Monty Schädel (geboren 1969 in Grevesmühlen) ist seit 2007 Politischer Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Seit der "Wiedervereinigung" ist der Antimilitarist in Bereichen der Antifa-, Friedens-, Flüchtlings- und Sozialpolitik aktiv. 2014 war er Mitinitiator des sogenannten "Friedenswinters", von dem er sich mittlerweile distanziert hat. Grund genug für GWR-Redakteur Bernd Drücke, ihn zu interviewen. Das Interview wurde Mitte April 2015 schriftlich geführt. Aufgrund von Platzmangel veröffentlichen wir hier nur Auszüge. (GWR-Red.).
Graswurzelrevolution (GWR): Monty, 1995, in einer Zeit, als die sogenannte „Wehrpflicht“ in der Bundesrepublik noch nicht ausgesetzt war, hast du den Kriegsdienst mit und ohne Waffe verweigert. Wegen Fahnenflucht wurdest du dann 1998 rechtskräftig zu sieben Monaten auf drei Jahre Bewährung verurteilt. Was waren die Motive für deine Totalverweigerung?
Monty Schädel: Die Totalverweigerung war für mich die persönliche Verarbeitung meiner bis dahin erlebten Sozialisation in der DDR, der Ereignisse der Wende, des Anschlusses an die Bundesrepublik und der ersten Jahre in der Bundesrepublik.
Leider sind Zusammenhänge nicht immer kurz darzustellen, aber wichtig, um andere Entwicklungen und Positionierungen zu verstehen. Auseinander gerissen ergeben sich dann eher Widersprüche, als dass Klarheit sich breit machen würde. Vieles ist über meine Biografie in den vergangenen Jahren bereits (von anderen) geschrieben worden, wobei sich Falschaussagen wiederholten. Der Grundsatzerklärung der DFG-VK und anderer WRI-Organisationen – „Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit, ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuwirken“ – fühle ich mich aktiv verbunden.
Soldaten sind Mörder. Die Bundeswehr bereitete damals die Kriege von heute vor. Die Wehrpflicht ist ein Instrument der Militarisierung – deshalb ist es gut, dass sie ausgesetzt ist. Sie ist aber leider nicht abgeschafft. Der Zivildienst war kein Friedensdienst, selbst wenn viele Zivildienstleistende sich diesen Zwangsdienst schönredeten. Er war die zivile Form im Gesamtverteidigungssystem und ließ keine Entwicklungsmöglichkeiten zur zivilen Konfliktlösung.
Es war ein Zwangsdienst, der für die Wehrpflichtigen demokratische Rechte außer Kraft setzte und in den Einsatzbereichen verhinderte, dass reguläre Arbeitsplätze geschaffen worden sind.
Graswurzelrevolution: Es wurden diverse Ermittlungsverfahren gegen dich eingeleitet. „Darunter Verfahren wegen Eingriffs in den Schienenverkehr, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, Verstoß gegen das Ausländerrecht, weil er eine Asylbewerberin und ihr Kind vor der Abschiebung versteckt hatte, sowie Beleidigung eines Polizisten durch Duzen.“ Das hört sich sympathisch an. Erzähl mal.
Monty Schädel: Die verschiedenen Strafverfahren sammelten sich in den vergangenen 25 Jahren meiner politischen Arbeit an. Dabei füllen die Ermittlungsverfahren mehrere Aktenordner, während die wirklichen Verurteilungen an einer Hand abzuzählen sind. Dieses Verhältnis von Verfahren zu Verurteilungen oder auch nur Gerichtsabschlüssen (und nicht Einstellungen bereits vorher) macht für mich vor allem den Versuch deutlich, mich in meinem Handeln von staatlicher Seite einzuschränken und zu kriminalisieren. Das geht nicht nur mir so, sondern ist leider gängige Praxis unter den gegebenen Machtverhältnissen. Die Verfahren sagen nichts aus. Jedes Verfahren bindet zeitliche und finanzielle Ressourcen und hindert an der politischen Arbeit. Das Verfahren wegen „Schleppertätigkeit“ war dann auch so ein Beispiel des „behördlichen Nachtretens“. Die PDS hat mich 2002 nicht wieder zu den Landtagswahlen aufgestellt. In der Fraktion hieß es, dass ich „zu viel“ außerhalb und „zu wenig“ im Parlament gemacht hätte. Meine Immunität wurde aufgehoben, die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen ein.
Etwa zwei Jahre vorher hatte ich einer von mir länger schon betreuten Asylbewerberin und ihrem Kleinkind, nach der Bekanntgabe eines Abschiebetermines nach Bosnien Unterschlupf geboten. Die Abschiebung konnte nicht auf Dauer verhindert werden und ich besuchte sie später als MdL in Bosnien. Dabei durfte dann ein Bundeswehr-Truppenbesuch für mich als Antimilitarist in einem von der deutschen Botschaft auf meinen Wunsch organisiertem Programm in Sarajevo nicht fehlen.
Es war ein Spaß, mit den Soldaten zu sprechen, die alle wussten, dass ich Totalverweigerer war und nicht gut fand, dass sie dort waren. Beim Gespräch mit dem Kommandeur lag ein Steckbrief mit meinen wichtigsten Daten auf dem Tisch. Das Verfahren wegen Verstoßes gegen das Ausländer- und Asylgesetz wurde später dann ebenso eingestellt, wie viele andere.
Begonnen haben die Verfahren gegen mich mit den Blockaden von Rekrutenzügen auf den Berliner Bahnhöfen, als Sonderzüge in den frühen 90-er Jahren die Einberufenen aus Berlin gemeinsam in die Kasernen bringen wollten. Später beteiligte ich mich an Blockaden von Kasernen, Castortransporten, Militärveranstaltungen, Naziaufmärschen, …
GWR: Die Graswurzelrevolution hat sich schon ab Juni 2014 kritisch mit den extrem rechten Querfront-Tendenzen bei den sogenannten „Montagsmahnwachen“ bzw. der selbst erklärten „Neuen Friedensbewegung“ beschäftigt. Auf deiner Homepage sind zwar IMI, DKP, attac und viele andere Organisationen verlinkt. Einen Link auf graswurzel.net sucht mensch dort aber vergebens. Warum?
Monty Schädel: Oh, ein großes Versäumnis. Welche Organisationen auf meiner Homepage verlinkt sind, ist dafür, was ich aktuell lese, irrelevant. Das wird u.a. auch daran deutlich, dass ich die Graswurzelrevolution seit Jahren regelmäßig lese, wenn auch nicht jeden Artikel, sie auf der Homepage aber nicht verlinkt ist. Letzteres hat banale Ursachen. Die Seite ist 1998 eingerichtet worden, kurz nachdem ich zum Abgeordneten des Landtages M-V gewählt worden war. Damals musste ich mich als Abgeordneter mit meinem Wirken darstellen. Während es als Abgeordneter darum geht, sich über die Arbeit darzustellen, ging es bei anderen Projekten von mir eher darum, das Ziel und die Aktivität oder, wie jetzt als Politischer Geschäftsführer der DFG-VK, auch den Verband darzustellen.
Mir war das Projekt der Graswurzelrevolution damals noch nicht ganz so vertraut, wie es mir heute ist. Der Hinweis hier wird mich aber veranlassen, die Aufräumung der Homepage in Angriff zu nehmen, und dann wird natürlich auch graswurzel.net mit in der Liste stehen.
GWR: Kann es sein, dass dir die kritischen Berichte z.B. aus der GWR 390 und der GWR 396 zu den sogenannten Montagsmahnwachen entgangen sind? Oder wie erklärst du dir rückblickend, dass du als Antifaschist im Oktober 2014 den „Friedenswinter“ gemeinsam mit etablierten FriedensaktivistInnen, aber eben auch mit rassistisch inspirierten Querfrontlern wie Ken Jebsen und Verschwörungstheoretikern wie Lars Mährholz ins Leben gerufen hast?
Monty Schädel: Die sind mir nicht entgangen. Ich habe die Artikel zu den „Mahnwachen“ auch in der Graswurzelrevolution gelesen. Doch auch die GWR, so wichtig sie ist, gibt nicht allein die Richtung vor, und so sind diese Artikel ebenso in die Gesamtbewertung eingeflossen wie andere Informationen auch.
Die Frage suggeriert allerdings, dass ich „gemeinsam mit etablierten FriedensaktivistInnen“ mit den anderen genannten Personen am Tisch gesessen hätte und wir gemeinsam irgendetwas ausgemacht hätten. Das ist so nicht richtig. Ich weiß nicht, wer von den anderen aus der Friedensbewegung alles schon mit den Personen Märholz und Jebsen zu tun hatte, für mich kann ich sagen, dass ich Lars Märholz erstmalig auf der Aktionskonferenz am 14. März 2015 in Frankfurt/M. gesehen habe, Ken Jebsen bin ich bis heute nicht begegnet, lege da auch keinen Wert drauf. Mit beiden verbindet mich heute, erst recht nach den jüngsten Entwicklungen im März 2015, noch viel weniger, wie mich schon im Oktober 2014 nichts mit ihnen verbunden hat.
Ich habe mich schon damals nicht allen Einschätzungen und Klassifizierungen über die Personen und die durch sie vertretenen Mahnwachen anschließen können. Für mich gab es im Frühjahr und Frühsommer 2014 viele Fragen und vieles, was ich als „ominös“ bezeichnete. Für mich war das eine Bewegung, die sich einerseits daraus speiste, dass die Friedensbewegung kein wirkliches Breitenangebot für Menschen machte, die sich durch die Entwicklungen in der Ukraine und auf der Krim, aber auch in anderen Teilen der Welt, bedroht oder ohnmächtig fühlten. Da waren also Menschen aus vielen Bereichen der Gesellschaft, die ein offenes Angebot zum Austauschen von Positionen und zum Äußern eigener Empfindungen annahmen. In vergleichbaren politischen Fällen der Vergangenheit hat die Friedensbewegung solche Orte geschaffen, im Frühjahr 2014 hat sie sich überwiegend der Analyse und den Überlegungen „Was zu tun wäre, wenn …“ hingegeben.
In den vergangenen Monaten habe ich die Situation u.a. auch beschrieben als: „Die Friedensbewegung hat versagt“. Das hat aus unterschiedlichen Richtungen einen Aufschrei der Empörung gegeben. Einerseits von denjenigen, die auch im Frühjahr 2014 auf der Straße waren und aktive Antikriegsarbeit geleistet haben. Die, auch wenn sie sich zu Recht zur Friedensbewegung zählen, waren nicht gemeint. Selbst wenn sie auch für ihre Verhältnisse viele Menschen mobilisieren konnten, waren diejenigen eben nicht der Ausdruck des Wirkens der Friedensbewegung insgesamt. Ich wollte und will das Engagement der Aktiven vor Ort nicht kleinreden, jedoch ins Verhältnis setzen und die bundesweite Sicht darauf präsentieren. Als Politischer Geschäftsführer der DFG-VK bin ich vor allem auch dazu da, die bundesweiten Entwicklungen (für meinen Verband) mit zu gestalten, da schaue ich auf das Verhältnis von Aktionen zu aktiven Personen und Organisationen bundesweit. In diesem Verhältnis gab es im Frühjahr wenige regionale Aktionen und Demonstrationen der Friedensbewegung, die allerdings in keinem Verhältnis dazu standen, dass die Eskalation in der Ukraine täglich vorangetrieben wurde. Menschen hier in der Bundesrepublik suchten nach Punkten, wo sie ihren Protest gegen diese (auch persönlich empfundene) Bedrohung ausdrücken konnten. Ich bin davon überzeugt, dass die Friedensbewegung in der Bundesrepublik als über Jahrzehnte gewachsene gesellschaftliche Struktur in dieser Situation versagt hat. An die Friedensbewegung: Das ist meine Analyse zur Diskussion, das ist kein Vorwurf an Aktive dieser Zeit.
Die anderen, die sich darüber echauffieren, sind die Protagonist_innen der Mahnwachen. Sie behaupten, dass sie die „Neue Friedensbewegung“ seien. Deshalb hätte damals nicht die Friedensbewegung versagt, sondern nur diejenigen aus der „traditionellen“ bzw. „alten“ Friedensbewegung. Außerdem sei es ein anmaßender Alleinvertretungsanspruch für DIE Friedensbewegung, wenn ich so etwas behaupten würde. Abgesehen davon, dass es viel darüber sagt, wie denn bei diesen Protagonist_innen der Wissensstand über die Zusammenhänge, die Strukturen und die Vielfältigkeit der Friedensbewegung verbreitet ist, ist das Blödsinn. Es ist nicht wegzudiskutieren, dass die DFG-VK durch ihre fast 125-jährige Geschichte einen gewissen Stand in der Bewegung hat und somit auch deren Politischer Geschäftsführer.
Dem Verband oder der Person aber Alleinvertretung zu unterstellten, stellt die Arbeit der vergangenen Jahren auf den Kopf. Die DFG-VK ist eine Organisation der Friedensbewegung und der Politische Geschäftsführer ist ein Aktiver (mit dem Privileg der Bezahlung und den sich daraus ergebenen Möglichkeiten und Verantwortungen) unter vielen Tausend Aktiven in der Friedensbewegung. Das gleiche gilt für DIE Friedensbewegung. So wie die DFG-VK im kleineren ist die DIE Friedensbewegung ein Konstrukt aus unterschiedlichen Organisationen und Personen, die darauf angewiesen sind, bei der Betonung ihrer Besonderheit im Bündnis für ein gemeinsames Ziel zu streiten. Dabei sind Alleinvertretungsansprüche seit Jahren obsolet und nach meinen Beobachtungen erst durch die „Neue Friedensbewegung“ in die Diskussion gebracht worden. Ob nun durch die taz, wie es neuerdings transportiert wird, als Begriff erfunden oder aber durch die Mahnwachen selbst, spielt dabei keine Rolle, denn die Mahnwachen-Protagonist_innen gingen aggressiv mit der Begrifflichkeit der „Neuen Friedensbewegung“ um. Zu der „alten“ hat sich nun etwas „Neues“, gleichzusetzen mit „Fortschrittlicher“ und „Besser“. Sie haben den Anspruch der alleinigen Vertretung DER Friedensbewegung gestellt.
Die Entwicklung im Frühjahr 2014 war dann auch in vielen Regionen der Bundesrepublik besorgniserregend. Denn neben den beschriebenen Menschen mit ihren Sorgen gab es eine Vielzahl von Auftritten von Personen mit eindeutigen Äußerungen/Reden am Mikro, die den Strukturen von Rechtsradikalen, Neuen Rechten und Rassist_innen zugeordnet werden müssen. Nicht reden werde ich von den Menschen, die sich nicht Impfen lassen, in den Streifen am Himmel Verschwörungen erkennen oder für den Frieden tanzen. Diese Menschen bewegen sich mit ihren Ansichten aktuell außerhalb meiner politischen Wahrnehmung.
Leider gab es in dieser Situation aus der antifaschistischen Bewegung zu viele Pauschalisierungen, so dass selbst Menschen, die menschenverachtenden Ideologien und Ansichten unverdächtig sind, als Rechte eingestuft wurden. Alle Mahnwachen waren als rechts verschrieen. Wir begaben uns in zeitraubende Diskussionen, wie es denn bundesweit grundsätzlich einzuschätzen war und/oder in den einzelnen Regionen.
In diesen „Diskussionen“ wurden dann regionale Erlebnisse und Erkenntnisse von den jeweiligen Seiten zu bundesweit allgemeinverbindlichen Tatsachen erklärt und eine Differenzierung unmöglich gemacht. Da gab es nämlich Orte, in denen (für mich unverständlich bei den bundesweit laufenden Diskussionen) langjährige Aktive der Friedensbewegung gerade an Montagen Mahnwachen oder andere Veranstaltungen durchführten. Die begaben sich also in diesen Sumpf, dass an anderen Orten, weit weg außerhalb ihrer Region aber bundesweit in einem Topf, Rechte zur selben Zeit am selben Tag mit demselben Motto und denselben Forderungen auch Veranstaltungen machten. – Wie als Person, wie als Organisation und wie als Bewegung mit solchen Erscheinungen umgehen?
Für die DFG-VK forderte ich: „Seien wir also im Namen des Friedens aktiv. Seien wir aber auch nicht naiv und achtsam, mit wem wir gemeinsam auf der Straße stehen. Widersprechen wir deutlich nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Formulierungen und Parolen und überlassen wir denen weder die Menschen mit ihrer berechtigten Angst vor Krieg noch die Diskreditierung der Friedensbewegung.“
Für mich persönlich war trotzdem klar, und entsprechend lehnte ich mehrere Einladungen zum Reden auf Mahnwachen ab, dass ich an Montagen nicht öffentlich auf Mahnwachen gegen den Krieg reden werde. Dafür müssen dann sechs andere Tage die Woche reichen. Mahnwachen sind mindestens in großer Anzahl dubios. Die Struktur ist nicht durchschaubar. Immer wieder treten Rechte/Neurechte/Rassist_innen auf, selbst wenn es Bekenntnisse zu Antifaschismus und Antirassismus gibt. Ich wollte nicht in einer Montagssequenz der Mahnwachen bei youtube mit Personen gemeinsam erscheinen, mit denen ich nichts gemeinsam habe.
Auf der Straße verlief es sich über den Sommer 2014. Es gab weiterhin Veranstaltungen, aber die Teilnehmendenzahlen sanken. In der Friedensbewegung diskutierte man über Aktionen und Aktivitäten. Es gab erste Kontakte zu Mahnwachen. Dabei wurden Gespräche zwischen unterschiedlichen Personen beider Seiten geführt. Mir sind keinerlei koordinierte Gespräche, d.h., dass es von Bündnissen oder Organisationen Aufträge an Personen zu solchen Gesprächen gegeben hätte, bekannt. Bei vielen Mahnwachen setzte sich langsam durch, dass sie betonten antifaschistisch zu sein, sich von Rassismus, Antisemitismus distanzierten und Personen wie z.B. Jürgen Elsässer nicht mehr reden durften. Auf einem „bundesweiten Mahnwachentreffen“ wurde eine entsprechende Erklärung verabschiedet. Zunehmend traten (einzelne) Aktive der Friedensbewegung auf Mahnwachen auf.
Das alles als Vorlauf, mit der Beobachtung, dass es bei DEN Mahnwachen grundsätzliche klarere Positionierungen gab und die Friedensbewegung endlich auch „in die Puschen“ kommen müsse, wurde durch Aktive der Friedensbewegung, verschiedene Personen überwiegend aus dem Spektrum der Kooperation für den Frieden, aber auch darüber hinaus zu einer Aktionskonferenz nach Hannover eingeladen.
Natürlich fahre ich zu so einer Konferenz hin, es war dann auch von den Anwesenden her kein Stell-dich-ein mit den in der Frage aufgeführten Personen. Es waren überwiegend Personen da, die ich aus jahrelanger Arbeit in der Friedensbewegung kannte, und einige neue.
Im Ergebnis war es Ziel, die Friedensbewegung wieder in Bewegung zu bringen. Mit Aktionen in absehbarer Zeit (Aktionswoche im Dezember 2014) und der verstärkten Mobilisierung zu den Aktivitäten, die traditionell im Februar und Frühjahr stattfinden (SIKO-Protest und Ostermärsche) sowie einen Abschluss dieser Kampagne „Friedenswinter“ mit möglichst umfangreichen Aktionen zum Tag der Befreiung vom Faschismus und der Beendigung des Krieges am 8. Mai in Europa.
Alles bis zu diesem Zeitpunkt nichts, was es in den vergangenen Jahren nicht auch schon gegeben hätte und aus der Friedensbewegung auch kein besonderer Bezug zu den Mahnwachen.
In der Öffentlichkeitsarbeit verschiedener Protagonist_innen der Mahnwachen und in einigen Regionen auch deren offensive Bezugnahme auf die Konferenz, wurde ein „Schulterschluss“ zwischen Friedensbewegung und Mahnwachen kolportiert.
Die Ergebnisse der Konferenz und auch die Realität in den meisten Regionen der Bundesrepublik oder auch in den Strukturen und Organisationen der Friedensbewegung gaben das nicht her. Da war mehr der Wunsch Vater des Gedankens. Kraft der Facebook-Vernetzung der Mahnwachen und der doch etwas ruhigeren Art der Friedensbewegung stand der Wunsch allerdings vielfach als Tatsache im Raum. Aktive der Friedensbewegung standen vielfach vor der Entscheidung, sich irgendwie verhalten zu müssen. Sie machten es dann überwiegend auch in ihren Regionen aktiv und in den bundesweiten Zusammenhängen in Diskussionen. Hinzu kam, dass sich regionale Strukturen der Friedensbewegung durch die Zusammenstellung der „Höhepunkte des Friedenswinters 2014/15“ in ihrer Entscheidungsfreiheit übergangen und bevormundet fühlten.
Der Aufruf zum „Friedenswinter“ als solches ließ auch wenig Angriffsfläche für eine Querfrontdebatte. Inhaltlich wie viele andere Papiere aus Bündniszusammenhängen.
Trotzdem blieb, dass die Diskussionen über einen „Schulterschluss“ von Friedensbewegung und Mahnwachen in der Friedensbewegung und ihren Organisationen nicht abrissen. Viele sahen, dass es diese Diskussionen bundesweit gab, dass da bei den Mahnwachen immer wieder Personen auftraten, mit denen mensch nicht gemeinsam auf einer Demo sein will, und dass mensch mit dem Bekenntnis zum „Friedenswinter“ mit diesen Personen und Strukturen zusammen gesehen wird. Das wollten viele nicht. Sie konzentrierten sich manchmal darauf, ihre bisherigen Aktivitäten in ihrem bekannten Kreis fortzusetzen und auch auszubauen. Oft allerdings auch durch von außen an sie herangetragenen Diskussionen sich eingeschränkt fühlend. Andere blieben verunsichert weg aus bisherigen Strukturen. Wieder andere stritten energisch für eine klare Trennung von und klare Aussagen zu den Mahnwachen und verschiedenen Protagonisten.
Ich denke heute, der „Friedenswinter“ hat der Friedensbewegung geschadet. Und auch, wenn ich den „Friedenswinter“ nicht ins Leben gerufen habe, so hatte auch ich auf der Konferenz im Oktober 2014 und auch noch einige Monate danach natürlich die Hoffnung und Erwartung, dass wir als Antikriegs- und Friedensbewegung in Bewegung kommen.
Diese Hoffnungen und Erwartungen haben sich nicht bestätigt. Die Habenseite des Friedenswinters ist im Verhältnis zur von uns wahrgenommenen bedrohlichen Situation außenpolitisch und innenpolitisch betrachtet bescheiden. Selbst wenn man die Anzahl der Teilnehmenden der Demonstrationen um den Aktionstag 13. Dezember zusammen nimmt, ist es – und dabei will ich nicht die Anstrengungen der einzelnen Aktivitäten zur Mobilisierung gering schätzen – ein Minierfolg. Die soll mensch auch feiern, aber der Anspruch war eben ein anderer, als „nur“ 4.000 bis 6.000 Menschen auf einer Demo vor dem Präsidentensitz zu haben.
Den Schaden möchte ich so skizzieren: In der Friedensbewegung gibt es wie schon lange nicht mehr breites Misstrauen, wer mit wem was zusammen macht oder auch nicht machen kann. So sind keine Bündnisse und kein Streiten für eine lebenswerte gemeinsame Zukunft möglich. So wie in den vergangenen Monaten gegenseitige Vorwürfe und Interpretationen transportiert worden sind, ist die Friedensbewegung als gemeinsame Struktur wirkend für mich quasi unvorstellbar. Dabei gehen Misstrauen und Zerwürfnisse nach meinem Überblick durch alle Organisationen und Bündnisse, die bundesweit arbeiten, aber auch durch viele regionale Strukturen. Ein Vielfaches an Zeit und anderen Ressourcen wird aufgebracht werden müssen, um gemeinsames Handeln wieder halbwegs zu sichern.
Mit Rassist_innen und Nationalist_innen gibt es ebenso nichts Gemeinsames wie mit denen, die da meinen, eine Brückenfunktion zwischen Rechtsaußen und der Friedensbewegung einnehmen zu müssen. Rechts hat die Tür zu zu sein.
GWR: Mensch stelle sich vor, autonome Antifagruppen würden gemeinsam mit PEGIDA ein Bündnis ins Leben rufen, „um mehr Leute zu erreichen“. Absurd, aber nicht wesentlich absurder als das reale „Friedenswinter“-Bündnis von pazifistischen Organisationen mit der selbst erklärten „neuen Friedensbewegung“ um Jebsen, Mährholz und Co. Die DFG-VK hat sich nun erfreulicher Weise aus diesem unseligen Zusammenschluss gelöst, nachdem du dich kritisch zu den rechten Umtrieben von Mahnwachen-VertreterInnen geäußert hast und dafür von Ken Jebsen u.a. auf seiner KenFM-Homepage als „Feind in diesem Land“ gebrandmarkt wurdest. Wie beurteilst du die „Montagsmahnwachen“ und den „Friedenswinter“ heute? Was hat dich dazu veranlasst, deine Meinung in Bezug auf das Bündnis mit der „neuen Friedensbewegung“ der Montagsmahnwachen zu revidieren?
Monty Schädel: Für den DFG-VK-BundessprecherInnenkreis waren die Konferenz am 14.03.2015 in Frankfurt/M. und die Rede von Ken Jebsen auf der Mahnwache in Berlin am 16.03.2015 die Anlässe, die bis dahin lose Zusammenarbeit mit Menschen aus den Mahnwachen durch die „Unterstützung der Forderungen des Friedenswinters“ zu beenden.
Mit einer Internetrecherche mit dem Sichten verschiedenster Mahnwachen im Bundesgebiet und dem Verfolgen von Facebook-Diskussionen erkannte ich Anfang des Jahres, dass es verschiedene Personen gibt, die an unterschiedlichen Stellen auftauchten und unterschiedliche Veranstaltungen organisieren. Dabei wechseln sie zwischen Mahnwachen, ENDGAME und anderen Veranstaltungen mit den allgemeinen Bezeichnungen „Für den Frieden.“ Ebenso habe ich mit Aktiven aus verschieden Organisationen der Bewegungen und aus Gliederungen der DFG-VK gesprochen bzw. über die Situation vor Ort auch per E-Mail erklären lassen. So wurde mein Bild vollständiger. Es wurde auch für mich deutlich, dass, was sich als bundesweite Mahnwache darstellt, eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Protagonist_innen ist, mit einer größeren Gruppe dahinter, die wiederum neu für sich das Thema politische Arbeit in der Friedensbewegung entdeckt haben. Während es bei der ersten Gruppe darum geht, dass sie innerhalb der Friedensbewegung als Teil der selbigen anerkannt wird und dabei auch Unterstützung aus Teilen der Friedensbewegung bekommt, geht es der anderen Gruppe immer noch darum, doch etwas gegen die Kriegsgefahr zu tun. Die erste Gruppe sind die, die als Mahnwachen wahrgenommen werden (wollen) und aktiv in der Vernetzung in unterschiedlichen politischen Richtungen sind. Mit deren propagierten Rechts-Links-Gleichmacherei verwischen sie Unterschiede in der Gesellschafts- und Kapitalismuskritik und öffnen sich rechtsradikalen bzw. neurechten Personen und Strukturen. Es gibt meist keine klare Abgrenzung gegenüber Nationalist_innen und Rassist_innen. Weil die Kriegsgefahr so groß sei, müsse es „Gemeinsam mit allen für den Frieden“ gehen. Bei zu kurzer Gesellschafts- und Kapitalismuskritik ist die zu kurze Abgrenzung nur folgerichtig.
Vor der Konferenz in Frankfurt/M. hatte ich dazu drei Ereignisse mit dem gerade Gesagten im Hinterkopf:
Auf der Demonstration von PEGIDA in Stralsund am 16. Februar wurden Forderungen der Friedensbewegung im Original übernommen und propagiert. Unterschiede zu unseren Demos waren allein dadurch auszumachen, dass NPD-Funktionäre und Kameradschaftler die Teilnehmenden waren. Das sind jetzt noch nicht die Mahnwachen, auch wenn auf den Mahnwachen u.a. in Rostock zur Teilnahme an den PEGIDA-Demos aufgerufen wurde, aber das Ereignis macht deutlich, dass es umso deutlicher von uns formuliert werden muss, was uns von Nazis und anderen Rassist_innen unterscheidet.
Am 21. Februar auf der Demonstration von ENDGAME (Engagierte Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas), einer Struktur, die sich aus Aktiven verschiedener Mahnwachen entwickelt hat, um vor allem die Kriegspolitik der USA zu kritisieren, ergreift Christian Bärthel das Mikrofon und darf dort fast 15 Minuten ungestört reden.
Die Organisatoren, die auch bei verschiedenen Mahnwachen und in verschiedenen Diskussionen zu finden sind, lassen diesen verurteilten Rechtsextremisten reden, ohne dass ihm das Mikro weggenommen oder dass er vom Platz verwiesen wurde.
Während also die Betonung ständig auch darauf gelegt wird, dass man die politischen Lager nicht nach rechts und links einordnen solle, stellt man sich wortreich als antifaschistisch und aktiv dar, beschimpft Antifas, die das in Frage stellen, erkennt dann nicht bundesweit bekannte Nazis unter den Zuschauern, obwohl sie länger als eine halbe Stunde direkt gegenüber stehen, und lässt dann auch noch einen Nazi ungestört reden, ohne zu erkennen, was er von sich gibt, um es am Ende noch nicht einmal distanzierend zu kommentieren? Man kann hier Blödheit unterstellen oder auch politische Absicht. Beides qualifiziert die Mahnwachen nicht als Partner für die Friedensbewegung, in der ich mich bewege.
Obwohl es aus den bundesweiten Mahnwachenzusammenhängen mehrfach Distanzierungen vom Rechtspopulisten Jürgen Elsässer gab, wurde Elsässer zur Demonstration am 28.02.2015 in Berlin auf dem Platz der Republik vor dem Bundestagsgebäude als einer der Hauptredner eingeladen.
Die Demonstration, organisiert von Aktiven aus den Mahnwachenzusammenhängen, war zwar auch dort umstritten, erfreute sich aber trotzdem auf und vor der Bühne breiter Beteiligung aus den Mahnwachen im Bundesgebiet. Die Distanzierung dann wohl nur auf dem Papier? Oder nur für die Zusammenarbeit im „Friedenswinter“, da sie als Mahnwachen ja frei in ihrem Agieren sind? Oder mit der Absicht auf der Demo mit Elsässer als Hauptredner einen inhaltlichen Gegenpol zu setzen, also genau entgegensetzt der Praxis von ENDGAME in Halle?
Mir reichte dieser Februar 2015 als Beleg dafür, dass die Mahnwachen undurchsichtig sind und die Abgrenzung nach rechts lediglich beschriebenes Papier war. Meine Positionierung vor der Konferenz am 14.03.2015 in der taz unter der Überschrift „Ein Versuch, der gescheitert ist“ hat, in der Intensität der Reaktion auch für mich überraschend, dann sein Übriges dazu beigetragen, dass Mahnwachen sich ertappt fühlten, Ken Jebsen die taz, Jutta Ditfurth und mich der Bezahlung durch die NATO bezichtigte und als „Feind“ einordnete.
Ich bedaure, dass ich trotz der vorliegenden Informationen der Hoffnung anheim gefallen bin, dass wir „mit Menschen aus den Mahnwachen“ als Friedensbewegung in einem Projekt „Friedenswinter“ mehr erreichen könnten, als wenn wir uns auf unsere bisherigen Stärken verlassen. Ich kann nur sagen, mit wem ich in der Friedensbewegung gemeinsam zusammenarbeiten will, weil ich die Friedensbewegung in ihrer Vielfalt so kennengelernt habe und da auch keinerlei Änderungsbedarf sehe. Nationalist_innen, Antisemit_innen, Rassist_innen gehören für mich nicht zur Bewegung. Wort und Tat müssen übereinstimmen.
GWR: Welche Perspektiven siehst du für eine soziale Bewegung, die sich gegen Militarisierung, Nationalismus und alle Kriege stellt?
Monty Schädel: Wenn eine soziale Bewegung, die sich gegen Militarisierung, Nationalismus und alle Kriege stellt, keine Perspektive mehr hätte, dann sollten sich die Menschen und die Menschheit vom Leben verabschieden. Ich denke, dass so eine Bewegung immer vorhanden war und sein wird, so lange Menschen existieren. Die Frage ist nur, wie stark so eine Bewegung sein wird.
Von Bedeutung ist, dass die Bewegungen gegen Militarisierung, Krieg, Sozialabbau, Ausbeutung und Armut, gegen Nationalismus und Rassismus, also FÜR Frieden, FÜR soziale Gerechtigkeit, FÜR Solidarität – FÜR eine solidarische und gerechte Gesellschaft, in der es sich für ALLE lohnt zu leben und sich einzubringen – sich möglichst zusammen tun oder mindestens sich positiv aufeinander beziehen.
Ich hoffe, dass wir innerhalb der Bewegungen aber auch der Gesellschaft möglichst bald erkennen, dass wir miteinander und nicht so viel übereinander reden sowie für unsere Kämpfe zusammenkommen müssen. Wir müssen der neoliberalen Vereinzelung der Menschen entgegen wirken. Dabei geht es mir um ein Miteinander von Menschen, das dem gesellschaftlichen Drängen und dem persönlichen Streben nach oben in Hierarchien und in Machtstrukturen entgegen wirkt.
GWR: Ein Schlusswort? Was brennt dir noch unter den Nägeln?
Monty Schädel: Das sollten wir bei all unseren Kämpfen und all dem Elend im Nahen und Fernen um uns herum nicht vergessen: Das Leben soll auch schön sein. Wir sollten es genießen und uns darüber freuen, wenn es uns, unseren Freund_innen, unseren Kindern und Menschen in unserer direkten Umgebung so gut geht, dass sie es erkennen lassen. Wenn wir uns immer nur um die großen Entwicklungen kümmern und nur auf die großen Zusammenhänge sehen, vergessen viele viel zu schnell, dass der Einzelfall zählt, wie PRO ASYL es nennt. Nicht nur im Elend und bei den Hilfebedürftigen, sondern auch bei denjenigen, die keiner Hilfe bedürfen. Schauen wir, dass wir die Verbindung zwischen dem „ganzen Großen“ und dem Einzelfall sehen und in der Bewertung und unserer Arbeit nicht das Eine oder Andere vernachlässigen.
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