Albert Camus - Journalist in der Résistance. Leitartikel und Artikel in der Untergrund- und Tageszeitung Combat von 1944 bis 1947. Zusammengestellt, herausgegeben und kommentiert von Jacqueline Lévi-Valensi. Aus dem Französischen von Lou Marin. 2 Bände. Hamburg: LAIKA Verlag 2014, 340 und 261 S., jeweils 24.90 Euro, ISBN 978-3-944233-26-6 bzw. 978-3-944233-25-3
Es gibt nur wenige Schriftsteller von Weltrang, die sich auch ähnlich erfolgreich als politisch engagierte Journalisten in die Politik einmischten und sie durch ihre Meinungsartikel aktiv mit gestalteten und belebten. George Orwell war einer der bekanntesten unter diesen, während er als Chronist im Spanischen Bürgerkrieg die internationalen Brigaden unterstützte. Weniger spektakulär, aber mindestens ebenso entschieden, engagierte sich im französischen Widerstand gegen die Nazi-Besatzungsmacht und deren Kollaborateure Albert Camus. Er war ein politisch handelnder Mensch, dessen MitkämpferInnen oft mit Haft oder gar Hinrichtung für ihre Überzeugung einstanden. Während er die ersten Romane, Essays und Theaterstücke (die er selbst auf der Bühne inszenierte) schuf, riskierte er Kopf und Kragen im Untergrund. Für sein literarisches Werk sollte er 1956 den Nobelpreis für Literatur erhalten.
Diejenigen, die ihn später mit Häme und Verachtung straften, weil er sich schon Anfang der 1950er Jahre vom Terror des Stalinismus distanzierte und den Gulag ebenso geißelte wie den menschenverachtenden Kapitalismus und Imperialismus, galten lange Zeit für Viele (und noch immer für Einige) als radikaler. Die Rede ist von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir (deren „Mandarins von Paris“ kaum verhohlen Camus beleidigend zu demontieren versuchte). Doch ihre „fortschrittlichere“ Gesinnung kultivierten sie meist inmitten sie bewundernder intellektueller Zirkel in der sicheren Umgebung Pariser Bistros und Salons. Camus hingegen war mit Hingabe und bis an die Grenze des physisch (und vermutlich auch psychisch) Möglichen in jeder Hinsicht an der Produktion der Untergrundzeitung Combat, die in den darauf folgenden Jahren als einflussreiche Tageszeitung öffentlich erschien, beteiligt. Er trug wesentlich zur inhaltlichen Ausrichtung als Chefredakteur und Leitartikler von deren erster legaler Ausgabe am 21. August 1944 bis zum 3. Juni 1947 bei.
Als der Combat aufgrund wirtschaftlicher Probleme in andere Besitzverhältnisse überführt wurde, mochten er und einige der engsten Mitarbeiter die Konsequenzen für Inhalte und Arbeitsbedingungen nicht mittragen und verließen das Projekt.
Camus hielt sich fast täglich oft stundenlang in der Druckerei auf und engagierte sich nach der intellektuellen Leistung in der äußerlichen Gestaltung des Produkts. Bleisatz und Umbruch waren ihm vertraut, und gemeinsam mit den ebenso politischen Setzern hatte er immer auch die Arbeitsbedingungen im Blick. Er war nicht nur Kopfarbeiter, sondern legte stets auch Hand an. Die Zeitung war sein Metier. Noch als Schriftsteller von Weltruhm bezeichnete er sich als „Berufsjournalist“, wovon nach 1948 seine Artikel in anarchistischen Zeitungen und in der Zeitschrift „L’Express“ zwischen Mai 1955 und Februar 1956 zeugten.
In zwei kompetenten, höchst informativen, einführenden und einfühlsamen Artikeln mit zeitgeschichtlichem Wert präsentiert die Herausgeberin im ersten Band eine spannende Geschichte des Combat von der Untergrundzeitung bis zum meinungsbildenden Alltag im befreiten Frankreich (S. 13-51), gefolgt von einer Würdigung der Rolle Camus (S. 53-82). Die darauf folgenden Texte mit den nur selten persönlich gekennzeichneten aber mit großer Wahrscheinlichkeit (und entsprechend begründet) Camus zugeordneten Beiträgen zur Untergrundzeitung (Mai bis Juli 1944) und nach der Befreiung als Tageszeitung bis Ende 1944 folgen im ersten Band.
Im zweiten Band finden sich seine Artikel bis Mitte November 1945, die ebenfalls erstmals im Combat in der zweiten Novemberhälfte 1946 (und bereits mehrmals in deutscher Sprache) erschienene Essaysammlung „Weder Opfer noch Henker“ (erneut ergänzt um eine erklärende knappe Einführung der Herausgeberin), sowie seine Beiträge zwischen März und Juni 1947.
In einem als Epilog ausgewiesenen Schlussteil finden sich die wenigen späteren Interventionen gegen Ende 1948, die nochmals den Internationalismus des Weltbürgers Camus dokumentieren. Hilfreiche Überblicke zur thematischen Anordnung der Beiträge und Namensregister ergänzen beide Bände.
Mit dem legalen Erscheinen des Combat und anderer Printmedien verschoben sich die Fronten. So wurde die innerfranzösische Debatte über den gesellschaftlichen Auf- und Umbau öffentlich virulent und teilweise kontrovers geführt. „Es gibt keine doppelbödige Politik“, stellte Camus als Chefredakteur am 22. August 1944, dem ersten Tag des regulären Erscheinens als morgendliche Zeitung, klar: „es gibt nur eine – und das ist diejenige, die Verantwortung übernimmt, es ist die Politik der Würde“ (Bd. 1, S. 108). Kritischer Journalismus, erläuterte er am 8. September 1944 „läuft auf den Anspruch hinaus, dass die Grundsatzartikel den Dingen wirklich auf den Grund gehen und dass die falschen und zweifelhaften Nachrichten nicht wie Tatsachen präsentiert werden“ (Bd. 1, S. 135). Für ihn konnte, wie er am 1. Oktober 1944 schrieb, „die politische Revolution nicht auf eine moralische Revolution verzichten …, die mit ihr einhergeht und ihre tatsächliche Dimension eröffnet“ (Bd. 1, S. 167). Journalismus und Moral schlossen sich für Camus nicht aus. Für ihn war Journalismus moralisch. Wie er in einem Artikel zu diesem Thema am 22. November 1944 äußerte: „Die Gerechtigkeit ist zugleich ein Gedanke und ein Gefühl der Seele.“ (Bd. 1, S. 260)
Camus scheute keine öffentliche Debatte mit Andersdenkenden wie auch Gleichgesinnten, mit deren Positionen in anderen Medien er sich ebenso vehement auseinander setzte wie diese sich umgekehrt mit ihm und seiner Weltsicht. In einer Einlassung auf einen Artikel in Le Figaro des von ihm geschätzten Humanisten und Pazifisten Jean Guéhenno über das Verhältnis von Ziel und Mitteln stellte er am 4. November 1944 klar: „es geht tatsächlich um das Wohl des Menschen. Nicht dadurch, dass man sich außerhalb der Welt stellt, sondern durch die Geschichte selbst hindurch.
Es geht darum, der Menschenwürde durch Mittel zu dienen, die auch inmitten einer würdelosen Geschichte würdevoll bleiben. … Es gibt nur noch eines zu versuchen, und das ist der schlichte und simple Weg einer illusionslosen Redlichkeit, einer weisen Loyalität und einer Hartnäckigkeit, nunmehr ausschließlich noch die Menschenwürde zu stärken.“ Und er endete mit der Überzeugung, „dass die Lauterkeit – was immer man auch von ihr hält – niemals eine Wüste sein wird.“ (Bd. 1, S. 234f.)
Mit Francois Mauriac führte Camus mehrfach respektvolle, aber auch erbitterte Auseinandersetzungen über die französische Innenpolitik. In einem auf Mauriac reagierenden Leitartikel am 5. Januar 1945 beklagte er, dass im Zuge der Säuberungen von Kollaborateuren mit dem Nazi-Regime die Gerechtigkeit auf der Strecke bleibe: „Was wir uns wünschten, war schwierig umzusetzen, weil dabei die harte Notwendigkeit, mit der das Land ohne Willensschwäche denjenigen Teil zerstören musste, der es verriet, und unser Bemühen, den nötigen Respekt den Menschen gegenüber nicht zu versagen, versöhnt werden mussten. … Das Problem, das wir lösen müssen, ist ein Problem des Gewissens … Aber Klarheit, Härte und menschliche Geradheit lassen sich nicht erlernen.“ (Bd. 2, S. 18ff.)
An die „Macht der Gefühle“ appellierte Camus, als er am 30. November 1946 die Notwendigkeit für einen Dialog begründete, um „nicht den Eindruck zu hinterlassen, dass die Zukunft der Welt unserer Empörungs- und Liebesfähigkeit entbehren kann. … Was wird geschehen, wenn – trotz zweier oder dreier Kriege, trotz der Opferung mehrerer Generationen und einiger Werte – unsere Enkel, angenommen sie existieren dann noch, der universalen Gesellschaft nicht näherkommen? … Über fünf Kontinente hinweg wird in den kommenden Jahren ein endloser Kampf zwischen der Gewalt und dem Wort stattfinden. Und es stimmt, dass die Gewalt tausendmal bessere Aussichten hat als das Wort.
Aber ich war immer der Ansicht, wenn ein Mensch, der auf menschliche Verhältnisse hofft, ein Verrückter sei, so sei jener, der an den Ergebnissen verzweifelt, ein Feigling. Und von nun an wird es nur noch den Stolz geben, unbeirrbar jene großartige Wette mitzumachen, die schließlich darüber entscheiden wird, ob Worte stärker sind als Kugeln.“ (Bd. 2, S. 183ff.)
Ähnlich prägnant fasst Camus seine Überzeugung in einer neuerlichen Auseinandersetzung mit einem Kritiker in einem seiner letzten im Combat erschienenen Artikel vom 25. November 1948 zusammen: „Mich ekelt vor der Welt, in der ich lebe, aber ich fühle mich solidarisch mit den Menschen, die leiden. Es gibt ehrgeizige Ziele, die nicht die meinen sind, und mir wäre nicht behaglich zumute, wenn ich meinen Weg machen müsste mit Hilfe der armseligen Vorrechte, die allen mit dieser Welt Paktierenden vorbehalten sind. Mir scheint jedoch, die Schriftsteller sollten sich ein anderes Ziel stecken: nämlich Zeugnis abzulegen und wann immer es möglich ist und jeder nach seiner Begabung, denen die Stimme zu leihen, die geknechtet sind wie wir.“ (Bd. 2, S. 227)
Jacqueline Lévi-Valensi (1934-2004) hat uns mit den im Original 2002 erschienenen Bänden eine wunderbare zeitgeschichtliche Dokumentation der radikalen humanistischen Gesinnung eines großen Schriftstellers und Journalisten hinterlassen. Dank Lou Marin, der ihm mit seiner 1998 im Verlag Graswurzelrevolution erschienenen Studie „Ursprung der Revolte. Albert Camus und der Anarchismus“ bereits bei einem deutschen Publikum die verdiente Würdigung als libertär Gesinnter zuteilwerden ließ, sind uns diese Texte, ihre Einführungen und die hilfreichen Zusatzerläuterungen (teilweise in der deutschen Fassung um weitere Hinweise durch den Übersetzer ergänzt) nunmehr auch in deutscher Sprache zugänglich. Camus prinzipienfestes damaliges Engagement, geleitet von einer werteorientierten Integrität die ihresgleichen sucht, hat die Zeit überdauert und bleibt aktuell. Wir dürfen uns freuen, davon auch heute noch inspiriert und motiviert zu werden. Dem LAIKA Verlag ist zu wünschen, dass die Resonanz das verlegerische Risiko eines solch ambitionierten Projektes belohnt. Weite Beachtung haben die Inhalte allemal verdient.
Deren Aktualität bleibt in vielen Fällen bestehen, auch wenn viele der Texte dem unmittelbaren Geschehen im besetzten und befreiten (Nachkriegs-)Frankreich und der Auseinandersetzung um dortige gesellschaftspolitische Fragen geschuldet sind.
Die zwei Jahre nach Erscheinen der französischen Originalausgabe verstorbene Herausgeberin brachte dies in einem Vorwort auf den Punkt: „Mehr als fünfzig Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung und auch angesichts der Tatsache, dass sie eng mit den historischen Ereignissen ihrer Zeit verknüpft sind – deren Hoffnungen und Desillusionierungen sie auf perfekte Weise reflektieren – , haben diese Artikel nichts von ihrem Wert und ihrer Ausdruckskraft verloren. Sie sprechen noch heute zu uns und haben uns zu den Themen Freiheit, Gerechtigkeit, Wahrheit und Demokratie viel zu sagen. Manchmal schienen sie gar für uns und unsere Zeit geschrieben und rufen uns zu Weitsicht und Wachsamkeit auf.“ (Bd. 1, S. 11)
Ein abschließendes Beispiel dokumentiert die Zeitlosigkeit vieler der von Camus vertretenen Standpunkte. Während im August 2015 dem 70. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki gedacht wurde, hatte er schon in seiner ersten Reaktion auf Hiroshima am 8. August 1945 eigentlich alles gesagt: „Die Welt ist, wie sie ist – und das heißt unterstes Niveau. … Die technische Zivilisation ist auf der letzten Stufe ihrer Barbarei angekommen. … Aber wir weigern uns, aus einer solch schwerwiegenden Nachricht irgendeine andere Schlussfolgerung zu ziehen als die noch energischere Befürwortung einer wahren internationalen Gemeinschaft, in welcher die Großmächte gegenüber den kleinen und mittleren Nationen keinerlei rechtliche Privilegien eingeräumt werden und in welcher der Krieg – jene ausschließlich durch die menschliche Intelligenz wirksam gewordene Geißel – nicht mehr vom Appetit oder den Ideologien dieses oder jenes Staates abhängt. … Angesichts der schrecklichen Perspektiven, die sich der Menschheit öffnen, wird uns noch deutlicher bewusst, dass der Einsatz für den Frieden nunmehr der einzige Kampf ist, der es wert ist geführt zu werden. Es ist nun kein Gebet für den Frieden mehr, sondern eine Notwendigkeit, welche die Bevölkerung gegen ihre Regierungen aufbringen muss: eine Notwendigkeit, sich definitiv zwischen der Hölle und der Vernunft zu entscheiden.“ (Bd. 2, S. 128f.)
Angesichts solch prinzipieller Plädoyers überrascht es nicht, dass die Herausgeberin (ebenso wie der Übersetzer, aber auch der Rezensent) ihre Bewunderung für und Identifikation mit Camus nicht verhehlt. Seine Positionierung „in der und gegen die Geschichte“, an die sie in ihrer einleitenden Würdigung seines Engagements mit einem Zitat aus dessen „Mensch in der Revolte“ erinnert (Bd. 1, S. 75), bleibt ein die Zeiten überdauerndes Vorbild. Für ihn war Politik auch mit moralischen Maßstäben zu messen.
Gerechtigkeit, Integrität und humanistische Prinzipien durften für ihn nicht durch Sachzwänge, Kompromisse oder Opportunismus relativiert werden. Zu keiner Zeit, in keiner Situation.
„Der Chefredakteur, Leitartikler, Journalist, Schriftsteller, öffentlich Engagierte – sie sprachen alle dieselbe Sprache, standen im Dienst derselben Überzeugungen und entwickelten dasselbe Verantwortungsgefühl.“ (ebd.) – Wir dürfen uns davon auch heute noch ermutigen lassen, um das zu tun, was schon Camus für nötig hielt: dafür zu leben, dass der Vernunft (im Sinne von Menschlichkeit) der Vorrang vor der Hölle gegeben wird – um letztlich die Wette zu gewinnen, dass Worte stärker sind als Kugeln.
Der Autor
Henning Melber (*1950 in Stuttgart) ist Direktor emeritus der Dag Hammarskjöld Stiftung in Uppsala, Professor an der University of Pretoria und der University of the Free State in Bloemfontein und Senior Research Fellow am Institute of Commonwealth Studies der University of London. 1967 wanderte er mit seinen Eltern nach Südwestafrika aus. Nach einer Fachausbildung als Journalist in München 1971/72 geriet er an der deutschsprachigen Tageszeitung in Windhoek mit dem Apartheid-Regime und der Zensur in Konflikt. Während des Politik- und Soziologiestudium an der Freien Universität Berlin trat er 1974 in die Befreiungsbewegung SWAPO of Namibia ein.