freunde und helfer

Überwachungsterror

Seit 12 Jahren ist die linke Aktivistin "Lily" Ziel extremster staatlicher Bespitzelung

| Silke

Anfang März 2015 sorgte ein GPS-Peilsender, der in Spanien am Auto der linken Aktivistin "Lily" entdeckt worden war, für Furore in internationalen Medien. Dass der Fall sogar von der bürgerlichen Presse vielfach aufgegriffen wurde, hängt mit der Person der Betroffenen zusammen: sie ist eine derjenigen Frauen, die auf besonders infame Art Ziel der Spitzeleinsätze in Großbritannien waren, indem die Verdeckten Ermittler längerfristige Beziehungen mit ihnen eingingen (die GWR berichtete). Das ist auch der Grund, warum sie nur unter dem Pseudonym "Lily" auftritt.

„Lily“ hatte in den ersten Monaten dieses Jahres zwei auffällige Kontrollen durch die spanische Polizei erlebt, bei denen sie für längere Zeit festgehalten worden war und ein übergeordneter Beamter hinzukam.

Die seltsamen Vorgänge ließen sie Verdacht schöpfen, weshalb sie schließlich am 4. März den GPS-Tracker im Fahrwerksschacht ihres Autos entdeckte.

Zu diesem Zeitpunkt war sie in Valencia beim Circumvention Tech Festival, einem Kongress linker Hacker*innen, wo sie – wie des Öfteren – einen Vortrag über „Polizeiliche Überwachung in Europa“ halten sollte. Dass das Treffen, bei dem es unter anderem um die Umgehung staatlicher Kontroll- und Spionagemaßnahmen ging – etwa mithilfe von Anonymisierungsprogrammen wie TOR oder durch Verschlüsselung -, im Visier der Repressionsbehörden war, war allen Teilnehmenden bewusst.

Dass der Staat dabei zu derartigen Mitteln greifen würde, kam trotzdem unerwartet. Da der GPS-Sender mit einer spanischen SIM-Karte ausgestattet war, leitet „Lily“ nun rechtliche Schritte in Spanien ein, auch wenn der Verdacht besteht, dass es sich um ein europäisch koordiniertes Projekt gegen „Lily“ handeln könnte. Sie steht nämlich keineswegs zum ersten Mal im Mittelpunkt einer staatlichen Überwachungsmaßnahme, die sogar die minimalen Grenzen sprengt, die die „rechtsstaatlichen“ Regelungen vorgeben: Von 2003 bis 2005 hatte die britische Aktivistin eine Beziehung mit einem vermeintlichen Aktivisten namens „Mark Stone“. Sie lebten in Nottingham im gleichen Wohnprojekt, bereiteten zusammen Aktionen und Kampagnen im Vorfeld des G8-Gipfels 2005 in Gleneagles vor und verbrachten sehr viel Zeit miteinander.

Er war Teil des gesamten sozialen und politischen Umfelds der Aktivistin, und bei Familienbesuchen war „Mark Stone“ mehrfach bei „Lilys“ Eltern und anderen Angehörigen zu Gast.

Auch nach dem Ende der Zweierbeziehung standen die beiden jahrelang in engem Kontakt.

Sie waren neben dem politischen Austausch auch gut befreundet.

Erst Jahre später erfuhr die Britin, dass ihre langjährige Freundschaft in Wirklichkeit eine besonders perfide Polizeiaktion von Scotland Yard war: Ende 2010 wurde bekannt, dass „Mark Stone“ ein Verdeckter Ermittler namens Mark Kennedy war, der ab 2003 sieben Jahre lang intensiv linke Strukturen in Großbritannien durchleuchtet hatte und zudem in 22 anderen Staaten eingesetzt gewesen war. Auch in der BRD sollte der Spitzel mehrfach politische Zusammenhänge ausforschen und beging bei Demos in Berlin verschiedene Straftaten, was nach seiner Enttarnung auch im Bundestag thematisiert wurde. Kennedy war in erster Linie in der radikalen Umweltbewegung, aber auch in anderen Gruppen aktiv und nahm an der Vorbereitung und Planung zahlloser Aktivitäten teil – von antimilitaristischen Blockaden über Aktionen gegen Staudammprojekte und AKWs bis hin zu internationalen Vernetzungstreffen. Zur Informationsgewinnung tauchte er umfassend in die Szene ein, pflegte intensive Freundschaften und Zweierbeziehungen und war auch in verschiedenen subkulturellen Zusammenhängen und linken Zentren aktiv. Gleichzeitig hielt der Beamte weiterhin den Kontakt zu seiner Ehefrau und seinen Kindern aufrecht.

Nachdem er im April 2009 bei einer Aktion gegen ein Kohlekraftwerk zusammen mit über hundert anderen Aktivist*innen festgenommen wurde, sorgte die weitere Entwicklung für großes Misstrauen in der Szene: „Mark Stone“ verzichtete als einziger auf einen Rechtsbeistand und wurde kurz darauf freigelassen. Diese auffälligen Umstände machten eine Enttarnung des Verdeckten Ermittlers wahrscheinlich, weshalb Scotland Yard den Einsatz beendete und Mark Kennedy begann, an einer Legende für einen glaubwürdigen Ausstieg zu stricken. Im Sommer 2010 fand seine damalige Freundin seinen realen Ausweis, woraufhin es zu einem Konfrontationsgespräch mit einer größeren Gruppe von Aktivist*innen kam. In der breiten Öffentlichkeit wurde der Fall jedoch erst bekannt, als Anfang 2011 die Anklagen wegen der Aktion am Kohlekraftwerk fallengelassen wurden in der Hoffnung, die Beteiligung des Verdeckten Ermittlers noch vertuschen zu können.

Kennedy gehörte zu einer ganzen Gruppe von britischen Undercover-Cops, deren Einsätze im Jahr 2011 aufgedeckt wurden. Sie alle schreckten vor keinem Mittel zurück, um intensiven Einblick in die jeweilige Szene zu bekommen: viele von ihnen hatten langjährige Beziehungen zu linken Aktivistinnen, die sie – zusätzlich zur Durchleuchtung aller Lebensbereiche – unter ihrer Tarnidentität sexuell und emotional ausbeuteten. Teilweise hatten sie sogar Kinder mit den Frauen.

Acht der Betroffenen – unter ihnen „Lily“ – reichten im Dezember 2011 eine Klage gegen diese staatlichen Angriffe auf ihre körperliche Unversehrtheit und ihre sexuelle Selbstbestimmung ein, die insgesamt fünf Verdeckte Ermittler an ihnen begangen hatten. Gleichzeitig erhoffen sie sich durch den Prozess weitere Informationen zu dem traumatisierenden Einsatz, dessen Aufklärung die britischen Behörden unbedingt verhindern wollen. Die ersten Gerichtsverhandlungen dazu waren jedoch schallende Ohrfeigen ins Gesicht der Aktivistinnen. Zuletzt erklärte der Crown Prosecution Service im August 2014, eine Verfolgung der Verdeckten Ermittler wegen des sexuellen Übergriffs sei nicht möglich. Selbst der in Großbritannien strafbare „sexuelle Verkehr unter Vorspiegelung falscher Tatsachen“ sei nicht gegeben, schließlich sei die Tarnidentität doch nicht ausschließlich zum Zweck der sexuellen Handlung angenommen worden. Damit werden die Aktivist*innen zu einem Kollateralschaden des Polizeieinsatzes erklärt, und der institutionelle Sexismus, der schon im behördlichen Umgang mit den Vorwürfen offenkundig ist, wird weiter zementiert.

Die Öffentlichkeitsarbeit zu den Ereignissen ist für diese Gruppe weitaus schwieriger als etwa im Fall des Heidelberger Arbeitskreises Spitzelklage, der juristisch gegen den Einsatz des dortigen Verdeckten Ermittlers Simon Bromma vorgeht (vgl. GWR 367). Die acht Britinnen sind in weit intensiverer und intimerer Weise betroffen, und in einem von skandalfixierter Regenbogenpresse dominierten Land wie Großbritannien ist ein behutsamer und respektvoller Umgang mit diesem Thema kaum zu erwarten. Trotzdem machen die britischen Klägerinnen auf ihrer Homepage policespiesoutoflives.org.uk ihre Erfahrungen zum großen Teil öffentlich und berichten auch gegenüber bürgerlichen Medien von den Beziehungen mit den Spitzeln.

Dass die Frauen selbstbewusst mit dem polizeilichen Übergriff umgehen und den politischen Aspekt in den Mittelpunkt stellen, ist dem Staat selbstverständlich ein Dorn im Auge. Für die Betroffenen ist der Kampf gegen Repression dadurch zu einem zentralen Bestandteil ihres Lebens geworden. Wenn beispielsweise „Lily“ als regelmäßige Referentin die europäische Vernetzung polizeilicher Überwachung thematisiert, stellt sie damit unter Beweis, dass das Ziel der Behörden, die bespitzelten Aktivist*innen einzuschüchtern und mundtot zu machen, keineswegs aufgegangen ist.

Auch wenn es ein handfester Skandal ist, dass mit „Lily“ eine Betroffene dieser sexualisierten Polizeimaßnahme weiterhin von staatlichen Behörden mit rechtswidrigen Mitteln kontrolliert wird, wie der GPS-Peilsender eindrücklich zeigt, ist es nicht wirklich verwunderlich. Indem sie den brutalen Angriff auf ihre Person mit dauerhaftem Engagement gegen polizeiliche Überwachung erwidert, zeigt sie den Sicherheitsbehörden die Zähne und bleibt eine widerständige Bedrohung. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Bespitzelten weiterhin nicht kleinkriegen lassen.