nachruf

Ein Langmütiger ist gegangen

Persönliche Gedanken zum Tod von Wolfgang Zucht (geboren am 30.1.1929 - gestorben am 17.9.2015)

| Elmar Klink, Bremen, 25.9.2015

Als sie kam, war es eine jener Nachrichten, die man als Freund nicht wahrhaben mochte, mit der aber seit einiger Zeit gerechnet werden musste. Wieder einmal hat der Krebs in einem menschlichen Organismus - obwohl mit der Energie guter Ernährung und gewaltfreier Lebenseinstellung erstaunlich lange aufgehalten - gesiegt. Nun ist Wolfgang am Ende des Wegs, der auch Ziel war, angelangt.

Eine große aktive Seele, die vom erschöpften Körper nicht mehr getragen und genährt werden konnte, hat nach langem Leben ihr Wirken unter uns eingestellt. Diese Seele aber ist nicht gestorben. Darum verzagen wir nicht, die wir zurück bleiben und zurück blicken.

Es bleibt die leibhafte Erinnerung an den Menschen Wolfgang. An einen Kämpfenden und Arbeitenden für Gewaltfreiheit und Frieden, in den letzten beiden Lebensjahrzehnten vielleicht eher im Stillen und Hintergrund, aber immer präsent, aufmerksam, teilnehmend, herzlich, engagiert. Die lauten Töne, das aus Erregung schnell dahin Gesagte, waren nicht seine Sache. Manchmal sind es bestimmte prägende Charakterbilder, die einen an einen anderen Menschen erinnern. Wolfgang hatte einen bisweilen trockenen, hintergründigen Humor und konnte wunderbar verschmitzt und liebenswert lachen. Und er besaß einen großen, reflektierten Langmut, was für alle geistigen Menschen kennzeichnend ist.

Am liebsten beschäftigt mit Büchern, ihrer Herausgabe, der Präsentation per phänomenalem Büchertisch und auf konventionellen wie alternativen Buchmessen, der Historie gewaltfreier Literatur und Suche nach neuen Projekten – zum Beispiel der „Dokumente zum Widerstand gegen die Wehrpflicht“ (in zwei Auflagen) oder Wolfgang Hertles Larzac-Buch, die wichtige politische Beiträge, ja Pioniertaten waren. Und natürlich war da noch vieles mehr, darunter auch zahlreiche eigene Verlagsbücher (unter ISBN 3-88713 – …).

Hier eine kleine bunte Auswahlliste: „Leben und Lernen in Landkommunen“ (1979), Bill Moyers „Aktionsplan für Soziale Bewegungen“, „Politik und Selbstverwirklichung in der Alternativbewegung, Bd. 1“ (1981), „My Life is my message. Das Leben und Wirken Mahatma Gandhis“ (1988), George Woodcocks Gandhi-Biographie oder „Das freundliche Klassenzimmer. Gewaltfreie Konfliktlösungen im Schulalltag“ (1996).

Einen besonderen Raum nahmen die Veröffentlichungen der französischen gewaltfreien Arche-Gemeinschaft um den Gandhi-Inspirierten Lanza del Vasto ein.

Extra erwähnt sei auch in Wiederherausgabe das Büchlein Leonard Nelson: „Die sokratische Methode“ (1992, 1995). Wolfgang war selbst wahrhaft ein sokratisch Denkender, Ergründender und Sprechender. Ein Philosoph also. Bis 2009 erschienen im 1976 gegründeten WeZu-Verlag an die 35 eigene Publikationen, 2014 dann erfolgte die Auflösung.

Eng beteiligt war Wolfgang auch an der Zeitschrift Graswurzelrevolution (GWR), verpflichtet dem pazifistischen, antimilitaristischen, gewaltlosen Anarchismus. Verpflichtet auch dem Geist Tolstois und Gandhis und dessen Ahimsa-Lehre. Anhänger vegetarischer Ernährungsweise. Wolfgang ist in der Uckermark in bäuerlicher Umgebung aufgewachsen. Als Kind und Jugendlicher hatte er sein überwiegendes Aufwachsen in der Zeit des Nationalsozialismus erleben müssen. Und wurde dennoch davon weder nachhaltig begeistert noch fanatisiert noch in dessen Sinn bleibend geprägt.

Man kann und darf in einer Erinnerung an Wolfgang aber nicht nur von ihm sprechen. Es ist auch eine Würdigung seiner hinterbliebenen Partnerin, Lebensgefährtin, Mitstreiterin, Helga Weber (*1935). Die beiden hatten – positiv gesprochen – so etwas wie eine einander ergänzende Symbiose-Beziehung, politisch gleichklingend wie auch eigenständig nuanciert. Das macht den Verlust des anderen doppelt schwer.

Der vertraute dialogische Widerpart fehlt plötzlich. Sie traten nicht als „Einheit“ auf, waren je individuell beteiligt und ansprechbar, was ihre „Dualität“ für viele so wertvoll machte.

Ihre „Kongenialität“ realisierte sich auch in so praktischen Dingen wie Gartenarbeit, Obst- und Gemüseanbau, Blumenpflege, Kompostanlage, Imkerei. So eine Art von naturverbundenem „Stoffwechsel“ bringt außer Achtung für Natur und Kreatur auch Ausgleich, Ruhe und Geduld ins revolutionäre Gemüt. Im Einklang mit einer eigenen, wenn auch bescheidenen vorstädtischen Scholle. Es war übers Jahr zu sehen und erleben, wie aus der Saat etwas wächst und reift.

Man mochte sich die beiden gar nicht anders als so denken und vorstellen. Und für viele Besuchende war dieser graswurzelnde Weber-Zucht-Garten neben dem ebenerdigen Verlagsbüro gelegen ein Refugium, Erholung. So manches Zeitungstreffen fand dort bei schönem Wetter im Freien statt. Im großen Haus am Steinbruchweg konnten bis zu zehn Personen bequem übernachten. Wolfgangs und Helgas netzwerkende Gastfreundschaft war sprichwörtlich.

Wolfgang und Helga haben beide über viele Jahre mit Abstand den besten, klügsten Büchertisch zu gewaltfrei-anarchistischer-alternativer Literatur gemacht. Das mehr als praktisch eingelöste Anliegen war „Bücher der Befreiung als Handwerkszeug gegen Unrecht und Gewalt“ zur Verfügung zu stellen. Immer mit kleinen, liebevollen wie auffallenden Akzenten und Accessoires ausgestattet, vermutlich überwiegend Helgas Handschrift, die ihre andere eigene Art des Humors in diese Lebenssymbiose einbrachte. Wenn man was aus älterer Zeit gesucht hat, in Wolfgangs umsichtiger, zuletzt 32 Seiten umfassender, eng bedruckter Vertriebsliste war es meist zu finden (noch immer im Internet wenigstens abrufbar), über Weber-Zuchts Zündbuchversand (ehemals Weber, Zucht & Co.) noch aufzutreiben, oder sogar sorgsam aufbewahrt noch am Lager. Ein praktisches Kleinod. Unverzichtbar, von manchen vielleicht erst richtig registriert, seit es nicht mehr existiert.

In einer politischen Aufbruchszeit der gewaltfreien Bewegung, als dies sehr wichtig und notwendig war, haben Wolfgang und Helga den Informationsdienst für gewaltfreie OrganisatorInnen übernommen, herausgegeben und vertrieben. Viele, auch ich, haben daraus über Jahre wertvolle Nachrichten und Anregungen bezogen, sich gewaltfrei weiter gebildet, am Netzwerk teilgehabt. Nicht extra zu erwähnen braucht es Wolfgangs und beider zuverlässiges Wirken in verschiedenen Lebensader-Funktionen (u. a. der Finanzen) der Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen. Wolfgang und Helga haben nicht nur über gewaltfreies Organisieren berichtet, sie waren über viele Jahre selbst diese Organisatoren, stützendes Rückgrat. Den Neustart 1988 zu einem anderen Gesicht und Konzept der Zeitschrift Graswurzelrevolution, die „Thesen zu Staatlichkeit und Anarchie heute“, haben beide begrüßt, aktiv mitgetragen und begleitet.

Ohne Wolfgangs und Helgas koordinierende Herausgeberschaft, Zu- und Mitarbeit, wären die von Redaktionen und AutorInnen erarbeiteten Jahrbücher für gewaltfreie und libertäre Aktion, Politik und Kultur wie auch die langjährig erschienenen Graswurzelkalender nicht denkbar gewesen.

Und natürlich gibt es auch die Zeit davor, als ich Wolfgang und Helga in den 80er Jahren bei Treffen der GA-Föderation und dann im GWR-HerausgeberInnenkreis näher kennen lernte, als Wolfgang und Helga einige Jahre lang für die WRI-Koordination in London tätig waren und auch dort lebten. Viele internationale FreundInnen und Kontakte haben sie dadurch gewonnen und geknüpft. Darüber mögen andere besser schreiben und erzählen können. Und nicht vergessen seien unsere gemeinsamen Tage beim Auftakt-Festival im Sommer 1993 in Magdeburg.

In Lateinamerika gibt es einen schönen Brauch, von einem verstorbenen Menschen stets in Respekt und Gedenken so zu reden, als sei er noch unter uns, und so möchte ich diese kurze erinnernde Betrachtung schließen mit den Worten „Wolfgang, presente!“