nachruf

Mani Stenner

Ein Urgestein der Friedensbewegung ist tot

| Christine Schweitzer, u.a. Redakteurin der Zeitschrift Friedensforum

Gerade mal sechzig Jahre ist er geworden: Manfred "Mani" Stenner (*4.4.1954 - †17.7.2014). Er war der Geschäftsführer des Netzwerks Friedenskooperative, das aus dem Koordinierungsausschuss der Friedensbewegung (KA) hervorgegangen ist, der in den 1980er Jahren die Großaktionen gegen die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen organisierte. Er hinterließ seine Partnerin Luise, die als Grafik-Designerin u.a. seit etlichen Jahren die Zeitschrift "Friedensforum" gestaltet.

Auf Mani traf das zu, was Emma Goldmann mit dem Satz „Wenn ich nicht tanzen darf, möchte ich an Eurer Revolution nicht beteiligt sein“ zugeschrieben wird: Ein Leben, bei dem intensives politisches Engagement kein Widerspruch zu Lebens- und Sinnesfreude war. Seine FreundInnen werden Mani für immer in Erinnerung behalten, wie er mit der Selbstgedrehten in der Hand bei Treffen in der Pause vor die Tür ging, und als Beteiligter an einer Kneipe in der Bonner Südstadt, als leidenschaftlicher Koch, als Segler und als regelmäßiger Urlauber in Irland. (1)

Mani war nicht nur Friedensbewegter, sondern hat sich auch in anderen Feldern eingebracht, z.B. bei der Organisation der Blockupy-Proteste in Frankfurt/Main. Als einer der Polizeisprecher trug er 2013 dazu bei, dass aus dem Polizeikessel, mit dem die Demonstration zum Stoppen gebracht worden war, keine Straßenschlacht wurde, sondern sich die Demonstrierenden gewaltfrei gegenüber der Polizei behaupteten. Als Mitbegründer der Friedenskampagne „Kurdistan: Schweigen tötet, Frieden jetzt!“ setzte er sich seit 1993 für die Situation in Türkisch-Kurdistan ein. Mahnwachen, Kundgebungen und Hungerstreiks in Berlin organisierte die Kampagne ebenso wie Aktionen für die Gleichstellung der in der Bundesrepublik lebenden KurdInnen mit anderen Migrantengruppen. Regelmäßige Reisen zu Newroz-Feiern erbrachten 1994 Fotos von NVA-Panzern in der Türkei, was zu einem zeitweiligen Stopp der Rüstungslieferungen an die Türkei führte. Auch Widerstand gegen das Wiedererstarken rechtsextremen Gedankenguts und Mitarbeit in Bonner Nord-Süd-Initiativen gehörte zu den von ihm beackerten Bereichen.

Sein Hauptbetätigungsfeld war aber die Friedensbewegung. Die Anfänge der Bewegung gegen die Raketenstationierung können auf 1978/79 datiert werden, als Pläne der USA bekannt wurden, eine Neutronenbombe in Europa zu stationieren. Diese Waffe, von der es hieß, dass sie unbelebte Materie weitgehend schonen, Leben aber vernichten würde, rief große Empörung hervor. Der „Nachrüstungsbeschluss“, als die NATO ankündigte, als Antwort auf sowjetische SS 20-Raketen ihrerseits Mittelstreckenraketen in Westeuropa zu stationieren, wirkte dann als Katalysator. Es entstanden in Deutschland zahlreiche neue BürgerInneninitiativen – in den Städten oftmals auf Stadtteil-Basis -, die zusammen mit den schon vorher bestehenden Friedensorganisationen und mit Organisationen aus dem Umfeld der Kirchen und Parteien Unterschriften gegen die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen sammelten und ab 1981 für große Demonstrationen mobilisierten.

In Deutschland gab es eine erste große Demonstration bereits im Juni 1981 auf dem Ev. Kirchentag in Hamburg. Im Herbst 1981 demonstrierten 300.000 Menschen im Bonner Hofgarten, 100.000 in Brüssel, 250.000 in London. Der Koordinierungsausschuss war 1981 aus einer sog. „Frühstücksrunde“ hervorgegangen, die diese ersten Demonstrationen auf dem Bonner Hofgarten vorbereitete. 1982 waren es schon 400.000 Menschen in Bonn. Die Proteste erreichten ihren Höhepunkt im Oktober 1983, als die NATO sich anschickte, die neuen Raketen zu stationieren. Insgesamt protestierten in ganz Europa mindestens drei Millionen gegen die Stationierung, darunter in Den Haag fast eine Million. In Deutschland fand ab dem 15. Oktober 1993 eine Aktionswoche statt, deren einzelne Tage bestimmten Themen oder gesellschaftlichen Gruppen (z. B. Kirchen, Frauen, Betriebe, Bildungseinrichtungen) gewidmet waren. Zu den Protesten gehörte auch eine 108 km lange Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm. An Großdemonstrationen in Berlin, Hamburg und Bonn am 22.10.1983 nahmen 1,3 Millionen Menschen teil.

1983 war auch das Jahr, in dem Mani begann, zunächst ehrenamtlich im KA mitzuarbeiten. 1985 wurde er dann sein Geschäftsführer. Der KA war streng nach „Spektren“ aufgeteilt (SPD und SPD-nahe, DKP und DKP-nahe (KOFAZ), Unabhängige (mit der Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen-Graswurzelrevolution), christliche Gruppen wie Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste, Grüne und Grün-nahe und „Sonstige“ wie der BBU. Als Geschäftsführer des KA musste Mani das Vertrauen aller Spektren haben, um zwischen ihnen vermitteln zu können, was ihm auch gelang. Das hinderte ihn aber nicht daran, auch selbst Stellung zu beziehen. So setzte er sich z.B. für Demonstrationen an den Stationierungsorten und für Aktionen Zivilen Ungehorsams ein. Und auch seine regelmäßigen Polizeigespräche, die er mit der Bonner Polizei führte und die in der Gründung des Bonner Forums BürgerInnen und Polizei e. V. führte, und die ihm Kritik von vielen Seiten einbrachten – war das nicht Verrat, mit der Polizei zu reden? – dokumentieren, dass Mani seinen eigenen Weg zu gehen wusste.

Nach der Stationierung der Raketen gingen die Proteste zahlenmäßig zurück. Es waren aber bis 1986 immer noch viele Zehntausende, die sich weiter gegen die Atomraketen engagierten, wobei in Deutschland auch Aktionen Zivilen Ungehorsams, insbesondere Blockaden der Atomwaffenstützpunkte, eine wichtige Rolle spielten. Blockaden wurden für einige Jahre zu „der“ Aktionsform der Friedensbewegung. Die Kampagne „Ziviler Ungehorsam bis zu Abrüstung“ mobilisierte mehrere Tausend Menschen zu Sitzblockaden in Mutlangen, was zu rund 3.000 Festnahmen führte.

Eine neue Großdemonstration, an der sich über 180.000 Menschen beteiligten, fand 1986 im deutschen Dorf Hasselbach im Hunsrück, dem geplanten Stationierungsort von Cruise Missiles, statt. 1988 kamen zu einer Demonstration an einer geplanten NATO-Zentrale in Linnich-Glimbach in der Nähe von Aachen immerhin noch einige Zehntausende.

Als die Sowjetunion unter Gorbatschow und die USA sich auf die Abrüstung der Mittelstreckenraketen verständigten und diese abgezogen wurden, war auch das Ende dieser Phase der Friedensbewegung gekommen. In den 1990er Jahren und bis heute dominierten verschiedene, wechselnden Themen ihre Aktivitäten – Abwehr neuer Kriege, die die NATO oder „Koalitionen der Willigen“ in aller Welt führten, die Entwicklung von Alternativen der zivilen Konfliktbearbeitung, Rüstungsexporte usw. Aus dem KA wurde das Netzwerk Friedenskooperative, das seine Bedeutung als Koordinierungsstelle der bürgerlich-kirchlich-gewaltfreien Gruppen schließlich an die 2003 gegründete Kooperation für den Frieden abgeben musste. Eine Entwicklung, die nach Aussagen von an der Gründung maßgeblich Beteiligten von Mani mit Skepsis gesehen wurde. Das Netzwerk mit seinem Büro in der Römerstraße 88 mit zuletzt drei Mitarbeitern – hier habe ich nicht das ‚gendern‘ vergessen: Frauen gab es in dem Büro nie -, ist aber weiterhin über seine Website eine wichtige Rolle als Informationsquelle für Aktivitäten der Friedensbewegung, wurde und wird als Organisationsmanager für Konferenzen und Treffen der Kooperation, und stellt die Infrastruktur für die Zeitschrift Friedensforum zur Verfügung.

Mani sah man zuletzt nur noch selten im Büro und auch nur gelegentlich bei Treffen der Kooperation. Er zog es vor, seine Aufgaben – Website und Finanzen – von zu Hause aus als ‚home office‘ zu erledigen. Sein Herz hing wohl in der letzten Zeit mehr an den oben erwähnten Aktivitäten in anderen Bewegungen und in seiner Heimatstadt Bonn.

Ich habe Mani in den letzten zwanzig Jahren nur wenige Male im Jahr persönlich getroffen – meistens nur bei den jährlichen Treffen der Friedensforum-Redaktion und gelegentlich bei Treffen der Kooperation für den Frieden. Aber wir waren ständig in Email-Austausch miteinander, und oftmals rief ich ihn in Bonn an. Seine letzte Mail an mich hat er am Nachmittag seines Todes geschrieben. Wie sicherlich auch manche andere aus seinem Umfeld, die nicht zu seinem engsten Freundeskreis gehörten, habe ich nach seinem Tode viel mehr über ihn erfahren, als ich zu seinem Lebzeiten wusste. Wir stellen als Friedensforum eine Sondernummer zu seinem Leben zusammen, und viele der hier in diesem Beitrag aufgeführten Fakten entstammen aus den Beiträgen, die seine FreundInnen für dieses Heft geschrieben haben. Mani wird uns sehr fehlen. Mit ihm hat die Friedensbewegung, aber nicht nur sie, einen ganz wichtigen Mitstreiter verloren. Er stand nicht so im Rampenlicht, war kein Prominenter wie Horst Eberhard Richter oder Wolfgang Jungk oder Dorothee Sölle, aber das wollte er auch nicht sein. Mani war Mani – seine Aufgaben müssen jetzt andere wahrnehmen, aber die Lücke wird bleiben.

(1) Im Friedensforum 6/2014 erinnern sich einige seiner FreundInnen an diese Seiten von Manis Persönlichkeit.