libertäre buchseiten

Der Schauprozess gegen Lothar König

| Wallflower

Johannes Eisenberg, Lea Voigt, Manuel Vogel (Hg.): Antifaschismus als Feindbild. Der Prozess gegen den Pfarrer Lothar König, beigelegte DVD, LAIKA Verlag, Hamburg 2014, ISBN: 978-3-944233-06-2, 304 S., 21 Euro

Gerade in diesen Tagen, in denen die Stadt Dresden symbolisch für Pegida steht, ist es wichtig, an ein Ereignis zu erinnern, das dieser eurozentristischen Mobilisierung zeitlich vorausging: den Prozess gegen den Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König wegen schwerem Landfriedensbruch anlässlich des Anti-Nazi-Blockadetages am 13. Februar 2011 in Dresden.

Der Prozess wurde im April 2013 durchgeführt und dauerte sieben Verhandlungstage, bis weitere Verhandlungen auf unbestimmte Zeit verschoben wurden und das Verfahren erst am 10. November 2014 mit einer Einstellung endete.

Der Widerstand gegen die Nazi-Mobilisierungen in Dresden von 2011/12/13 anlässlich der jährlichen Wiederkehr der alliierten Bombardierung der Stadt sowie der schon beispielhaft gewordene und hier deshalb „Schauprozess“ genannte Prozess gegen Lothar König zeigen zweierlei: Dass Dresden als Stadt nicht nur für reaktionäre Mobilisierungen, sondern auch für erfolgreiche, emanzipative Antifa-Mobilisierungen stehen kann, die weit ins Bürgertum hineinreichen können – und aber auch, also sozusagen dritte Dimension, für eine strukturell rechte Justiz und Exekutive des Landes Sachsen, die in der BRD bis heute ihresgleichen sucht. Zu all diesen Dimensionen bietet das Buch aus verschiedenen Perspektiven und durch die intensive, auch juristische Widerlegung der Anklageschrift (S. 15-92) Einblicke und offenbarende Analysen, es enthält zudem einen mehrteiligen Dokumenten-Anhang und eine DVD u.a. mit im Prozess verwendetem, entlastendem Videomaterial.

In ihrem Vorwort stellen zwei der HerausgeberInnen eine Dresdner Erfolgsgeschichte dar, die über den Pegida-Mobilisierungen nicht vergessen werden sollte: Nachdem Neo- und Altnazis seit den 1990er Jahren anlässlich des Jahrestages der alliierten Bombardierung am jeweiligen 13. Februar ein immer größer werdendes (2010: 6500 Nazis) Demonstrationsritual etablierten und die Stadt schon zum „Wallfahrtsort europäischer Nationalsozialisten“ (S. 8) zu werden drohte, gelang es Antifa- und evangelischen Jugendgruppen, den „Jungen Gemeinden“, ab 2010 in neuen Bündnissen wie „Dresden Nazifrei“ ein Konzept der massenhaften Blockaden umzusetzen, das schon 2010 die Demoroute blockieren konnte und 2011 erfolgreich einen Aufteilungsplan von Behörden und Polizei durchkreuzte, wonach die Nazis in der Altstadt und die GegendemonstrantInnen nur auf der anderen Elbseite demonstrieren sollten: Faktisch waren 2011 aber ständig GegendemonstrantInnen in der Altstadt unterwegs, die zwar von der Polizei eingekesselt und mit Schlagstock und Pfeffersprayeinsätzen verfolgt wurden (nicht etwa die Nazis), sich aber immer wieder sammeln und agieren konnten.

Es wurden unter diesen Bedingungen, so Friedemann Bringt in seinem Beitrag, wirkungsvolle und „zum allergrößten Teil auch friedliche Blockaden“ (S. 123) durchgeführt, die dann als Vorbild für die Mobilisierungen 2012 und 2013 dienten. Ergebnis: „Seit den erfolgreichen Blockaden in Dresden 2010 und 2011 sinken die Teilnehmerzahlen des Naziaufmarsches drastisch“ (S. 7). Im Zusammenhang mit der Polizeirepression von 2011 wurden Hunderte von Strafverfahren eingeleitet.

Besonders hartnäckig wurde gegen Lothar König wegen angeblicher Aufwiegelung zur Gewalt gegen PolizistInnen vorgegangen. Am 10. August 2011 wurde in Jena seine Wohnung durch eine Einheit der sächsischen Polizei durchsucht, während die thüringischen Behörden übergangen wurden (vgl. den Beitrag von Katharina König S. 111ff.). Im Zuge der Ermittlungen wurden von den sächsischen Polizeibehörden rechtswidrig hunderttausendfach Mobilfunkdaten ausgespäht und daraufhin Bewegungsprofile von DemonstrantInnen erstellt.

Für den Prozess wurde Aktenmaterial unterdrückt, ca. 200 Stunden Videomaterial der Verteidigung vorenthalten, „Zeugen leisteten abgesprochene Falschaussagen, Videomaterial wurde ausschließlich und damit rechtswidrig nach belastendem Material gefiltert“ (S. 127).

Besonders durch von der Verteidigung präsentiertes Videomaterial, aufgenommen auf dem Dach des von König gesteuerten Lautsprecherwagens von Aktiven der Jenaer Jungen Gemeinde, konnte im Verlauf des Prozesses die Anklage Stück für Stück widerlegt werden, wurde die Staatsanwältin im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos, und konnte gezeigt werden, dass König nicht etwa dazu aufgefordert hatte, die „Bullen mit Steinen“ einzudecken, wie die Anklage lautete, sondern im Gegenteil, wie übrigens schon bei einem ähnlichen Einsatz Königs bei den Gipfel-Blockaden in Heiligendamm 2007, explizit zu gewaltfreiem Verhalten aufgerufen hatte (S. 170ff.).

Das Besondere an den Mobilisierungen um die gewaltfreien Blockaden in Dresden und die Begleitung der juristischen und polizeilichen Verfolgung Lothar Königs ist, dass sich hier ein spektrenübergreifendes Bündnis, sowohl in Jena als auch in Dresden herausbilden konnte, das relativ breite linke und bürgerliche Kreise effektiv durch ein Aktionskonzept mobilisieren konnte. Dabei entstand besonders nach der Entdeckung des NSU im November 2011 in Jena und der Tatsache, dass diese Terrorgruppe von dort aus 13 Jahre lang agieren konnte, ein ganz anderes öffentliches Bild von König und seinen von Antifas und der „Jungen Gemeinde“ seit den 90er Jahren durchgeführten, hartnäckigen Aktionen gegen Rechts, etwa bei den Mahnwachen gegen eine von Neonazis genutzte Immobilie in Jena.

Das öffentliche Bild Königs wandelte sich, mitten zwischen Hausdurchsuchung und Gerichtsverfahren: „Aus dem Oppositionspfarrer mit anarchischen Zügen wurde eine moralische Instanz, ein Rechtsextremismus-Experte, der mehr Weitsicht bewiesen hatte als die gesamte politische Klasse“ (S. 136). Die Repressionsstrategen der sächsischen Landesbehörden wurden so durch die öffentliche Skandalisierung der Anklage in die Defensive gedrängt.

König, bereits als „hartnäckiger Rebell gegen das DDR-Regime“ bekannt, konnte dadurch die sächsischen Polizeipraktiken an den Pranger stellen: „Das sind SED-Methoden, mein Glaube an den Rechtsstaat ist erschüttert“ (S. 132). In der Tat ist der Verfolgungsfuror von sächsischen Behörden, der Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz erklärungsbedürftig.

Friedeman Bringt schreibt dazu Erhellendes: „Ein Grund dafür mag darin liegen, dass vielfach eine dritte oder vierte Garnitur westdeutscher BeamtInnen zu Beginn der 1990er-Jahre die Chance nutzte, in Sachsen ihrer in Baden-Württemberg oder Bayern ins Stocken geratenen Karriere neues Leben einzuhauchen. 1991 wurden von 531 RichterInnen und StaatsanwältInnen aus der DDR-Zeit nur 343 in den Staatsdienst des Freistaates Sachsen übernommen. (…) Gerichtspräsident oder leitender Staatsanwalt wurde zunächst kein/e Ostdeutsche/r. Selten kamen zu dieser Zeit die wirklich guten Kräfte in den Osten.

Diejenigen, die kamen, waren häufig verwurzelt in einer der Blockkonfrontation des Kalten Krieges entstammenden Antihaltung gegenüber linken und linksliberalen Kräften in Politik und Gesellschaft und empfanden deren Warnungen vor erstarkenden Neonazis und rechter und rassistischer Gewalt als Alarmismus. Zudem fanden sie eine obrigkeitshörige DDR-Gesellschaft vor, die sich – bis auf wenige Ausnahmen – gerne durch Verwaltungsakte und eine starke Staatsregierung führen ließ“ (S. 126).

Der sächsische Schauprozess gegen Lothar König ist kein reines Dresden-Phänomen, nicht einmal ein Ost-Phänomen gewesen, so wie auch Pegida kein reines Dresden-Phänomen bleiben wird, was einige westdeutsche Reaktionen auf die Pariser Anschläge bereits befürchten lassen.