Laurie Penny: Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolutionen, Edition Nautilus, Hamburg 2015, 288 Seiten, 16,90 Euro, ISBN 978-3-89401-817-7
Laurie Penny hat sich in den vergangenen Monaten Gehör verschafft, nicht nur unter FeministInnen, sondern weit über diesen LeserInnenkreis hinaus. Bereits ihr erstes Buch, „Fleischmarkt“, wurde von der Presse begeistert aufgenommen, ihr Blog „Penny Red“ war auf der Shortlist für den Orwell Preis und auf Twitter hat sie über Hunderttausend Follower.
Pennys Stimme wird gehört, nicht nur im „Missy Magazine“, auch in der „Zeit“ wurde sie schon interviewt und das ist erfreulich. Denn ihr Buch offenbart für regelmäßige Graswurzelrevolution-LeserInnen nichts wirklich Neues, aber es ist unheimlich schön, all diese Dinge, die hier seit Jahren diskutiert werden, endlich einmal in den Mainstream-Medien wiederzufinden.
Pennys Buch liegt der Gedanke zugrunde, dass die Kategorie Geschlecht nicht unabhängig von der Kategorie Klasse zu denken ist und nimmt damit eine scharfe Kritik am Kapitalismus und an den damit verbundenen Vorstellungen von Arbeit in ihre Konzeption von feministischer Emanzipation auf.
Sie wehrt sich entschieden gegen jene Auffassung von Feminismus, die eine Gleichberechtigung in den Chefetagen herbeisehnt. „Öffentliche ‚Karrierefeministinnen‘ sind damit beschäftigt, ‚mehr Frauen in die Vorstände‘ zu bringen, dabei besteht das Hauptproblem darin, dass es schon viel zu viele Vorstandszimmer gibt uns keins von ihnen brennt.“ (14) Sätze dieser Art, die man sich gerne auf Demoplakate schreiben würde, finden sich zuhauf (vor allem in der programmatischen Einleitung). Der teilweise recht polemische Ton mag nerven, auch die Begeisterung über den eigenen Lebenstil und die Verknüpfung mit der eigenen Biographie wirkt an einigen Stellen besserwisserisch und überheblich, aber dennoch ist Pennys Buch ein gutes.
„Unsagbare Dinge“ nimmt verschiedene Diskursfäden auf und bemüht sich, daraus ein Bild gegenwärtiger Geschlechterpolitik zu zeichnen. So ruft Penny die Tatsache ins Gedächtnis, dass die Forderung nach ‚gleicher‘ Arbeit, eine Forderung weißer, privilegierter Frauen ist, während „außerhalb der weißen Vororte Frauen immer für Geld arbeiten mussten“ (25). Sie geht allerdings an dieser Stelle weiter und fragt nach den zugrundeliegenden Vorstellungen von Arbeit: „Die Frage, ob Männer und Frauen für dieselbe Arbeit dasselbe Geld bekommen sollten, führt zu der Frage, was unter derselben Arbeit eigentlich zu verstehen ist, wo doch die Haus- und Fürsorgearbeit überwiegend ohne Bezahlung von Frauen verrichtet wird, oft neben einem Vollzeitjob. Die Antwort wirft gleich mehrere weitere Fragen auf, welche Arbeiten bezahlt und welche einfach aus Liebe und Pflichtgefühl getan werden sollten, und schon beginnt man das Wesen der Liebe zu hinterfragen, und an dieser Stelle wird es richtig ungemütlich.“ (ebd.)
An Stellen wie dieser macht Penny deutlich, dass der Feminismus nicht allein aus Forderungen nach gleicher Bezahlung besteht, sondern dass mit ihm die grundsätzlichen Dimensionen menschlicher Selbstentwürfe, des menschlichen Miteinanders und des individuellen Wollens zur Disposition stehen.
Denn all das ist überzeichnet von einem grundlegend patriarchalen Verwertungssystem, deren Macht Männer und Frauen gleichermaßen erlegen sind und die man nicht einfach reformieren kann. Penny fordert deshalb die Meuterei: „Die soziale Revolution, die stockend durch das vergangene Jahrhundert stolperte, die feministische Gegenwehr, die sexuelle Revision, das Zerschlagen alter Normen zu Hautfarbe, Klasse und Geschlecht, diese soziale Revolution muss neu beginnen, diesmal mit uns allen, nicht nur mit den reichen Weißen, die sie am wenigsten brauchen.“ (30)
In den folgenden Kapiteln nimmt sich Penny die eigenen Erfahrungen zum Anlass, verschiedene Formen geschlechtsspezifischer Machtverhältnisse in den Blick zu nehmen und bringt diese immer wieder mit der Kategorie ‚Arbeit‘ in Verbindung.
Die eigene Magersucht wird aus dem gesellschaftlichen Zwang zur „Schönheitsarbeit“ (45) abgeleitet und damit in kapitalistische Produktions-, Selbstverwertungs- und Konsumprozesse eingeordnet. Auch Männlichkeit wird als machtvolles und vor allem gewaltsames Konstrukt betrachtet, dass Männer beherrscht und sich in Form von Gewalt an Frauen entlädt, so dass sowohl „Männern wie auch Frauen [beigebracht wird], dass männliche Sexualität schädlich und gefährlich ist – und gleichzeitig absolut natürlich.“ (107)
Die Unterdrückung beider Geschlechter durch den gesellschaftlichen Zwang zur Genderarbeit mündet also in jene ‚rape culture‘, die wir mühelos in allen möglichen kulturellen Artefakten unserer Zeit beobachten können (mein Lieblingsbeispiel ist der Song und das Video von Robin Thicke „Blurred Lines“).
Das Besondere an Pennys Ansatz ist also die Verquickung der Thesen von Judith Butler, die von einer performativen Hervorbringung der Geschlechtsidentität ausgeht, unter deren Macht der/die Einzelne (Mann wie Frau) dann gestellt ist, mit kapitalismus- bzw. konsumkritischen Positionen.
Diese Verquickung kristallisiert sich in Pennys Begriff von ‚Arbeit‘. Damit ist Unsagbare Dinge nicht nur eine Absage an Alice Schwarzer und deren Forderungen nach ‚gleicher Arbeit‘ (sowie der zu pauschalen Ablehnung von Pornographie und Prostitution), sondern wirft auch einen sehr kritischen Blick auf jenen ‚Popfeminismus‘, der sich inmitten der Konsumgesellschaft verorten möchte.
Wie gesagt, für viele LeserInnen der Graswurzelrevolution ist das alles nichts bahnbrechend Neues, nichts, was nicht schon häufiger hier zur Diskussion gestellt worden wäre. Deshalb rate ich euch, legt euch das Buch neben das Frühstücksei und lest einfach nur ein kleines Unterkapitel morgens (in kleinen Dosen ist der Agitationsstil auch gleich erträglicher) und startet auf diese Weise in einen kämpferischen Tag. Und wenn ihr es durch habt, dann schenkt es der Emma-Leserin von nebenan.