Syrizas Unterwerfung zeigt: Linke und Basisbewegungen sollten keine Hoffnung in die Eroberung des Staates setzen, sondern selbst den Umbau der gesellschaftlichen Strukturen vorantreiben.
Mit der Unterwerfung unter die maßgeblich durch die Bundesregierung diktierte Ausplünderungspolitik der Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission, hat die griechische Syriza-Regierung den Hoffnungen der parlamentarischen Linken in Europa ein abruptes Ende bereitet.
Die polizeiliche Orgie der Gewalt gegen Demonstrant_innen am Abend des 15. Juli 2015 in Athen und das darauf folgende Delirium von Regierungschef Aléxis Tsípras, der im Radiointerview mit dem linken Sender 105,5 Sto Kókkino am 29. Juli 2015, in altbekannt verschwörungstheoretischem Duktus von „ausländischen Provokateuren fremder Geheimdienste“ fabulierte, bestätigt all jene, die schon immer davor gewarnt hatten von Syriza demokratische Reformen gegen die straflos folternde, faschistisch geprägte Polizei zu erwarten.
Hatte einst der Putsch gegen Salvador Allendes Linksregierung in Chile 1973 die Diskussionen über einen friedlichen Übergang zum Sozialismus durch die faktische Macht der Panzer verstummen lassen, so beweist der gegen die griechische Bevölkerung geführte Wirtschaftskrieg heute, dass im von Deutschland dominierten Europa nicht einmal mehr der friedliche Übergang zur Sozialdemokratie möglich ist.
In Latein- und Südamerika – ihrem damals von den USA selbst deklarierten Hinterhof – waren 35 Jahre blutiger Bürgerkrieg und hunderttausende Tote, der im Namen des Kapitalismus folternden und mordenden Militärdiktaturen die Folge.
Im südeuropäischen Hinterhof der Hegemonialmacht Deutschland werden viele nun neu überlegen wie ein würdiges Leben im Kapitalismus gegen das Diktat aus dem Herzen der Bestie erreicht werden kann.
Und es bedarf keines Propheten um nach der Unterjochung der Syriza-Regierung unter die neoliberale Doktrin der Alternativlosigkeit, einen erneuten Zulauf von Teilen der griechischen Jugend zu bewaffnet kämpfenden Stadtguerillaorganisationen vorherzusagen.
Die so genannte Einigung mit der Troika stellt alle von griechischen Vorgängerregierungen gegen weite Teile der Bevölkerung durchgesetzte Spardiktate in den Schatten.
Es geht um weitere Rentenkürzungen bei gleichzeitiger Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge für Rentner_innen, um die Privatisierung der gesamten lukrativen staatlichen Infrastruktur, die vollständige „Flexibilisierung“ des Arbeitsmarktes, sprich die Zerschlagung von Arbeitnehmerrechten, das Ermöglichen von Massenentlassungen, die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel von 13% auf 23%, sowie um die automatische Kürzung des Staatsbudgets bei Nichteinhaltung der Auflagen. Staatsvermögen im Wert von 50 Milliarden Euro wird in einen durch die Gläubiger verwalteten Treuhandfonds überführt werden, die Sondersteuer auf Haus- und Grundbesitz ENFIA wird weiter erhöht, die von der Vorgängerregierung eingeführte Sonntagsarbeit ausgeweitet und jedes „haushaltsrelevante“ Gesetzesvorhaben muss erst durch die Troika genehmigt werden. Früher wurde ein solches Gebilde als Kolonie bezeichnet.
„82% der Deutschen mit Schäuble einverstanden“ (*)
Ein besonders widerwärtiges Kapitel der letzten Monate betrifft die Berichterstattung der deutschen Leitmedien. Nach monatelanger volksverhetzender und rassistischer Propaganda gegen „die Griechen“, nach Verleumdungen und offenen Lügen, nach dem in Herrenmenschenart wiederholten Mantra „die Griechen müssen liefern“, „müssen ihre Hausaufgaben machen“ oder „die Griechen sind reformunwillig“, wird sich nach Tsípras‘ Kniefall nur kurz geschüttelt und schon ab dem folgenden Morgen umgesteuert. Nun, nachdem die aufmüpfigen Linksradikalen mit Erfolg diszipliniert sind, steht die humanitäre Katastrophe auf der Tagesordnung. Arme Rentner_innen, die im Müll wühlen, viele Selbstmorde aus purer Verzweiflung, Eltern, die ihre hungernden Kinder im SOS-Kinderdorf abgeben, weil sie sie nicht mehr versorgen können, katastrophale Verhältnisse in den noch nicht geschlossenen Krankenhäusern, fehlende Medikamente, fehlendes Verbandsmaterial, fehlendes Bettzeug, fehlendes Personal und sterbende Kranke. Jetzt sind sie Thema, diese allen längst bekannten Auswirkungen von fünf Jahren kapitalistischem Spardiktat. Durchgesetzt auch und gerade von deutschen Regierungen und ihren Claqueuren aus der freiwilligen Medienpropagandaabteilung. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Ist die drohende linke Alternative zerschlagen, gibt es Almosen für die Opfer, so die perverse Logik.
Selbstorganisierung vorantreiben
Anarchist_innen, Linksradikale und Basisgewerkschafter_innen hatten vor den Wahlen vom 25. Januar 2015 immer behauptet, Syriza werde letztendlich ein neues Spardiktat unterschreiben. Trotzdem gelang es ihnen nie in den folgenden sechs Monaten offensiv ihre Differenz zur Regierung sichtbar zu machen. Statt vorhandene gesellschaftliche Spielräume zu erweitern, wurde passiv abgewartet was Syriza macht. Nun ist es wieder an ihnen die Mobilisierungen gegen die Sonntagsarbeit, gegen Massenentlassungen, gegen die angedrohte Räumung besetzter Zentren, gegen den Goldabbau auf Chalkidikí und die Zerstörung der Umwelt und den Ausverkauf des Landes auf der Straße zu intensivieren; und wie am 15. Juli bewiesen, werden die Aktivist_innen erneut mit den nun von Syriza befehligten und weiterhin straflos prügelnden Sondereinsatzkommandos der Polizei konfrontiert sein.
Für die sozialen Bewegungen in Deutschland kann nur gelten die Kämpfe in Griechenland zu unterstützen. Durch Information, Aufklärungsarbeit, Spendensammlungen oder den Besuch von Genoss_innen und Freund_innen in Griechenland selbst. Statt Hoffnung in linke Wahlsiege und die Eroberung des Staates zu setzen, sollten wir endlich beginnen die gesellschaftlichen Strukturen so umzubauen, das grundsätzliche Veränderung überhaupt wieder denkbar wird. Der Aufbau solidarischer Basisstrukturen, ihre Vernetzung und die Entwicklung gemeinsamer Visionen sind gefragt. Selbstorganisation, solidarische Alltagsstrukturen, gegenseitige Hilfe, praktische Alternativen gegen das alltägliche Elend, sind die Basis für erfolgreiche politische Mobilisierungen. Ein Thema, das in Deutschland dringend auf die Tagesordnung gesetzt werden muss, sollte die Durchsetzung von Reparationszahlungen an Griechenland zum Ziel haben. Für die hunderttausenden verhungerten und ermordeten Griech_innen und die vielen hundert zerstörten Dörfer während der Nazibesatzung des Landes von 1941-44. Darüber hinaus muss endlich die Rückzahlung des dem Land abgepressten Zwangskredits für „Besatzungskosten“ durchgesetzt werden. Das ist unsere Aufgabe.
(*) laut Meinungsumfragen, Juli 2015