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Versklavte Frauen, freie Männer?

| Elke Steven

Mit Kerstin Wilhelms Artikel "Prostitution zwischen Arbeit und Missbrauch" begann im Dezember 2013 in der Graswurzelrevolution Nr. 384 eine kritische Auseinandersetzung mit dem von Alice Schwarzer lancierten "Appell gegen Prostitution". Mit vier kontroversen Beiträgen von Antje Schrupp, Luzie Morgenstern, Snowman und Rosen Hicher wurde die Diskussion im Februar in der GWR 386 vertieft. Daran knüpft der folgende Kommentar von Elke Steven (Komitee für Grundrechte und Demokratie) an. (GWR-Red.)

Die Diskussion um Prostitution bleibt geprägt vom sexistischen Rollenbild. Männer sind die Täter, sie sind diejenigen, die (sexuelle) Bedürfnisse haben und sich Befriedigung verschaffen. Frauen sind die Opfer, die mit oder ohne Zustimmung, mit oder ohne „Consent“, die Bedürfnisse der Männer erfüllen. In „paternalistischer Besserwisserei“ wollen auch Frauen wie Alice Schwarzer die Sexarbeiterinnen, ohne nach deren eigenen Wünschen zu fragen, „befreien“. Tatsächlich muss immer neu die Frage gestellt werden, wie in den gegenwärtigen Verhältnissen die Menschenrechte der Prostituierten garantiert werden können. In der gegenwärtigen Debatte werden jedoch oft grundsätzliche Fragen nach einem „richtigen, wahren und schönen“ Leben damit vermischt.

Nicht zu leugnen ist, dass mit Prostitution auch Gewalt, Erniedrigung, Ausbeutung, Kindesmissbrauch, Frauenhandel, perverse und Frauen demütigende Sexualpraktiken verbunden sind. Der „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“, der einen Gegen-Appell FÜR Prostitution veröffentlichte, stellt heraus, dass Prostitution auf Freiwilligkeit beruht. Bei jedwedem Zwang handele es sich um Vergewaltigung. So richtig diese Unterscheidung ist, so wenig hilfreich ist sie in der Einordnung der alltäglichen Praxis. Selbstverständlich sind Frauen und Kinder, die gezwungen werden, sich zu prostituieren – die also vergewaltigt werden – zu schützen. Menschenhandel und Zwangsprostitution sind Straftaten, die zu verfolgen sind.

Die Situation von Prostituierten wird aber eher auf einem Kontinuum zwischen Zwang, auch aufgrund der Lebensverhältnisse, und Freiwilligkeit und selbstbestimmten Umgang einzuordnen sein. Wer Prostituierten, die aus Zwangslagen heraus dem Geschäft mit ihrem Körper nachgehen, andere Möglichkeiten bieten will, muss attraktive Alternativen schaffen. Fragen nach realistischen Einkommensmöglichkeiten, nach Arbeitsbedingungen und sozialer Absicherung sind zu stellen. Die von Luzie Morgenstern in ihrem Diskussionsbeitrag in der GWR 386 ironisch weitergedachten beamteten Bordellbetriebe möchte ich mir jedoch lieber nicht vorstellen. Das Beamtentum gehört ganz abgeschafft. Eine an der Lebensrealität der Betroffenen orientierte Debatte muss jedenfalls mit den Frauen, nicht über sie, geführt werden.

Wer jede Migration als Armutsmigration verteufelt, die Wege verbaut, auf legalem Weg die Grenzen zu überschreiten, wer legale Arbeitsmöglichkeiten verhindert und auch in anderen Bereichen die Ausbeutung von Menschen unter menschenunwürdigen Verhältnissen duldet, meint es nicht ehrlich mit dem Einsatz für die Menschenrechte der Prostituierten. Demokratie und Menschenrechte werden nicht durch Restriktionen, Verbote, Strafen gewährleistet, sondern durch Schutzmechanismen, die Freiheiten ermöglichen und auch Abweichungen von der Norm zulassen.

Mit Recht legt Antje Schrupp in der GWR Nr. 386 wert darauf, die Diskussion um Sex als Ware und Dienstleistung ohne den Ruf nach staatlicher Reglementierung zu führen, und auch Luzie Morgenstern vermerkt irritiert die aktuellen repressiven Denkstrukturen.

Wenn man Sex, wie es Antje Schrupp tut, jedoch ausschließlich mit gegenseitigem Begehren und Liebe verbinden will, dann wird das körperliche Bedürfnis geleugnet und werden zugleich die alltäglichen sexuellen Beziehungen überhöht. Wir würden gerne in einer nicht entfremdeten Gesellschaft leben, in einer, die nicht von kapitalistischen Herrschafts- und Gewaltverhältnissen geprägt ist. Zugleich müssen wir allerdings feststellen, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der der Körper längst unter dem Gesichtspunkt der Verwertungslogik betrachtet wird. Er ist zur Ware geworden. Wir haben gesund zu leben und auf Bedürfnisse zu verzichten, um den Körper fit zu halten. Der Körper hat den Schönheitsidealen angepasst zu werden. Organe werden transplantiert, Embryonen selektiert. Wieso sollte ausgerechnet die Sexualität von diesem Warencharakter ausgenommen werden und nur in Verbindung mit Begehren und Liebe „erlaubt“ sein. Warum sollte nicht auch Sexualität eine Dienstleistung sein können?

Der Bericht eines Altenpflegers macht eine ganz andere Perspektive deutlich. Viele alte Menschen, möglicherweise zunächst vor allem alte Männer, haben auch im Alter und auch als Demente sexuelle Bedürfnisse. Sie verlieren ihren Sexualtrieb nicht. Prostituierte mögen dann Sexualassistentin heißen, ihr Dienst bleibt derselbe. Anschaulich berichtet Christopher Piltz im Freitag vom 5. Dezember 2013 im Artikel „Mit aufs Zimmer“, wie menschlich-hilfreich solche Dienste ohne Zwang und Frauenhandel sein können. Sexuelle Bedürfnisse sind ebenfalls körperliche Bedürfnisse, die nicht einfach verleugnet werden können. Zu einer den Menschen gerecht werdenden Pflege kann es dann gehören, auch deren Befriedigung zu ermöglichen.

Die gegenwärtige Debatte ist geprägt vom traditionell-patriarchalen Bild von Sex, das ausgeht vom Bedürfnis des Mannes und den Frauen keine sexuellen Bedürfnisse zugesteht. Männer sind es, die die Prostituierten nachfragen, weibliche und männliche. Sexuelle Bedürfnisse der Frauen kommen nicht vor. Luzie Morgenstern weist immerhin daraufhin, dass sich auch Frauen heute bei Bedarf einen attraktiven Begleiter buchen. In der Vorstellung über Prostitution fehlt diese Variante. Sexualität bei Frauen und Männern wird in einem unterschiedlichen Kontext begriffen.

In der anarchosyndikalistischen Zeitung „Direkte Aktion“ wird im Januar/Februar 2012 ein Interview geführt, das die Möglichkeit der verdrehten Rollen im Sextourismus aufzeigt. Es wird davon ausgegangen, dass „besonders Frauen“ zunehmend in die Karibik reisen, „mit dem Ziel, einige Tage in den Armen eines gutaussehenden Mannes zu verbringen“.

Unabhängig von der Frage, wieviele Frauen dies tatsächlich sind, macht die Antwort deutlich, wie unterschiedlich der Status ist. „Frauen, die Sexarbeit betreiben, gelten hier als Prostituierte, Huren und leichte Mädchen. Männer gelten als Gigolos, Beach Boys oder Nichtstuer.

Diese Begriffe geben männlichen Sexarbeitern einen sozial eher akzeptablen Status. Frauen werden als Teilnehmerinnen an kriminellen Aktivitäten gebrandmarkt, während männliche Sexualität gefeiert wird – oder sie gilt als Wohltätigkeit.“ Männer, die sich prostituieren, gelten als frei und unabhängig. Sie werden auch dann, wenn sie sich prostituieren, als machtvoll interpretiert.