Am 25. April 2015 fand im rheinischen Braunkohle-Tagebau in Garzweiler die "Menschenkette gegen Kohle" mit über 6000 Menschen statt. Aufgerufen hatten u.a. große Verbände wie Greenpeace, BUND, Campact und Nabu. Teilgenommen hat eine bunte Vielfalt von Menschen und Gruppen, so auch AktivistInnen von Lebenslaute, der Waldbesetzung Hambacher Forst, von AusgeCO2hlt, SoVie, Attac und "Ende Gelände" (Massenaktionen des Zivilen Ungehorsams im Sommer), alle ausdrucksstark mit der Forderung: "Braunkohle-Ausstieg sofort!"
So erfreulich diese 7,5 Kilometer lange Menschenkette und der zum Teil radikale Protest ist, die Forderungen und Inhalte der Organisatoren waren eine Zumutung.
Das beschreibt der Graswurzelaktivist und Aktionstrainer Andreas Peters. Er kritisiert die Rolle der großen Umweltverbände im Zusammenspiel mit Parteien, RWE und NRW-Regierung, deren Politik den Charakter eines Deals annehme und deren Funktion die von Legitimationshelfern sei. Über den Einfluss und die Macht von Nichtregierungsorganisationen muss gesprochen werden, vor allem dann, wenn ihr Agieren auf Kosten politischer Basisbewegungen geht. (GWR-Red.)
Prolog
Am 25. April 2015 knallten bei den Vorständen von RWE Power AG, bei der Gewerkschaft IG BCE (Bergbau, Chemie, Energie) und bei der NRW-Landesregierung die Sektkorken. Wer hätte das gedacht – es ist geschafft! 6.000 fröhliche, vor allem junge Menschen waren auf den Straßen und haben an den Händen haltend für 15 bis 25 weitere Jahre Kohleverstromung demonstriert.
Genauer betrachtet dachten sie bei RWE seit Jahren, dass ihr äußerst profitables Geschäftsmodell mit der Kohle, welches lautet: „Mit der ineffizientesten und schmutzigsten Methode Wasser heiß machen – und damit Milliarden verdienen“ nicht mehr lange funktionieren würde. Sie hatten sich diskret auf den allmählichen Ausstieg eingestimmt. Doch mit dem heutigen Tage gibt es einen Freifahrtschein von großen Umweltorganisationen wie Greenpeace, BUND und einigen anderen für den Weiterbetrieb bis 2030 und 2040.
Innerhalb der Abteilung „Öffentlichkeitsarbeit und Bürgerbeteiligung“ von RWE gibt es Überlegungen, vor Braunkohletagebaue Schilder mit der Aufschrift „Zertifiziert nach Greenpeace, BUND & Co. bis 2030“, vor Steinkohlekraftwerke „Zertifiziert bis 2040“ anzubringen.
Ganz anders das Bild am Abend des 25. April bei Greenpeace, BUND, Campact, NABU, BUNDjugend, klima allianz und „Stop Rheinbraun“ e.V., die zur Anti-Kohle-Kette aufgerufen hatten. In dem u.a. der taz beigelegten Aufruf (www.anti-kohle.de) stand zwar verheißungsvoll, dass „wir gemeinsam der Kohle-Lobby die Stirn bieten“.
Doch nun das: Bestenfalls ein leichtes Stirnrunzeln bei der Kohle-Lobby und Streit mit AkteurInnen der „breiten Bürgerbewegung gegen Kohle“, die „mit unserer Menschenkette gestärkt“ und deren lokaler Widerstand „unterstützt“ werden sollte.
Die Menschenkette war gelungen. Warum sind dann nicht alle glücklich und zufrieden? Schon bei Bekanntwerden des Aufrufes im Februar reichten die Reaktionen bei Anti-Kohle-AkteurInnen vom verständnislosen Kopfschütteln über „Ich demonstriere doch nicht für weitere 25 Jahre Kohleverstromung“ bis zum Vorwurf des Verrats der Anti-Kohle-Bewegung.
Was war passiert – vor dem 25. April?
Wie konnte es dazu kommen? Sind das einfach alles nur Missverständnisse in einer nun einmal sehr bunten und vielfältigen Sozialen Bewegung? Sind die Forderungen im Aufruf nicht doch auch richtig und sinnvoll? Wir gehen zurück in das Jahr 2008. Damals veröffentlichte Greenpeace einen ersten Entwurf für ein „Kohleausstiegsgesetz“. Dieser sollte den Abgeordneten in den Parlamenten des Bundes und der Länder den Weg zu einem offiziellen Kohleausstiegsgesetz weisen. Als Schlusspunkt für die Braun- und Steinkohleverstromung wird dort das Jahr 2040 benannt. Im Jahr 2012 legte Greenpeace nach und veröffentlichte eine Studie, die einen „detaillierten Abschaltplan“ vorsieht. Anders als im ersten Entwurf sollen nun nach und nach bis 2030 alle Braunkohlekraftwerke abgeschaltet und bis 2040 alle Steinkohlekraftwerke vom Netz gehen. Die Jahreszahlen kommen allerdings aus dem Nichts und werden nicht genauer begründet.
Das Szenario sieht ausschließlich einen Ausstieg durch Abschalten der Kohlekraftwerke über Jahrzehnte nach Effizienzkriterien und Emissionen vor. In den Berechnungen ist nirgendwo die Rede von wirtschaftlichen und politischen Interessen oder von den akuten Gesundheitsgefahren im direkten Umfeld von Kohleabbau und Kohleverstromung. Auch werden langjähriger regionaler Protest und Widerstand oder die Verletzung von Grund- und Menschenrechten nicht als Abschaltkriterium benannt. Der Ausstieg à la Greenpeace findet gewissermaßen in einer ökologischen Planwirtschaft auf Grundlage wissenschaftlicher Studien statt. Die Mehrheit der gewählten Abgeordneten und die Vorstände der großen Energiekonzerne arbeiten Hand in Hand und in Anbetracht ihrer Verantwortung für Mensch und Umwelt an dem Masterplan von Greenpeace.
Hier macht also Greenpeace als Lobbyorganisation parlamentsrelevante Vorarbeiten mit dem Ziel, relevant für Parteien und Parlamente zu werden. Von Stärkung und Unterstützung von Anti-Kohle-Initiativen ist in diesem Ausstiegs-Strategiepapier nirgendwo die Rede. Außer Greenpeace hat niemand in den vergangenen Jahren, die geprägt waren von zunehmenden Protesten, Aktionen und Kampagnen gegen Kohleverstromung und Kohlelobby diese Jahreszahlen in den eigenen Forderungskatalog geschrieben oder gar in der Öffentlichkeit dafür demonstriert. Nun tauchen sie plötzlich auf. Ohne Absprache mit dem regionalen Anti-Braunkohle-Bündnis, ohne Diskussion innerhalb der Anti-Kohle-Bewegung.
„Lobbyorganisation sucht Basis für ihre ungehörten Forderungen“
müsste über dem Aufruf stehen. Am 25.4. ging es in Wirklichkeit nur um die Rettung eines von der Realität längst überholten Ausstiegsplans vor dem Vergessen und um die Unterstützung und Stärkung von Greenpeace und BUND als NGOs (Nichtregierungsorganisationen) auf Klimakonferenzen und an Klimatischen, wo sie regelmäßig mit den Energiekonzernen, deren Lobbyorganisationen und den Landesregierungen zusammensitzen, z.B. beim Klimadiskurs-NRW. Die Schatten-Agenda von Greenpeace, BUND & Co. mitsamt den Verbindungen und Absprachen, der Instrumentalisierung von Aktionen, die Rücksichtnahmen auf die derzeitige NRW-Landesregierung und Bundesminister, sowie die Zusammenarbeit mit Energiekonzernen sollte der Fairness wegen offengelegt werden. Sollte es dazu keine Offenlegung geben, muss man über den politischen Willen und über die Qualität der politischen Arbeit dieser NGOs sprechen. Wie kann es sein, dass derartige Großorganisationen mit ihrem gesamten „Know-how“, mit ihrer ganzen professionellen Belegschaft und einem kontinuierlichen Zufluss an finanziellen Mitteln für diese Aktion nicht konkretere, kurzfristigere und zwingendere Forderungen aufs Papier bekommen?
„Wir fordern von der Politik …“ heißt es in dem Aufruf. Wenn die NRW-Landesregierung gemeint ist, dann sollte es auch dort stehen! Die Rotgrüne Landesregierung könnte doch direkt aufgefordert werden, auf politischem Wege für die Beendigung des Braunkohletagebaus zu sorgen, wo doch Klagen aller Art – auch vom BUND – vor Gerichten seit fast 20 Jahren erfolglos und die nächsten kaum erfolgversprechender sind.
Greenpeace, BUND & Co. erfüllen pflichtbewusst die Kriterien der RWE-Akzeptanzstudie
Wer wen für was instrumentalisiert oder über den Tisch zieht, sei dahingestellt. Die RWE-Studie „Akzeptanz braucht Bürgerbeteiligung“ lässt allerdings einen Verdacht aufkommen, wenn dort von der Zusammenarbeit mit NGOs die Rede ist. Zitat: „Man vermute bei NGOs, dass sie etwas Gutes tun. Damit haben sie automatisch eine bessere Position als die Industrie, der nur egoistische Motive unterstellt werden.“
An anderer Stelle wird in der Studie ein Mitarbeiter einer Nichtregierungsorganisation mit den Worten zitiert: „Es ist als NGO nicht nur unsere Aufgabe zu protestieren, sondern auch notwendigen Änderungen Legitimität zu verschaffen.“ Welche Art und welches Ausmaß von legitimierten Veränderungen sich RWE darunter vorstellt, wird an anderer Stelle der Akzeptanzstudie deutlich, wenn von „Bürgerbeteiligung und Dialog“ gesprochen wird. Dort heißt es: „In diesem Kontext hat die Region wichtige Forderungen an einen Kraftwerksneubau gestellt: Reduzierung der Kühlturmhöhe, Stilllegung und Abriss von Altanlagen, geringerer Flächenverbrauch oder Minderung von Emissionen.“ Aller Wahrscheinlichkeit nach werden bei RWE in der Abteilung ‚Greenwashing‘ diese Art von NGOs als ‚inoffizielle/kostenneutrale Planstellen‘ geführt.
Auf den ersten Blick wirkt der Aufruf kämpferisch. Auf den zweiten Blick und durch die Frage, was die Umsetzung der Forderungen im Aufruf in der Praxis bedeuten würde, wird das Ganze doch wohl eher zu einem Pro-Kohle-Event. Zur Kenntnisnahme der 2030/2040-Losung bedürfte es keiner öffentlichen Aktion. Sie sind „der Politik“ aus vielen gemeinsamen Gesprächen und diversen Papieren bekannt. Und das NGOs in Deutschland jederzeit ein paar tausend Menschen für alle möglichen Forderungen mobilisieren können, ist wohl für eine Landesregierung wenig überraschend.
Die in die Öffentlichkeit getragenen Forderungen und Appelle bewirken erst einmal gar nichts. Dennoch sind diese immer auch ein Teil der Kommunikation mit dem politischen Gegner. Es ist eine Formelsprache, die signalisiert, wie sich ein politischer Akteur einerseits öffentlich positioniert, andererseits von seinem Gegner wahrgenommen werden will. Der liest allerdings zuerst das, was dort nicht (mehr) steht, also zwischen den Zeilen. Als Nächstes liest er die Nachrichten hinter den Forderungen. Und die lauten hier:
Wir lassen euch noch ein paar Jahrzehnte „Kohle“ mit der Kohle machen. Ein netter Gegenzug wäre die baldige Abschaltung einiger Kohlekraftwerke.
Wir bieten „Greenwashing“ für NRW-Landesregierung und Bundesminister, weil diese Absichten erkennen lassen, für CO2-Reduktionen zu sorgen. Dafür sind wir bereit, für ihre vergangene und gegenwärtige großzügige Unterstützung von Kohleindustrie und Kohlelobby ein Auge zuzudrücken.
Warum denn nicht 2020 und 2025 als Endpunkte für einen Fahrplan zum Kohle-Ausstieg?
Zum Beispiel durch die sofortige Abschaltung der „zehn gesundheitsschädlichsten Kohlekraftwerke Deutschlands“, mit einer Ausnahme alles Braunkohlekraftwerke! Darin enthalten die fünf Braunkohlekraftwerke von RWE, die „ganz in der Nähe der Millionenstadt Köln und des Ballungsraumes Ruhrgebiet“ betrieben werden und „die von den Emissionen der Kraftwerke stark betroffen sind“! Ganz nebenbei würde der Braunkohletagebau ein Ende finden. Die Greenpeace-Gesundheitsstudie „Tod aus dem Schlot“ von 2013, woraus die Zitate im vorherigen und folgenden Absatz stammen, gäbe allen Grund dazu. Kohlekraft „gefährdet“ eben nicht nur unsere Gesundheit, wie es im Aufruf steht, sondern tötet laut Studie tatsächlich. „Alleine die neun größten Braunkohlekraftwerke verursachen jährlich über 1.800 Todesfälle“. Würden also beispielsweise einige Braunkohlekraftwerke sofort und alle anderen nach und nach bis 2020 stillgelegt werden, könnten Tausende von Menschenleben gerettet werden und Zehntausende blieben gesund. Es wäre zum Beispiel ohne Zweifel viel konkreter und naheliegender, die NRW-Landesregierung ultimativ aufzufordern, das Inkrafttreten des 3. Rahmenbetriebsplans, der den ungehinderten Weiterbetrieb des Tagebau Hambach bis 2030 ermöglichen würde, sofort zu stoppen, sodass eine Stilllegung zwangsläufig erfolgen wird. Hier muss nicht, wie im Abbaugebiet Garzweiler, „verkleinert“ werden. Hier kann es definitiv, ohne aufwendigen Fahrplan und gerichtliche Verfahren, bereits einen Stopp und Ausstieg 2020 geben – wenn „die Politik“ das wirklich wollte. Will sie aber nicht und dafür gibt ihr Greenpeace, BUND & Co. laut Aufruf nun den entsprechenden Freifahrtschein bis einschließlich 2030/2040.
Die „Kollateralschäden“ durch NGOs innerhalb politischer Bewegungen
Greenpeace, BUND & Co. haben sich mit ihren Forderungen und Inhalten im Aufruf zum 25.4. von vielen Anti-Kohle-Initiativen und einem großen Teil der Anti-Kohle-Bewegung verabschiedet. Wer mit der eigenen gesellschaftspolitischen Machtposition so lächerlich wenig Konkretes und zeitgemäß Relevantes von seinen Gegnern einfordert, das aber im Aufruf mit den heute schon unzumutbaren, menschenrechtsverletzenden und umweltzerstörerischen Zuständen und Entwicklungen begründet, der muss tatsächlich eine andere politische Agenda und andere Ziele vor Augen haben, als eine schon bald erfolgreiche solidarische Anti-Kohle-Bewegung haben sollte. Eigenartig wird es zum Ende des Aufrufes, wenn von der Unterstützung „des lokalen Widerstandes“ die Rede ist. Natürlich ist es schön, wenn an einem Tag Tausende von Menschen zum Protest kommen, wo es sonst nur einige Hundert sind. Doch für diesen Aufruf muss dort niemand auf die Straße gehen. Wozu auch? An „die Politik“ zu appellieren, einen absurd langen Fahrplan zum Kohle-Ausstieg zu beschließen, die genau das sowieso vorhaben? Willentlich, mit Wissen und Bewusstsein um die Gefahren für Mensch und Umwelt und für ihre Privilegien und die Profite von RWE.
Der Aufruf ist nahezu eine öffentliche Brüskierung all jener, die sich seit Mitte der siebziger Jahre im Rheinischen Braunkohlerevier für einen baldigen Ausstieg aus der Braunkohle engagieren und protestieren, aufgrund der real existierenden, bereits jetzt wirksamen Gefahren und Risiken für Leib, Leben und Lebensgrundlagen. Wenn sie nicht bereits an Lungenkrebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen gestorben sind, dann werden sie zu Lebzeiten nicht mehr sehen, dass irgendetwas stillgelegt und beendet wird.
Dass die aktive Generation bei Greenpeace, BUND & Co. nur in ihrem eigenen Zeithorizont mitsamt Masterplan denkt und nicht den Versuch erkennen lässt, an vorangegangenem und aktuellem Widerstand gegen RWE und der NRW-Landesregierung aus SPD und Grünen anzuknüpfen, zeugt nicht nur von historischer Abstinenz, sondern ist für alle anderen Bürgerinitiativen und Organisationen, mit ihren eigenen Forderungen, gefährlich de-legitimierend.
Beispiel 1:
Wenn Braunkohle bis 2030 laufen kann und Braunkohlekraftwerke aus Altersgründen abgeschaltet werden, dann braucht es eben auch ‚mal ein neues, wie das geplante BoA Plus Kraftwerk bei Niederaussem. Alle Proteste geben BoA Plus laufen damit ins Leere.
Beispiel 2:
Wenn Braunkohle bis 2030 doch weiterlaufen kann, dann kann man auch politisch nichts gegen einen 3. Rahmenbetriebsplan für den Hambacher Tagebau machen, der zufällig genau bis 2030 genehmigt werden soll. Alle Proteste gegen die Fortführung des Hambacher Tagebaus nach 2020 gehen ebenfalls ins Leere.
RWE-Land
RWE, die jeweiligen NRW-Landesregierungen und sämtliche Gerichte haben seit Jahrzehnten die vielfältigen und berechtigten Forderungen der betroffenen und protestierenden Bevölkerung weitestgehend ignoriert. Nur jene Kritik wurde berücksichtigt, die den reibungslosen Betriebsablauf bei Abbau und Verbrennung nicht gefährdete.
Es geht bereits seit Jahrzehnten im rheinischen Braunkohlerevier um viel mehr als um Klimafragen. Es geht um das, was als „RWE-Land“ bezeichnet wird, ein Macht-Cluster, das in der Republik seines Gleichen sucht und nach und nach die ganze Region okkupiert hat.
Es gibt nur wenige Einzelpersonen oder Vertreter/innen in politischen Gremien, Beschäftigte in Ämtern, bei Gerichten bzw. Mitglieder in Verbänden und Vereinen, die es wagen würden oder gewagt haben, etwas infrage zu stellen, was RWE macht oder fordert. RWE ist dort die oberste Instanz, herrscht, mithilfe von Tochterfirmen und einschlägigen Verbandsstrukturen, unangefochten über Stadt und Land, mit zum Teil unsichtbarer Hand und mit vielen kleinen und großen finanziellen Zuwendungen.
Jahrzehntealter Filz und Klüngel in Parteien und Verbänden und die kontinuierliche Vergabe von Posten und Pöstchen, mal hier mit „Aufwandsentschädigungen“, mal dort mit Steuereinnahmen oder lukrativen Geschäften verbunden, hat eine Atmosphäre des vorauseilenden Gehorsams und der Willfährigkeit entstehen lassen. Politiker/innen und Amtsleute überbieten sich ständig in Loyalitätsbekundungen zu RWE und zur Braunkohle. In den politischen Gremien werden die nötigen Beschlüsse für RWE durchgewunken, wobei etliche Mandatsträger/innen, im Hinblick auf RWE-Aktienanteile im Besitz von Städten und Kreisen, nur an die Höhe der Dividende denken dürften.
Alles was für RWE gut ist, ist auch für die Kommune, die Region oder das Land gut. So die geläufige und einstudierte Denkweise weit und breit. Wer Bedenken äußert, wird ermahnt, doch bitte an die vielen Arbeitsplätze zu denken. Die jeweiligen NRW-Landesregierungen taten ihr übriges und schalteten die Ampeln überall auf Grün, wo RWE baggern wollte. Warum wohl ist und war letztendlich kein Protest, keine politische Initiative und Eingabe von Betroffenen bei parlamentarischen Gremien und keine Klage vor Gerichten wirklich erfolgreich?
Alle politischen Entscheidungen und gerichtlichen Urteile sind „zufällig“ genau so ausgefallen, dass RWE ungehindert weitermachen konnte und kann.
Wenn RWE eines Tages scheitert, dann aus wirtschaftlichen Gründen aber nicht, weil es betroffenen Menschen gelungen wäre, auf parlamentarischem oder rechtlichem Wege gegen Braunkohlekraftwerke und -abbau relevante Erfolge erzielt zu haben. Die NRW-Landesregierung, ganz gleich in welchen Parteifarben, wird in den nächsten Jahren nichts bewirken wollen, was RWE einschränken könnte. Die in Aussicht gestellte Begrenzung des Garzweiler Abbaus im letzten Jahr ist nicht mehr als eine Absichtserklärung und hat keinerlei verbindlichen Charakter.
Keine Menschenrechtsverletzungen nirgendwo im RWE-Land
Dass den Menschen in der Region ganz real der Boden unter ihren Füßen weggebaggert wird, ohne jemals die geringste Chance gehabt zu haben, das mit politischen wie rechtlichen Mitteln zu verhindern, ist hier die eigentlich stattfindende Katastrophe. Traumatisierungen durch Vertreibung und Zwangsumsiedlungen, eine Vielzahl chronischer Erkrankungen und jahrzehntelange Ohnmachtserfahrungen sind die Folgen innerhalb der regionalen Bevölkerung.
Die Dominanz der RWE-Besatzungsmacht in dieser Region ist nach wie vor umfassend und auch heute jederzeit spürbar. Beim Abbau von sogenannten Bodenschätzen, hier Braunkohle, ging und geht es immer und überall auf der Erde um die Verletzung elementarer Menschen- und Naturrechte. Das ist durchaus der übliche Wissensstand in aufgeklärten NGOs. Dass im Aufruf „die Politik“ zu einem Stopp von Importkohle aufgefordert wird, „die im Ausland unter Verletzung von Menschenrechten abgebaut wird“, macht deutlich, wie widersprüchlich und verharmlosend gedacht wird und wie weit eine freundliche Identifikation von Greenpeace, BUND & Co. mit nationalen Industrieunternehmen und Regierungen fortgeschritten ist.
Kann denn hierzulande gegenwärtig und dann bis 2030/2040 ohne die Verletzung von Menschenrechten, wie z.B. das Recht auf körperliche Unversehrtheit oder das Recht auf Heimat (ohne Vertreibung und Zwangsumsiedlung) Kohle abgebaut werden? Gibt es hierzulande keine über hundertjährige Geschichte von Menschenrechtsverletzungen durch Kohleabbau und Kohleverstromung?
Greenpeace, BUND & Co. sind auf dem historischen und machtpolitischen Auge blind, geht es ihnen doch vornehmlich um Wichtigeres: den Klimawandel. Mit ihrer Form von partnerschaftlicher Kooperation, wie auch ihr Angebot zur Legitimation jahrzehntelangen weiteren Kohleabbaus und Kohleverbrennung, verharmlosen und legitimieren sie die vergangenen und zukünftigen Menschenrechtsverletzungen und verdecken die strukturelle und direkte Gewalt gegenüber Bevölkerung und Umwelt durch RWE, NRW-Landesregierung und ihren Hilfstruppen aus Security, Polizei und Gerichten. Diese Strategie von bedeutenden Umweltorganisationen kann für Anti-Kohle-Initiativen aller Art und der Anti-Kohle-Bewegung insgesamt zu einer Art politischem Super-GAU werden. Die Initiativen in der Region gehen deswegen auf die Straße, weil die Missstände und das Unrecht bereits nicht mehr zu ertragen sind und weil die Menschenrechte bereits gefährdet und verletzt werden. Sie können doch nicht für die Verlängerung dieser Missstände und des Unrechts auf die Straße gehen.
Systemische Gewalt zeigt sich eben nicht nur in den täglichen Repressalien gegenüber dem aktiven Protest und direkten Widerstand, sondern ebenso mittels der Tatsache, dass das Menschenrechte verletzende und Natur verachtende aber höchst profitable dreckige Geschäft Tag für Tag ungestört weiterlaufen kann.
Es geht Hand in Hand weiter
Einige Wochen nach der Menschenkette wird ein RWE-Sprecher vor die Presse treten und bekannt geben, dass RWE, nach Protesten und aufgrund des Drucks aus der Politik, erwägen würde, eventuell zwei oder drei Braunkohlekraftwerke stillzulegen. Dazu müsste es aber noch Verhandlungen mit der NRW-Landesregierung und mit der IG BCE geben. Dann könne man Genaueres sagen. Auf jeden Fall, so betonte der Pressesprecher, fühle sich auch RWE den Klimaschutzzielen verpflichtet und arbeite im Rahmen der eigenen wirtschaftlichen Ziele konstruktiv daran mit.
Nur ein paar Wochen später tritt ein Regierungssprecher der NRW-Landesregierung aus SPD und Grünen vor die Presse und verkündet, dass aufgrund der öffentlichen Proteste und Gespräche mit RWE, sich eine mögliche Option auf eine eventuell vorzeitige Stilllegung von zwei oder drei Kohlekraftwerken ergeben hätte. Die Verhandlungen würden andauern und Genaueres könne erst zu einem späteren Zeitpunkt mitgeteilt werden. Es zeige einmal mehr, so der Regierungssprecher, wie die NRW-Landesregierung unermüdlich an ihrem Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele mitwirke und Verantwortung übernehme.
Noch ein paar Wochen weiter verkündet der Regierungssprecher der Bundesregierung, dass die bundesdeutsche Delegation für die Klimakonferenz, im November in Paris, nicht mit leeren Händen dastehen würde, da sich ein großer Energieversorger bereit erklärt habe, schon bald zwei oder drei Kohlekraftwerke abzuschalten. Der Pressesprecher betonte: Man werde auch weiterhin auf eine freiwillige und konstruktive Zusammenarbeit mit den großen Energieunternehmen setzen.
Ein paar Tage später twittert der zuständige Kampagnenleiter von Greenpeace: „Wahnsinn. RWE will Braunkohlekraftwerke stilllegen. Jahre des Protests und die Menschenkette waren erfolgreich.“ Das war die Vorhersage.
Das Original vom 2.10.2014 nach der Menschenkette im August 2014 in der Lausitz: „Wahnsinn. Schwedens neue Regierung will Vattenfalls Braunkohletagebau stoppen.
Jahre des Protests und die Menschenkette waren erfolgreich.“ Wer hätte das gedacht! Eine Win-win-Situation für alle Akteure von RWE bis Greenpeace. Wie aus einem Drehbuch zur Visualisierung der Akzeptanzstudie von RWE.
Tatsächlich war es eine weitere öffentlich inszenierte Protest-Nullnummer in Zeiten neoliberaler Wirtschaftsordnung, Mehrfachkrisen und steigender Erderwärmung. Doch bestimmt ein Gewinn an Aufmerksamkeit und Image für die aufrufenden Organisationen dieser inszenierten Klimarettungs-Peepshow. Und nichts wird passieren! Wie nach der Menschenkette im Braunkohlerevier in der Lausitz im August 2014.
Greenpeace, BUND & Co. sollten sich allerdings spätestens dann von ihrer 2030/2040-Losung verabschieden. Besser aber SOFORT – und schon bald mit anderen Anti-Kohle-Initiativen und -Bündnissen das Gespräch suchen: Für eine solidarische Anti-Kohle-Bewegung mit Aktionen und Forderungen, die der Kohle-Lobby, der NRW-Landesregierung und Bundesministern den Schweiß auf die Stirn treiben.
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