Frankreich hat unter der PS-Regierung Hollande eine permanent hohe Arbeitslosenquote von über 11 %. Es herrscht Ebbe in der Staatskasse, trotzdem werden Kriege geführt und es gibt einen Innenminister Manuel Valls, der Roma so intensiv abschiebt wie unter Sarkozy. Doch nicht die Arbeiterbewegung geht, von einzelnen betrieblichen Ausnahmen abgesehen, massenhaft auf die Straße, sondern die Rechte bis hin zu einer Welle neuer Nazis, die mehr und mehr Straßen und kulturelle Diskurse beherrschen.
Das bisher einzige, auch nur halbwegs emanzipatorische Gesetz der Hollande-Regierung diente dieser von der ländlichen, katholischen Mitteklasse ausgehenden reaktionären Bewegung als Mobilisierungsbasis: das Gesetz zur Ehe für Homosexuelle, das nach heftigen Protesten am 23. April 2013 verabschiedet wurde.
Vom 17. November 2012 bis zum 26. Mai 2013 war es zu einer Welle von Demonstrationen vor allem in Paris und Lyon mit nicht selten 150.000 DemonstrantInnen gekommen.
Anfänglich wurde eine naive Organisatorin, Frigide Barjot, ins Medienlicht gerückt, die Familien mit Kinderwägen oder aus katholischen Kirchengemeinden mit Slogans wie „Wir alle wurden von einem Mann und einer Frau geboren“ oder „Ein Kind braucht Mama und Papa“. Ausgangspunkt der Bewegung war oft die katholische Kirche, führend dabei der Lyoner Erzbischof Philippe Barbarin, der die dann typisch werdenden Phobien dieser Bewegung befeuerte, die meist sehr wenig mit irgendeiner Realität zu tun hatten: Die Homo-Ehe ende „bei Paaren zu dritt oder zu viert. Danach fällt eines Tages das Inzestverbot.“ (1) Sodom und Gomorrha also.
Jüngst wurde der Lehrplan in Schulen mit Tagen des Boykotts, der Herausnahme von Kindern aus der Klasse kritisiert: Im Mittelpunkt stand die Wahnvorstellung, dort werde nur noch die Gendertheorie Judith Butlers (Singular, nicht etwa: Gender Studies; so dass das gleich auch noch als Totalitarismus verstanden wurde) gelehrt.
Auch andere Religiöse reihten sich ein: der Muslim Camel Bekchikh, Chef des Reflexionsclubs „Söhne Frankreichs“, der für Nationalismus, Protektionismus und gegen Immigration eintritt – aber auch der Großrabbiner Bernheim, dessen 40-seitiger Essay gegen die Homosexualität und die Homo-Elternschaft im Dezember 2013 vom Regensburger Noch-Papst Ratzinger zitiert wurde, sich dann aber als peinliches Plagiat herausstellte.
UMP-Parlamentsabgeordnete und -Bürgermeister gingen bei den ersten Demos vorneweg – überraschend fehlten Marine Le Pen und der Front National auf der Straße: Der Front ist traditionell eine Wahlpartei und selten auf den Straßen zugegen. Er hatte unter Marines Führung zudem gerade einen Schritt in die Mitte vollzogen, gab sich als „entdiabolisiert“ und koalitionsbereit mit der UMP.
Doch an ihren rechten Rändern bröckelten dann faschistische Gruppen ab, die sich bald am Rande der konservativ-klerikalen Massenbewegung militante Straßenschlachten mit der Polizei lieferten. (2)
Am 26. Januar 2014 demonstrierten ca. 50.000 Leute dieser Bewegung, zu einem beträchtlichen Teil äußerst gewaltsam, aufgerufen von einem Komitee „jour de colère“ (Tag des Zorns). Es kam zu den bisher härtesten Auseinandersetzungen mit der Polizei. Barjot hatte angekündigt, gar nicht mehr hinzugehen, ebenso die UMP-Chargen. Alle bürgerlichen Vorzeigekonservativen waren von den neuen Nazis bereits dominiert und ausgebootet worden.
Der Nazi-Propagandist Dieudonné
Diese neue Welle militanten Nazitums auf Frankreichs Straßen wird durch drei Personen symbolisiert: die erste nennt sich „Kabarettist“ oder „Humorist“, ist aber politischer Propagandist mit Namen Dieudonné M’bala M’bala.
Der Name ist leider Programm: Balabala sind seine Sprüche im Internet, bei seinen angeblichen Kabarettauftritten oder auch auf Demos. Neben blankem Antisemitismus kann man dabei zwar nach irgendeinem logischen Sinn suchen, wird aber keinen finden: So sei die Öffnung der Ehe für Gleichgeschlechtliche etwa „ein zionistisches (!) Projekt zur Spaltung des Volkes“. Dieudonné ist auch Erfinder des von dummen Jugendlichen gern imitierten umgekehrten Hitler-Grußes, der sogenannte „Quenelle“, wobei der ausgestreckte rechte Arm mit flacher Handfläche nach unten zeigt und durch die auf den Oberarm gelegte linke Hand scheinbar niedergedrückt wird, ein Anti-System-Zeichen, so der gar nicht lustige „Humorist“, der sich in schlimmster Weise am Negationismus er- und an der Erinnerung an die Shoa vergeht.
Als Schwarzer spielt er mit Vorliebe Rassismuskritik und angebliche Privilegien für Juden und Jüdinnen gegeneinander aus, meint etwa, die fehlenden Subventionen für die Erinnerung an die Sklavenvernichtung seien „das Werk der jüdischen Erinnerungslobby“. (3)
Im Januar 2014 verbot Innenminister Manuel Valls einige von Dieudonnés erschreckend mit bis zu 5.000 Leuten ausverkauften Auftritte in Großhallen wie in Nantes und anderen Städten. Valls nutzte dabei die Gelegenheit, sich als Verteidiger einer Kritik des Antisemitismus in die mediale Szene zu setzen und seine rassistische Abschiebepolitik gegen Roma vergessen zu machen.
Die anarchistische Wochenzeitung Le Monde libertaire warnt vor Dieudonné als gefährlichem Antisemiten:
„Dieudonné ist kein Humorist, er ist ein Aktivist der Rechtsextremen. Er hat es selbst in einem Interview im iranischen Fernsehkanal Sahar gesagt: Er benutzt das Gelächter als politische Waffe, so wie andere Plakate kleben oder Flugblätter verteilen. Er sagt, er spreche mit jedem, der das System ablehne, aber in Wirklichkeit spricht er nur mit Antisemiten aller Richtungen (bekennende Neonazis, UnterstützerInnen des iranischen Regimes, NegationistInnen usw.). Er unterstützt nicht die ‚Systemoppositionellen‘, er unterstützt nicht die Familien der Opfer rassistischer Verbrechen, er unterstützt nicht die Opfer von Polizeigewalt, er gibt keinen Euro von seinen Millionen für auch nur irgendeine Form der Solidarität mit den PalästinenserInnen, er, der sich selbst antizionistisch und ‚anti-system‘ nennt. (…) Wir anderen aber, wir AnarchistInnen, sind genauso gegen Valls wie gegen Dieudonné, die nur zwei Seiten derselben Medaille sind. Valls möchte uns mit seinem scheinbaren Kampf gegen den Antisemitismus locken, um das Proletariat von seiner rassistischen Politik abzulenken. Dieudonné präsentiert sich, um für sich zu werben und seine stinkenden Ideen zu verbreiten, als größtes Opfer und größten Widerständler zugleich. In Wirklichkeit braucht der eine den anderen, ihr Gegensatz ist nur Fassade (…).“ (4)
Serge Élie Ayoub – der Skin fürs Grobe
Die anderen beiden Personen des neuen Neonazi-Dreiecks, das nun die kulturelle Hegemonie in der rechten Protestbewegung hat, heißen Serge Ayoub, genannt „Batskin“, und Alain Soral.
Ayoub ist der Mann fürs Grobe. Er steht hinter der Gruppe von sieben Nazi-Skins, die den Anarchisten Clément Méric am 5. Juni 2013 in Paris ermordeten (die GWR berichtete). Es war die von Ayoub befehligte Gruppe um Esteban Morillo, die den Mord durchführte. „Nach dem Autopsiebericht waren es die Schläge auf den Kopf, die zum Tod des jungen Clément führten und nicht der Aufprall des Gestürzten auf das Trottoir.“ (5)
Ayoubs politische Karriere begann als Chef rechter Skinheads bereits 1987. Im selben Jahr gründete er die „Jeunesses nationalistes révolutionnaires“ (JNR; revolutionär-nationalistische Jugend), die zuweilen in Uniform, mit Waffen und faschistischen Emblemen paradieren. Sie werden „Schwarze Wölfe“ genannt und sind heute eine einflussreiche, militante Gruppe innerhalb der rechten Welle der Protestbewegungen.
In dieser Gründungszeit pflegte Ayoub auch freundschaftliche Kontakte zu SS-Rottenführer Pierre Bousquet, einem der rund 300 Franzosen, die noch im April 1945 in Berlin Russen bekämpften.
In seiner Zeitung Le Minotaure, die es nur auf zwei Ausgaben brachte, schrieb Ayoub über die Anwendung von Gewalt: „Die Gewalt ist weit davon entfernt, eine Plage der Menschheit zu sein, was man uns ständig in die Ohren stopfen will, sondern sie wird zu ihrem Motor.“ (6)
In den Achtzigerjahren arbeitete Ayoub weiterhin mit zwei Aktivisten der Gruppe „White Power“ zusammen, u.a. mit Régis Kerhuel. Mit dem zusammen gründete er die Nazi-Band Le Klan mit ihrem bereits alles sagenden Lieblingssong Zyklon Army.
Diese Geschichte hindert Ayoub heute nicht daran, sich politstrategisch mit dem Schwarzen Dieudonné zusammenzutun. Die White-Power-Leute und Ayoub brachten im Juli 1990 den 24-jährigen Mauritzier James Dindoyal um, indem sie ihn zwangen, eine Mischung aus Bier und Motoröl zu trinken und ihn dann ins Meer warfen. Ayoub bekam dafür 1994 acht Monate auf Bewährung.
Am 7. Mai 1994 organisierten die JNR zusammen mit der GUD (Groupe union défense; Vereinigte Verteidigungsgruppe) einen Protest gegen die alliierte Landung 1944, die sie als „Invasion“ betrachteten. Später störten sie auch Résistance-Gedenkzeremonien, etwa für den De Gaulle-Vertrauten Jean Moulin. Zusammen mit der GUD machten die JNR mit Ayoub in den Neunzigerjahren Saalordnerdienste für den Front National. Im September 2007 traf Ayoub erstmals Alain Soral und seine Gruppe E & R (Égalité et Reconciliation; Gleichheit und Versöhnung).
Dort sind arabische Aktivisten beteiligt, was zunächst nicht unbedingt die Gegenliebe von Ayoub und den JNR entfachte.
Trotzdem machten Ayoub und Soral dann zusammen die Bar „Le Local“ im 15. Pariser Distrikt auf, die zum Treffpunkt aller Schattierungen des neuen Nationalsozialismus Frankreichs geworden ist. (7)
Alain Soral – der Möchtegern-Theoretiker
Alain Bonnet de Soral sagt öffentlich von sich: „Ich bin kein Rechtsextremer, ich bin Nationalsozialist.“ (8) Hier wird klar, wie viele Anreihungen faschistischer Tabubrüche innerhalb der rechten Protestbewegung in kurzer Zeit durchgeführt wurden, um bei dieser Offenbarung heute anzukommen. Erst 2009 trat Soral aus dem Front National aus, nach parteiinternen Auseinandersetzungen des überzeugten Antisemiten Soral mit einem parteiinternen jüdischen Flügel, der LDJ (Ligue de défense juive; Jüdische Verteidigungsliga) des Amon Cohen (genannt Nataf), von dem sich Soral bedroht fühlte, so sehr, dass er, der Patriarch, wiederholt Marine Le Pen zur Sicherung seines innerparteilichen Schutzes aufgefordert hatte, dem sie nur zögerlich nachkommen wollte.
Als Möchtegern-Theoretiker des neuen französischen Nationalsozialismus bezieht sich Soral gern auf die gefälschten Protokolle der Weisen von Zion oder halluziniert eine „jüdische Lobby“ oder ein „amerikanisch-atlantisch-jüdisch-freimaurerisches Komplott“ im Interesse des Finanzkapitals und der kosmopolitischen Bourgeoisie.
Soral gründete eine Website E & R sowie einen faschistischen Verlag Kontre Kulture, in dem antisemitische und negationistische Bücher aufgelegt werden. Es gibt bei ihm einen Diskurs der Versöhnung zwischen der werteorientierten Rechten und der arbeitsorientierten Linken, etwa nach Vorbild des Strasser-Flügels der NSDAP.
Doch sein Antisemitismus ist „moderner“: In einem Video vom September 2013 behauptete Soral, der Katholizismus und der Islam würden 99 Prozent der französischen Bevölkerung repräsentieren.
Im selben Video spricht er von der zionistischen Herrschaft über Frankreich. Immer wieder greift Soral exponierte und medienpräsente Juden und Jüdinnen auf weltweiter Ebene an, seien es Elisabeth Badinter oder Salman Rushdie. Seine Website zählt heute zu den meistgelesenen französischen Blogs, bis zu einer Million User sehen sich dort seine Hass-Videos an. Soral war noch in den Neunzigerjahren Aktivist der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF; Parti communiste français), trat dann zum Front National über und saß dort schon 2007 im Zentralkomitee.
Nach seinem Ausstieg 2009, bei dem er sich mit Marine Le Pen überwarf, gründete er zusammen mit Dieudonné eine Wahlliste „Antizionistische Liste“, die vom Iran finanziert wurde, jedoch bei den Europawahlen 2009 nur 1,3 % in der bevölkerungsreichen Pariser Region Île-de-France erreichte.
Seither orientierten sich Soral und Dieudonné wieder auf die Straße und nannten sich offen Nationalsozialisten, ohne antizionistischen Feigenblatt-Namen.
Bei diesem personalen Dreieck, das heute den neonazistischen Diskurs innerhalb der rechtsbürgerlichen Massenbewegung Frankreichs bestimmt, sind „Modernisierungen“ auszumachen. Der Schwarze Dieudonné sowie eine arabische Fraktion bei Soral sorgen für eine Art multikulturellen, gleichwohl expliziten Nationalsozialismus, der sich an identitätspolitischen Widersprüchen etwa zu früheren White-Power-Ideologien nicht mehr stört.
Er ist daher auch attraktiv sowohl für reaktionär-katholische Mittelschichten als auch für arabische Jugendliche in den französischen Vorstädten.
Das macht sein gefährliches und perspektivisch vielleicht sogar explosives Potential aus.