Am Ende eines arbeitsreichen Sommers konnte der Heidelberger AK Spitzelklage einen Riesenerfolg verbuchen: das Verwaltungsgericht Karlsruhe stufte am 26. August 2015 den Einsatz des Verdeckten Ermittlers Simon Bromma als rechtswidrig ein. Dieses Urteil sorgte für ein großes Medienecho. Es ist ein wichtiges Signal, das den Repressionsbehörden ähnliche Überwachungsaktionen erschwert.
Ein Blick zurück
Im Jahr 2010 hatte sich der Polizeispitzel als linker Student „Simon Brenner“ ausgegeben und sich im Auftrag des baden-württembergischen Landeskriminalamts Einblick in eine Vielzahl linker Gruppen verschafft [die GWR berichtete]. Nach einem kurzen Intermezzo beim SDS schloss er sich bald der Kritischen Initiative an, die ein breites Spektrum von bildungspolitischen Themen über Antirassismus bis hin zu Anti-AKW-Aktionen abdeckte. Daneben beteiligte der Spitzel sich an vielen kurzzeitigen Kampagnen und war regelmäßig auf Demonstrationen zu finden. Besonders hervorzuheben sind sein „Auslandseinsatz“ beim NoBorder-Camp in Brüssel sowie die aktive Rolle bei den Protesten gegen die Castor-Transporte im Herbst 2010 in Berg, bei denen er neben den Aktionen vor Ort auch an der Vor- und Nachbereitung mitwirkte.
Jenseits der verschiedenen politischen Aktivitäten, die „Simon Brenner“ überwachte, knüpfte er zahllose private Kontakte und pflegte intensive „Freundschaften“ mit linken Aktivist*innen. Indem der LKA-Beamte nicht nur an Partys teilnahm, sondern viele Betroffene aus der linken Szene daheim aufsuchte, bei ihnen übernachtete oder sogar ihre Eltern besuchte, konnte er in langen Gesprächen persönliche Details ermitteln, die er ebenfalls an das Landeskriminalamt weiterleitete.
Im Dezember 2010 wurde Simon Bromma auf einer Szeneparty von einer Frau erkannt, der er im Urlaub als Polizist vorgestellt worden war und die zufällig Bekannte in Heidelberg besuchte. Am nächsten Tag, dem 12. Dezember 2015, informierte sie die Bespitzelten, so dass der Verdeckte Ermittler wenige Stunden darauf nach fast einjährigem Überwachungseinsatz enttarnt werden konnte.
Im Konfrontationsgespräch gab er gegenüber den Betroffenen an, alle zwei Wochen Einsatzberichte verfasst und über alle Menschen, die er kennenlernte, „Personenakten“ angelegt zu haben. Sein offizielles Hauptziel sei die antifaschistische Szene gewesen, insbesondere die Antifaschistische Initiative Heidelberg. Dabei sei es nie um die Aufklärung von Straftaten gegangen, sondern ausschließlich um Informationssammlung über linke Strukturen und Aktivist*innen – also eigentlich eine geheimdienstliche Schnüffeltätigkeit zur „Aufhellung“ einer missliebigen politischen Szene.
Die Enttarnung, die nur durch einen glücklichen Zufall gelungen war, sorgte bundesweit für Furore. Selbst bürgerliche Medien berichteten ausführlich über den Heidelberger Spitzelskandal, und in Baden-Württemberg brachte die Opposition von SPD und Grünen im Rahmen ihres Wahlkampfs den zuständigen CDU-Innenminister mit Kleinen Anfragen in Erklärungsnot. Die Landesregierung sperrte sich allen Aufklärungsversuchen und machte nur minimale Angaben.
Nachdem im Frühjahr 2011 ein Regierungswechsel im Land stattgefunden hatte, erlahmte das Interesse der neuen grün-roten Koalition schlagartig. Nun mauerte der SPD-Innenminister Reinhold Gall, verweigerte die Information aller Betroffenen und verhinderte die weitere Offenlegung der Abläufe. Auch die Presse hatte sich neuen Themen zugewandt, so dass der Plan der Behörden, den Fall unter den Teppich zu kehren, aufzugehen schien.
In dieser Situation liefen in der Heidelberger Szene Diskussionen, welche Möglichkeiten blieben, um die Überwachungsmaßnahme nicht einfach totschweigen zu lassen. Schon nach der Enttarnung war es allen Gruppen wichtig gewesen, sich offensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen und über szeneinterne Differenzen hinweg einen gemeinsamen solidarischen Umgang zu entwickeln. Bei früheren Spitzeleinsätzen waren Betroffene juristisch gegen die Maßnahme vorgegangen, um die Unrechtmäßigkeit feststellen zu lassen. Auch wenn es aus radikal linker Perspektive durchaus fragwürdig ist, staatliche Organe anzurufen und ihnen somit scheinbar Legitimität zuzugestehen, überwogen letztlich doch die damit verbundenen Vorteile: Durch Akteneinsicht würden weitere Details bekannt werden, und die juristischen Schritte könnten die Grundlage für weitere Öffentlichkeitsarbeit bieten. Deshalb reichten im August 2011 sieben Aktivist*innen Klage gegen den LKA-Einsatz ein und betonten dabei die verschiedenen Grundrechte, die in ihren jeweiligen Fällen verletzt worden waren.
Dabei war von Anfang an klar, dass die im AK Spitzelklage zusammengeschlossenen Kläger*innen und Unterstützer*innen langen Atem beweisen würden müssen: vergleichbare Gerichtsverfahren hatten sich in manchen Fällen über zehn Jahre hingezogen. Und tatsächlich sah es schnell nach einem zähen Kampf aus, um die juristischen Schritte überhaupt umsetzen zu können, denn die staatliche Verweigerungshaltung ging weiter: das Innenministerium ließ die Akten sperren und gab nur kleine Teile frei, die zudem noch durch umfangreiche Schwärzungen praktisch unleserlich gemacht waren. Erst nach mehrjährigen gerichtlichen Auseinandersetzungen wurden im Februar 2015 wenigstens die Einsatzanordnungen in halbwegs lesbarer Form freigegeben, während die vierzehntägigen Berichte Brommas bis heute als Verschlusssache der Geheimhaltung unterliegen. Während dieser Zeit gelang es immer wieder, durch Presseerklärungen zu den einzelnen juristischen Entwicklungen, durch Vorträge und eigene Artikel das öffentliche Interesse und insbesondere die Diskussion in der linken Szene wachzuhalten.
Im Sommer 2015 ging alles sehr schnell, als kurzfristig für den 26. August der Prozesstermin angesetzt wurde. Mit Informationsveranstaltungen, intensiver Pressearbeit und einer Demo am 22. August in Heidelberg machte der AK Spitzelklage wieder verstärkt auf das Thema aufmerksam. Vor dem Gerichtsgebäude in Karlsruhe versammelten sich am Morgen des Verfahrens Dutzende von solidarischen Unterstützer*innen zu einer Kundgebung, und der Prozess selbst wurde von zahlreichen Medienvertreter*innen und etwa 60 Aktivist*innen beobachtet, die wegen des großen Andrangs teilweise auf dem Flur stehen mussten.
Das Verwaltungsgericht kam zu der Überzeugung, dass die polizeiliche Einsatzanordnung keineswegs eine ausreichende Grundlage für den Verdeckten Ermittler darstelle und dass die Maßnahme gegen die klagende Zielperson deshalb rechtswidrig sei: dem antifaschistischen Aktivisten wurden keinerlei erwähnenswerte Straftaten vorgeworfen, und eine schwerwiegende Bedrohung, wie das Polizeigesetz es vorschreibe, sei auch nicht gegeben.
In einem zweiten Schritt behandelte das Gericht die Situation der übrigen Klagenden, die in den vorliegenden Aktenteilen nicht namentlich genannt waren. Erneut kam hier die Blockadepolitik des Innenministeriums zum Tragen, das die entsprechenden Unterlagen gesperrt und diese Betroffenen als nicht klagebefugt eingestuft hatte. Im Prozess mussten die Kläger*innen deshalb erst nachweisen, dass sie Ziel der Überwachungsaktion waren, dass Daten über sie erhoben und an das LKA weitergegeben worden waren. Nach ausführlichen Schilderungen insbesondere des Konfrontationsgesprächs, bei dem Bromma detaillierte Angaben zu seinem Vorgehen gemacht hatte, erkannte das Gericht auch die Bespitzelung dieser Aktivist*innen an und beurteilte sie als ebenfalls rechtswidrig.
Das Verfahren, das den Fall wieder bundesweit in die Medien brachte, stellt somit einen großen Erfolg für die Kläger*innen dar, die stellvertretend für alle Betroffenen den juristischen Schritt gegangen waren und das Thema über vier Jahre hinweg auf der Agenda gehalten hatten. Ob die gerichtliche Schlappe, die das Land Baden-Württemberg erlitt, jedoch ein Umdenken in der Überwachungspolitik gegenüber linken Bewegungen bewirkt, ist mehr als fraglich. Zudem zeigen die zahlreichen Enttarnungen von Verdeckten Ermittler*innen in den letzten Jahren – zuletzt just am 26. August 2015 die Hamburger LKA-Schnüfflerin Maria Böhmichen -, dass der Heidelberger Spitzelskandal keineswegs ein isoliertes Phänomen ist.
Der Kampf gegen staatliche Ausforschung und Bespitzelung bis in privateste Bereiche hinein muss also auch nach diesem kleinen Zwischensieg unvermindert fortgeführt werden.