Yvonne Franke/ Kati Mozygemba / Kathleen Pöge / Bettina Ritter / Dagmar Venohr (Hg.): Feminismen heute. Positionen in Theorie und Praxis, Transcript Verlag, Bielefeld 2014, 408 Seiten, 29,99 Euro, ISBN 978-3-8376-2673-5
Auf das Buch „Feminismen heute“ bin ich über das Internet aufmerksam geworden, einer meiner liebsten Blogs fuckermothers (1) wies darauf hin, denn die Macherin des Blogs ist auch mit dem Beitrag „Verunsicherungsmaschinen – Anmerkungen zu feministischer Mutterschaft“ vertreten. Als ich das Buch in den Händen hielt, dachte ich mir mit dem Versprechen es zu rezensieren doch zu viel vorgenommen zu haben: 408 Seiten wollen auch erst mal gelesen sein.
Also habe ich mit dem begonnen, was mich am meisten interessiert. In dem oben genannten Beitrag analysiert Lisa Malich das Verhältnis von Mutterschaft und Feminismus: beginnend mit einem kurzen historischen Abriss über Mutterideale kommt sie zu dem Schluss, dass Mutterschaft zumal in „linken“ Kreisen oft per se ein „reaktionärer Charakter“ zugeschrieben werde, einhergehend mit der prinzipiellen Ablehnung von Haus- und Sorgearbeit. Infolgedessen kann es durchaus passieren, dass aus Mutterschaft resultierende Diskriminierungen nicht mehr als Folge (neoliberaler) Machtverhältnisse wahrgenommen werden, sondern als private persönliche Probleme, mit denen man sich nicht auseinandersetzen muss. Warum waren eigentlich so wenige Menschen mit Kindern beim letzten Graswurzelfest, bei der letzten Veranstaltung? „Bei Müttern scheint das Bewusstsein für die Komplexität gesellschaftlicher Strukturen und ökonomischer Verhältnisse vergessen.“
Bei der Vielfalt der Themen und Ansätze des 2014 bei [transkript] erschienenen Sammelbandes wird einmal mehr deutlich, dass Feminismus selbst kein Thema ist, sondern ein, wie ich meine, sehr hilfreiches Werkzeug, gesellschaftliche Strukturen zu analysieren, Handlungsansätze aufzuzeigen und dazu zu ermutigen im Kleinen, vermeintlich Privaten schon mal mit der Revolution(TM) anzufangen. Feminismen heute entstand aus einer Tagung im Rahmen der Wissenschaftlerinnenwerkstatt der Hans-Böckler-Stiftung, entsprechend sind die Beiträge hauptsächlich von Wissenschaftlerinnen verfasst, andere feministische Denkerinnen wie z.B. Antje Schrupp, die nicht diesem Kreis angehören, tauchen nicht auf. Dennoch ist dieser „kaleidoskopische Blick“ auf aktuelle und feministische Kritik sehr empfehlenswert, denn er ist gut lesbar und berichtet auch von außeruniversitären feministischen Praxen und Erfahrungen.
Der Titel Feminismen heute – welcome to plurality ist Programm, unterteilt in 3 Hauptkapitel werden von unterschiedlichsten Autorinnen* und Aktivistinnen* feministische Positionen, Denkansätze und Fragen vorgestellt. Natürlich sind nicht alle feministischen Strömungen vertreten, aber was die dargestellten vereint, ist ihr Wille zum Kampf um Freiräume und gegen (zu viel) Regulation und Regierung (2).
Wer also wissen will, was grad so diskutiert und gemacht wird, bekommt in dem Buch viele spannende Einblicke. In „Ansätze und Perspektiven“ werden u.a. Schwarzer Feminismus in Deutschland, muslimische Positionen zu Feminismus, Erkenntnisse aus der Perspektive von Dis/Ability, sowie poskolonialer feministischer Theorie dargestellt und über die Spannung von Feminismus-Marxismus gesprochen. Obwohl der erste Teil recht theorielastig daherkommt, sind die einzelnen Texte, die vermutlich aus den Vorträgen der Tagung entstanden sind, nicht zu lang und für Menschen, die nicht so im Thema drin sind, gut verständlich. Weiter werden im Abschnitt „Themen und Felder“ feministische Diskurse zu (Care-) Ökonomie, Körper, Mutterschaft, Medizin und Netzfeminismus und mehr angerissen. Besonders spannend an diesem Teil des Buches finde ich, dass es auch für alte Häsinnen Neues zu entdecken gibt. Z.B. war mir die lange und erfolgreiche Geschichte der feministischen Rechtswissenschaft nicht bewusst.
Der dritte Teil beinhaltet mit „Ausdruck und Formen“ Berichte aus der Praxis von „Klassikerinnen“ wie Frauenhäusern, wendo oder Frauengesundheitszentrum, die teilweise schon auf eine 40jährige Geschichte zurückblicken können, bis zu Beispielen aus dem Bereich des Pop mit Texten von Künstlerinnen wie Bernadette LaHengst oder dem Label „Springstoff“, welches sich zur Aufgabe gemacht ha,t die Welt mit feministischem HipHop zu retten und vor allem auch jüngere Frauen*/Mädchen darin unterstützen will, in der sehr mackerhaften Szene einen eigenen Raum zu bekommen. Es lohnt sich, einen Blick auf die Homepage (3) zu werfen und dort neuen Stoff für die eigene Musiksammlung zu besorgen.
Auch eine Klassikerin, wenngleich von vielen weißen Feministinnen lange ignoriert, ist die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland, welche bereits seit den 1980ern aktiv ist. Natascha Salehi-Shahnian berichtet über die Geschichte dieser Frauenbewegung und von aktuellen Debatten, die u.a. auf der „gemeinsamen Konferenz zu Feminismen of Color in Deutschland“, die 2013 stattfand, geführt wurden. Hier konnte sich ohne weißes Publikum u.a. über eigene Selbstverständnisse, die Erfahrungen von Mehrfachdiskriminierungen und Empowerment-Strategien ausgetauscht werden.
Ein sehr volles Buch, das überaus vielfältig zum Nachdenken über Machtverhältnisse, Diskriminierung und gelungene Auseinandersetzung mit Differenzen anregt.
Gisela Notz denkt in ihrem einleitenden Beitrag über Solidarität nach und kommt u.a. zu dem Ergebnis, dass diese „nur erreicht werden kann, wenn Privilegien reflektiert werden, gegenseitiger Respekt deutlich wird und die Erfahrungen aller beteiligten Gruppen gebündelt und fruchtbar eingesetzt werden.“ Und das gilt nicht nur für die explizit feministische Szene.
Ich finde dieses Buch auch für anarchistische Reflexion sehr erhellend, denn welche Hierarchiefreiheit anstrebt und Machtverhältnisse scheiße findet, kann viel aus den Auseinandersetzungen der Frauen* mit Differenzen, Solidarität und Bündnisbildung lernen. Eines wird durch dieses Buch nochmals deutlich: es geht den hier vertretenen unterschiedlichen feministischen Strömungen und Praxen nicht um Gleichstellung, sondern darum, dass sich in unserer Gesellschaft grundsätzlich etwas ändert.
(1) "Die Bezeichnung [...] orientiert sich an der queeren Idee der Aneignung von Abwertung. Sie bildet den Gegenentwurf zur Beleidigung motherfucker, die ebenso an das Ideal der keuschen Mutter anschließt wie an die Konstruktion der Frau als passives Sexualobjekt." (Malich, S.163)
(2) Vgl. Geleitwort S. 13