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Last Exit Podemos

Der Medienhype um Spaniens neue Linkspartei. Teil 2 einer Serie über die parteipolitischen Umbrüche in Europa

| Nicolai Hagedorn

Die in vielen lokalen Initiativen verankerte Linkspartei Podemos ist für viele Spanier politisch die letzte Hoffnung. Ob die in sie gesteckten Erwartungen erfüllt werden können, ist aber mehr als fraglich.

„Ich war von März 2005 bis März 2010 in Spanien. Von diesen fünf Jahren war ich zwei Jahre und fünf Monate angestellt, und das auch nur weil ich mich, nachdem ich anfangs keine Stelle als Speditionskaufmann gefunden hatte, nach anderen Berufen umgeschaut habe. Schließlich landete ich im Möbeleinzelhandel.“

Francisco García Fuentes ist teilweise in Deutschland aufgewachsen, spricht Deutsch, Spanisch und Englisch fließend und hatte vor seiner Entscheidung, in seine eigentliche Heimat zurückzukehren, über 10 Jahre Berufserfahrung als Luftfracht-Agent bei verschiedenen Speditionen im Rhein-Main-Gebiet gesammelt. Er ist ziemlich genau das, was man im Ökonomiesprech eine Fachkraft nennt und nach fünf Jahren in Spanien musste er notgedrungen nach Deutschland zurückkehren: „Als es dann los ging mit der Krise, war es nur eine Frage der Zeit, dass ich meine Stelle wieder verlieren würde. Das war dann im Dezember 2008. Bis Anfang 2010 habe ich mit allen Mitteln versucht, eine Arbeit zu finden. Egal welche. Ich musste letztlich zu meinen Eltern ins Dorf ziehen, da ich meine Miete nicht mehr zahlen konnte. In den Dörfern ist es zwar noch schwieriger, was die Arbeitsuche angeht, aber mir blieb nichts anderes übrig. Arbeitslosengeld bekommt man nur für maximal 24 Monate, danach gibt es eine Zeit lang eine Unterstützung ähnlich wie Hartz 4. Meine damalige Freundin und jetzige Ehefrau wurde schwanger und da musste ich handeln. Ich habe dann meine Fühler nach Deutschland ausgestreckt und direkt auch eine Zusage bekommen.“

Trotz leichter Verbesserungen am Arbeitsmarkt registrierte das spanische Statistikamt INE für das dritte Quartal 2014 eine Arbeitslosenrate von 23,7 Prozent. „So wie es mir ergangen ist, ist es vielen Spaniern ergangen und es ergeht vielen Spaniern immer noch so. Vielen bleibt nichts anderes übrig als auszuwandern oder zum Beispiel als Jurist Oliven pflücken zu gehen. Und vielleicht noch nicht mal das“, erzählt García Fuentes, der 2010 nach Deutschland zurückkehrte, wo er eine Stelle in seinem angestammten Beruf antrat.

Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten in Spanien mehr als 17,5 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig, im November 2014 waren es noch 16,7 Millionen. „Da kommt Podemos mit den Veränderungsvorschlägen, die auch noch wirklich Hand und Fuß haben, gerade richtig“, setzt er, wie viele Spanier, seine Hoffnungen auf die erst ein Jahr alte Linkspartei um den charismatischen Vorsitzenden Pablo Igesias.

Doch was verspricht die neue Partei, die in den letzten Umfragen die beiden großen Volksparteien Partido Popular (PP, vergleichbar mit der CDU) und Partido Socialista Obrero Español (PSOE, vergleichbar mit der SPD) überflügeln konnte, und was davon wird sie halten können?

Der Siegeszug der erst Anfang 2014 gegründeten Partei resultiert aus zwei Faktoren: Zum einen ist sie ein politisches Produkt des langfristigen Scheiterns der etablierten Parteien Spaniens, zum anderen, und das macht sie auch aus emanzipatorischer Perspektive interessant, ist es der Partei offenbar gelungen, einen großen Teil der spanischen Bevölkerung zu politisieren. Sie hat ihren Ursprung in den Massenprotesten der 15M-Bewegung, die sich entgegen der Einschätzungen beinahe aller politischen Kommentatoren, nicht aufgelöst und verlaufen hat, sondern von der Podemos buchstäblich aufgenommen wurde. Mittlerweile gibt es rund 900 politische Basisgruppen, die sich der Podemos zurechnen lassen, und die vor Ort politisch aktiv werden. Damit hat sich gewissermaßen eine Graswurzelbewegung als Partei organisiert und sie verbindet den Protest an den herrschenden spätkapitalistischen und postdemokratischen Zuständen mit einer Perspektive, die darauf setzt, dass zumindest eine basisdemokratische Alternative in Aussicht gestellt wird. Die Partei hat also, im Gegensatz zu vielen anderen Protestparteien, die so schnell verschwinden wie sie erschienen sind, dem Unmut und dem Protest eine Aussicht auf Erfolg gegeben.

Der Soziologe Raul Zelik nennt in seinem lesenswerten Artikel „Thesen zu Podemos und der ‚demokratischen Revolution‘ in Spanien“ sehr unterschiedliche Gruppierungen, wie etwa die Mareas, also „Protestbewegungen zur Verteidigung des öffentlichen Bildungs-und Gesundheitswesens, bei denen sich die ArbeiterInnen des öffentlichen Dienstes mit Elterninitiativen, PatientInnen- und Flüchtlingsgruppen zusammenschlossen“, bis hin zu der mittlerweile berühmt-berüchtigten Basisgewerkschaft SAT (Sindicato Andaluz de Trabajadores), die es sogar hierzulande zum Thema auf Spiegel online schaffte, als sie 2012 Supermärkte plünderte und die Beute laut einem Bericht der spanischen Zeitung „Diario de Sevilla“ in „Gegenden mit besonders hoher Arbeitslosigkeit“ verteilte. Der Autor erkennt in der partikularen Widerstandskultur, der die Podemos nun eine Struktur gegeben hat, einen Beweis dafür, „dass es eine gesellschaftliche Mehrheit jenseits der politischen Apparate gibt“ und ist überzeugt, dass die neue Partei trotz ihrer Schwächen letztlich „heute einer dieser Orte der demokratischen Revolution in Spanien und vermutlich auch der wichtigste“ sei. In seiner Analyse verweist Zelik allerdings bereits auf zwei problematische Aspekte des spanischen Hypes um Podemos.

Zum einen ist die Partei bei allem basisdemokratischen Anstrich in erster Linie das Projekt eines kleinen Kreises Madrider PolitikwissenschaftlerInnen um die äußerst telegene Führungsfigur Iglesias, sodass auch Zelik konstatiert, die Partei sei „zweifelsohne ein Produkt der Massenmedien: Ohne das Fernsehen wäre Podemos heute vermutlich nur eine marginale Erscheinung“. Zum anderen widerspricht, wie auch Zelik feststellt, der Personenkult „einem längerfristigen Demokratisierungsprozess im Kern denn eben doch.“

Bei aller Sympathie, die der Podemos bei wohlwollender Betrachtung entgegengebracht werden kann, bleibt außerdem schleierhaft, wie die Partei die ökonomische Misere in Spanien beenden könnte. Angesichts der Verlaufsformen der Krise in Südeuropa bleibt eine Lösung innerhalb der Regeln des bürgerlichen Parlamentarismus Utopie.

Selbst wenn es der neuen Partei gelingen sollte, bei den Parlamentswahlen im Herbst die angestrebte Mehrheit zu erringen und den Präsidenten zu stellen, wird sie am nächsten Tag mit den krisenhaften Realitäten konfrontiert sein. Und die bedeuten vor allem, dass eine abgehängte Industrie wie die Spanische in einem weltwirtschaftlichen Umfeld, das um jeden Krümel Wertakkumulation konkurriert, die enormen Vorauskosten, die ein ökonomisches Aufholen bedingen, nicht wird leisten können. Insbesondere nicht angesichts leerer Staatskassen, die eine keynesianische staatliche Investitionspolitik wie im Programm der Partei vorgeschlagen, gar nicht zulassen.

Die Ankündigung der Podemos, in einer „Bürgeranhörung über die Schuldenfrage“ darüber entscheiden zu lassen, welche Schulden illegitim seien und daher nicht zurückgezahlt werden sollen, ist ein lächerlicher Akt der Verzweiflung. Die Verweigerung des Schuldendienstes in relevantem Stil würde unweigerlich in den Staatsbankrott oder zu einer noch größeren Abhängigkeit von Hilfsgeldern führen und eine staatliche Investitionspolitik endgültig verunmöglichen. Beide Szenarien hätten die Handlungsunfähigkeit der neuen Regierung zur Folge.

Offenbar sind sich die Führungsfiguren der Partei selbst nicht so ganz sicher, wie radikal ihre ohnehin im besten Fall reformistischen Forderungen ausfallen sollten.

So wurden einige in einem Gründungsmanifest gestellte Forderungen kurze Zeit später in einer revidierten Programmversion abgeschwächt. Schließlich fand sich darin die Formulierung, man strebe ein Bankensystem an, dass den BürgerInnen und mittelständischen Unternehmen diene, was sich dann schon verdächtig nach der Rhetorik der deutschen Linkspartei anhört. Auch mit der Ankündigung, profitablen Unternehmen betriebsbedingte Kündigungen verbieten zu wollen, beweist man neben fehlendem Verständnis für die Logik der weltweiten Standortkonkurrenz im besten Fall guten Willen.

Und da man mit in Aussicht gestellten Reförmchen auch in Spanien keine Massen begeistern wird, ist zu befürchten, dass die Podemos vor allem auf Populismus setzen, ihren angekündigten Kampf gegen die korrupte politische Kaste der Volksparteien in den Vordergrund stellen und an den Patriotismus appellieren wird, wie Iglesias das in der Vergangenheit geschickt verstanden hat. Auch die übrigen prominenten Forderungen der Partei gehen über eine linkssozialdemokratische Rhetorik a la deutsche Linkspartei selten hinaus. So will man etwa die staatliche Kontrolle über wichtige infrastrukturelle Bereiche wie die Telekommunikation, die Energieversorgung oder das Gesundheitswesen durch Rückkäufe von Anteilen an den mittlerweile zum großen Teil privatisierten Konzernen wiedererlangen. Von Aneignung oder Verstaatlichung, wie in früheren Forderungskatalogen einiger der an Podemos beteiligten Gruppen ist längst keine Rede mehr, aber immerhin: die Aktienbesitzer wird’s freuen.

Eine wirkliche Alternative, die auf die Überwindung der basalen kapitalistischen Kategorien, eine echte basisdemokratische Veränderung und auf eine Emanzipation von den verheerenden politökonomischen Zwängen zielt, wie sie etwa in den Direkten Aktionen der Supermarktplünderungen durchschien, hat die Partei Podemos nicht zu bieten. Dafür bräuchte es mindestens den politischen Willen der spanischen Bevölkerung, gegen die eigentlichen Ursachen der Massenverarmung in Stellung zu gehen. Doch die Wertverwertung an sich steht auch bei Podemos nicht zur Diskussion.

Dennoch: Bei den sich abzeichnenden politischen Veränderungen in fast allen Krisenländern hat es die Podemos mit ihrer Orientierung an den (allerdings weitgehend gescheiterten) Transformationsversuchen lateinamerikanischer Länder wie Venezuela oder Bolivien und der griechischen Linkspartei Syriza, mit ihrer Ablehnung der widersinnigen und inhumanen Spar- und Austeritätspolitik, sowie mit ihrem zumindest proklamierten Willen, das politische System zu re-demokratisieren, immerhin geschafft, die Wut und Verzweiflung großer Teile der spanischen Bevölkerung in eine Massenbewegung zu überführen, die zumindest nicht in erster Linie auf Ressentiments gegen Ausländer, Juden oder sonstige Minderheiten setzt, wie etwa der Front National in Frankreich.

So bleibt zu hoffen, dass, wie Zelik schreibt, „der antiinstitutionelle Widerstand“ tatsächlich „mit einer solchen Vehemenz in die Institutionen ein[dringt], dass diese die Dissidenz nicht einhegen und absorbieren können“. Auch wenn dabei zu befürchten ist, dass die Podemos diese Aufgabe für „die Institutionen“ längst übernommen hat, bleibt die Frage, die García Fuentes, der sich mittlerweile wieder gut in Deutschland eingelebt hat, im Gespräch mit der GWR stellt, für viele Spanier kurzfristig die politisch relevanteste: „PP und PSOE haben in Spanien versagt und wen sollen wir Spanier denn jetzt wählen?“