Vom Herbst 2005 bis zum Frühjahr 2012 existierte das kollektive Projekt der Lokomotive Karlshof in der Uckermark als Versuch, eine nicht-warenförmige landwirtschaftliche Produktion jenseits des Marktes in die Praxis umzusetzen. Ich versuche, die Ideen und die Praxis dieses ambitionierten Projektes rückblickend darzustellen und zu reflektieren.
Der Schmerz über das Scheitern ist noch frisch. Die Sichtweise ist persönlich und erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Als Gründungsmitglied habe ich dieses Projekt von der Entwicklung und Ausarbeitung der Idee über die Umsetzung bis zum Scheitern des kollektiven Prozesses intensiv mitgestaltet und -erlebt.
Der Karlshof bei Templin ist ein Hof, der durch die „Projektwerkstatt auf Gegenseitigkeit“ (PaG) verwaltet wird. Die Idee des selbstorganisierten Zusammenhangs ist es, Privateigentum an Immobilien zu neutralisieren, d.h. der Spekulation um Gebäude und Land etwas entgegenzusetzen. Die Werkstatt besteht aus Projektgruppen und Einzelpersonen. Das formale Prinzip der Entprivatisierung ist die Übergabe (Leihe) eines Objektes an eine Projektgruppe zur Nutzung der, von dieser Gruppe formulierten Projektziele und Scheiterkriterien. Auch wenn jede Projektgruppe, die Teil der Projektwerkstatt ist, zusammen mit anderen Gruppen und Einzelpersonen gemeinsame Belange klärt und Entscheidungen trifft, ist es für das Verständnis des Prinzips der PaG wichtig, dass jede Projektgruppe unter den gesetzten Bedingungen autonom, also entscheidungsunabhängig von der Projektwerkstatt ist. Wenn ein Projekt scheitert, geht das Objekt wieder an den Gesamtzusammenhang der PaG zurück, um neuen Gruppen zur Verfügung zu stehen.
Selbstgesetzte Prinzipien der Lokomotive Karlshof waren u.a. die Existenz eines Hofkollektivs und die Entscheidungsfindung im Konsens. Das Kriterium, an dem die Gruppe letztlich ihr Scheitern erklärte, war, dass aufgrund von diversen Konflikten keine Gruppenentscheidungen mehr möglich waren.
Wie alles begann
Der Karlshof wurde ursprünglich 2004 für das Landprojekt, einem Teil des Berliner Zusammenhanges Stadt-Land-Fluss, durch die Projektwerkstatt erworben und ist nach dem Scheitern dieser Gruppe im Frühjahr 2005 an die Projektwerkstatt zurückgefallen. Zu diesem Zeitpunkt traten Teile aus der alten Gruppe und zwei neuen Mitglieder zusammen, um das Projekt der „Lokomotive Karlshof“ und die Idee der nichtkommerziellen Landwirtschaft zu entwerfen.
Der Kristallisationspunkt der „Lokomotive Karlshof“ war der Wunsch, Landwirtschaft zu betreiben, die nicht für den Markt produziert und nicht den Zwängen des Marktes unterliegt, sondern sich bei der Produktion an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Beispielsweise an dem Bedürfnis etwas zu essen, dem Wunsch etwas anzubauen, sich kreativ auszudrücken oder etwas Relevantes zu produzieren, das zum Leben notwendig ist.
Der Hintergrund, der uns zu dieser Projektformulierung führte, beinhaltete mehrere Aspekte. Ein Bezugspunkt war unser theoretisch-politischer Hintergrund: Viele von uns hatten eine lange linke Sozialisation hinter sich und eine mehr oder weniger fundierte wertkritische Perspektive auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Die politische Frage, die uns beschäftigte, war die, wie eine gesellschaftliche Form der Organisierung aussehen könnte, die sich nicht am Wert als fundamentalem Prinzip der sozialen Austausch- und Interaktionsprozesse entlang gestaltet, wie sie am offensichtlichsten in der Warenproduktion und dem Verkauf der Arbeitskraft zur eigenen Reproduktion deutlich wird. Dann gab es aber auch die praktische Ebene: z.B. schlicht und einfach das Bedürfnis, Landwirtschaft zu betreiben.
Ein weiterer Bezugspunkt war das Wissen um die Verhältnisse des globalen Agrar- und Ernährungssystems, mit seinen katastrophalen Ausbeutungsverhältnissen und zerstörerischen Wirkungen. Der Gegenentwurf dazu zielte auf eine vielfältige, weltweite Selbstorganisierung von Gemeinden, Gemeinschaften und Kollektiven, wie sie von Via Campesina (2) unter dem Begriff der Ernährungssouveränität formuliert wurde. Ernährungssouveränität im Sinne von Ernährungsautonomie, d.h. einer Selbstbestimmung und Selbstgestaltung der Produktion und Verteilung der Nahrungsmittel, war eines unserer großen Ziele. Die Vielfältigkeit der nichtmarktförmigen Selbstorganisierung gerade auf dem Land und in der Landwirtschaft in anderen Ländern Europas hatten einige von uns über die Jahre hinweg bereits kennengelernt. Beeinflusst wurden wir dabei vor allem von Erfahrungen mit der „Kooperative Haina“ und der „Longo-mai-Kooperative Hof Ulenkrug“, in denen Einzelne von uns längere Zeit verbracht hatten und mit denen uns teils langjährige Freundschaften verbanden.
Vor diesen Hintergründen formulierten wir die Idee der Nichtkommerziellen Landwirtschaft (NKL), die die eigenen Bedürfnisse zum Ziel hatte und gleichermaßen den gesellschaftlichen Notwendigkeiten gerecht werden sollte. Ein wesentliches Element war dabei, dass die Produkte nicht verkauft werden sollten. Mehr noch: Sie sollten unabhängig von jeglicher Gegenleistung abgegeben werden, damit sie ihren Charakter als Ware, d.h. als Tauschobjekt verlieren. Wir formulierten die „Entkopplung der Finanzierung von der Abgabe der Produkte“ und den Verzicht auf Lohnarbeit, als „zweite Seite der Medaille kapitalistischer wertförmiger (Re-)produktion“. Die Finanzierung des Aufbaus der Produktion, also des Hofes und der Landwirtschaft, sowie ein Beitrag zur Finanzierung der Lebenshaltungskosten sollten auf freiwilliger Basis durch ein Netzwerk aufgebracht werden. Auch die Unterstützung der praktischen Arbeit in der Landwirtschaft, sowie der Aufbau des Hofes sollten durch ein Netzwerk von Menschen und Gruppen in Kooperation geschehen. Mehr noch war es der Anspruch, die Landwirtschaft so partizipativ zu gestalten, dass die praktische Arbeit für Menschen einen Raum u.a. zum Lernen, zum Mitgestalten, für eigene Initiativen bieten konnte. Zentral war in unserer Idee die Vernetzung mit anderen Projekten, Hofkollektiven, Gemeinschaften und politischen Gruppen. Es ging nicht darum, nur für sich selbst Lebensmittel zu produzieren, sondern gerade auch arbeitsteilig mit anderen Gruppen in Austausch zu treten, um eine (über-)kollektive Selbstversorgung zu erreichen. Die politische Frage, die wir stellten, war die, wie eine überindividuelle, gesellschaftliche Form der Selbstversorgung aussehen könnte, die der Bedürfnisbefriedigung dient und nicht nur auf sich selbst bezogen bleibt.
Was heraus kam, hatte zwei Seiten – Theorie und Praxis: Diskurslandwirtschaft! Nichtsdestotrotz war es uns ein ernsthaftes Anliegen, eine Landwirtschaft aufzubauen, um Menschen zu ernähren und einen Beitrag zu einer gemeinsamen solidarischen Versorgung zu leisten. Dabei wollten wir Menschen Zugänge bieten, die sie in der Gesellschaft nicht haben und ermöglichen Grenzen zwischen Menschen zu überwinden.
Die Verbindung von Theorie und Praxis hatte zwar eine große Anziehungskraft, in ihr lag aber auch einer der späteren zentralen Konflikte begründet. Viele unserer Diskussionen und Konflikte waren von der Macht des Diskurses und von politisch-ideologischen Differenzen, sowie von identitätspolitischen Ansprüchen geprägt, anstatt sich an der Praxis zu orientieren.
Erstaunlicherweise hat es trotzdem besser funktioniert, als wir zunächst dachten. Wir hatten zum einen den Hintergrund der „Projektwerkstatt auf Gegenseitigkeit“, einen Hof mit 50 ha Land, d.h. 23 ha Acker, 18 ha Grünland, 6 ha Wald und eine große Hoffläche, viele Gebäude (in eher erbärmlichem Zustand) und wir waren motiviert.
Es zeigte sich, dass diese Idee viele Menschen ansprach. Das Schöne daran: Es waren nicht nur Menschen mit explizit linkem Szenehintergrund, sondern ein wirklich breites soziales Spektrum. Vielleicht war es gerade der Versuch, mit einem utopischen Ziel etwas Praktisches und Solides zu entwickeln, was für viele attraktiv war.
Es ist erstaunlich, wie Landwirtschaft eine starke Faszination auf Menschen ausübt. Rückwirkend betrachtet war das vielleicht auch einer der Gründe, der zu unserem Scheitern beigetragen hat. Unser Projekt war so konzipiert, dass viele Menschen ihre Ideen, Visionen, Wünsche, Utopien eines besseren Lebens und einer besseren Gesellschaft in unsere Projektidee und -praxis hineininterpretieren konnten – sowohl innerhalb unserer Projektgruppe als auch nach außen. Das führte zu großen Interessenunterschieden und Konflikten.
Angesichts der Unwägbarkeiten der Projektidee und unserer Gruppengröße haben wir die Projektidee im ersten Jahr als Experiment formuliert.
Wir haben gesagt: Wir produzieren Kartoffeln und wir möchten, dass die Menschen in unserem erweiterten Bekanntenkreis sagen, wie viele Kartoffeln sie für ein Jahr im Voraus zur Lagerung und für den Eigenverbrauch benötigen. Ich glaube, wir kamen auf ca. 2-3 Tonnen. Wir warben um Unterstützung unseres Experimentes und fanden Menschen, die die ersten Anschaffungen an Maschinen und für die Sicherung der Produktionskosten zu finanzieren bereit waren.
Davon haben wir die entsprechenden Gerätschaften und das Pflanzgut gekauft bzw. diese über unsere Netzwerke organisiert. Wir versuchten die Arbeitsschritte für den Anbau transparent darzustellen und Menschen mitzunehmen.
Wir luden ein zum Mitmachen, zur Auseinandersetzung, zur Zukunftsplanung und zum Ideenaustausch. Zur ersten Kartoffelernte kamen über 60 Menschen und wir konnten 4,5 Tonnen Kartoffeln ernten. Wir organisierten die Verteilung und die Lagerung in verschiedenen befreundeten Gemeinschaften, Projekten und Stützpunkten in der Stadt, und wir forderten andere Menschen auf, sich mit uns zusammen zu organisieren.
Nach dem ersten Jahr war der Rücklauf und die Bestätigung so groß, dass wir beschlossen, weiterzumachen. Es ging uns nicht nur um die uneigennützige Belieferung eines Netzwerkes von KartoffelkonsumentInnen, sondern auch um unsere eigene Lebensperspektive auf dem Hof, die weit mehr war als die nichtkommerzielle Landwirtschaft – eben bedürfnisorientiert, sowohl persönlich als auch politisch.
In den folgenden zwei Jahren wuchs die Gruppe: Begonnen hatten wir zu viert. Anfang 2007 waren wir sieben Erwachsene und zwei Kinder und bis 2008 wuchsen wir auf zehn Personen und vier Kinder an. Landwirtschaftlich steigerte sich die Menge der produzierten Kartoffeln. Wir bauten aber nach und nach die Landwirtschaft auch mit weiteren Früchten auf. Dabei arbeiteten wir mit alten Sorten und beteiligten uns an einer bäuerlichen Saatguterhaltung.
Die Produktionskosten konnten wir durch die Unterstützung innerhalb unseres Netzwerkes decken. Wir organisierten eine Patenschafts-Kampagne, um wenigstens auch Teile unserer Lebenserhaltungskosten zu decken. Wir engagierten uns zu verschiedenen landwirtschaftspolitischen und anderen Themen. Z.B. gegen den Bau einer Biogasanlage in unserer Region.
(Das war noch zu Zeiten, in denen die energetische Nutzung von Biomasse als Lösung der Energiekrise gesehen wurde, aber die globale Flächenkonkurrenz zu Nahrungsmitteln mit ihren katastrophalen Folgen schon absehbar war.)
Wir besuchten andere kollektive Projekte in Europa, die sich landwirtschaftlich engagierten, und vernetzten uns.
Im Laufe der Jahre entwickelte sich eine starke Dynamik. Es kamen viele Menschen auf den Hof und der Austausch und die Freundschaften mit anderen Projekten wurden zunehmend intensiver. Aber auch das politische Interesse an dem Konzept der NKL entwickelte sich. Für einige Gruppen war die NKL ein Anregungspunkt, der zur Entwicklung eigener Projekte führte. Für andere war es eher ein politisches Identifikationsmoment zur Definition eines nichtkommerziellen Raumes.
In meiner Wahrnehmung hat sich im zweiten Fall die Verbindung einer konkreten Praxis mit einer fundamental gedachten Kritik teilweise verloren und wurde durch eine eher identitätspolitische Adaption ersetzt.
Der erste Fall aber war eine Quelle für viele interessante Kontakte, Freundschaften und Kooperationen. Insbesondere mit den Longo-mai–Kooperativen (vgl. GWR 391) in Deutschland und Frankreich verband uns eine enge Freundschaft.
Neben der Landwirtschaft entwickelten sich die notwendigen Baustellen auf dem Hof zwangsläufig zu einem Fokus unserer Aktivitäten. Das Kollektiv der Lokomotive wuchs im Laufe des Jahres 2009 nochmals auf insgesamt zwölf Erwachsene und sechs Kinder an. Landwirtschaftlich entwickelte sich eine gewisse Routine. Wir entwickelten eine Maschinenkampagne und akquirierten finanzielle Mittel, um einen großen Schlepper und Technik für die schwere Bodenbearbeitung zu kaufen.
Durch verschiedene Kooperationen konnten wir auch einen Mähdrescher und weitere Gerätschaften bekommen. Die Einbindung in Netzwerke funktionierte in dieser Hinsicht sehr gut. Wir hatten aus den französischen Longo-mai-Kooperativen eine Anlage zur Produktion von Pflanzenöl bekommen, die wir versuchsweise bei uns installierten. Wir experimentierten mit dem Anbau von Sonnenblumen zur Produktion von Pflanzenöl. Zu den von uns angebauten Früchten zählten auch Getreide wie Dinkel, Roggen, Weizen, Emmer, und auch mit dem Anbau von Hartweizen für die Produktion von Nudeln machten wir 2010 erste Versuche. Dazu kamen Leguminosen wie Lupinen und Erbsen für die Ernährung und der Anbau von Kleegras und Zwischenfrüchten für die Bodenfruchtbarkeit, sowie die Vermehrung von Saatgut für die Autonomie. Mittlerweile hatten wir eine funktionierende Infrastruktur für Anbau, Aufbereitung und Lagerung aufgebaut und auch die Beteiligung an gemeinsamen Arbeiten, wie die Kartoffelernte, funktionierte.
Schwieriger war das Verständnis der NKL und die Rolle des Netzwerkes bzw. die Frage: Wer oder was ist überhaupt dieses Netzwerk? Ab dem zweiten Jahr haben wir während der Kartoffelsaison von Herbst bis Frühjahr die Organisierung von Kartoffelcafés in Berlin angeregt.
Diese dienten dem Austausch, der Information, der Anregung und Diskussion. Sowohl innerhalb des Hofkollektivs als auch unter den Menschen, die außerhalb des Hofs an einer Entwicklung der nichtkommerziellen Landwirtschaft interessiert waren, war umstritten, welche Rolle ein solches Kartoffelcafé oder ein Netzwerk einnehmen soll, welche Autonomie beim Hof liegen soll, wer welche Entscheidungen fällt und in welchem Ausmaß. Dadurch, dass diese Fragen auch bei uns im Hofkollektiv kontrovers diskutiert wurden, gab es in vielerlei Hinsicht eine Unklarheit der Kommunikation gegenüber dem „Außen“. In unserer programmatischen Formulierung der NKL war durch die „Abgabe der Produkte an jede*n ohne konkretere Vorbedingung“ nicht geklärt, wer dieses „Gegenüber“ oder wie dieses „Miteinander“ sein sollte. Es sollte ja jede*r ohne Gegenleistung oder Bedingung die Produkte bekommen können. Wer aber sollte welche Dinge entscheiden?
Auf Augenhöhe
Das Verhältnis zu anderen Hofgemeinschaften und Kollektiven war meist relativ einfach zu gestalten. Es gab ein Verhältnis auf gleicher Augenhöhe. Man konnte sich gegenseitig mit dem unterstützen, was man produzierte oder hatte. Was zählte, waren die persönlichen Freundschaften und Kontakte untereinander. Gegenüber einem diffusen Berliner Netzwerk war das schwieriger zu definieren. Es gab einen großen Kreis von persönlichen Freundschaften, aber dieser überschnitt sich nur bedingt mit den Menschen, die ein Interesse an einer intensiveren Diskussion und Organisierung hatten.
Das Kartoffelcafé und die Abgabe der Produkte in Berlin wurden über lange Zeit im Wesentlichen von einem kleinen Kreis in Berlin getragen. Zwar gab es ein großes Interesse an Teilhabe und Teilnahme, aber die Fluktuation war groß und die Verbindlichkeit und Kontinuität gering. Ein weiteres Ungleichgewicht kam hinzu, nämlich das zwischen Diskurs und Praxis.
Aufgrund von unterschiedlichen Ansichten und Konflikten auf dem Hof und aus Angst, zu viel vorzugeben, hielten wir uns als Hofgruppe „Lokomotive Karlshof“ innerhalb der Diskussionen in Berliner Zusammenhängen stark zurück. Aus meiner Perspektive mit der schwerwiegenden Konsequenz, dass der theoretische Diskurs in Berliner Zusammenhängen eher geprägt war von Projektionen, Wünschen und teilweise identitätspolitischen Vorstellungen.
Die Folge war, dass die materiellen Erfordernisse auf dem Hof und die konkreten Bedürfnisse von Menschen, die die Landwirtschaft auf dem Hof gestalteten, in diesem Diskurs eine Nebenrolle spielten.
Für mich spiegelte sich darin einerseits das hohe Identifikationspotential der Idee der NKL wider, andererseits aber eben auch der Interessengegensatz zwischen Stadt und Land bzw. Theorie und Praxis.
Eine erfrischende und erfolgreiche Ausnahme bildete die Backgruppe, die sich in Berlin auf Initiative des Hofes gebildet hatte und die eine einfach funktionierende, dafür aber umso effektivere Ausrichtung hatte. Diese Gruppe hat einmal im Monat vor den Kartoffelcafés in einer befreundeten Kollektivbäckerei das Getreide vom Hof zu jeweils 100 bis 150 Broten verbacken. Sie war in sich selbst organisiert, hat das erforderliche Wissen an jeweils neue Menschen weitergegeben, den Bedarf an Getreide kommuniziert und den Transport und die Lagerung des Getreides in Berlin weitgehend selbst geregelt. Für mich war das eine positive Erfahrung einer weitgehend gleichberechtigten Kooperation innerhalb des Berliner Netzwerkes.
In dem Maße, in dem die Landwirtschaft besser funktionierte, wuchsen die Auseinandersetzungen um die Ausrichtung, die Vorstellungen und die Definition der nichtkommerziellen Landwirtschaft auf dem Hof. Das führte so weit, dass aufgrund der Konfliktkonstellationen irgendwann weder Anbauplanung noch Budgetformulierung oder anstehende Arbeiten geklärt werden konnten. In zunehmendem Maße wurden die Auseinandersetzungen und persönlichen Interessen politisch-ideologisch begründet. Im Dezember 2011 formulierten wir, dass die Konflikte in der Gruppe so groß waren, dass eine Fortführung der Landwirtschaft im folgenden Jahr nicht möglich sein würde, da die Vertrauensbasis für die Durchführung der notwendigen Arbeiten und die Kommunikation mit dem Netzwerk nicht mehr gegeben waren.
Im Laufe der Projektzeit gab es immer wieder verschiedene Ansätze, die Konflikte zu bearbeiten und zu lösen. Mit unterschiedlichen Methoden und in unterschiedlicher Zusammensetzung haben wir auf Begleitung und Mediation von außen zurückgegriffen. Zunächst waren es Konflikte innerhalb der Lokomotive Karlshof, die sich an unterschiedlichen Vorstellungen zur NKL und zahlreichen persönlichen Konflikten festmachen ließen.
Gegen Ende wurden diese Konflikte zusätzlich noch durch einzelne externe Personen innerhalb der Projektwerkstatt verschärft, die ebenfalls ihre eigenen Vorstellungen von der weiteren Entwicklung auf dem Hof hatten und auf die Entwicklung Einfluss nahmen.
Genau diese Grenze zwischen ProjektnutzerInnengruppe und Besitz gehört eigentlich zu den Grundprinzipien der Projektwerkstatt. In dieser Hinsicht ist mindestens kritisch zu hinterfragen, inwieweit die Projektwerkstatt ihre selbstgesetzten Ziel erfüllt hat oder nicht. Mich persönlich beschäftigt es, dass diese Interessendurchmischung auch die Reflexion und Aufarbeitung des Projektes Lokomotive Karlshof und der Erfahrungen mit einer nichtkommerziellen Landwirtschaft bis jetzt weitgehend verhindert hat. Enttäuschend ist, dass für diese Aufarbeitung und Reflexion kein Raum existiert, dass die Darstellung des alten Projektes innerhalb der neuen Initiative dadurch eine abgrenzende und verzerrende bleibt und sich der Platz für Wertschätzung und Respekt für die geleistete Arbeit innerhalb der alten Konfliktlinien verliert.
Nach der Auflösung der gemeinsamen Ökonomie und der Lokomotive Karlshof wird der Hof nun übergangsweise durch die „April-April“-Initiative genutzt, die in Teilen aus dem Konflikt innerhalb der Lokomotive hervorgegangen ist. Über die weitergehende Perspektive und Nutzung des Hofes zu entscheiden ist selbstgesetzte Aufgabe der Projektwerkstatt. Wie diese Nutzung aussieht, wird die Zukunft entscheiden.
Für mich war das Projekt der Lokomotive Karlshof und der NKL aufgrund seiner fundamental und gleichzeitig praktisch gestellten Frage nach der konkreten Umsetzung einer gesellschaftlichen Utopie eines der ambitioniertesten und interessantesten politischen Projekte der letzten zehn Jahre.
Auch die Offenheit, Vielfalt und teilweise Gegensätzlichkeit der Menschen, die auf dem Hof zusammen kam, hat mich erfüllt.
Es war für mich ein seltenes und positives Beispiel für die Überwindung unterschiedlichster Grenzen und auch der oft beobachteten szeneinternen Selbstbezogenheit. Dieses Projekt hat mein Leben geprägt und es wird noch einige Zeit brauchen, davon Abschied zu nehmen.
Die große positive Resonanz und vielfache Bestätigung durch die Menschen, zu denen sich im Laufe der Jahre persönliche Beziehungen und Freundschaften entwickelten, waren wunderbar. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle bedanken.