die waffen nieder!

Krieg gegen Terror, Terror gegen Krieg – und immer so weiter?

Der Krieg: ein Mängelbericht

| Johann Bauer

Wer auf Bahnhöfen wartet, "Vorsicht bei herumstehenden Gepäckstücken, bitte melden Sie verdächtige Gegenstände" …, der sieht auf Monitoren die erschreckenden Ticker-Meldungen bewegt mehrmals hintereinander an sich vorüberziehen: "Nur 50 % der deutschen Tornados sind einsatzbereit." Wenn überhaupt! Und dabei hat sich "Aufklärung" längst mit "Tornado" übersetzt. Die Bundeswehr muss - Solidarität mit Frankreich, der Krieg ist die Solidarität der Nationen - vier bis sechs Tornados entsenden; soviele immerhin seien startklar. "Das sind bescheidene Ansprüche" (Ralph Bollmann, F.A.S. 6.12.15). Auch Eurofighter und Transall verbleiben weit unter ihrem Potential, wie der Betriebswirt sagen würde. Von den nagelneuen NH 90-Hubschraubern schweigen wir nicht: "Nur fünf von 23 Helikoptern können fliegen" (ebenda). Dabei wissen wir doch alle: "Da hilft nur Hubschrauberangriff" (1).

„Zustände“ kann bekommen, wer erfährt, dass für das schon heißlaufende Sturmgewehr G36 „gar keine zentral abrufbare elektronische Akte existiert“, wie der Gutachter Klaus-Peter Müller feststellen musste.

Kompetenzwirrwar, verwinkelte Zuständigkeiten, konkurrierende und schnell wechselnde Ansprüche, noch gesteigert durch das einheitliche IT-System SASPF „Standard-Anwendungs-Software-Produkt-Familien“ … die Klagen über mangelnde militärische Fähigkeiten nehmen kein Ende:

Lagerhaltung und Ersatzteile, die für die Flugzeuge bei kleineren Zulieferern einzeln bestellt werden, sind der Bundeswehrreform zum Opfer gefallen.

Hubschrauber werden durch das Ausschlachten anderer veralteter Maschinen instandgesetzt, so hat die Marine immerhin 4 Sea Lynx erhalten. Es fehlt an Technikern …

Die Lösung: Ein „Dienstleistungsvertrag“ über die Wartung des Geräts mit der Industrie, wie es die Royal Air Force macht und die Bundeswehr bei der Drohne Heron 1. Der Eurofighter aber muss etwa alle zwei Jahre technisch auf den neuesten Stand gebracht werden, die komplizierte Elektronik. Bollmann kritisiert, dass „die Kosten für Wartung und Unterhaltung der Systeme oft künstlich heruntergerechnet wurden, um Rüstungsprojekte überhaupt durchzusetzen“.

Vor Monaten lautete die Leitfrage dieser neuen Wehrhaftigkeit: Ob Schäuble glaube, den IS mit seiner „schwarzen Null“ einzuschüchtern, hahaha.

So klingt heute Militärkritik: Eigentlich sind die Pazifisten schuld. Neben diesen noch: Veraltete, nicht betriebswirtschaftliche Strukturen, die aber gerade abgeräumt werden zugunsten von mehr Wettbewerb.

Die Kritik an der mangelnden Einsatzbereitschaft ist letztlich nur Propaganda für die längst eingeleitete Politik, die auch bei der parlamentarischen Opposition Zustimmung findet: „Wenn die Bundeswehr Kriegsgerät bestellt und Wartungsaufträge bezahlt, dann will sie künftig auch mit den Ansprüchen eines Kunden auftreten.“ (Bollmann, F.A.S., 6.12.15)

Diese Art „Kritik“ an unzureichendem Gerät oder veralteten Methoden der Personalführung hat eine verhängnisvolle Tradition.

Schon die Sozialdemokratie des Kaiserreichs bereitete so ihre Mitarbeit an effektiveren „Verteidigungs“-Maßnahmen vor.

„Nur symbolisch“

So wie Anfang der 1980er Jahre eine beliebte Kritik der Friedensbewegung lautete, deren Aktionen seien ja „nur symbolisch“, so hat sich solche Kritik mittlerweile der offiziellen Politik angenommen.

Das Gerede hat also einige Jahrzehnte symbolischer Gewalt (siehe Galtungs Texte) ganz unbeschadet überstanden, immer noch sind Symbole Synonym für „harmlos“. Auch der IS betreibt Symbolpolitik mit seinen Videos, die entweder glückliche Familien unter der Herrschaft der Scharia oder das Abschneiden der Köpfe von „Spionen und Verbrechern“ im Sinne eben dieser so interpretierten Scharia in Szene setzen, deutsche Gangsta-Rapper auf dem Weg ins Paradies. Man kann unter schwarzer Fahne mit Koranvers besser kämpfen, als wenn dort abgebildet wäre, was bei den toten IS-Kämpfern oft gefunden wurde: Nadeln und Spritzbesteck (FAZ, 30.11.15).

Drohung und Verheißung sind symbolisch vermittelt, der Terror und der Krieg auch symbolische Gewalt, als Verteidigung glorifiziert, malerische Silhouetten in malerischen Landschaften … Als würde nicht für Symbole weltweit gestorben, als hätten nicht längst Buchtitel und Bücherverbrennungen, Karikaturen Mord und Totschlag aufgerufen, als ginge es dabei nicht um Definitionsmacht, „Identität“ und „Ehre“, als ginge es dabei nicht um alles.

Und die angeblich nur „symbolischen“ Waffensysteme? Sie töten wirklich, oder sie bereiten das Töten vor. Und sie töten nicht nur Terroristen, sondern viele ZivilistInnen. Sie erzeugen schließlich mehr Hass auf die „Kreuzfahrer“ und dann mehr Terroristen als sie töten. Und so weiter.

Immer soll die Antwort sein: mehr vom Gleichen. Wenn die Gelddruckmaschine nicht die gewollte Konjunkturbelebung beziehungsweise Inflationsrate von mindestens zwei Prozent zur Entschuldung der Staatsapparate bewirkt: Drucken wir mehr! Wenn in den USA ein Amokläufer schießt (nein, der muss nicht Islamist sein!), werden viele Waffen gekauft: Gegen die Bösen mit Waffen helfen nur die Guten mit Waffen … So werden immer „neue Käuferschichten“ erschlossen, denn wer will nicht zu den Guten gehören? Wenn der „Krieg gegen den Terror“ Terroristen erzeugt: Mehr Krieg, mehr Terror.

Ein neues Akkumulationsgesetz für die Randgebiete der Zivilisation: Krieg-Terror-Krieg.

Die Opfer dieser Politiken sehen in den Lagern die Aussicht, ihr nacktes Leben zu retten.

„Deutschland kämpft mit Fotoapparaten“

„Bisher beschränkte sich die europäische Führungsnation in Sachen Moral und Haushaltsdisziplin darauf, kurdischen Freischärlern im Nordirak einige Sturmgewehre zu liefern und Schießübungen zu veranstalten“, höhnt Peter Carstens in der F.A.S. (6.12.15), auch hier wieder die Einstimmung auf höhere Kosten. In seiner Sicht „bequemt sich“ die Bundesregierung mit der Entsendung von Tornados, einer Fregatte und etwa 1.200 SoldatInnen zu einer lediglich diplomatischen Reaktion auf die französische Erklärung, man befinde sich im Krieg und berufe sich auf die europäische Beistandsklausel.

„Verdruckst“ nennt er diese Antwort der Bundesregierung auf einen Angriff, der doch auch Deutschland (ein Fußballspiel, das deutsch-französische Freundschaft symbolisieren sollte!) gegolten habe und er ätzt: „Eher ist es doch wohl so, dass sich die ‚Augsburg‘ unter den Schutz des französischen Trägers begibt.“ Überhaupt: Die Bundeswehr suche „nach den sicheren Plätzchen in der Welt“, „weit weg vom Kampfgeschehen“, „möglichst nicht zu schießen“ sei ihr Ziel.

„Der Einsatz der Foto-Tornados über Syrien“ (diese „Oldtimer wurden noch unter Bundeskanzler Helmut Schmidt eingeführt“ – wie wir gerade noch einmal massiv belehrt wurden: der letzte Kanzler, der noch Soldat war, kein Weichei, „richtiger“ Staatsmann, auf eine smoking gun mit Helmut Schmidt!).

„Die Bundeswehr ist seit einem Vierteljahrhundert kleingekocht worden zu einem Trüppchen mit schwachem Material, zu wenigen Soldaten und geringer Kampfkraft.“

Vorschläge, das zu ändern, gibt es plötzlich viele. dass die „Wehrpflicht“ ausgesetzt wurde, wird zunehmend als Problem thematisiert: Zwar ist eine moderne, technologisch hochgerüstete Armee in ihrem Kern eine von Berufssoldaten und Spezialisten, das Problem ist aber, dass es auch viele logistische Aufgaben gibt, die weniger anspruchsvoll sind. Vor allem aber: Die „Wehrpflicht“ war immer das breite Rekrutierungsfundament.

Wenn man ohnehin musste, verpflichtete man sich vielleicht länger, sah Karrierechancen, konnte dem Dienst etwas abgewinnen. Wie in anderen Berufen auch: Wer will schon nicht einverstanden sein mit dem, was man täglich vollzieht. Diese breite Basis ist verloren gegangen, die materiellen Anreize (von der Leyens Life-Work-Balance, wir würden in diesem Fall sagen: Death-Work-Balance) werden teuer und konkurrieren mit dem Bemühen, gerade den Investitions-Anteil des Rüstungsetats zu erhöhen.

Die „Boots on the ground“-Fraktion predigt lange schon, dass ein Krieg nicht nur aus der Luft gewonnen werden kann, nicht mit dem Scheckbuch, nicht mit Aufklärungsfotos, Palmwedeln,… (2)

Jede kriegführende Macht hat das Problem, dass die Verluste unter den eigenen Soldaten nicht zu groß werden dürfen, damit die Legitimation des Einsatzes und darüber hinaus die des Staates nicht leidet. Traditionell ist dafür der Drill eine wichtige Grundlage („Schweiß spart Blut“). Auch Technik (Reichweite und Durchschlagskraft von Waffen etwa) spielt immer schon eine große Rolle dabei.

Schließlich die soziale Zusammensetzung der Streitkräfte, denn der Tod der einen wiegt schwerer als der Tai-Berg, der Tod der anderen leichter als eine Flaumfeder, gell?

In den USA hat sich etwa im Vietnamkrieg die Problematik einer Wehrpflichtarmee gezeigt, die sich zersetzt. Die Antwort war: Berufsarmee und eine Technisierung, die Opfer gering halten und so funktionieren sollte, dass interveniert werden kann und – bevor öffentlicher Protest greift – die Intervention schnell beendet wird. Auf dieser Linie ist die zunehmende Technisierung und nun etwas technisch Verlässlicheres dazu gekommen. Auch hier: Kontrolle ist besser!

Aber die Kontrolle findet nicht mehr ausschließlich an Grenzen statt, sondern über Datenströme und Satelliten-Beobachtung, die „Aufklärungsdaten“ in Terabyte liefern, das Problem ist, dass die automatisierte Auswertungssoftware (die entscheidende Filterfunktion) an Grenzen stößt und den letztlich auswertenden Menschen u.U. die wichtigsten Daten gerade vorenthält und sie mit Problemen überlastet. Daran muss ununterbrochen gearbeitet werden.

Die automatisierten Systeme stellen aber immer auch Handlungsvorschläge her, die bislang wegen der gefürchteten Legitimation kostenden „Kollateralschäden“ gerade nicht autonom „entscheiden“ sollen: Das soll den Piloten überlassen bleiben. Andererseits hat sich gezeigt, dass die Drohnen-„Piloten“ sehr wohl unter Fehleinsätzen, bei denen sie auf dem Bildschirm sehen, dass etwa eine Hochzeitsgesellschaft vernichtet wird, leiden und deshalb „unsichere Kantonisten“ bleiben, andererseits gibt es die starke Tendenz, routiniert die „Vorschläge“ der Computer durch einen Klick nachzuvollziehen. Manchmal gelingt es mit Distanzierungs- und Automatisierungstechniken doch nicht, die Empathie auszuschalten.

Die Verlagerung auf Entscheidungs- und Assistenz-Systeme entlastet die „Piloten“ in überkomplexen Situationen und möglicherweise auch „moralisch“. Bisher ist das noch ausgeschlossen, wegen der befürchteten „Unfälle“:

Es wird zwischen automatisierten und autonomen Systemen unterschieden, die automatisierten sind noch an menschliche Entscheidungen gebunden, die autonomen würden nach der „eigenen“ Programmierung selbständig Ziele auswählen und bekämpfen, ohne dass noch ein Mensch das verhindern könnte.

Autonome Systeme existieren bereits als Abwehr gegen Angriffe. Mit der häufigen Verwendung von unbemannten Kampfsystemen wächst die Tendenz zu autonomen Systemen, zumal diese die Effektivität steigern wenn menschliche Grenzen fallen: „Da kein Mensch mehr im Cockpit sitzt, auf den man in der Planung oder im Einsatz Rücksicht nehmen muss, sind neue Designs möglich, die wesentlich belastendere Flugmanöver erlauben und bemannten Jets so deutlich überlegen sind.“ (3) Die Tendenz ist, Assistenzsysteme in das unbemannte System zu verlagern.

Da es sich hier um den nächsten Rüstungswettlauf handelt, gibt es auch Versuche, diesen zu verhindern: Von unten durch die „Campaign to Stop Killer Robots“, von UN-Seite aus im Rahmen der „Convention on Certain Conventional Weapons“.

Von der Leyen hat sich für eine Ächtung vollautonomer letaler Systeme ausgesprochen. Es ist hier das Problem wie immer bei technologischen Innovationen, die zu schwer kalkulierbaren Konsequenzen für weitere Aufrüstungsprogramme führen können: Die Regierungen versuchen ein „Management“ der Destruktivkräfte.

Der Friedensnobelpreis-Träger Obama hat eine Verwendung von Kampfdrohnen durchgesetzt, die wahrscheinlich nicht mehr geächtet wird: die strategische Umstellung auf Counter-Terrorismus, d.h. es sollen u.a. „Führungskräfte“ der Islamisten „ausgeschaltet“ werden.

Zukünftige Anwendungsgebiete solcher Drohnen zur Kontrolle und automatisierten Bekämpfung von keineswegs nur terroristischen oder militärischen Bewegungen zeichnen sich ab. Auch der herrschenden Politik ist das Attentat keineswegs fremd.

Auch die deutsche Rüstungsexport-Politik war in jüngster Zeit von dem Willen geprägt, den Einsatz deutscher Soldaten zu vermeiden, indem „befreundete“ Armeen ausgerüstet und trainiert würden.

Die etwas voreilig als „Merkel-Doktrin“ bezeichnete Überlegung, durch ein „Empowerment“ von „Partnern“ durch Lieferung von Waffen und Ausrüstung diese zu befähigen, „Sicherheit und Frieden“ wiederherzustellen und zu bewahren, hat tatsächlich zu einer stärkeren Bereitschaft geführt, Waffen in (potenzielle) Krisengebiete zu liefern, und die Tendenz verstärkt, Rüstung als Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik zu verwenden (und nicht als Instrument einer Wirtschafts- und Standortpolitik, die bedrohte Kapazitäten etwa der Werft- und Flugzeugindustrie und die Erhaltung von „deutschen“ Arbeitsplätzen in Regionen der Rüstungsindustrie im Vordergrund sah – wie etwa die Betriebsräte der betroffenen Firmen es pflichtschuldig vertreten).

Die angebotenen Lösungen: Kurdische Fußtruppen, Syrische Exilarmeen aus „Wehrflüchtigen“, Spezialkräfte

Die „militärischen Optionen“ werden inzwischen breit in „sozialen Medien“ und auf LeserInnenbriefseiten diskutiert.

Nachdem der FAZ-Herausgeber Bertold Kohler gefragt hatte: „Woher also dann die Truppen nehmen, wenn die Fremdenlegionäre Deutschlands, die Kurden, es nicht alleine schaffen und die große sunnitische Befreiungsarmee nicht in Sicht ist?“ (FAZ 1.12.15), ließ die Antwort nicht lange auf sich warten: „Warum sollte sich nicht unter den in Deutschland versammelten Flüchtlingen, überwiegend jung oder allenfalls mittelalt und dem Anschein nach alleinstehend, eine Freiwilligenarmee ausbilden und ausrüsten lassen mit der Aufgabe und dem Ziel, in Verbindung mit koalitionären Luftschlägen ihre Heimat von Diktatur und Terrorismus zu befreien? Sie würden nicht als fremde Besatzung erfahren …“ (Leserbrief, FAZ 7.12.15) Dies gilt einschlägigen Kreisen auch als Rehabilitierungsmaßnahme: „Das mittlerweile etwas beschädigte Ansehen der Flüchtlinge könnte überdies wiederhergestellt werden …“ (ebenda).

Seit der polnische Außenminister Mitte November eine syrische Exilarmee gefordert hatte, wurde diese Forderung verstärkt aufgenommen, auch für Afghanistan wiederholt, die Sendungen mit Hörerbeteiligung, LeserInnenbriefseiten und Facebook-Einträge füllten sich schnell. „Ist es nicht viel abstruser, wenn Bundeswehrsoldaten in Afghanistan kämpfen, während junge Afghanen hier in Bundeswehrunterkünfte einziehen (oder ‚unter den Linden‘ Kaffee trinken)?“ fragt etwa ein altes SPD-Mitglied in der FAZ (27.11.2015).

Dahinter will der AfD-Parteitag in Hannover nicht zurückbleiben:

„Als etwa der niedersächsische Landesvorsitzende Armin-Paul Hampel in den Saal ruft, er fordere eine allgemeine Wehrpflicht für alle syrischen und irakischen Männer zwischen 18 und 45 Jahren, also Bürgerkriegsflüchtlinge nach der Genfer Konvention, um sie in den bewaffneten Kampf gegen den „Islamischen Staat“ zu schicken – da jubeln die Delegierten.“ (FAZ 30.11.2015)

„Hier werden Deserteure geschützt, die vor ein Kriegsgericht gestellt werden müssten – in Syrien“, echot es in Facebook (FAZ 30.11.2015)

Letztlich wahrscheinlicher ist aber, wenn eine Koalition mit islamischen Staaten zustande kommt und die Widersprüche etwa zwischen Putin und Erdogan befriedet werden können (was schwierig genug erscheint), dass dann die „Boots on the Ground“ eher vom Kommando Spezialkräfte gestellt werden, die mit vergleichbaren Eliteeinheiten bereits in Afghanistan und wenig beobachtet von einer Öffentlichkeit agiert haben. Das setzt eine Konzeption für eine „politische Übergangslösung“ voraus, eine klarere Bestimmung der Freund-Feind-Verhältnisse als derzeit möglich.

Dann würden Kommandoaktionen möglicherweise spruchreif. Die USA haben ihre Spezialkräfte bereits verstärkt und im Irak und in Syrien stationiert.

Probleme und offene Fragen des Antimilitarismus

Die Konzepte des anarchistischen Antimilitarismus entstanden in der Hochzeit nationalistischer Massenmobilisierung für den Krieg: Wehrpflichtheere, indoktriniert, gedrillt, Lohnsklaven, die zu diszipliniertem Töten und Sterben abgerichtet wurden. Dagegen: Verweigerung, Generalstreik, Aufstand gegen den Krieg, Sabotage.

Die Lohnsklaven sollen im Betrieb die Produktion von Waffen und Munition verweigern (industrieller Antimilitarismus). Sie sollen sich solidarisieren mit den Lohnsklaven im Land des „Erbfeindes“; ihr Vaterland ist die Internationale. Schon dieses Ideal wurde seit dem Ersten Weltkrieg immer wieder Lügen gestraft: Und ob sie ein Vaterland hatten!

Oder schnell ein kleineres Übel in den „eigenen“ Feinden statt der „fremden“ Feinde sahen. Doch, sie hatten „Feinde“.

Das macht diese Konzeptionen nicht falsch, die Erfahrungen der Kriege zeigen deutlich wie notwendig ein „Dann sag‘ nein“ ist. Aber zugleich sind die Schwierigkeiten noch gewachsen.

Die technologische Aufrüstung belegt gerade die Notwendigkeit eines industriellen und informationstechnischen Antimilitarismus, gleichzeitig werden keine potenziell widerständigen, ans Fließband wie ans Maschinengewehr gezwungenen Massen für Kriegsvorbereitung und Krieg gebraucht, sondern es sind technische SpezialistInnen und hochprofessionelle Kriegs-Facharbeiter, die stolz auf ihre qualifizierte Arbeit sind (Arbeiter-Aristokratie des Tötens), die für Kriegsvorbereitung und Krieg gebraucht werden.

Natürlich kann es auch in deren Bewusstsein und ihrem Legitimitätsglauben Einbrüche geben, aber da diese Kriegs-FacharbeiterInnen persönlich gut abgesichert und geschützt sind, werden sie über lange Zeit loyal bleiben und ihr Tun gerechtfertigt finden. Die ZivilistInnen sind in allen Kriegen „weiche Ziele“ und „Kollateralschäden“ geworden, während das Humankapital, der Wert der Ware Destruktionsarbeiter gestiegen ist. Gleichzeitig ist in der Gesellschaft die Ideologie verbreitet, jede Arbeit sei gerechtfertigt, wenn sie Einkommen erzeugt oder gar zur „Selbstverwirklichung“ beiträgt. Gegen das Interesse gibt es keine Einrede, nur Verständnis für die Automaten des Interesses. Und wenn einer es nicht tut, tut es eben jemand anderes, Verweigerung ist nur selbstschädigend. Denn ganz unersetzbar ist auch wieder niemand …

Der Antimilitarismus hat also zunehmend Probleme, Resonanz im Bewusstsein der „psychischen Systeme“ zu finden.

Diese leben Spieltheorie und „Ego Shooter“, Formen der Vorab-Militarisierung.

Der Nationalstaat, Gegner des antimilitaristischen Transnationalismus, hat als wichtigster Rahmen für Politik und Ideologie an Macht eingebüßt, genau deshalb versuchen verschiedene populistische Bewegungen ihn wieder zu ermächtigen, denn er ist die traditionelle Einheit, die Umverteilung erlaubt, Schutz vor Feinden im Inneren wie von außen, etwas scheinbar Vertrautes. Aber die Kriege zeigen, dass die Globalisierung auch hier regiert: Natürlich geht es um Rohstoffe, strategische Einflusszonen, Geopolitik.

Aber es steht nicht mehr Nationalstaat gegen Nationalstaat oder Bündnis gegen Bündnis, die Koalitionen und Interventionen sind mehrdeutig, brüchig, überkomplex: In Syrien kämpfen auf Seiten Assads mehr schiitische Freiwillige und Milizen aus dem Iran und dem Libanon (Hisbollah) als Syrer, es haben auf seiner Seite unter anderem der Iran und Russland interveniert, gegen das Assad-Regime kämpfen verschiedene sunnitische Milizen, die mit Al-Quaida verbündete Nusrah-Front und der IS. Unterstützt wird der Kampf gegen Assad von Saudi-Arabien, der Türkei, Katar, den USA, Frankreich, einer breiten internationalen Koalition… Diese Koalitionen sind nicht sicher, können schnell wechseln, um Kräfteverhältnisse neu auszutarieren; über Bündnissysteme können weitere Staaten schnell verpflichtet oder interessiert werden, ebenfalls zu intervenieren. Das Assad-Regime oder manche Fraktionen der Taliban sind plötzlich wieder „kleinere Übel“, die PKK – noch verboten und auf den Listen terroristischer Organisationen – gilt als effektivster und verlässlichster Partner in der Bekämpfung des IS. Und die Hisbollah? Und Iran?

Saudi-Arabien und die Türkei, alte Verbündete „des Westens“, die Türkei sogar als NATO-Mitglied, stehen in Verdacht, auf vielen Wegen den IS zu unterstützen. Wenn nicht über den Staat, so über gesellschaftliche Gruppen. Die Finanzierung, Rekrutierung, Propagierung des Islamischen Staats lahmzulegen, ist in breitem Umfang und mit zivilen Mitteln möglich. Aber ist der politische Wille dazu eindeutig?

Auch die Staaten in Auflösung wie die neu entstehenden Staaten sind von vielfältigen internationalen Interventionen abhängig, eine Matrix aus Macht- und Interessenlogiken koppelt sie nicht einfach ab oder überlässt sie als überdimensioniertes Trainingscamp für Terrorgruppen sich selbst. Die Warlords, die Rohstoffe verkaufen, haben Abnehmer, nicht selten in quasi-vertraglichen Strukturen. So sind sie auch zu treffen.

Die Formen der Interventionen sind vielfältig: Allein militärisch versucht jeder Staat viele „Optionen“ zu besitzen, um Eskalationen zu steuern und die Gefahr für sich gering zu halten; Eskalations-Führerschaft ist immer noch ein entscheidendes Thema der Kriegführung … Embargo-Politik zeigt, dass zivile und militärische Kriegführung weniger als je trennscharf zu unterscheiden sind: Das Embargo benötigt oft militärische Maßnahmen, die scheinbar zivilen Formen des Boykotts, der Abschnürung von Lieferungen (nicht nur Waffen, Rohstoffe, Energie und Maschinenteile, besonders auch Nahrungsmittel und Medikamente) können terroristisch wirken und angesichts globaler Lieferketten manchmal schnell gravierende Wirkungen zeigen.

Weil das Geflecht internationaler Abhängigkeiten einerseits potenziell die Durchschlagskraft eines antimilitaristischen Zwanges verstärken kann, aber oft ununterscheidbar auch terroristischer Krieg gegen die Zivilbevölkerung wird. Was schon beim Generalstreik zum Problem werden konnte: dass die herrschende Klasse noch einige Notrationen gebunkert hat, während die Massen der Tagelöhner anfingen, Not zu leiden, wiederholt sich hier. Die Staatsführung ist international vernetzt, in Gated Communities und Bunkern geschützt, während die Massen leiden.

Es ist der Krieg, der immer neue Krieger erzeugt

Besonders die terroristischen Gruppen und Staaten expandieren über scheinbare Niederlagen: Al-Quaida wird schwächer, die Rächer entdecken ihre Fähigkeit, Territorien („befreite Gebiete“) unter ihre Kontrolle zu bringen.

Der Irak des Saddam Hussein wird militärisch besiegt, die Schiiten rächen sich für ihre lange Diskriminierung und Verfolgung durch Ausgrenzung der Sunniten, diese wehren sich durch Anschläge, stützen den entstehenden IS. Entstehen und expandieren könnte dieser nicht ohne die bürokratisch-militärische Expertise von Kadern des einstigen Saddam-Regimes.

Nach Recherchen der New York Times besteht etwa ein Drittel der militärischen IS-Führung aus ehemaligen Offizieren des Saddam-Regimes (vgl. ak 611, 15.12.2015, S. 1). Wenn sie in einer Region geschwächt werden, bombt zur Entlastung eine Filiale in einer anderen Region. Den IS gibt es jetzt auch in Libyen; viele Tunesier kämpfen in seinen Reihen. Sogar vor dem Bildschirm schwören dem IS Einzelne schon Treue.

Und wir? Leben in „postheroischen Gesellschaften“. Aber wie lange noch?!

Gibt es nicht vielfältige Tendenzen, die auf die Rückkehr heroischer KriegerInnen verweisen? In Videospielen, in Fernsehprogrammen, die inzwischen wieder Todesmut und Opferbereitschaft feiern, „Call of duty“… (4).

Verschiedene Kulturen der Gewalt fließen ineinander: Das Morden an der Konsole und das Morden als (Drohnen-)Pilot, die Endzeit-Pickups im Kino und ebenso malerisch in den Videos des IS. Man spielt Terrorist, meldet sich aber bei der Bundeswehr, denn diese ist sozial abgesichert und legitimiert mit „anständigen“ Motiven. Kann nur die elende, dreckige, blutige und schmerzhafte Erfahrung wirklicher Kriege und des ständigen Verrats dort („friendly fire“ hat mehr als eine Dimension) die unheilvolle Vorstellungswelt von Abenteuer, Solidarität und idealisierter „Kameradschaft“ heilen?

Fazit

Wenn wir eine gesellschaftliche Militarisierung auf Dauer blockieren wollen, so geht das nur, indem die Überzeugung gestärkt wird, dass es zivile Alternativen gibt, Krieg nicht die „Lösung“ sondern eher die Ursache des Terrors ist. Dazu genügt es nicht, an einzelnen militärischen und politischen Maßnahmen Kritik zu üben. Wenn grundlegende pazifistische Überzeugungen nicht mehr glaubwürdig sind, wird es nur eine Frage der Effektivität militärischer Maßnahmen sein, um die noch gerungen wird – und die Frage, welches „kleinere Übel“ gerade noch akzeptiert werden kann und bei welchen Menschenrechtsverletzungen man die Augen nicht länger verschließen möchte.

Das heißt dann Realpolitik oder Verantwortungsethik oder „Wahl der Waffen“ oder Resignation.

(1) Zitiert aus dem Lied "Hubschraubereinsatz" (1982) der Gruppe "Foyer des Arts" (MaxGoldt u.a.), dort kommt tatsächlich vor: "Scheinasylanten! Scheinasylanten! Da hilft nur noch Hubschraubereinsatz". www.youtube.com/watch?v=2pAr1IMiP6A

(2) Es wäre leicht, diese Zeitung komplett zu füllen mit besonders "witzigen" Aussagen von PolitikerInnen, ExpertInnen, JournalistInnen, wie der Krieg gegen den Islamischen Staat NICHT gewonnen werden kann: nein, auch nicht mit Nichtstun, Wegschauen, Kopf-in-den-Sand-stecken; Schweigekreisen, Petitionsausschüssen, bitte komplettieren Sie selbst - oder fragen Sie ihren Abgeordneten. "Schade eigentlich"!

(3) Vgl. Niklas Schörnig: Automatisierte Kriegführung - wie viel Entscheidungsraum bleibt dem Menschen? In: APuZ 64.2014, 35-37, hier S. 30

(4) Der von Carl Schmitt geprägte Satz "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet", hochgehalten von antideutschen Kommunisten, wandert mehr und mehr in die allgemeine Stimmung ein, nicht nur in Frankreich und Belgien. Elsässers Magazin Compact heißt nicht umsonst "für Souveränität", so treu ist er sich geblieben. Die Marketingabteilungen von "Call of Duty" haben zur Einführung ihres neuesten Spiels ihren Twitter-Account so umgestaltet, dass die 3 Millionen "Follower" (!) einen PR-Gag zu sehen bekamen, der behauptete: "Singapore Authorities have officially announced a state of emergency and declared martial law." Der Terror als Verkaufschlager, der Ausnahmezustand als Gelegenheit, die einengende Last der Zivilisation hinter sich zu lassen.

Für weitere Diskussionen: www.pazifismus.eu