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Grundrechte kann man nicht auf dem Sofa verteidigen

Des Demonstrierens angeklagt - ein Erlebnisbericht aus Paris

| Eichhörnchen

Die Idee, nach Paris zu den Protesten gegen den Klimagipfel zu fahren, war mir im Sommer beim Zusammentreffen mit zahlreichen internationalen AktivistInnen in Bure auf dem Antiatomcamp gekommen. Mit FreundInnen aus England, Frankreich und Deutschland waren wir uns darüber einig, dass die COP keine Lösung zum Klimawandel darstellt, sondern selbst Teil des Problems ist.

In den Folgemonaten einigten wir uns schnell auf ein Motto für die Proteste: „System change, not climate change“. Wir wählten für unsere Aktion einen symbolträchtigen Ort aus: die Grande Arche im Geschäftsviertel von La Défense mit dem französischen Umweltministerium und Niederlassungen von großen Klimakillern und Atomunternehmen wie EDF und AREVA (Atom), Engie (Kohle) und Total (Erdöl). Unsere Aktion sollte im Rahmen der „Climate Game“ stattfinden. Unberechenbare Kleingruppen führen kreative Aktionen durch. Unsere Gruppe heißt „Degrowth Climber“.

Unsere Planung war bereits weit fortgeschritten, als die Anschläge vom 13. November 2015 mit 130 Toten sich ereigneten. Ich stand – wie die meisten Menschen – zunächst unter Schock. Doch nach einem regen Austausch mit den anderen AktivistInnen aus meiner Gruppe und insbesondere den Menschen aus Paris entschieden wir uns dafür, an unserem Plan festzuhalten. Die Regierung hatte gerade angekündigt, an der Veranstaltung der COP festzuhalten, es war für uns klar, dass es keinen Klimagipfel ohne sicht- und hörbaren Protest aus der Zivilgesellschaft geben sollte. Die Bühne darf nicht den Regierenden und den Greenwashing-Unternehmen überlassen werden. Unsere Planung wurde aber von nun an umso schwieriger.

Die Regierung verkündete den Notstand (vgl. GWR 404), die Präfekten in den diversen Regionen Frankreichs verkündeten Demonstrationsverbote nach Belieben. Man könne die Sicherheit von Demonstrationen nicht gewährleisten, hieß es zur Begründung. Protestveranstaltungen, Weihnachtsmärkte und andere nicht politische Menschenansammlungen schienen dagegen kein Problem darzustellen. Die Gunst der Stunde wurde genutzt, um Einschränkungen durchzusetzen, die ohne die Anschläge nur gegen erheblichen Protest hätten durchgesetzt werden können.

Die Panikmache, die durch zahlreiche Medien verbreitet wurde, sowie die Verbote bewegten leider viele Menschen dazu, ihre Reise nach Paris zu stornieren.

Menschen sagten mir, es sei alles zu gefährlich, ich solle auf meine Reise verzichten. Für mich ging es aber von nun an nicht „nur“ um die Klimaproteste, sondern um die Verteidigung von Grundrechten. Immer mehr Fälle von polizeilicher Willkür wurden gemeldet.

Grenzkontrollen?

Unsere Reise nach Paris gestaltet sich schließlich entspannter als gedacht. Die angekündigten Grenzkontrollen finden nicht statt. In Paris herrscht auch nicht der von Präsident Hollande verkündete „Krieg“. Die Stimmung unter den AktivistInnen ist jedoch sehr bedrückt (vgl. Artikel von Lou Marin in dieser GWR). Schnell stelle ich fest, dass unter den Festgenommenen vom Sonntag Place de la République Bekannte von mir sind. FreundInnen versuchen vergeblich, in Erfahrung zu bringen, auf welche Polizeiwache sie gebracht worden waren. Einige der Festgenommenen kommen erst nach drei Tagen frei.

Eine Freundin erzählt von einem Menschenrechtler, der bis zum 12.12., dem Ende der COP, unter Hausarrest steht. Ich stelle fest, dass ich ihm im Sommer auf dem Antiatomcamp in Bure begegnet bin. Er muss sich dreimal am Tag bei der Polizei melden, wenn er nicht erscheint, wird er verhaftet – es gab bereits die ersten Verurteilungen zu Gefängnisstrafen gegen Menschen, die Hausarrestverfügungen nicht nachgekommen sind.

Die Maßnahme wurde im Falle des Bekannten lediglich mit „Notstandsgesetz“ und „Sicherheit des Staates“ begründet. Er vermutet aber, dass die Behörden ihn bestrafen wollen, weil er gegen die Demonstrationsverbote – erfolglos – geklagt hat.

Wir müssen unser großes Aktions-Banner fertig malen, die Suche nach einem Ort gestaltet sich schwierig. Zahlreiche linke Wohnprojekte und Hausbesetzungen haben Besuch von der Polizei erhalten und stehen unter Bewachung. Hausdurchsuchungen dürfen im Rahmen der Notstandsgesetze ohne Begründung und ohne richterliche Kontrolle stattfinden. Wir entscheiden uns für einen Ort, der zwar unter Bewachung steht, aber wegen des großen Publikumsverkehrs Schutz vor Willkür bietet.

Wir unterrichten einen Anwalt über unser Vorhaben und fragen nach den möglichen rechtlichen Konsequenzen. Der Anwalt teilt uns mit, dass mit den Notstandsgesetzen Willkür herrscht.

Er kann uns nicht sagen, was uns erwartet. Es kann gut gehen – oder im Gefängnis für ein paar Tage bis Monate enden.

Da ich wegen meiner politischen Aktivitäten polizeilich bekannt bin, ist das Risiko bei mir höher. Ich stand zuletzt 2009 wegen einer Strommastbesetzung gegen einen AKW-Neubau in der Normandie vor Gericht.

„Fiche S“

Es ist viel die Rede von „Fiche S“. S steht für „sureté“; Sicherheit. Wer in den Polizeidateien einen „S“-Eintrag hat, besitzt in Notstandzeiten keine Grundrechte mehr, dem drohen eine willkürliche Verhaftung, Aufenthaltsverbote oder eine Hausarrestverfügung. Über 20.000 Menschen haben den „S“-Eintrag, davon die Hälfte aus dem „linken Spektrum“. Ob ich einen solchen Eintrag habe? Das weiß ich nicht. Einen entsprechenden Eintrag als „Relevante Person“ habe ich aber auf jeden Fall in Deutschland – ich klage gerade dagegen vor dem Verwaltungsgericht. Der Eintrag wird mit den zahlreichen Kletteraktionen, an denen ich mich beteiligt habe, begründet – und mit geheimen Erkenntnissen. Die Akte, die ich einsehen konnte, ist zu 80% geschwärzt.

Genau so eine Kletteraktion wollen wir in Paris durchführen

Wir halten trotz der ganzen juristischen Unsicherheit an unserem Vorhaben fest. Ein Blick auf den Sicherheitsapparat vor Ort sagt uns, dass die Aktion machbar ist. Wir treffen Sicherheitsvorkehrungen, um eine Überreaktion der Polizei zu Beginn der Aktion auszuschließen.

Es funktioniert schließlich wie geplant. Die Passagiere in der Metro gucken amüsiert auf unsere Kletterausrüstung und großen Rucksäcke. Wir begegnen keiner Polizei. Bei unserer Ankunft warten wir kurz darauf, dass die schwer bewaffnete Antiterrorpolizei ihre Runde beendet. Wir starten dann ohne Hektik. Ein Security der Grande Arche stürmt heraus, kurz darauf trifft die Polizei ein. Sie wird mit den Flyern der Aktionsgruppe empfangen und durch die Menschen am Boden über unser Vorhaben aufgeklärt. Wir vier KletterInnen bekommen dies kaum mit, wir befinden uns bereits außer Reichweite und konzentrieren uns auf die anspruchsvolle Klettertechnik. Der Aufstieg ist mit den schweren Rucksäcken mühsam. Auf dem Zwischendach angekommen, stelle ich fest, dass die Feuerwehr bereits hinterher klettert. Sie klettert aber schnell wieder herunter. Der Präfekt hat persönlich angeordnet, dass wir daran gehindert werden sollen, unser Banner auszubreiten, und dass wir festgenommen werden sollen. Dafür ist die Feuerwehr nicht zuständig.

Ich erreiche noch die Höhe von ca. 40 Metern, wo wir unser Banner aufhängen wollten, die Kletterer der Polizei sind allerdings bereits bei meinen KletterpartnerInnen. Ca. 20 Kletterer der Bundespolizei sind im Einsatz. Eine Einheit der polizeilichen Bergrettung – für die drei Monate Notstand in Paris stationiert – und das Pariser Antiterror-Dachkommando. Die Bergrettung ist gesprächsfreudiger als das Antiterrorkommando. Sie hat aber den Befehl erhalten, uns zu räumen. Auch wenn sie nach eigenem Bekunden gerne wüsste, wie wir es mit dem Banner machen, sie haben so etwas nie gemacht und scheinen leidenschaftliche Kletterer zu sein.

„Sie schicken die Frauen zuerst“, wundert sich ein Polizist, als er feststellt, dass ich eine Frau bin und dass er an mich nicht heran kommt, weil er die Sicherungstechnik, die ich auf der Metallstange verwende, nicht kennt. Die Technik kommt beim Bergsteigen nicht vor.

Es ist ihm offensichtlich peinlich, an eine „Frau“ nicht ran kommen zu können. Ich frage zurück, wer denn „sie“ sei und was daran besonders sei, dass ich eine Frau bin. Ich packe mein Antiatombanner „STOP EPR“ aus und turne kopfüber in meiner Sicherung. „Nicht schlecht, Respekt“, lächelt der Polizeikletterer. PassantInnen und UnterstützerInnen jubeln und schießen Fotos. Ich sehe auch Fernsehkameras. Wir haben unser Ziel erreicht, auch wenn wir das große Banner nicht aufhängen können. Ich erfahre später, dass die Aktion bei den PassantInnen überwiegend positiv angekommen ist und über 400 Flyer verteilt wurden. Die Zeitung übernimmt große Teile unserer Pressemitteilung.

Die Kletterer der Polizei fangen an, meine KletterpartnerInnen abzuseilen. Ich klettere freiwillig von meiner Stange herunter zum Polizisten unter mir.

Ich habe keine Lust auf waghalsige Räumungsversuche in dieser Höhe. Bergrettung und Pariser Kommando streiten sich über die anzuwendende Technik. Die Bergrettung kennt das Industrieklettermaterial der Kollegen nicht und schimpft, dass es zum Vorstiegsklettern nicht geeignet ist, die Kollegen sind darüber sauer, dass die Bergrettung den Einsatz leitet. Ich lasse mich schließlich – kopfüber – abseilen und werde von unfreundlichen CRS empfangen. Meine Sachen werden durchsucht und wir werden mit Blaulicht zur 300 Meter entfernten Polizeiwache gebracht. Wir setzen uns dort auf Stühle in den schmalen Gang, einer von uns sitzt sogar auf einem Haufen Polizeischutzwesten. Sie liegen da einfach herum. Wir werden darüber aufgeklärt, dass wir uns nicht in Gewahrsam befinden, sondern als „Freiwillige“ verhört werden sollen. Der Polizist kann den Vorwurf ohne ihre Unterlagen nicht aussprechen. Es ist die Rede von „Zusammenrottung“, von „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ und den Notstandgesetzen.

Das ist schon ein merkwürdiges Gefühl, für das Demonstrieren angeklagt zu werden.

Auch wenn die Vernehmung „freiwillig“ ist, dürfen wir nicht gehen. Ein Beamter sagt uns, es ist entweder die freiwillige Vernehmung oder der Gewahrsam. Es vergehen Stunden. Ich beobachte das Chaos der Polizeiwache. Es treffen ständig Beamte ein, die aus ganz Frankreich kommen und bei der Orientierung Schwierigkeiten haben. Sie füllen Papiere aus, um das eine oder andere Polizeiauto der Kollegen nehmen zu können. Die Polizei mag die Kollegen der Armee nicht, die schwer bewaffneten Militärs dürfen die Wache nur für den Klogang betreten und werden ab und zu ein bisschen länger im Klo eingesperrt. Die Tafel mit den Gewahrsamnahmen ist mit den persönlichen Daten der Betroffenen für alle einsehbar. Ich stelle fest, dass es ausschließlich um Drogendelikte geht – dafür braucht es den Notstand! Ich kann den Polizeifunk mithören, es ist ständig die Rede von verbotenen Demonstrationen, die man auflösen muss – schön dass die Menschen sich nicht einschüchtern lassen und trotz Verbot und der Repression auf die Straße gehen!

Der OPJ (Polizist, der die Ermittlungen leitet, die Vernehmung durchführt und über Gewahrsam entscheiden darf) bittet mich ins Verhörzimmer. Ich sitze nicht alleine im Raum. Ein anderer Mensch wird zeitgleich durch einen anderen OPJ vernommen – offensichtlich nicht „freiwillig“, er trägt Handschellen. Ich sitze an einem Tisch, wo die Protokolle anderer Vernehmungen herumliegen – es geht darin um kleine Drogendelikte.

Ich erkläre, dass ich keine Aussage machen werde. Der Polizist droht damit, dass ich dann verurteilt werde, ohne mich äußern zu können. Ich erkläre, dass die Gewaltentrennung mit dem Notstand zwar quasi aufgehoben ist, dass er trotzdem nicht der Mensch ist, der das Urteil am Ende sprechen wird. Die Vernehmung dauert eine Ewigkeit, das Computersystem stürzt mehrfach ab, der Beamte tippt langsam. Die Polizei kann anhand meiner Personalien nicht in Erfahrung bringen, ob ich polizeibekannt bin, das Computernetz ist down. Glück gehabt. Ich denke an den Diskurs über die Professionalität und Zuverlässigkeit der Polizei, die uns vor dem Terrorismus schützen soll, und lächele. Professionalität sieht anders aus. Die Polizei hat offensichtlich nichts anderes zu tun, als Kleindealer zu quälen und UmweltaktivistInnen zu verhören. Nach meinem Verhör werde ich zum ED-Raum geführt. Als ich die Abgabe von Fingerabdrücken verweigere, werde ich darüber aufgeklärt, dass dies eine Straftat darstellt, dass ich von nun an deswegen eine Sonderbehandlung bekommen werde und in Gewahrsam komme – während meine FreundInnen, die ihre Fingerabdrücke abgegeben haben, frei kommen. Für das Demonstrieren riskiere ich bis zu sechs Monate Haft, für die Weigerung, meine Fingerabdrücke abzugeben, bis zu zwölf Monate Haft. Ich bleibe aber dabei. Es ist für mich eine Gewissensfrage. Zurück auf meinem Stuhl neben den FreundInnen unterrichte ich sie über meine Weigerung, die Fingerabdrücke abzugeben, und die Gefahr, dass ich in Gewahrsam komme.

Dazu kommt es aber nicht. Es ist schon dunkel, als wir aus der Polizeiwache entlassen werden. Wir werden darum gebeten, in Sichtweite der Polizeiwache zu bleiben, weil es sein könnte, dass wir noch in Gewahrsam gekommen. Man habe die Staatsanwaltschaft noch nicht erreicht, aufgrund des Notstands und der COP gäbe es zu viele Verfahren. Wir haben Glück. Die Polizei hat nach den Massenfestnahmen vom Wochenende festgestellt, dass sie für weitere Massenfestnahmen keine Kapazität hat. Sie ist noch mit dem bürokratischen Aufwand vom Wochenende beschäftigt.

Wir verlassen verwirrt die Polizeiwache und werden von einem Aktivisten der Gruppe empfangen. Er drückt uns ein Metroticket in die Hand und wir entfernen uns. Wir warten nicht vor der Polizeiwache auf eine mögliche Ingewahrsamnahme! Der Anwalt versteht nicht besser als wir, was los ist, er sagt, die Polizei habe sich auf jeden Fall nicht an die Prozedur gehalten. Wir erfahren, dass die Leute draußen nicht untätig geblieben sind. Der Verein Sortir du nucléaire hat nach unserer Festnahme eine Soli-Presseerklärung herausgegeben, die Presse hat daraufhin nach unserem Verbleib gefragt. Das hat sicher dazu beigetragen, dass wir freigelassen wurden. Unsere Aktion hat die Menschen interessiert und beeindruckt, auch wenn es uns nicht gelungen ist, das ganz große Banner aufzuhängen.

Es war die richtige Entscheidung, nach Paris zu fahren

Grundrechte kann man nicht zu Hause auf dem Sofa verteidigen. Freiheit stirbt mit Sicherheit! Das Beispiel Frankreich zeigt, wie schnell es mit der Außerkraftsetzung von Grundrechten gehen kann. Wir sind innerhalb von wenigen Wochen in ein totalitäres Regime gefallen. Es ist wichtig, die Menschen, die sich gegen diese Entwicklung zur Wehr setzen, zu unterstützen. Sei es durch Solidaritätserklärungen, Aufklärungsarbeit oder eigene Aktionen – hierzulande oder in Frankreich!

Anmerkungen

Filmdokumentation einer Veranstaltung über die Notstandgesetze in Frankreich, die am 14.12.2015 in Frankfurt/M. stattfand:

https://youtu.be/JzkRBVkSRZc