Seit Ende 2014 arbeitet die Bundesregierung an einem Gesetzentwurf, mit dem sie unter anderem das Bleibe- sowie das Abschiebungsrecht reformieren will.
Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, die Rechtsstellung für langjährig geduldete Flüchtlinge zu verbessern und repressive Maßnahmen gegen jene Flüchtlinge auszuweiten, die über keinen legalen Aufenthalt verfügen und zur Ausreise verpflichtet wurden. Mit den Worten des Innenministers de Maizière: „Dieses Gesetz enthält zwei klare Botschaften: Bleiberecht für gut integrierte und rechtstreue Ausländer einerseits und Aufenthaltsbeendigung für diejenigen, die nicht schutzbedürftig sind, andererseits.“ So in der Bundestagsdebatte am 6. März.
Das Gesetz könne die „Akzeptanz für legale Zuwanderung und für die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland“ stärken. Und de Maizière fährt fort: „Gegen eine große Mehrheit der Bevölkerung lässt sich Flüchtlingspolitik nicht machen.
Deswegen müssen wir um diese Mehrheit in der Bevölkerung … werben und für sie eintreten. Diese Mehrheit ist da. Sie ist aber immer gefährdet. Nur wenn wir klarmachen: ‚Wir schützen die wirklich Schutzbedürftigen, und diejenigen, die nicht schutzbedürftig sind und tricksen und täuschen, werden mit Schutzbedürftigen nicht gleichbehandelt‘, dann gewinnen wir die Herzen und die Köpfe der Mehrheit unserer Bevölkerung.“
Dabei wiederholt der Innenminister in der parlamentarischen Debatte eben jene Vorurteile über massenhaften Asylmissbrauch, wie sie in den rassistischen und ausländerfeindlichen Aufmärschen der letzten Monate von einem ressentimentgeladenen Teil der Gesellschaft vorgebracht worden sind.
Die Regierung signalisiert, dass sie die von Abstiegsängsten getriebenen Bürgerinnen und Bürger verstanden hat und markiert zugleich die gesellschaftlichen „Ersatzobjekte für eine akkumulierte Feindseligkeit“ (Götz Eisenberg): Diejenigen, die den staatlichen Schutz missbräuchlich in Anspruch nehmen. So müsse es nach dem Innenminister ein „zentrales Anliegen aller staatlichen Stellen“ sein, „das erhebliche Vollzugsdefizit in der Aufenthaltsbeendigung abzubauen“. Das bedeutet im Klartext: mehr Abschiebungshaft, mehr zwangsweise Abschiebungen aus Deutschland. Für die meisten Asyl- und Bürgerrechtsorganisationen hingegen stellt der Gesetzesentwurf einen weiteren massiven Eingriff in das ehedem schon gesetzlich entkernte Asylgrundrecht dar. (1)
Maßlose Ausweitung der Abschiebungshaft
Um den europarechtlichen Ansprüchen der Abschiebungshaft für ausreisepflichtige AusländerInnen („illegaler Aufenthalt“) gerecht zu werden, werden im Regierungsentwurf nun vermeintlich „objektive Kriterien“ festgelegt, die die Annahme der Ausländerbehörde bestätigen könnten, ein/e AusländerIn könne sich der Abschiebung oder Überstellung durch Flucht entziehen wollen. Aber alle diese vermeintlich objektiven Kriterien sind völlig ungeeignet, um einem Flüchtling eine „erhebliche Fluchtgefahr“ zu unterstellen und damit der Ausländerbehörde die Möglichkeit einzuräumen, Abschiebungshaft richterlich anordnen zu lassen. Der Begriff der „erheblichen Fluchtgefahr“ bleibt auch unter den gesetzlichen Kriterien dehnbar und unbestimmt und eröffnet damit weite Ermessensspielräume der Flüchtlingsverwaltung, den politischen Tagesanforderungen entgegenzukommen.
Denn diese nun normierten Verdachtskriterien – wie „Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten“, Finanzierung von Fluchthelfern mit erheblichen Mitteln oder die Erklärung, sich einer Abschiebung entziehen zu wollen – werden bei vielen Flüchtlingen vorliegen. Menschen, die sich unter Einsatz ihres Lebens auf die Flucht begeben, müssen nicht nur Fluchthilfe in Anspruch nehmen und diese finanzieren, sondern oftmals auch ihre Identität verschleiern, um zurückgebliebene Familienangehörige, FreundInnen und Bekannte nicht zu gefährden. Die begründete Angst, in das Land wieder abgeschoben zu werden, dem man entflohen ist, kennzeichnet viele Flüchtlingsschicksale. Abschiebungshaft dagegen dient allein dazu, einen Verwaltungsakt, den der Abschiebung, vorzubereiten oder seine behördliche Durchführung sicherzustellen, wie es gesetzlich heißt. Allein auf der Grundlage willkürlicher Verdachtsmomente, wie sie jetzt normiert werden sollen, um eine „erhebliche Fluchtgefahr“ zu unterstellen, in die Unverletzlichkeit der Freiheit einer Person (GG Art. 2.2.) einzugreifen, ist unverhältnismäßig und nicht grundrechtskonform. Flucht ist kein strafbares Vergehen.
Mit dem Kriterienkatalog der Bundesregierung werden nicht nur der allgemeine Verdacht, ein/e AusländerIn wolle sich der Abschiebung entziehen, sondern naheliegend auch das Instrument der Abschiebungshaft und die damit einhergehende Zwangsgewalt gegen AusländerInnen ausgeweitet. Damit wird allein zur Erleichterung von hoheitlichem Verwaltungshandeln, nämlich die Beschleunigung und Durchsetzung von Abschiebungen, in Form der zwangsweisen Freiheitsentziehung massiv in Grund- und Menschenrechte von Flüchtlingen eingegriffen.
In die Aussichtslosigkeit getrieben, haben sich in den letzten zwanzig Jahren viele Flüchtlingen in Abschiebehaft das Leben genommen (vgl. GWR Nr. 389, Mai 2014)
Zugleich werden die Möglichkeiten zur Inhaftierung von Flüchtlingen im „Dublin-Verfahren“ erheblich ausgeweitet. Das betrifft diejenigen Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Staat, zumeist im Ersteinreiseland, registriert worden sind. Nicht nur werden für diese Asylsuchenden die Kriterien für die Unterstellung von „Fluchtgefahr“, also fluchtgefährliche Flüchtlinge, angewandt, obwohl sie sich als Asylsuchende nicht illegal aufhalten.
Zugleich soll die Weiterflucht vor Abschluss eines laufenden Verfahrens in einem anderen EU-Staat bereits zur Inhaftierung berechtigen. Damit könnten alle sogenannten Dublin-Flüchtlinge, für die ein anderer EU-Staat formal zuständig ist, in Haft genommen werden, um ihre „Überstellung“ zwangsweise sicherzustellen. Aber es gibt gute Gründe, weiter zu fliehen, weil in einigen Mitgliedsstaaten der EU allgemeine Verfahrensstandards nicht eingehalten werden (können), weil Flüchtlinge in Obdachlosigkeit und ohne die notwendigen Lebensmittel sich selbst überlassen bleiben oder weil sie einem gewalttätigen Rassismus ausgesetzt sind. In einigen EU-Ländern werden Schutzsuchende in unerträglichen Lagern eingesperrt.
Ein inhumanes europäisches Zuständigkeitssystem (Dublin III-Verordnung), das Flüchtlinge in Europa wie Frachtgut hin und her verschiebt, kann offensichtlich nur mit einem menschenrechtsverletzenden Inhaftierungsprogramm ungeheuren Ausmaßes umgesetzt werden.
Mit dem Gesetzesentwurf soll darüber hinaus ein maximal viertägiger „Ausreisegewahrsam“ nach richterlicher Anordnung eingeführt werden.
Dieser soll möglichst im Transitbereich der Flughäfen oder in zugriffsnahen Unterkünften vollzogen werden. Er kann angeordnet werden, wenn die Ausreisefrist überschritten worden ist und die Ausländerbehörde vermutet, dass der/die AusländerIn die Abschiebung erschweren oder vereiteln werden wird.
Für den schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Freiheit der Person muss wiederum als Begründung die Ermöglichung eines Verwaltungsaktes herhalten, allein weil dieser mit einem erheblichen organisatorischen Aufwand, wie bei Sammelabschiebungen üblich, einhergeht.
In diesem Kontext droht der freiheitsentziehende Eingriff zum grundrechtswidrigen Regelfall zu werden.
Massive Ausweitung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes
Bisher konnten bereits ausgewiesene, zwangsweise zurück- oder abgeschobene Flüchtlinge mit einem auf maximal fünf Jahre befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbot sanktioniert werden. Mit dem Gesetzentwurf kann dieses Verbot auf Asylsuchende ausgedehnt werden, deren Asylgesuche als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt oder deren Asylfolge- oder Zweitanträge nicht zur „Durchführung“ angenommen worden sind. Das Verbot kann bis zu drei Jahren EU-weit vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angeordnet werden. Insbesondere dann, wenn eine „missbräuchliche“ Inanspruchnahme des Asylverfahrens vorzuliegen scheint, so heißt es in der Begründung zum neuen Paragraphen des Aufenthaltsgesetzes. Das wird beispielsweise für jene Asylgesuche aus sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ regelmäßig angenommen. Mit der Ausweitung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sollen über den generalpräventiven, also abschreckenden Effekt hinaus Verwaltungskapazitäten für die „tatsächlich schutzbedürftigen Flüchtlinge“ frei werden, heißt es. Aber das Ergebnis eines Asylverfahrens sagt noch nichts über das subjektive Schutzbedürfnis eines Menschen aus, der möglicherweise ohne Kenntnis der komplizierten Rechtslage ein Asylgesuch gestellt hat.
Gesetzlich jedoch wird damit das Vorurteil festgeschrieben, diese Menschen, aktuell vor allem Roma aus den Westbalkanstaaten, seien nur gekommen, um öffentliche soziale Leistungen beziehen zu können.
Sie werden systematisch der missbräuchlichen Inanspruchnahme des Asylrechts bezichtigt und dadurch stigmatisiert.
Die bloße Inanspruchnahme des Grundrechts auf Asyl wird durch den Gesetzesentwurf für diese Flüchtlingsgruppe sanktioniert und mit EU-weiten Einreiseverboten bestraft.
Das Freiheitsgrundrecht wird der Abschiebemaschinerie geopfert
Der repressive Teil des Gesetzentwurfes ist allein unter dem Vorsatz geschrieben worden, Abschiebungen mittels Freiheitsentzug zwangsweise durchsetzen und beschleunigen, sowie Ausgrenzungen unerwünschter Flüchtlinge vornehmen zu können. Dabei hat man in der CDU und SPD offensichtlich jegliches menschenrechtliche und humane Maß verloren. Denn die Inhaftierung von Flüchtlingen und Asylsuchenden wird mit diesem Gesetzesentwurf und seinen Eingriffsrechten extrem erleichtert. In das Grundrecht der Freiheit der Person wird allein aus Gründen schwerwiegend eingegriffen, die Arbeit der Flüchtlingsverwaltung zu optimieren. Das Gesetz bestätigt die Vorurteile derjenigen, die der Hass auf alles Fremde einigt und dafür Begründungen wie vermeintlichen Asylmissbrauch suchen. Es wird insofern nicht der rassistischen Straßengewalt entgegenwirken, sondern es ist zu befürchten, dass es diese durch die extreme Ausweitung staatlicher Zwangsgewalt bei Abschiebungen und Abschiebehaft eher bestätigen wird. Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge, die keinen Aufenthalt erhalten und illegalisiert werden, reisen sowieso freiwillig aus. Und bislang hat sich ein nicht unerheblicher Teil der Haftanordnungen als rechtswidrig erwiesen und die Abschiebehäftlinge mussten irgendwann entlassen werden.
Dennoch ist nicht zu erwarten, dass die Regierungsparteien das wohl einer liberalen Demokratie und menschenrechtlich allein Angemessene beschließen werden, nämlich endlich die Abschiebehaft, die eine bloße Verwaltungshaft ist, abzuschaffen und mögliche „mildere Mittel“ zu ergreifen, um die Pflicht zur Ausreise durchzusetzen.
Darum rufen verschiedene Initiativen dazu auf, gegen dieses Inhaftierungsprogramm, das schon im Juni 2015 in Kraft treten soll, zu protestieren.
Am 18. April 2015 wird auf dem Berliner Oranienplatz mit einer großen Kundgebung die Protest- und Aktionswoche eröffnet werden. Informationen unter: migrationsgesetze.info sowie stopasyllaw.blogsport.eu/