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Krieg ist Terror mit höherem Budget

Ein Kommentar zum Bundeswehrkriegseinsatz in Syrien

| Bernd Drücke

Die Entscheidung, sich an dem Gemetzel in Syrien zu beteiligen, ging schnell und ohne außerparlamentarischen Massenprotest über die Bühne. Am 4. Dezember 2015 beschloss der Bundestag mit großer Mehrheit den Kriegseinsatz von zunächst 1.200 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gegen den "Islamischen Staat".

Zudem soll die Zahl der Bundeswehr-SoldatInnen in den Kriegsgebieten in Mali und Afghanistan erhöht werden. „Die Einsätze in Mali und Afghanistan sind beides auch eindeutig militärische Kompensationen und Entlastungen u.a. für Frankreich (und die USA), dass diese den Krieg gegen den IS (Islamischen Staat) oder ‚Daesch‘ intensiver führen können“, so Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI). „Interessant ist, dass die französische Regierung nicht – wie von vielen zuerst erwartet – den NATO-Bündnisfall (Artikel 5) ausgerufen hat, sondern sich bei der Einforderung militärischer Solidarität auf Artikel 42.7 des Lissabon-Vertrages der Europäischen Union bezog. (Auch wenn es nur eine Deklaration der EU-Gremien und keinen förmlichen Beschluss dazu gab und die eigentliche Solidaritätsklausel [Artikel 222] des Vertrages über die Arbeitsweise der EU gar nicht in Anspruch genommen wurde.] Das hat mehrere Gründe: Erstens ist der NATO-Bündnisfall nach 9/11 immer noch in Kraft (und insofern kann darauf immer rekurriert werden) und zweitens ist damit ein weiterer institutioneller Rahmen (EU) für Militäreinsätze ‚aufgemacht‘ worden.“ (T. Pflüger, IMI-Standpunkt 2015/046, 16.12.2015)

Zwar lehnt etwa die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland die Kriegsabenteuer der Bundeswehr ab. Auf die Straße gehen dagegen bisher aber nur wenige und wenn, dann wird der zaghafte Protest allzu oft von ParteifunktionärInnen der LINKEN dominiert und für ihren Dauer-Wahlkampf vereinnahmt. Offenbar haben viele AntimilitaristInnen resigniert oder sind momentan noch mit anderen Dingen beschäftigt. Dabei sind die Solidarität mit Kriegsdienstverweigerern und den oft vor Krieg und Terror Geflüchteten, sowie antimilitaristischer Widerstand gegen Krieg, Militarisierung und Waffenexporte dringlicher denn je.

Zum dritten Mal nach Ende des Zweiten Weltkriegs führt Deutschland Krieg

Als 1999 die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joseph Fischer – unter dem die Shoah relativierenden Motto „Wir müssen ein zweites Auschwitz verhindern“ – Stimmung für den NATO-Krieg gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien machte, war das der Beginn einer Zeitenwende. Erstmals seit 1945 beteiligte sich Deutschland an einem Angriffskrieg, zum dritten Mal im 20. Jahrhundert bombardierten deutsche Bomberpiloten Jugoslawien. Die Friedensbewegung, die in den 1980er Jahren und 1991 gegen den 2. Golfkrieg noch Hunderttausende auf die Straße bringen konnte, war wie gelähmt. Nur wenige demonstrierten 1999 gegen den Krieg. Wer damals trotzdem, wie auch die Graswurzelrevolution, zu Blockaden von Militäreinrichtungen und die SoldatInnen aller Kriegsparteien zur Desertion aufrief, wurde nicht selten wegen „Öffentlicher Aufforderung zu Straftaten“ (§111 StGB) kriminalisiert.

Viele einstige PazifistInnen glaubten 1999 die von ihren grünen und sozialdemokratischen ParteifunktionärInnen verbreiteten Propagandalügen vom „humanitären Krieg“. Schließlich hatten zahlreiche (einstige) PazifistInnen die Grünen gewählt, die ja noch 1998 mit der Forderung „Keine Auslandseinsätze der Bundeswehr“ Wahlkampf gemacht hatten und 1999 bereit waren, alle pazifistischen Ideale für den Machterhalt zu opfern.

Die Wiederauferstehung Deutschlands als militärische Macht konnte von den Vorgängerregierungen aufgrund der deutschen Geschichte nicht erreicht werden. Eine Renaissance offensiver deutscher Kriegspolitik konnten erst die rot-grünen „Alt-68er“ Schröder, Fischer, Trittin, Cohn-Bendit und Co. durchsetzen. In diesem Wissen missbrauchte Joseph Fischer sogar die antifaschistische Parole „No pasaran – sie kommen nicht durch“ für seinen Krieg gegen die Bevölkerung Jugoslawiens. Weil der „Kosovo-Krieg“ von „links“ legitimiert wurde, gingen damals so wenige auf die Straße. Hätte eine Regierung unter Helmut Kohl Jugoslawien bombardieren lassen, wären wahrscheinlich Hunderttausende gegen den NATO-Angriffskrieg auf die Straße gegangen. Das Wissen um die Kriegsmüdigkeit großer Teile der Bevölkerung seit 1945 und eine bröckelnde Heimatfront konnte lange Zeit und kann auch heute die Bestrebungen von Regierungsmitgliedern, sich (verstärkt) an „militärischen Interventionen“ zu beteiligen, hemmen. So ist auch die lange (militärische) Zurückhaltung und das bisher noch vergleichsweise begrenzte militärische Engagement der Merkel-Regierung in der aktuellen „Syrien-Krise“ zu erklären.

Die Büchse der Pandora wurde geöffnet

Die „bedingungslose Solidarität“, die Gerhard Schröder nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 dem Kriegsverbrecher George W. Bush erklärte, führte dazu, dass sich deutsche Soldaten seitdem unter anderem am neoimperialen Krieg in Afghanistan beteiligen. Selbst Kriegsverbrechen, wie das 2009 von dem mittlerweile zum General beförderten Bundeswehroffizier Georg Klein befohlene Massaker an 140 Menschen im afghanischen Kundus, führten nicht zu einer grundsätzlichen Abkehr von der neuen deutschen Militärpolitik.

Krieg beginnt hier – beenden wir ihn hier!

Momentan beteiligt sich die Bundeswehr an 18 Militäreinsätzen weltweit. Und für die Rüstungsschmieden, die Deutschland nach den USA und Russland zum drittgrößten Waffenexporteur der Welt gemacht haben, brummt das Geschäft mit dem Tod wie lange nicht mehr. Während weltweit die Waffenverkäufe sinken, gehört Deutschland neben Russland und der Türkei zu den Ländern, die ihre Rüstungsexporte gesteigert haben: 9,4 Prozent mehr deutsche Waffenverkäufe gab es im Jahr 2014, berichtet das Stockholmer Friedensforschungsinstituts „Sipri“ (vgl.: www.sipri.org).

Mehr als die Hälfte der deutschen Waffen gingen 2014 an Drittstaaten, die weder der Nato noch der EU angehören. Unter den zehn Hauptabnehmern deutscher Waffen finden sich die im Jemen Krieg führenden Folterstaaten Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate. Und auch der IS mordet nicht selten mit G36-Gewehren von Heckler & Koch.

Es ist nicht zuletzt auch den deutschen Waffenlieferungen in alle Welt zu verdanken, dass heute weltweit mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Terror und Verarmung sind.

„Kriege können nur geführt werden, wenn die entsprechenden Soldaten und ihre Waffen ins Kriegsgebiet gelangen. Unsere Aufgabe ist es auch, darauf hinzuweisen, wo die Bundeswehrstandorte sind, von denen Krieg geführt wird: Tornados sind z.B. in Jagel oder Büchel (da wo auch die Atomwaffen lagern) stationiert. Das eingeplante Kriegsschiff der Marine hat einen Heimathafen. Zugleich tritt die Bundeswehr mit einer neuen Werbekampagne in der Gesellschaft auf, die Bundeswehr ‚muss‘ für ihre Einsätze Menschen rekrutieren. Nach wie vor ist es richtig, sich gegen die Bundeswehr an Schulen zu wehren. Auch die US-amerikanische Armee hat in Deutschland Schlüsselstandorte wie Ramstein, Spangdahlem, das AFRICOM oder das EUCOM in Stuttgart oder die Einrichtungen in Wiesbaden, ohne die (Drohnen)-Kriege nicht möglich wären. Aktionen vor diesen Orten der Kriegsunterstützung sind richtig und notwendig. Alle Bundeswehrstandorte eignen sich dafür. Ein Krieg ohne den Export und die Produktion von Waffen ist unmöglich, also sollten wir uns weiterhin für ein Stopp aller Rüstungsexporte einsetzen und die Orte der Rüstungsproduktion klar benennen.“ (IMI-Standpunkt 2015/046)

Solidarität?

Wie schon 2001 wird auch der neue „Krieg gegen den Terror“ mit vermeintlicher „Solidarität“ begründet. Diesmal gehe es darum, der französischen Regierung beizustehen. Dabei könnte mensch sich fragen, gegen wen? Die Islamisten, die am 13.11.2015 mit ihren Terroranschlägen in Paris 130 Menschen ermordet haben, kamen nicht aus Syrien. Es waren französische und belgische Staatsbürger, die ihren Massenmord als Rachefeldzug für den Kriegseinsatz Frankreichs in Syrien inszenierten. Und nun also als Rache für den Anschlag in Paris der Ausnahmezustand in Frankreich und ein massenhaftes Bombardement der Menschen, die in den vom „Islamischen Staat“ beherrschten Gebiet in Syrien und im Irak leben? Klingt irre? Ist irre!

Die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner hatte diese irrsinnige Kriegslogik schon vor über hundert Jahren treffend analysiert: „Rache und immer wieder Rache! Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegwaschen zu wollen. Nur Blut, das soll immer wieder mit Blut ausgewaschen werden.“

Damit sich das ändert, braucht es Gegenöffentlichkeit, Aufklärung über Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Wir brauchen eine außerparlamentarische, antifaschistische Bewegung von unten, die mit direkten gewaltfreien Aktionen, mit Protest und Widerstand den Krieg sabotiert. Militär gehört abgeschafft!

Die Geschichte zeigt: Eine Massenbewegung gegen den Krieg kann sich wie Phoenix aus der Asche neu entwickeln. Ein Beispiel: Als eine deutsche Beteiligung an George W. Bushs Angriffskrieg auf den Irak propagiert wurde, gab es zahlreiche antimilitaristische (Blockade-)Aktionen und allein am 15. Februar 2003 demonstrierten rund 500.000 Menschen in Berlin gegen den Krieg und nötigten so die Schröder-Regierung zu einem Nein zur Irak-Kriegsbeteiligung.

Gießen wir also Sand, nicht Öl in den Motor der Kriegsmaschinerie! Für eine solidarische, gewaltfreie und herrschaftslose Gesellschaft.

Anmerkungen

Antimilitaristischer Terminkalender: www.friedenskooperative.de/termine.htm

Vom 14.11. bis 15.11.2015 fand in Tübingen mit 150 TeilnehmerInnen der IMI-Kongress der Informationsstelle Militarisierung statt. Unter den ReferentInnen waren auch mehrere GWR-AutorInnen. Einen Kongressbericht findet Ihr hier: www.imi-online.de/2015/11/26/militaerische-landschaften-diskurse-raeume-strategien-2/

Eine Audiodokumentation der Redebeiträge findet sich unter: www.imi-online.de/2015/11/23/beitraege-des-imi-kongress-2015-als-audio-dateien/