grenzenlos

Antimuslimischer Rassismus

Notwendige Analysen für eine antirassistische Bewegung

Das Aufkommen der PEGIDA-Bewegung, deren Märsche scheinbar plötzlich fünfstellige TeilnehmerInnenzahlen erreichten und nun von Österreich über England bis hin nach Québec/Kanada nachgeahmt werden, kam für antirassistisch gesinnte Menschen überraschend. Spätestens seitdem mussten sie sich erneut eingestehen, dass es da ein Problem gibt, auf das man (zumindest in den deutschsprachigen Ländern) in den letzten Jahren vielleicht zu wenig oder zu zögerlich reagiert hat: antimuslimischer Rassismus.

Das Problem mit dem antimuslimischen Rassismus scheint deshalb komplizierter, weil es nicht nur am rechten Rand zu verorten ist, sondern auch in der sog. bürgerlich-liberalen „Mitte“, aber auch in der Linken selbst.

„Ist es nicht bizarr“, fragt Fanny Müller-Uri in der Einleitung ihres Buches „Antimuslimischer Rassismus“ zurecht, „wenn von der extremen Rechten über die liberale ‚Mitte‘ bis hinein in die Linke eigentlich ungewöhnliche Gemeinsamkeiten auftreten?“ (Müller-Uri, S. 7)

Immer wieder stolpert man in der eigenen Szene über Artikel oder Aussagen, die in das Feld des antimuslimischen Rassismus gehören. Oder man ist zumindest gezwungen, lange darüber diskutieren zu müssen, ob es so etwas wie antimuslimischen Rassismus überhaupt gibt – und wenn ja, was das denn genau sei. In Gegenargumenten wird wahlweise auf eine „legitime Religionskritik“ verwiesen (und gegen eine Religion könne man nicht rassistisch sein) oder behauptet, dass es sich beim Islam eigentlich um nichts weniger als einen „Islamfaschismus“ (eine beliebte antideutsche Diktion) handle, gegen den man sich als AntifaschistIn wehren müsse, oder, dass Termini wie „Islamophobie“ Kampfbegriffe der iranischen Mullahs seien, die lediglich vom Antisemitismus ablenken und denen man nicht auf den Leim gehen solle. In feministischen Kreisen (z.B. Alice Schwarzer und „Emma“), bei (antideutschen) Antifas, dem einen oder anderen linken Zeitungsprojekt oder in Queer- und LGBT-Communities findet man manchmal Argumentationsmuster, die an den antimuslimischen Rassismus anknüpfen.

„Gerade weil der antimuslimische Rassismus im Gewand der Aufklärung und Emanzipation auftritt, steht die antirassistische Bewegung den bisher beschriebenen Phänomenen bisweilen argumentativ und in ihrer politischen Praxis recht unsicher und unentschlossen gegenüber.“ (Müller-Uri, S. 10)

Ein Problem ist auch, dass die Forschung zu diesem Phänomen zumindest im deutschsprachigen Raum vor nicht allzu langer Zeit noch nicht sonderlich stark betrieben wurde und deshalb wenig Verbreitung fand. Dieser Umstand ändert sich glücklicherweise zusehends. Zudem kommt das Hauptproblem, nämlich eine radikale (teils militante) Rechte, bei der unschwer zu erkennen ist, dass das primäre Feindbild ein imaginiertes und konstruiertes „islamisches Anderes“ ist, seien es nun politische Parteien wie der Front National, die FPÖ, Vlaams Belang, Geert Wilders‘ Partij voor de Vrijheid, die Schwedendemokraten oder rechtsradikale Bewegungen wie die Identitären, die English Defense League, Hooligans gegen Salafisten oder eben PEGIDA.

Dies kann von einer antirassistischen Bewegung nicht ignoriert werden, keine Frage, nur: Das Problem muss beim Namen genannt werden. Um dies zu erleichtern, erschienen in jüngster Zeit glücklicherweise einige Publikationen, die helfen, antimuslimischen Rassismus einzuordnen, zu analysieren und dabei Gegenstrategien zu entwerfen (siehe Literaturangaben).

Vom biologistischen Rassismus zum „Rassismus ohne Rasse“

Zunächst zur Begriffswelt, welche die Diskussionen um dieses Thema begleitet, sowie ein Blick auf Aspekte gegenwärtiger Rassismusforschung: Islamophobie, Islamfeindlichkeit, Antimuslimismus, antimuslimischer Rassismus, etc. – das sind Begriffe, mit denen scheinbar das gleiche Phänomen bezeichnet wird. Manche Begriffe erscheinen jedoch aus unterschiedlichen Gründen geeigneter als andere, in dieser Debatte Verwendung zu finden. Der vorliegende Artikel folgt Müller-Uri, wenn sie dafür plädiert, den Begriff des „antimuslimischen Rassismus“ zu verwenden, da er dieses Phänomen dort verortet, wo es hingehört: in den Bereich des Rassismus und folglich der Rassismusforschung.

Für diese Verortung im Bereich des Rassismus ist es wichtig zu untersuchen, wie sich rassistische Argumentationsmuster verändert und adaptiert haben: „In der kritischen Rassismusforschung […] ist überzeugend herausgearbeitet worden, dass die öffentliche Diskreditierung des biologistischen Rassismus nach 1945 eine Restrukturierung rassistischer Argumentationsweisen nach sich gezogen hat.“

Im Zuge von „Dekolonisation, Transnationalisierungstendenzen und neuen Migrationsbewegungen“ habe sich ein „‚Rassismus ohne Rasse‘ […] als neue rassistische Konfiguration herausgebildet, dessen ideologischer Kern in der Behauptung der Unaufhebbarkeit kultureller Differenz besteht.“ (Müller-Uri, S. 88)

Dieser von Étienne Balibar und Stuart Hall geprägte Begriff – in der Rassismusforschung haben sich noch weitere, synonym zu verwendende Begriffe wie z. B. „Kulturrassismus“ oder „Neorassismus“ etabliert – lässt uns u. a. Phänomene wie den antimuslimischen Rassismus besser verstehen. Der „Rassismus ohne Rasse“, Neo- oder Kulturrassismus kommt ohne einen biologistischen „Rasse“-Begriff aus, ist also nicht „an die Signifikation körperlicher Differenzmarker gebunden […], wie das in den biologistischen Rassismustheorien des 19. und 20. Jahrhunderts der Fall war“. (Müller-Uri, S. 69). Kulturalistische Argumentationsmuster treten nun verstärkt an diese Stelle, wobei diese selbst beim biologistischen Rassismus bereits eine entscheidende Rolle spielten. Kulturalistische Zuschreibungen dienen so „als zentrale Bezugspunkte für die Deutung sozialer Praktiken“, es wird daraus eine „unabänderliche Natur“ konstruiert, die „in ihrer statischen Abgeschlossenheit und Determiniertheit wie das Konzept der ‚Rasse‘ [funktioniert]“ (Attia et al., S. 6), so Iman Attia, Alexander Häusler und Yasemin Shooman in ihrem Buch „Antimuslimischer Rassismus am rechten Rand“.

Ein „essentialistisch gedachtes Kulturkonzept“ avanciert hier zu einem „funktionalen Äquivalent des biologistischen Rassebegriffs“. (Müller-Uri, S. 91)

Rassismus bezeichnet daher nicht einfach „‚Feindlichkeit‘ und asymmetrische Verhältnisse der Über- und Unterordnung zwischen ‚Rassen‘, sondern schon die soziale und diskursive Praxis der Konstruktion dieser Gruppe.“ (Müller-Uri, S. 64).

Im Kern beruht die „durch rassistische Differenzkonstruktion hergestellte Ordnung“ auf „der Naturalisierung soziokultureller Ungleichheit„. (Müller-Uri, S. 67). Rassismus ist also ein gesellschaftliches Verhältnis, er gehört zu den „Modi der Begründung, Rechtfertigung und Umsetzung von Herrschaft“ (Hund zit. n. Müller-Uri, S. 75) und er operiert „über die Homogenisierung und imaginäre Vereinheitlichung herrschaftlich differenzierter Gruppen, aus denen die Anderen aufgrund zugeschriebener natürlicher Defizite ausgeschlossen werden.“ (Müller-Uri, S. 75)

Somit läuft auch jegliches Argument ins Leere, das behauptet, Rassismus gegenüber als MuslimInnen markierten Menschen sei schon deshalb nicht möglich, weil es sich dabei um eine „Kultur“ oder um ein Religionsbekenntnis handle, nicht um eine „Rasse“. „Diese Argumentation“, so Attia, „geht offensichtlich davon aus, dass Hautfarbe oder Gene eine ‚Rasse‘ ausmachen, es also tatsächlich so etwas wie eine ‚Rasse‘ gäbe. Im kolonialen, antiromaistischen oder antisemitischen Rassismus werden auf jeweils spezifische Weise und auf dem Hintergrund jeweils konkreter historischer Prozesse körperliche, kulturelle und religiöse tatsächliche oder fiktive Merkmale in einer Weise miteinander in Beziehung gesetzt, die aus homogenisierten und essenzialisierten Gruppen quasi-natürliche ‚Rassen‘ konstruiert. Hiervon unterscheidet sich der antimuslimische Rassismus nicht.“ (Attia et al., S. 31)

Antimuslimischer Rassismus und wie er funktioniert

Ein entscheidendes Phänomen in der Rassismusforschung, das auch speziell beim antimuslimischen Rassismus beobachtbar ist, ist das sog. „Othering“.

Diesem Otheringprozess liegt eine Konstruktion zugrunde, die laut Iman Attia darin besteht, „Menschen entlang von Merkmalen zu Gruppen zusammen[zufügen] und von anderen Gruppen [zu] unterscheiden.“ Kategorien wie „Religion, Kultur und Ehtnie werden amalgamiert, zu einer übermächtigen Bezugsgröße und zu einem zentralen Unterscheidungsmerkmal konstruiert. Ethnie, Kultur und Religion bzw. das, was aufgrund der äußeren Erscheinung und der sozialen Praxis dafür gehalten wird, ersetzen das Soziale, Gesellschaftliche und Politische.“ (Attia et al., S. 30) Der hier einsetzende Konstruktionsprozess besteht darin, „alle ‚Muslim_innen‘ als Mitglieder einer Gruppe zu verstehen, sie werden homogenisiert. Begründet wird ihre Homogenisierung damit, dass ihr Anderssein offensichtlich sei, ihre ethnische Zugehörigkeit auf ihre Kultur verweise, die wiederum durch Religion bestimmt werde. Die religiös-kulturell begründete ethnische Zugehörigkeit bilde die Grundlage […] ihres Seins. Die derart essentialisierte und ethnisierte islamische Kultur unterscheide sich grundsätzlich von jener der Eigengruppe. Zwischen Eigen- und Fremdgruppe wird eine deutliche Grenze gezogen, es findet eine binäre, antagonistische, dichotomisierende Spaltung statt.“ Entscheidend ist hier auch – und derartige Argumentationsmuster findet man häufig in bürgerlichen und liberalen Mainstreammedien -, dass hierbei „die Eigengruppe als Maßstab gesetzt [wird], an dem ‚das Andere‘ gemessen wird und wodurch ‚das Eigene‘ als erstrebenswert gilt.“ Im Otheringprozess werden als MuslimInnen Markierte also zu „den Anderen“, sie werden „homogenisiert und essentialisiert und in Opposition zum ‚Eigenen‘ gebracht, das als fortschrittlicher angenommen wird“. (Attia et al., S. 31)

Ähnlichkeiten lassen sich, so Attia, hier zur Frage der Geschlechterverhältnisse erkennen, wie Simone de Beauvoir es in „Das andere Geschlecht“ thematisierte, sowie zu Edward Saids Studie „Orientalismus“, wo Said die „westlich-hegemoniale Konstruktion des islamischen Orients“ herausgearbeitet hat. (Attia et al., S. 30) Antimuslimischer Rassismus ist also eine „soziale Praxis, die Menschen, die als Muslim_innen markiert sind, an der gleichberechtigten Teilhabe an Gesellschaft hindert, ihre Ressourcen blockiert und ihnen signalisiert, dass sie fremd und unerwünscht seien.“ (Attia et al., S. 8.)

Wie die Konstruktion eines „Anderen“ sowie des „Eigenen“ im Rassismus funktioniert, beschreibt auch Müller-Uri ausführlich. Rassismus bezeichne „asymmetrische Verhältnisse der Inferiorität und Überlegenheit, dient der Abwertung des Anderen und der Aufwertung des Eigenen. Deshalb schreibt die rassistische Ordnung nicht nur die Charakteristika und Dispositionen eines konstruierten Anderen fest, sondern definiert umgekehrt immer auch identitäre Entwürfe des Selbst: Spiegelbildlich werden die den Anderen zugeschriebenen (negativen) Eigenschaften als (positive) Charakteristika auf das Selbst zurückgeworfen.“ (Müller-Uri, S. 68)

Antimuslimischer Rassismus im Alltag

Dies führt uns direkt zu der Frage, wie antimuslimischer Rassismus nun im Alltag, in rechten, bürgerlichen sowie in linken gesellschaftlichen Bereichen funktioniert und sich manifestiert. Das Bild ist hier widersprüchlich, treffen sich doch klassisch rassistische Überlegungen von „muslimischer Unterlegenheit“ und einer als Maßstab positionierten „weißen, christlichen, europäischen Überlegenheit“ mit teils dazu im Widerspruch stehenden verschwörungstheoretischen Ansätzen, in denen von einer gezielten und geplanten Unterwanderung Europas fabuliert wird, wo die Gefahr also eher in einer Art hoch entwickelter Hinterlist mit bösem „Masterplan“ zur sukzessiven Durchsetzung von „Eurabia“ gesehen wird. Dabei werde „in Verkehrung der realen gesellschaftlichen Machtverhältnisse eine bevorstehende muslimische Vorherrschaft beschworen“ (Attia et al., S. 35), so Yasemin Shooman. Derartige „Verschwörungs- und Unterwanderungsphantasien“ seien ein zentraler Topos vor allem in Internetforen wie PI-News.

Hier gibt es eine interessante Verschiebung in rassistischen Argumentationsweisen sowie Anknüpfungspunkte zum Antisemitismus: „Das Angstszenario einer Ausbreitung des Islams bzw. der Muslim_innen in Europa kennzeichnet eine Wahrnehmungsverschiebung im Vergleich zu herkömmlichen rassistischen Diskursen, in denen Muslim_innen als rückständig und kulturell minderwertig stigmatisiert werden. Denn hier werden sie als ‚fünfte Kolonne‘ imaginiert, die von innen heraus an der Zerstörung westlicher Gesellschaften arbeite.“

In dieser „Fiktion einer drohenden Dominanz von Muslim_innen“ fände ein „Transfer antisemitischer Argumentationsmuster statt“, so Shooman. (Attia et al., S. 41f.)

Doch wie zu Beginn erwähnt, ist dieses Problem auch ein in linken und liberalen Kreisen anzutreffendes. Hier werden zum Beispiel gerne Phänomene wie Sexismus, Homophobie oder Antisemitismus in die Sphäre des „muslimischen Anderen“ projiziert, um sich im Umkehrschluss so davon loszusagen, es als „eigenes“ Phänomen und Problem zu leugnen bzw. dies mit der Behauptung zu verknüpfen, man habe dies bereits hinter sich gelassen, im Gegensatz zu „den Anderen“. Durch die so betriebene „Kulturalisierung und Muslimisierung werden gesellschaftliche Probleme entpolitisiert und aus dem eigenen Verantwortungsbereich ausgelagert.“ (Attia et al., S. 18)

Dies dient der „Selbstvergewisserung eines toleranten, emanzipativen Europas“, das „den MuslimInnen die Aufklärung mit pädagogischen Mitteln, und zur Not auch mit Gewalt“ beibringen müsse. (Müller-Uri, S. 112)

Am Beispiel der Emanzipation der Frau funktioniert das so: „In der Gegenüberstellung der islamisch unterdrückten und der westlich emanzipierten Frau werden die Kulturen nicht nur polarisiert und hierarchisiert, sondern beide, und damit auch die westliche Kultur, homogenisiert, indem ‚die westliche Frau‘ umstandslos als emanzipiert gilt.“ (Rommelsbacher zit. n. Müller-Uri, S. 112) Derartige Argumentationsfiguren seien laut Müller-Uri „aus der kolonialen Zivilisationsmission gut bekannt“ (Müller-Uri, S. 112).

Angesichts der Intensität und Unverblümtheit, mit der antimuslimischer Rassismus mittlerweile vorgebracht wird, ist es an der Zeit, diesem verstärkt mit tiefgreifenden Analysen und einer engagiert aktivistischen, antirassistischen Praxis zu begegnen. Hier hat die Linke im deutschsprachigen Raum etwas aufzuholen – auch was kritische Selbstreflexion anlangt!

Der antimuslimische Rassismus sollte „als zentrale Dimension der hegemonialen Struktur westlicher Gesellschaften begriffen werden, woraus sich auch entscheidende Konsequenzen für antirassistische Gegenstrategien ergeben.“ (Müller-Uri, S. 127)

Literatur

Verwendete und empfohlene Literatur:

Iman Attia, Alexander Häusler, Yasemin Shooman: Antimuslimischer Rassismus am rechten Rand. Unrast Verlag, Münster 2014

Fanny Müller-Uri: Antimuslimischer Rassismus. mandelbaum kritik & utopie, Wien 2014