Kommentar
Als am 27. September 2015 in Oberösterreich der Landtag gewählt worden war, titelte die Boulevard-Zeitung „Österreich“ am nächsten Tag: „Das blaue Beben“. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete von einem „Sturm von rechts“. Aber so naturgemäß wie die Metaphern nahe legen, war der Erfolg der ultrarechten FPÖ nicht. Es gibt seit den späten 1980er Jahren, nachdem Jörg Haider 1986 die Führung in der Partei übernommen hatte, ein permanentes Potenzial von knapp 30 Prozent der WählerInnenstimmen.
Auch wenn das selten ausgeschöpft wurde. Nachdem der 2008 verunglückte Haider die Partei 2005 selbst gespalten und das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) gegründet hatte – mittlerweile bedeutungslos und ohne Zukunft -, hatte Heinz Christian Strache den Vorsitz der FPÖ übernommen. Sein Erfolg speist sich, ähnlich wie schon früher der Haiders, aus im Wesentlichen zwei Komponenten: erstens gegen das staatspolitische „Establishment“ aus den ehemaligen Volksparteien SPÖ und ÖVP aufzutreten – ohne sich allerdings zu scheuen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit diesem „Establishment“ gemeinsame Sache zu machen.
Davon abgesehen ist das von ehemaligen Nazis konstituierte, sogenannte „Dritte Lager“ seit Gründung der FPÖ in den 1950er Jahren fester Bestandteil der österreichischen Parteienlandschaft. Die zweite Komponente ist der Rassismus. Die FPÖ führt einen Ausgrenzungsdiskurs gegen AsylbewerberInnen, Muslime, AusländerInnen allgemein und mischt ihn mit sozialpolitischen Versprechen, nennt sich selbst „soziale Heimatpartei“. Sie ist die Spezialistin der so typisch rechten Verknüpfung der Themen Migration, Kriminalität und Sicherheit. Dass die FPÖ zudem antifeministisch und homophob ist, muss noch betont werden, gehört aber vielleicht weniger zu den ausschlaggebenden Gründen für ihre Wahlerfolge.
Die rassistische FPÖ legt zu
Die „Blauen“ hatten im bevölkerungsmäßig drittgrößten Bundesland Österreichs ihren Stimmenanteil auf 30,4 % mehr als verdoppelt und damit auch erstmals in der Geschichte Österreichs außerhalb von Kärnten – dem Bundesland, in dem Jörg Haider einst regierte – mehr als 30 Prozent geholt. Zwei Wochen später konnten sie diesen Rekord gleich noch einmal einstellen. Bei der Wahl zum Wiener Gemeinderat – zugleich der Landtag des größten österreichischen Bundeslandes – kamen die „Freiheitlichen“ auf 31 Prozent der WählerInnenstimmen, eine Steigerung von etwas mehr als 5 Prozentpunkten im Vergleich zur Wahl von 2010.
Dennoch gab es ein Aufatmen unter Linken. Denn es kommt nicht zu der auf FPÖ-Wahlplakaten angekündigten „Rache für Rot-Grün“. SPÖ und Grüne verloren jeweils nur leicht, die rot-grüne Regierungskoalition bleibt aller Wahrscheinlichkeit nach im Amt.
Der Trend, dass die Sozialdemokratie ihr Stammklientel verliert, nämlich ArbeiterInnen, ist damit allerdings keineswegs durchbrochen. Gerade in den ArbeiterInnenstadtteilen hat die FPÖ zugelegt, in ehemaligen SP-Hochburgen wie Simmerung und Floridsdorf sogar die Mehrheit errungen.
Die Wahlen spiegeln eine Klassenspaltung. Auf dem linken „Mosaik-Blog“ heißt es einleuchtend: „Wer ökonomisch abgesichert ist, empfindet Wien als lebenswerte Stadt. Wer mit Sorge in die Zukunft blickt, wählt mit hoher Wahrscheinlichkeit FPÖ.“ (1)
Auch wenn die FPÖ vor allem eine ArbeiterInnenpartei ist, sollte man sich hüten, ihrem Rassismus mit Abfälligkeiten gegenüber der vermeintlich kollektiven Dummheit der unteren Schichten, also mit Klassismus zu begegnen. Neuen gesellschaftlichen Situationen – etwa prekären Arbeitsverhältnissen oder Zuwanderung – mit Nationalismus zu begegnen, ist ja keineswegs nur irrational. Es setzt auf die durchaus realistische Sicherung von Privilegien, seien sie auch noch so klein.
Davon abgesehen lässt nicht nur das Abschmieren der ÖVP auf nur noch 9,2 Prozent in Wien erahnen, dass die FPÖ auch in bürgerlichen Milieus einige AnhängerInnen hat. Dementsprechend mischt auch der Wiener Parteichef Johann Gudenus gekonnt die Betonung seiner gutbürgerlichen Herkunft mit plumper Hetze („Knüppel aus dem Sack für Asylbetrüger, illegale Ausländer, Islamisten und linke Schreier“).
Eine angemessene, linke und libertäre Strategie gegen die Erfolge des Rechtspopulismus in ganz Europa steht letztlich noch aus. Es ist zwar eine wichtige Geste, den Rechten entgegen zu brüllen „unterlassen sie das!“, wenn sie die eigenen Lieder singen – so getan von Tote Hosen-Sänger Campino in Richtung Strache beim „Voices for Refugees“-Konzert am 3. Oktober auf dem Wiener Heldenplatz (vor mehr als 120.000 ZuschauerInnen).
Aber ausreichen tut es nicht. Und auf emanzipatorische Effekte der „Krise der Repräsentation“ zu setzen, also zu hoffen, dass die Leute selbstorganisiert tätig werden, statt sich vertreten zu lassen, erscheint zumindest kurz- und mittelfristig unbefriedigend. Erstens, weil jene Krise (in Österreich und Deutschland jedenfalls) vielleicht gar nicht so groß ist (wie in Spanien oder Griechenland) – bei der Wien-Wahl kam es sogar zu einer leichten Steigerung der Wahlbeteiligung auf über 70 Prozent. Zweitens, weil alles andere als ausgemacht ist, dass der Krise, wo sie denn existiert, mit emanzipatorischen Mitteln begegnet wird. Und drittens schließlich, hält der alte anarchistische Slogan, dass Wahlen verboten wären, würden sie etwas verändern, den Realitäten kaum stand. Zwar werden Kapitalismus und Sexismus mittels Wahlzettel sicherlich nicht abgeschafft. Dazu bedarf es nach wie vor der Massenmobilisierung. Bis dahin aber ist es alles andere als egal, wer im Wiener Rathaus oder auf anderen Regierungsbänken sitzt.
Dass es „einen dramatischen Unterschied“ machen kann, wer die Wahlen gewinnt – für Flüchtlinge, für Schwule und Lesben, aber letztlich natürlich für alle -, gibt selbst eine in Wien kursierende „Einmalige anarchistische Zeitschrift gegen das Wahlspektakel 2015“ zu bedenken.
Wie sich diese Einschätzung allerdings mit dem Titel dieser Publikation und mit gleich lautenden Aufklebern verträgt, die in der ganzen Stadt die Wahlplakate zieren, bleibt schleierhaft: „Scheiss auf die Wahlen“.