Alexander Neupert: Staatsfetischismus. Rekonstruktion eines umstrittenen Begriffs. Münster: LIT-Verlag. 447 Seiten, 29,90 Euro, ISBN 3-643-12336-7
Dass Staat und Kapital zwei Seiten derselben, abzuschaffenden Medaille sind, ist in einer sich radikal gebärdenden Linken Konsens, wenn auch zumeist nur begriffslose Phrase. Obgleich sich die Kritik des Kapitals viel zu häufig noch in einer Kritik an Kapitalisten oder der bloßen Verteilung des Reichtums erschöpft, haben mittlerweile verschiedene, an Marx anknüpfende Theoriestränge, insbesondere Frankfurter (Kritische Theorie) und Nürnberger (Wertkritik) Provenienz, sein Fetischkonzept ins Zentrum der Kapitalismuskritik gerückt. Kerngedanke dieses von Marx als Waren-, Geld- und Kapitalfetisch eingeführten Begriffs ist das Gerinnen sozialer Beziehungen zu verfestigten Formen, die sich den eigentlichen Urhebern gegenüber verselbstständigen und deren Inhalt sich verkehrt darstellt und damit verhüllt wird.
Wenn nun davon ausgegangen wird, dass das Prinzip des Fetischismus nicht notwendig an die von Marx aufgezeigte ökonomische Bestimmung gekoppelt ist, dann stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Begriff andere soziale Verhältnisse in der kapitalistischen Gesellschaft analysieren kann. Dieser Aufgabe stellt sich Alexander Neupert in seiner nun veröffentlichen Dissertation über den „Staatsfetischismus. Rekonstruktion eines umstrittenen Begriffs“. Dabei geht es ihm nicht darum, die Marxsche Staatskritik, die nur aus vielen einzelnen Fragmenten besteht, zu rekonstruieren, sondern den Begriff des Staatsfetischismus anhand unterschiedlicher, an Marx anknüpfender Theorien darzustellen. Denn Marx selbst hat den Begriff selbst nicht benutzt. Neupert unterscheidet daher drei Wege dieser Begriffsentfaltung: Die bloße Übertragung des Fetischbegriffs auf den Staat; die Ergänzung, das heißt, es wird aufgezeigt, dass „der Fetischismus der ökonomischen Formen notwendig von einem Fetischismus der politischen Formen ergänzt wird“ (Neupert 2013: 11) und die Implikation, die darauf hinauszielt, darzulegen, dass der Begriff Staatsfetisch in der Marxschen Kritik implizit angelegt sei. Mit diesen Vorannahmen versucht Neupert die Leitfragen zu klären: „Was sind die Formbestimmungen des modernen Staates, die dessen Fetischcharakter begründen sollen? Welchen Erkenntnisgewinn bietet die Verwendung des Begriffs Staatsfetischismus und welche Forschungsfragen ergeben sich daraus? Worin bestehen die Intentionen, Argumente und Schlussfolgerungen der TheoretikerInnen, die den Begriff des Staatsfetischismus verwenden?“ (ebd.: 9 f.) Die Formbestimmung sollte hierbei noch mal gesondert betont werden. Ihm geht es nicht darum, die konkrete politische Ausgestaltung des Inhalts zu thematisieren, sondern um die kategoriale Kritik der Form des Staates, deren praktische Konsequenz die Abschaffung von Staat und Kapital und keineswegs die scheinemanzipatorische Beteiligung an den bestehenden politischen Institutionen ist.
Diese Rekonstruktion des Begriffs geschieht dabei entlang unterschiedlicher Stränge, die sich alle mehr oder weniger unter dem Label westlicher Marxismus und deren Nachfolger bündeln lassen. Anarchistische Staatskritiken werden an keiner Stelle gesondert diskutiert.
Grob eingeteilt werden diese Theorien in drei Zeitepochen, um auch der Entwicklung des Begriffs Rechnung zu tragen. Ein erster Block widmet sich der „Kritik am Rechtsstaat ab 1917“, dessen historischer Kontext vor allem der Aufstieg und Niedergang des liberalen Staates ist. Diskutiert werden die informellen Begründer des westlichen Marxismus Georg Lukács und Eugen Paschukanis, sowie Vertreter der Frankfurter Schule und deren Auseinandersetzung mit dem NS-Staat.
Der zweite Teil behandelt den (fordistischen) Sozialstaat, wie er in der Staatsableitungsdebatte in den 1970er Jahren kritisiert wurde. Johannes Agnoli wird in diesem Kontext als Vorläufer diskutiert. Die größte Bandbreite bietet die „Kritik am Nationalstaat ab 1981“. Hier werden die Ansätze des Wertkritikers Robert Kurz und des Postoperaisten John Holloway, sowie die Staatstheorie von Joachim Hirsch als auch die antideutsche Fetischkritik behandelt. Jeder Strang wird separat diskutiert. Diese Vorgehensweise bietet den Vorteil, die einzelnen Kapitel auch getrennt voneinander durcharbeiten zu können, zumal sie oft auch als allgemeine Einführung in diese Theorierichtung mit Fokus auf den Staat gelesen werden können. Im Umkehrschluss steht damit natürlich die allgemeine Begriffsentfaltung im Schatten der besonderen Staatsfetischbegriffe. Aber ein eigener, ausgearbeiteter Staatsfetischbegriff ist letztlich auch nicht Neuperts Ziel, sondern die Rekonstruktion verschiedener Ansätze. Und die gelingt ihm hervorragend.