die waffen nieder!

Gandhis Schatten über Hannover

... oder Braucht Gandhi ein Denkmal? Oder Hannnover eine Doppelgarage?

| J.B. Acharya

"Kein Land ist für die vierte industrielle Revolution besser aufgestellt als Deutschland", verkündete die FAZ am 15. April 2015: Auf der größten Industrie-Messe der Welt in Hannnover war die Industrie 4.0 das große Thema, und alle stellten sich auf.

Partnerland der Industriemesse Hannover war Indien („Make in India“ warb für Produktionsverlagerungen dorthin). Mit einer Aufstellung allerdings gab es ein Problem:

Vor Eröffnung der Messe am 12. April enthüllte der indische Premierminister Narendra Modi – er hatte gerade die Modernisierung von Indiens Luftwaffe durch Dassault für etwa 4 Milliarden Euro in Auftrag gegeben – eine Gandhi-Statue, die für beträchtliche Unruhe gesorgt hatte. Dies nicht etwa weil Gandhi noch immer eine Provokation darstellt (oder doch? Aber was kann heute noch provozieren?), sondern – wegen der Kosten (und diese können natürlich eine echte Provokation sein!): Nicht die Statue selbst, diese sollte ein Geschenk des indischen Staates an die Stadt Hannover sein, wohl aber der Sockel, auf dem diese errichtet werden sollte und die Folgekosten: Die Stadtverwaltung veranschlagte großzügig 30.000 Euro für den Sockel und 2.000 Euro jährliche Reinigungskosten, so daß ein „Stein des Anstoßes“ (Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 09. 04.15) geschaffen wurde.

Ein Geschenk mit „Schattenseiten“ (Hannoversche Allgemeine Zeitung, 26.03.15) also.

„Die Herren im Rat der Stadt betrachten das Geschenk als Anmaßung. Am liebsten möchte man die Annahme verweigern“, kommentierte ein Leserbrief in der HAZ (18.03.2015).

Lernschritt 1: Alles eine Standort-Frage

„Wirbel um Freundschafts-Geschenk aus Indien: Wohin mit der Gandhi-Statue?“ fragte die Regionalausgabe der „Bild“ (17.12.2014):

„Der Opernplatz im Herzen der Stadt – ein begehrter Standort: Erst wollte die SPD im Bezirksrat Mitte dort ein WC-Häuschen aufstellen, dann eine Gedenktafel für Suchtopfer – beides von der Verwaltung abgelehnt.

Jetzt kommen die Genossen mit einem neuen Vorschlag: die Errichtung einer Statue des indischen Weltveränderers Mahatma Gandhi.“

„Bild“ zitiert die GegnerInnen: „FDP-Ratsfraktionschef Wilfried Engelke: ‚Am Opernplatz steht das Jüdische Mahnmal im Fokus – das darf sich nicht ändern.‘

Grünen-Bezirksrat Martin Nebendahl: ‚Der Platz ist mit Mahnmalen und Gedenksteinen schon voll‘.

Einstimmiges Bedenken der Gegner: Gandhi habe die Einführung (! Hier sehen wir die „schwarze Legende“ schon in voller Blüte, der Verf.) des Frauen unterdrückenden Kasten-Systems in Indien befürwortet. Das Argument war das Aus für den Standort Opernplatz.“(Bild, Hannover 17.12.14).

Nachdem die Freunde der Hannoverschen Oper ihre Aufgabe gemeistert hatten, ging die Diskussion über mögliche Standorte weiter bis schließlich für Gandhi „noch ein bisschen Platz neben den Statuen von Martin Luther King, Mutter Teresa, Jesus Christus und den Teletubbies, alles charismatische Figuren und Vorbilder“ (so ein satirischer Beitrag in der HAZ, 20.12.14) gefunden war: eine Parkanlage (Maschpark) an der befahrenen Culemannstraße, von der ein Clara-Zetkin-Gang abzweigt.

Die Bedenken aber blieben, für die FDP eine Chance ihre soziale Seite herauszukehren: Ihr Ratsherr Engelke: „‚Schultoiletten stinken, aber die Stadt gibt 30.000 Euro für einen Sockel aus. Unverantwortlich!‘

Gandhi dürfe u.a. wegen seines Frauenbildes „nicht glorifiziert“ werden. Gunda Pollok-Jabbi (Linke) verwies darauf, dass Gandhi auch in Indien nicht unumstritten ist.

Rats-Chef Thomas Hermann (SPD) nannte Engelkes Kritik beschämend, Kulturdezernentin Marlis Drevermann (SPD) wies sie zurück: ‚Wir reden über ein Vorbild, das internationalen Stand (?! der Verf.) hat. Gandhi hat sich gegen Rassentrennung und für Gleichberechtigung eingesetzt‘.“ (alles aus Bild, Regionalausgabe Hannover, 13.03.15)

Lernschritt 2: Standortfragen sind Kostenfragen

Natürlich fanden sich sofort LeserInnen, die die „Verschwendung von Steuergeldern“ beklagten, es gab Angebote, die Reinigung des Denkmals billiger auszuführen, es wurde bemängelt, die Herstellung der Büste in Indien habe nicht einmal 500 Euro gekostet, und natürlich gab es sogar weiter Streit über die Frage: Wohin damit?! Schnell kam das „Amt für Migrationsangelegenheiten“ in Vorschlag, in Innenräumen aufgestellt werde auch die Reinigung des Denkmals billiger (Leserbrief 18.3.15).

„Für den Preis des Sockels bekomme man eine schöne Doppelgarage, sagt der Obermeister der Innung des Bauhandwerks in Hannover, Klaus-Gernot Richert. Bei den Preisen für den Bau eines Sockels gebe es jedoch eine große Bandbreite, meinte er. Bei einem schlichten Betonsockel mit frostsicherer Gründung gehe es bei einem Preis von rund 2500 Euro los“ (HAZ 13.03.15).

Antwort eines Leserbriefschreibers: „Für 30.000 Euro gibt es auch 1270,11 LED-Pflastersteine oder wahlweise 19354,84 laufende Meter Rasensteinkante, 2.000 Gartenzwerge, 30.000 Lüttje Lagen, oder die Stadt schenkt jedem ihrer Bürger 0,057 Euro.“ (HAZ 18.03.15)

Werden hier nicht Rasensteinkante, Gartenzwerge und Doppelgarage mit leichter Hand abgetan? Ganz zu schweigen von Lüttjen Lagen („Lagen“ haben ja direkt mit Standorten und Aufstellungen zu tun).Warum sollte am Clara-Zetkin-Gang nicht Platz für eine formschöne und moderne Doppelgarage sein?

Und es wurden weitere Einwände gegen Gandhi laut: „Nunmehr gehen die Entscheidungsträger dazu über, Büsten von Berühmtheiten aus dem Ausland (!) an exponierten Plätzen auszustellen – ohne Kenntnis oder Rücksicht darauf, dass auch deren Stern schon lange verblasst ist: Gandhi galt als selbstgefällig und ignorant, setzte sich vehement für die weltweit gewalttätigste Gesellschaftsform, das Kastensystem, ein, äußerte sich abfällig über Farbige. Und ihm soll ein teures Denkmal gewidmet werden? Wirklich: Armes Hannover!“ (LeserInnenbrief, HAZ 18.3.15).

Und dies obwohl „vor Monaten“ der Oberbürgermeister „auf einen Artikel im ‚Stern‘ vom 25. September 2014“ aufmerksam gemacht worden war, der Gandhis „zweifelhafte Rolle“ beschrieb (Leserbrief HAZ vom 01.04.15).

„Spannend“, eine Person als „selbstgefällig und arrogant“ zu beschreiben, die von sich sagte, der „Mahatma“-Titel habe sie „tief gepeinigt“, ihre Experimente mit der Wahrheit ließen „für Selbstlob keinen Raum“, demütige Selbstbeobachtung ließen ihre „Fehler, groß wie der Himalaya“ erscheinen (alles aus der 1925 geschriebenen Einleitung zur Autobiographie), während heute Selbst-Marketing als Menschenrecht betrachtet wird und diesem Selbstmarketing dienende LeserInnenbriefe und Kommentare im Netz keine räsoniernde Öffentlichkeit bilden, sondern Mobbing oder Posieren, ziemlich viel Shit-Storm.

Ein anderer LeserInnenbrief wies darauf hin, dass auch die Freiheitsstatue, die 1876 anlässlich des 100sten Jahrestages der Unabhängigkeitserklärung den USA von der Republik Frankreich geschenkt worden war, jahrelang nicht aufgestellt werden konnte, weil weder die Stadt New York noch die US-Regierung die Kosten für den Sockel übernehmen wollten: „Es mußte erst ein Auswanderer aus Deutschland kommen, der ein erfolgreicher Zeitungsverleger in New York war, und eine Spendensammlung initiieren …“ (Leserbrief, HAZ 01.04.15, nein, das war kein Wink an die in Hannover lebenden Inder!)

Hannovers berühmtester Sohn aber muß immer noch ohne öffentliches Denkmal auskommen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Haarmann

Anmerkungen

Zum Weiterlesen: www.graswurzel.net/393/roy.php (zu dem "Stern"-Artikel)