus“ schließlich bringt den altbekannten anarchistischen Freiheitsbegriff in die Sammlung ein, nachdem „Freiheit ohne Sozialismus Privilegienwirtschaft und Ungerechtigkeit bedeutet“, während „Sozialismus ohne Freiheit Sklaverei und Brutalität“ verkörpert.
Dies soll auszugsweise genügen, es finden sich noch zahlreiche andere Beiträge in diesem Band, so dass am Ende die ursprüngliche Absicht, sich die Freiheit wieder anzueignen, einer gewissen Beliebigkeit weicht. Da werden die Drogen, Rock’n Roll, das Bordell und der arabische Frühling genauso „analysiert“ wie der Freitod eines unfreiwilligen (?) Stasiinformanten und nicht ganz zufällig endet das Buch mit einer nur halbwitzigen und eher abgedroschenen „Himmelstür“-Parodie auf den Papst Wojtyla.
Kurz und mager: das Buch lässt einen etwas ratlos zurück. Der Ansatz bleibt spannend und Teile sind lesenswert, das Gesamtkonstrukt gerät jedoch wieder in die Nähe der „Anything goes“-Freiheit und wäre letztlich mit weniger Anspruch leichter zu vermitteln: als Karin-Kramer-Verlagsalmanach.