es wird ein lächeln sein

Gewaltfreie Widerstandsbewegungen

Erfolge und Niederlagen

| Johann Bauer

Diskussionen über die Erfolgsbedingungen gewaltfreier Widerstandsbewegungen werden immer wieder geführt, nicht zuletzt weil prinzipielle GegnerInnen einer Festlegung auf gewaltfreie Aktionen und Strategien stets darauf verweisen, es seien ja nur besondere Umstände und glückliche Situationen gewesen, die in diesem oder jenem Fall zum Erfolg unbewaffneter, ziviler Aktionen geführt hätten.

Allerdings zeigen auch beinahe alle historischen Beispiele und „Fallstudien“ schnell, dass es neben Gruppen, die gewaltlos kämpfen wollten, immer auch solche gab, die für Bewaffnung eintraten und dass angeblich förderliche Voraussetzungen für einen gewaltlosen Widerstand bei genauer Betrachtung ebenso Begründungen für gewaltsamen Widerstand bereitstellen.

Das gilt für häufig angeführte religiöse Motive der Kämpfenden ebenso wie für angeblich demokratische Verhaltensweisen der Unterdrücker, etwa der englischen Kolonialherren.

Zuletzt wurden die Erfahrungen des „arabischen Frühlings“ noch kaum systematisch betrachtet: Die Massenbewegungen, die sich gegen Diktaturen, Korruption, ungerechte Strukturen, Armut richteten und zivile Kampfformen zur Anwendung brachten, zunächst mit durchschlagenden Erfolgen, konnten sich in einzelnen Ländern nicht rasch durchsetzen.

Die herrschenden Regimes setzten eskalierend Gewalt ein, oft durch internationale Unterstützung ermutigt.

Dagegen wurden Forderungen nach Bewaffnung der Opposition und internationale militärische Interventionen auf ihrer Seite stärker und schließlich erfolgreich. Eine Folge davon war, dass Bürgerkrieg und Krieg, zerfallende Staaten und Staatenbildungsprozesse, die gewaltsam sind, die Hoffnung auf Demokratisierung zerschlugen, zu grauenhaften sich polarisierend verstärkenden Gewalttaten und schließlich massenhaften Fluchtbewegungen führten.

Übrigens können auch Fluchtbewegungen als gewaltlose Proteste/Widerstand begriffen werden und Auslöser weitreichender gesellschaftlicher Veränderungen werden, siehe das Ende des „real existierenden Sozialismus“ in der DDR. „Exodus“ ist eines der Grundmotive von „Revolution“. Let my people go!

Auch die Zerfallsprozesse in den Staaten des „real existierenden Sozialismus“ zeigen oft gewaltlose Massenbewegungen.

Ein Beispiel ist die polnische unabhängige Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc.

Sie spitzte auf der Danziger Lenin-Werft zu: Ihr bekommt Lenin, wir die Werft. In vielen Ländern des Ostblocks zeigten „friedliche Revolutionen“, dass die Herrschenden nicht mehr weiter konnten, die Beherrschten nicht mehr wollten.

Neben dem Beharrungsvermögen der alten Eliten und Bürokratien war es die Konsumkultur des Westens, die manche Hoffnung auf eine andere Gesellschaft entmutigte.

In anderen Massenbewegungen wurde der zivile Wunsch nach Demokratisierung schnell abgelöst durch gewaltbereite reaktionäre Gruppen, die sich oft als „Schutz“ gegen die Übergriffe des alten Regimes anbieten und etablieren können. Es gibt also vielfältige Erfahrungen mit Problemen gewaltloser Massenbewegungen, gute Gründe für die Frage, ob wir Erfolgsbedingungen identifizieren können und letztlich wie das Erstarken alter und neuer diktatorischer, rassistischer, nationalistischer und religiös-fundamentalistischer Bewegungen verhindert werden kann.

Kann man überhaupt generelle Aussagen machen, welche Voraussetzungen einem Erfolg solcher Bewegungen förderlich oder hinderlich sind?

Ein Literaturbericht von Johannes Vüllers und Sandra Destradi unter dem Titel „Gewaltfreie Widerstandsbewegungen und ihre Erfolgsbedingungen.

Eine Übersicht der neueren englischsprachigen Forschungsliteratur“ in der „Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung“ (Jg. 4. 2015, Heft 1 S. 115-146) versucht es. Ihr Anspruch ist vor allem, die Frage durch Daten, durch Empirie zu beantworten. Sie berichten über Fragestellungen und Tendenzen, die nicht immer nur anhand ihrer Darstellung der Literatur beurteilt werden können; vor allem können auch trotz problematischer „Methoden“ und verquerer Zugänge im Namen der Wissenschaft wertvolle Informationen und wichtige sachliche Debatten in der behandelten Literatur berichtet werden. Diese Kritik ist also zugleich eine Aufforderung an unsere Bewegungen, solche Veröffentlichungen genauer zu studieren. Etwa wenn berichtet wird, dass auch im Nahen Osten die Abwendung von Gewalt mit einer „Gender-inklusiven Ideologie“ zusammenhängt (Asal, Victor u.a.: Gender ideologies and forms of contentious mobilization in the Middle East Journal of Peace Research May 2013 50: 305-318).

Das Datenmaterial, das durch viele soziale Bewegungen weltweit und deren wissenschaftliche Interpretation entstanden ist, ist ebenso reichhaltig wie heterogen, und die Probleme beginnen bei der Suche nach einer Definition und begrifflichen Abgrenzungen:

Was wird als „gewaltlos“ erfasst, und was ist „Erfolg“?

„Gewaltfreier Protest gilt laut Sharp als die mit dem geringsten Risiko verbundene Form gewaltfreien Widerstands“ (S. 118, im Vergleich zu Verweigerung von Kooperation und gewaltfreier Intervention).

In Wirklichkeit hängt das schon vom gesellschaftlichen Kontext ab. Es kann sehr wohl sein, dass Formen der Nichtzusammenarbeit von einer Regierung ignoriert werden, aber schon kleinste Protestformen mit extremer Gewalt, langjähriger Haft geahndet werden.

Dementsprechend ist auch der Grad, in dem Protestformen ein gesellschaftliches System herausfordern von dessen Struktur abhängig. Was in westlichen Formaldemokratien toleriert oder sogar als positives Signal gesellschaftlichen Engagements gegen die Verödung der Innenstädte gewertet wird, kann in einer Militärdiktatur tödlich enden. Wenn Frauen im Iran massenhaft das Kopftuch ablegen würden, so stellte das eine offene und sehr riskante Herausforderung des Systems dar.

Kurz: es lassen sich eben nicht anhand von Methoden und Aktionsformen die Risiken der AkteurInnen bestimmen. Auch ob die „Weigerung zur Kooperation“ größere Wirkungen als Protest erwarten lässt ist keineswegs sicher; sie kann ins Leere laufen, wenn der Gegner auf die Kooperation nicht angewiesen ist.

Kaum haben sie dieses Programm (Protest ist mit geringerem Risiko verbunden als andere Formen gewaltfreien Widerstands) entfaltet, müssen die AutorInnen es deshalb auch mit Doug McAdams Hinweisen auf die hohen Risiken, die Protestierende während des Mississippi-Freedom-Summers 1964 eingingen, wieder relativieren (vgl. dazu die Darstellung des SNCC durch Clayborne Carson: Zeiten des Kampfes: Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) und das Erwachen des afro-amerikanischen Widerstands in den sechziger Jahren. Verlag Graswurzelrevolution 2004; viele andere Beispiele aus aller Welt ließen sich ergänzen).

Tautologisch ist die Definition von gewaltfreiem Widerstand: „all jene Aktivitäten, die außerhalb institutionalisierter politischer Prozesse von organisierten Kräften gewaltfrei durchgeführt werden.“ (S. 118). Gewaltfrei ist, was gewaltfrei ist.

Tautologisch ist eine Aussage, die mit einem sinnverwandten Wort noch einmal das bereits Gesagte sagt und dabei einen Erkenntnisgewinn suggeriert, vor allem wenn ein Substantiv durch ein Adjektiv scheinbar erklärt wird, während die Bedeutung des Adjektivs im Substantiv bereits enthalten ist („Weißer Schimmel“, „unverheiratete Junggesellen“).

Auch an anderen Stellen des Aufsatzes nervt eine „ausgewiesene“ Wissenschaftlichkeit durch ihre Zirkelschlüssigkeit. So „ist die Gewaltfreiheit ein notwendiges Definitionsmerkmal und bislang Hauptschwerpunkt des Literaturstrangs zu gewaltfreien Widerstandsbewegungen“. (S.119). Alles andere müßte uns verwundern.

Was „außerhalb institutionalisierter politischer Prozesse“ bedeutet, ist dabei ein weiteres Problem, denn mit guten Gründen kann man auch Demonstrationen, Streiks usw. in vielen Ländern zu den „institutionalisierten politischen Prozessen“ rechnen.

„Die Natur des erwünschten Wandels bzw. sein normativer Charakter spielt für die Definition gewaltfreien Widerstands keine Rolle.“ (S. 118). Tatsächlich? Bei „Pegida“ konnte man sogar Transparente sehen, die diese Gruppierung als „gewaltfrei“ ausweisen sollten, sicherlich auch im Sinne der Definitionsmacht „Wir sind das Volk“, um sich als legitimer Erbe der Bewegungen 1989 auszuweisen. Aber kann man das mit gutem Gewissen nachvollziehen? In Hannover spielten Neonazis als „Abschie-Bär“ kostümiert „Straßentheater“ mit Migranten und stellten die Aufnahmen ihrer Abschiebe-Drohung triumphierend ins Netz. „Die Natur des erwünschten Wandels bzw. sein normativer Charakter spielt für die Definition gewaltfreien Widerstands keine Rolle.“

Hier tun sich schiefe Ebenen und Abgründe jeder Art auf. Die Autorinnen wollen vermeiden, dass ein einseitiges Festlegen gewaltfreien Widerstands auf „gute Ziele“ einen Vergleich mit anderen Bewegungen unmöglich macht und so vielleicht ein systematisches Verständnis von Erfolgsaussichten gerade verbaut (S. 119); das ist ihr Anliegen.

Wir haben es hier mit zwei verschiedenen Problemen zu tun:

Unser gesellschaftliches Vorverständnis begreift als „gewaltfrei“ Bewegungen, die Gewalt in mehr als einer Dimension ablehnen, die aus Emanzipationsbewegungen und pazifistischen Gruppen entstanden sind.

Alle diese Bewegungen kann man auf „blinde Flecken“, Ambivalenzen, unerwartete Nebenfolgen hin diskutieren, aber in einem allgemeinen Sinn ist ihre gesellschaftliche Zielsetzung doch immer eine Zivilisierung, ein Zurückdrängen von Gewalt und Ungerechtigkeit. Kann man sich von diesen Traditionen so einfach verabschieden – und ist das sinnvoll und führt zu Erkenntnissen?

Sicher gibt es dabei ein Abgrenzungsproblem, weil besonders nationale, etwa auch separatistische Bewegungen etwas chamäleonhaftes haben auch wenn sie Gewalt ausschließen oder eher auf kulturelle Selbstbehauptung als auf staatliche Expansion orientieren.

Es sind sehr wohl gesellschaftliche Bewegungen vorstellbar, die – vielleicht sogar vor dem Hintergrund einer erreichten gesellschaftlichen Zivilisierung durch gewaltlose Emanzipationsbewegungen – Repression, Verteidigung von Privilegien usw. fordern, diesen Forderungen aber mit unbewaffneten Kampfformen und sogar wirkungsvollen gewaltlosen Aktivitäten Nachdruck verleihen, Hungerstreiks etwa.

Das Beispiel der AutorInnen ist die Kampagne von buddhistischen Mönchen und Nationalisten, die sich gegen Kompromisse mit den „Tamil Tigers“ wandten und die Regierung schließlich zu einer Position drängte, die auf die militärische Vernichtung der „Tiger“ abzielte: „Diese Kampagne bediente sich gewaltfreier Protestformen als Mittel, jedoch mit dem Ziel einer Ausweitung des Krieges.“ (S. 119)

Oder denken wir an die Kochtopf-Demonstrationen in Chile in der Zeit der Unidad Popular Anfang der 70er Jahre, die den Militärputsch vorbereiteten. Wenn man hofft, die Frage nach den Erfolgsbedingungen gewaltfreier Proteste besser beantworten zu können, indem man solche Bewegungen durchaus etablierter gesellschaftlicher Kräfte, durch die etablierte Strukturen mobilisiert werden, definitorisch einbezieht, kommt man vielleicht zu sehr konformistischen Schlüssen, letztlich zu dem Ergebnis, dass die Erfolgsbedingungen umso besser sind, je näher die sozialen Träger des Protests den Machtzentren stehen und je mehr „Ressourcen“ etablierter Strukturen und politischer Formen mobilisiert werden können, was doch banal-tautologisch ist. Sie brauchen keine Gewalt, weil schon die Drohung genügt oder die „Gewalt“ gar nicht als solche erkannt wird, weil es ja die herrschende ist. „Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg“ scheint überhaupt eine Maxime vieler Untersuchungen zu sein, die in dem Literaturbericht angeführt werden.

Die Konzentration auf die „Form“ des Widerstands, die von Zielen abgetrennt betrachtet wird, widerspricht erneut dem Selbstverständnis der historischen Bewegungen des gewaltlosen Widerstands. Bei allen Unterschieden haben sie doch erwartet, daß gewaltlose Kampfformen eine Zivilisierung der Gesellschaft bewirken werden; Gewalt wurde als eigenständiges Problem begriffen (und nicht nur als „Ressourcenmangel“ sprich: keine Waffen). So ist es auch die Frage, wie weit Wissenschaft sich von solchen Selbstinterpretationen entfernen soll und darf.

Mit dieser Frage wollen wir übrigens nicht umgekehrt vorschlagen, dass sie (sklavisch) deren Selbstverständnis nachvollziehen oder gar glorifizieren sollte (wie es in der „Bewegungsforschung“ durchaus vorkommt), nein: Eine distanzierte Betrachtung, Beschreibung und eine kritische Reflexion von Zielen und Mitteln tut not. Ob aber die Trennung von (normativen) Zielen und Mitteln zu sinnvollen Ergebnissen führt?

Wie soll „Erfolg“ festgestellt werden, wenn nicht an Zielen gemessen?

Kaum hat man die Frage nach Zielen definitorisch ausgeschlossen, kommt sie „empirisch“ zurück: „Warum entscheiden sich Akteure für Gewaltfreiheit in ihrem Widerstand? Wer beteiligt sich an solchen Kampagnen? Und welche Ziele verfolgen jene gewaltfreien Bewegungen?“ (S. 126)

So kommt man doch schnell wieder auf normativ-ethische Perspektiven, strategische Überlegungen, welche Mittel den Zielen angemessen sind.

Hier allerdings mischt sich schon der Jargon der „Kosten-Nutzen-Kalkulation“ ein (S. 127 f). So wird als Erklärung für die Gewaltfreiheit-Entscheidung angeführt, dass die „individuellen Kosten“ geringer sind je mehr TeilnehmerInnen eine Bewegung hat und die Bereitschaft, sich zu beteiligen steigt, je geringer die individuellen Kosten sind. (S. 132)

Daraus ergeben sich Fragen, die auf diesem Niveau von Abstraktion nicht beantwortbar sind, beinahe sinnlose Fragen: „Die Frage nach der Mobilisierung bleibt aber letztlich unbeantwortet. Es läßt sich mit diesen Daten ebenso wenig feststellen, ab welcher Grenze eine Beteiligung an einer gewaltfreien Bewegung mit geringen Kosten verbunden ist …“ (S. 132)

„So kann eine Wirtschaftskrise sowohl die Bereitschaft erhöhen, sich im politischen System zu engagieren, wie auch mit gewaltfreien oder gewaltsamen Mitteln außerhalb des Systems zu agieren. Es fehlt bislang eine überzeugende Erklärung dafür, daß ausgerechnet (!) eine bestimmte Handlungsoption gewählt wird.“ (133)

Viele Antworten sind trivial: „Der wichtigste Faktor für den Erfolg einer gewaltfreien Widerstandsbewegung ist deren Größe: je größer die Widerstandsbewegung, desto höher die Erfolgswahrscheinlichkeit.

Eine große Bewegung verfügt aufgrund ihrer hohen Teilnehmerzahl über ein höheres Druckpotential …“ (S.131 und weitere ähnliche Passagen).

Dafür der methodische Aufwand? Der Berg kreist und gebiert eine Maus (natürlich von beträchtlicher Größe, wenn ich Maus sage, meine ich nicht einfach nur Maus). „Verbreitete Unzufriedenheit“ wirkt sich positiv auf die Bereitschaft zum Engagement aus (S. 133).

Oder als „Faktor“ (ein mechanistischer Begriff) zur Erklärung des Übergangs von gewaltlosen zu gewaltsamen Taktiken wird eine „strategische Neuausrichtung“ (S. 136) benannt.

Viele Einzelthesen und Probleme, die aus der englischsprachigen Literatur in dem Aufsatz herausdestilliert werden, sind wichtig und sollten uns durchaus zu weiteren Fragen anregen: Welche Rolle spielt die Kohäsion einer Bewegung dafür, dass sie gewaltlos bleibt? Oder die Untersuchung „gescheiterter“ gewaltloser Bewegungen: Auch wenn beim „Scheitern“ ähnliche Definitionsprobleme wie beim „Erfolg“ entstehen können, haben wir uns immer gerne an den „Siegen“ aufgerichtet und diese als „Beispiele“ angeführt, obwohl doch eine Wiederholbarkeit kaum gegeben sein kann.

Die Frage nach dem „Scheitern“ ist nicht nur strategisch sinnvoll um Erfahrungen festzuhalten und weiterzugeben, sondern auch um transnationale Solidarität mit den Geschlagenen oder aktuell Verfolgten zu üben.

Was wissen wir denn über die „Demokratiebewegung in Tansania Anfang der 1990 Jahre“ (S. 130)? Es gehört auch zu den Problemen, dass Gewalt schnell in den internationalen Medien Aufmerksamkeit erhält (der IS spielt virtuos auf diesem Klavier) und jene aktiviert, für die „Gewalt als attraktive Lebensform“ erscheint (Reemtsma, ja, das gibt es!), während die gewaltlosen Strömungen dabei regelmäßig an den Rand gedrängt werden (keineswegs nur im Islam!).

Aus Niederlagen lernen!

Besonders der Blick auf „Größe“ verhindert oft die Erkenntnis, dass viele Bewegungen schon „im Keim erstickt“ werden, aus unterschiedlichsten Gründen, mit verschiedenen Methoden. Oder dass sie nicht einmal unterdrückt werden müssen. Das Starren auf statistische Zahlen kritisieren (S. 122) die VerfasserInnen ganz richtig. Bei den referierten „Erträgen der Forschung“ finden sich z.T. groteske Zahlenangaben: „Die Erfolgswahrscheinlichkeit einer gewaltfreien Widerstandsbewegung nimmt um 22% zu, wenn das Regime gewaltsam gegen die friedlichen Aktivisten vorgeht.“ (S. 137). Und ich hatte mich schon gewundert als neulich aus der Tränengaswolke immer „22 %!“ gerufen wurde!

Schließlich gibt es in vielen sozialen Bewegungen ein konfliktreiches Nebeneinander von ausdrücklich gewaltlosen und anderen, nicht selten offen Gewalt befürwortenden Tendenzen. Oder es lassen sich Gewalttätigkeiten am Rande von ausdrücklich gewaltfrei geplanten Aktionen nicht immer ausschließen. Und es gibt Strategen, die Gewalt durch Gewalt erzeugen wollen, etwa um Repression besser begründen zu können: Wie beeinflusst das Erfolgsbedingungen, Wahrnehmungen – und wie kann sich eine gewaltlose Bewegung dagegen behaupten (und dabei offen und spontan sein)? Viele offene Fragen! Wann wird eine gewaltlose Widerstandsbewegung nicht mehr öffentlich als solche wahrgenommen – wann hört sie auch in ihrem Selbstbewusstsein auf, gewaltlos zu sein? Hier bietet wieder das oben zitierte Buch von Clayborne Carson über den SNCC Material.

Letztlich gibt es viele historische Beispiele, die die Probleme erfahrbar machen (bis zu Boko Haram!), es werden sich aber allgemeine, gar mit statistischen Methoden erfassbare, Regelmäßigkeiten m.E. kaum finden lassen, insofern sind solche Methoden ungeeignet.

Zuletzt und vor allem: In welchen Fällen führt die Repression gegen gewaltlose Bewegungen dazu, dass diese sich spalten, resignieren, geschlagen geben?

In welchen Fällen erzeugt Repression größere Mobilisierung und verstärkte Bereitschaft, allen Widerständen zum Trotz weiterzukämpfen?

Wenn wir die Antworten wissen, sollten wir sie vielleicht besser nicht veröffentlichen. Denn jedes Wissen dieser Art steht ja auch wieder und zuerst denen zur Verfügung, die gerade den Erfolg einer gewaltlosen Widerstandsbewegung verhindern wollen. Es ist also vielleicht gar kein schlechtes Zeichen, wenn Vüllers/Destradi zusammenfassen: „Die zahlreichen Studien hierzu kommen jedoch zu keinen eindeutigen Ergebnissen, inwieweit Repression die Aktivisten tatsächlich einschüchtert …“ (S. 137) „Ein interessantes Feld, das weiterer Untersuchungen bedarf“ (S. 141).