die waffen nieder!

Der „Friedens-Fürst“ ist tot

Ein Nachruf auf den antimilitaristischen Aktivisten Jochen Fürst (1965 - 2015)

| Felix Oekentorp, Landessprecher der DFG-VK.NRW

Wer im Internet nach Jochen Fürst sucht, wird nichts finden. Der Genosse, der aufgrund seiner antifaschistischen Tätigkeiten penibel darauf achtete, dass die Anti-Antifa nicht allzu viel über ihn erfahren konnte, stand der Graswurzelrevolution-Redaktion sehr nahe. Nach Lektüre der GWR, zuletzt im Dezember 2014, rief er oft in der GWR-Redaktion an, um über die neue Ausgabe, über Politisches, Privates, die neueste Connection-e.V.-Kampagne, antimilitaristische und anarchistische Perspektiven zu reden. Dass Jochen nie offiziell Mitglied des GWR-HerausgeberInnenkreises wurde, lag daran, dass er an den Wochenenden, an denen die bundesweiten GWR-HerausgeberInnentreffen stattfanden, arbeiten musste. Sein Tod macht uns traurig. Wir trauern um einen lieben Freund und Genossen. (GWR-Red.)

Jochen Fürst ist Anfang Januar 2015 im Alter von gerade einmal 49 Jahren plötzlich und unerwartet in Düsseldorf gestorben. Er hat sich in seinem ruhelosen Engagement für eine lebenswertere Welt nie geschont. Sowohl sein Beruf als Altenpfleger, den er nicht als Job, sondern als Berufung ansah, als auch sein politisches Engagement – unter der Maxime „Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus“ – verlangten seinen vollen Einsatz.

Jochen verlangte viel von seinen MitstreiterInnen, er lebte aber auch vor, was er verlangte. 1992, kurz nach seinem 27. Geburtstag trat er in die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) ein. Die von jedem Mitglied unterschriebene Erklärung „Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten“ nahm er wörtlich. Jochen war aktiv beteiligt an zahlreichen Aktionen des NRW-Landesverbandes, so u.a. vor dem türkischen Konsulat, beim Bielefelder Kriegsparteitag der Grünen und gegen Bundeswehrwerbung aller Art.

Ich erinnere mich dabei gerne an unseren Protest gegen die Jugendmesse „you“, bei der im Vorjahr ein Bundeswehrhubschrauber mit Messebesuchern abgestürzt war. Wir wurden von der Polizei in Gewahrsam genommen und erkennungsdienstlich behandelt. Während des Wartens in der Zelle kündigte einer der Beamten an, dass wir bald mit einer Mahlzeit rechnen könnten. Als wir dann schneller als erwartet entlassen wurden und ich dagegen wegen der ausgefallenen Mahlzeit protestierte, verschlug es ihm die Sprache. In den folgenden Jahren konnten wir dann aber oft und gemeinsam über diese Szene lachen.

Wie oft hat er sich beklagt, was alles möglich wäre und möglich sein müsste, wenn sich doch mehr unserer Mitglieder beteiligen würden. Und wie wenig Verständnis brachte er auf, wenn ich die Aktivitäten unseres Verbandes mit denen anderer Organisationen verglich um zu verdeutlichen, dass ich seine Ungeduld zwar verstehe, wir die Messlatte aber nicht so hoch legen dürfen.

So wie er sich mit dem Beruf des Altenpflegers beruflich um seine Mitmenschen kümmerte, so war er auch im privaten für die Menschen da. Man konnte sich auf ihn verlassen, Jochen nahm sich Zeit beispielsweise auch für ältere Mitglieder seiner Gruppe. Besuche bei Mitgliedern im Altersheim, bei denen er von seinen Friedensaktivitäten berichtete, gehörten für ihn zu den Selbstverständlichkeiten, die er selten erwähnte.

Seine Ungeduld und Unzufriedenheit mit manchen Entwicklungen führten mehrfach dazu, dass er der DFG-VK den Rücken kehrte. Dies ist ihm gewiss nicht leicht gefallen, und so machte er die erste dieser Trennungen auch rückgängig und trat wieder ein. Aber auch nach dem letzten Austritt ging er der DFG-VK glücklicherweise nicht ganz verloren. Weiterhin mischte er sich ein, kritisierte Fehlentwicklungen und gab gute und willkommene Ratschläge.

Sein Engagement im Bereich Antifaschismus war mit dem Friedensengagement eng verbunden. Profundes Wissen über historische wie aktuelle Entwicklungen in der Nazi-Szene konnte man jederzeit bei ihm abfragen.

So wie er sich für Kriegsdienstverweigerer in der Türkei oder für den US-Deserteur André Shepherd einsetzte, so war er auch zuverlässig im AntiFa-Bereich: eine Weile lang sprang er ein als Herausgeber der antifaschistischen Zeitung LOTTA, als dies notwendig war. Auch dieses Engagement hielt er für selbstverständlich.

Irgendwann rächte sich der jahrelange Stress und er bekam einen Herzinfarkt. Diese Warnung seines Körpers nahm Jochen ernst, er reduzierte vorübergehend sein politisches Engagement und achtete seitdem deutlich mehr auf eine gesündere Ernährung.

Seinen Teilrückzug aus dem politischen Leben konnte er nicht lange durchhalten. Bald schon nahm er seine Aktivitäten wieder mit dem entsprechenden Einsatz auf und war wieder Warner und Mahner vor den politischen Fehlentwicklungen. Halbherzigkeit war nie sein Ding, weder vor noch nach dem Herzinfarkt.

Jochen konnte auch unerbittlich sein, wenn er Differenzen in Bezug auf die richtige Herangehensweise sah. Seinen zweiten Austritt aus der DFG-VK begründete er mit einer Erklärung, die ich veröffentlicht hatte und die er für falsch und schädlich hielt. Sogar unsere langjährige Freundschaft legte er auf Eis und es dauerte Jahre, bis wir uns wieder annäherten. Einen Rückblick auf den strittigen Punkt vermieden wir, es gab glücklicherweise genug aktuelle Themen, bei denen wir uns einig waren und wo wir die Notwendigkeit zum gemeinsamen Handeln erkannten.

Noch im Dezember 2014 diskutierten wir über den „Friedenswinter“ und die Beteiligung von Akteuren aus dem Rechtsaußenspektrum an den Montagsmahnwachen. Gemeinsam mit anderen gelang es Jochen, zu verhindern, dass die Möchtegern-Groß-Demo für NRW am 13. Dezember in Düsseldorf stattfand. Bei der Bochumer Demo war er als kritischer Beobachter vor Ort, und seine Eindrücke teilte er uns mit als Warnung und mit der Aufforderung weiter Distanz zu halten.

Bei allem Bedauern über seinen Verlust ist es für mich tröstlich zu wissen, dass er ein erfülltes Leben hatte. Jochen, der Kampf geht weiter!