Gianpiero Bottinelli: Die Stimme der Freiheit. Luigi Bertoni und der Anarchismus in der schweizerischen ArbeiterInnenbewegung. A propos Verlag, Bern 2014, 238 Seiten, ISBN 978-3-905984-09-5. Preis: 20 Franken
Der Name Luigi Bertoni hatte für mich die letzten Jahre über etwas gewissermaßen Geheimnisvolles an sich. Immer wieder lief er mir über den Weg, ohne dass mir so recht klar wurde, wer dieser Bertoni eigentlich war. Umso gespannter und voller Vorfreude war ich, seit ich zufällig mitbekam, dass die Übersetzung einer ursprünglich 1997 auf Italienisch erschienen Biografie über den italienischen Anarchisten nun in Arbeit sei.
Und das Warten hat sich gelohnt: Die Stimme der Freiheit ist ein gut 200 Seiten starkes Buch, über einen, der „nach seiner Arbeit als Schriftsetzer und am Wochenende (…) in vielen Schweizer Städten auf Einladung von Kulturzirkeln, Gewerkschaften, von anarchistischen und sozialistischen Gruppen“ zu finden war (S.50). Lautstark und kompromisslos wurde der Anarchist der „von der Schweizer Polizei am meisten verfolgte Subversive“ (S.40); und nicht nur durch seine Redakteurstätigkeit der Zeitschriften Le Réveil/Il Risveglio, die zu den „in der ersten Hälfte des 20. Jh. (…) langlebigsten und international wichtigsten anarchistischen Organen“ gehörten (S.47), zu der „anarchistische[n] Konstante in der Deutschschweiz“ (Werner Portmann, Einleitung, S.15).
Der Lebensweg Bertonis (1872-1947), der von Bottinelli klar nachvollziehbar aufbereitet wird, ist daher zugleich ein Durchgang durch die schweizerische Arbeiterbewegung wie auch durch die Debatten der anarchistischen Bewegung jener Jahrzehnte: beginnend mit der Frage nach dem Verhältnis von Syndikalismus und Anarchismus (Bertoni plädierte für eine revolutionäre Gewerkschaftspolitik, ohne dabei den syndikalistischen Ansatz zu verabsolutieren), der Stellung zum Ersten Weltkrieg (Bertoni nahm eine prinzipiell kriegsgegnerische Position ein) und dann zum Bolschewismus; die Frage des aufkommenden Faschismus und die Organisationsdebatte, wie sie von der „Plattform“ um Arschinoff und Machno in den 1920ern angestoßen wurde. Schließlich die Spanische Revolution 1936, während der Bertoni „sich sogar von seiner gewöhnlichen Kompromisslosigkeit in prinzipiellen Fragen“ entfernte und die CNT sowohl kritisierte als auch verteidigte (S.180), hin zu den dunklen Jahren des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges.
Bertonis Positionierungen in den jeweiligen Debatten arbeitet der Autor zumeist recht klar heraus, vor allem anhand der eigenen Zeitschriftenbeiträge von Bertoni. Viele Quellen werden dadurch aufbereitet und machen Lust auf eigene, weiterführende Lektüre.
Danke in Richtung Bern dafür, die Arbeit auf sich genommen zu haben, dieses interessante Buch dem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen. Mögen viele weitere folgen! – Und das Geheimnis Bertoni hat sich für mich nun etwas gelüftet.