Um Griechenland ist es ruhiger geworden. Das hat aber nichts damit zu tun, dass sich dort etwas verbessert hätte. Es zeigt nur auf, wie unsere (Mainstream-)Medien funktionieren: Nach der Griechenlandkrise im Sommer kamen die "Flüchtlingskrise" im Herbst und dann die islamistischen Attentate in Paris. Griechenland ist nur noch insofern von (medialem) Interesse, sofern es die Flüchtlingsproblematik betrifft. Ich war im August/September 2015 für vier Wochen in Athen, um dort mit einer Reihe von Solidaritätsbewegungen in Kontakt zu treten und mich, wenn möglich, auch entsprechend zu engagieren. Meine dabei gemachten Erfahrungen sind aktuell.
Dreh- und Angelpunkt vieler alternativer Projekte bezüglich Selbstorganisation und Solidarität ist das Stadtviertel Exárchia. Exárchia hat seit langem einen anarchistischen Ruf, und dieses Flair strahlt es auch aus: Graffiti schmücken ganze Straßenzüge.
Hier an der Polytechnischen Universität begann im November 1973 der studentische Protest gegen die Militärdiktatur. Die Polizei hält sich – auch insbesondere nach schweren Krawallen in 2008 [die GWR berichtete] – aus Exárchia weitgehend heraus. Tagsüber geht es hier bei sommerlicher Hitze eher träge zu. Abends und nachts ist die zentral gelegene Grünanlage, die dreieckige Platía Exarchíon, dagegen stark bevölkert von Studierenden, Freaks, Alternativen und Junggebliebenen – die Szene. Wer es sich nicht leisten kann, sich in eines der zahlreichen Kafeníons und Bars um diese Platía zu setzen, der kauft sich sein Bier u.a. einfach am Kiosk oder bei einem der Getränkehändler direkt am Platz und stellt oder setzt sich zu den anderen. Es wird getrunken und gequatscht, Drogen spielen bestimmt auch eine gewisse Rolle, aber hier ist längst nicht mehr ein zentraler Drogenumschlagsplatz wie früher.
„Solidarität ist unsere Waffe“
So stand es auf einem Transparent, das im August neben dem Kafeníon Athínaio (gegenüber Díktyo) in Exárchia hing. Und darum geht es: befreite Zonen zu schaffen (auch wenn sie nur temporär sind), wo Solidarität und Mitmenschlichkeit im Vordergrund stehen, wo schnöder Mammon oder kalter Kapitalismus einem nichts zu sagen haben; befreite autonome Zonen, in denen ein Leben – mehr als ein reines Überleben – möglich ist, ungeachtet der finanziellen Möglichkeiten, die einer hat. Das sind die Zonen, die Jürgen Ploog, John Holloway und Naomi Klein in ihren Büchern beschrieben haben (wobei sich beide, Ploog und Holloway, auf das Buch „T.A.Z. – Die Temporäre Autonome Zone“ von Hakim Bey beziehen).
Über die Wichtigkeit selbstorganisierter Aktivitäten im Sinne von (alternativer) Gemeinschaft hat sich auch der Herausgeber von PHILIA, eine Zeitschrift für Europa, I/2014, im Vorwort passend geäußert: „Dem lang anhaltenden Pauperisierungsprozess hat die zivilgesellschaftliche Mobilisierung [der griechischen Gesellschaft] eine Reihe von lokalen bzw. kleinräumlichen Zusammenschlüssen entgegengesetzt, deren Wirken ( ) über die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung hinausgeht. Sollte es sich dabei nicht bloß um temporäre Enklaven eines von der Krise aufgezwungenen Überlebenskampfes handeln, dann kann man den verschiedenen Selbsthilfe-Netzwerken (Landbaukommunen, Handwerkerkooperativen, selbstverwalteten lokalen Energienetzwerken, Hilfskassen, Tauschketten, Mietergenossenschaften, etc.) durchaus ein Potential zur Selbstorganisation mit Langzeitwirkungen attestieren.“
Solidarity4all
Solidarity4all ist eine Einrichtung, die aus Beiträgen der Parlamentsabgeordneten der Partei Syriza finanziert wird. Untergebracht in einem geräumigen Büro im 7. Stock eines Hauses in der Akadimías, also eine der Hauptverkehrsstraßen in der Athener Innenstadt. Vierzehn Personen arbeiten hier. Hauptaufgabe ist die Koordination und Förderung der unterschiedlichsten Solidaritätsgruppen Griechenlands. Daneben gibt es weitere eigene Aktivitäten, z.B. Schulkinder zum Schulbeginn mit Heften und Büchern auszustatten, die Verbindungen von ErzeugerInnen (von Lebensmitteln) zu VerbraucherInnen besser und kürzer zu gestalten, oder Hilfe und Vermittlung im medizinischen Bereich anzubieten. Man wird dort immer freundlich empfangen, bekommt ein Glas Wasser, und ich habe auf meine Frage, wo ich mich hier in Athen bei solchen Gruppierungen solidarisch einbringen und engagieren könnte, wertvolle Tipps bekommen.
Kliniken der Solidarität
Man spricht davon, dass es in Griechenland bereits 60 soziale Kliniken der Solidarität geben soll. Direkt im Zentrum von Athen gibt es nur eine, nämlich die Koinonikó Iatrío kai Pharmakío Athinas (K.I.F.A) ganz in der Nähe vom Omonia-Platz. Sie ist erst im letzten Herbst von Exárchia hierher umgezogen. Dank Alexandra Pavlou habe ich einiges über diese Klinik erfahren, und bei einem Besuch hat sie mir auch die Räumlichkeiten selbst gezeigt. Die K.I.F.A gibt es seit dreieinhalb Jahren, und Alexandra arbeitet seit der Gründung mit. Hier arbeiten 50 Ärztinnen und Ärzte und 50 andere Leute ehrenamtlich. Die kostenlose Behandlung erfolgt nach telefonischer Terminvereinbarung. In einem großen Behandlungszimmer stehen zwei Zahnarztstühle, gespendet von Zahnärzten, die ihre Praxis aufgegeben haben. Außerdem sind zwei Ultraschallgeräte vorhanden, aus Deutschland gespendet. Ein kleines Behandlungszimmer gibt es extra für die Psychiater. In einem Raum ist die Apotheke untergebracht, seit neuestem mit einer Klimaanlage ausgestattet, wegen der Haltbarkeit der Medikamente. An drei Tagen in der Woche werden Medikamente kostenlos ausgegeben, nur auf Rezept, keine „kritischen“ Medikamente wie Morphium, und Psychopharmaka nur äußerst sorgfältig.
Solidarität von Piräus
„Solidarität von Piräus“ ist eine aktive Gruppe von zirka 100 Aktiven, die sich um ihre Mitmenschen kümmert, insbesondere Arme und in Not geratene Menschen aus der Nachbarschaft. Ihr Wahlspruch lautet auch: „Eine bessere Art, etwas zu sagen, ist, es zu tun!“ Einer ihrer Schwerpunkte ist Nahrung. Unter anderem kochen 10 bis 20 Aktive von „Solidarität von Piräus“ dreimal die Woche. Gekocht wird mitten auf einem relativ zentral gelegenen kleinen Platz in Piräus, ganz in der Nähe der Zentrale der „Solidarität von Piräus“ in der Evripidou Str. 49. Dazu werden ein Camping-Gaskocher und ein riesiger Kochtopf verwendet.
Am Dienstag-, Donnerstag- und Samstagmittag kann damit Bedürftigen aus der Nachbarschaft eine warme Mahlzeit nebst Brot angeboten werden. Aufgrund der Gegebenheiten sind nur einfache Gerichte möglich: Suppen, Briám (das Ratatouille Griechenlands), Spaghetti, Reisgerichte, Um ein Uhr mittags erscheinen rund 120 Personen, um sich ihre Portion in mitgebrachten Plastikgefäßen abzuholen.
Ich bin während meines Athen-Aufenthalts morgens oft nach Piräus gefahren, um bei diesen Koch-Aktionen mitzuhelfen. Trotz zweier großer Sonnenschirme wird es beim sommerlichen Kochen sehr heiß, so dass diese Aktivität anstrengend ist.
Diese Solidaritäts-Initiative soll die Menschen hier vor Ort nicht nur mit dem Nötigsten versorgen, sondern ihnen auch das Gefühl vermitteln, dass jemand für sie da ist, damit sie ihre Würde behalten. Dies ist ein wesentlicher Aspekt, auch dass man menschlich miteinander umgeht; schon (zu) viele Griechen, die Selbstmord begangen haben. Ich habe den Umgang der Aktiven von „Solidarität von Piräus“ mit den Bedürftigen, auch wenn sie obdachlos waren, immer als sehr freundlich und „auf Augenhöhe“ wahrgenommen. Viele der Aktiven leben selbst in prekären Verhältnissen: Da sie über wenig Geld verfügen, nehmen sie das Angebot einer warmen Mahlzeit auch für sich selber in Anspruch und ziehen nach der mittäglichen Kochaktion mit ihrem gefüllten Plastikgefäß nebst Brot nach Hause.
Einmal habe ich auch an einer Aktion teilgenommen, die zweimal pro Monat durchgeführt wird. Und zwar sich vor einem Supermarkt-Eingang zu mehreren platzieren, mit Schildern, Handzetteln und Einkaufswagen „bewaffnet“, und die Kundschaft dann aufzufordern, auch Lebensmittel im Supermarkt zu kaufen, um sie uns dann zu spenden. Auf eine solche Lebensmittelspende antwortet man mit einem freundlichen Efcharistoúme, also „wir danken“. Eine Kundin, die sich als Journalistin entpuppte, kam mit uns ins Gespräch, fand es erstaunlich, dass jemand aus Deutschland an solch einer Aktion teilnimmt, machte Fotos von uns, was dann letztendlich zu einem kurzen Artikel geführt hat. Bei einer solchen Aktion, die vier bis fünf Stunden dauert, können schon einmal drei Einkaufswagen gut gefüllt werden.
Neben dem Essen Kochen (und Sammeln) gibt es andere Aktivitäten dieser Gruppe: Es werden 80 Familien mit Lebensmitteln versorgt, auch eine Sonderschule wird entsprechend unterstützt; zweimal pro Monat nach Schließung des Wochenmarkts von Piräus wird dort kostenlos Obst und Gemüse abgeholt, das dann gleich weiterverteilt oder zum Kochen verwendet wird; zwecks Kleiderabgabe wird ein Lager für Kleidung in Piräus betrieben; Zusammenarbeit mit einer sozialen Klinik und einer Blutbank für Bluttransfusionen; Kinder bei der Schule betreuen; soziale Bewegungen unterstützen; Arbeitslosen helfen (Lebenslauf schreiben, Pläne für alternative Jobs, Fortbildungsmaßnahmen).
Ich habe bei den Filmabenden der „Solidarität von Piräus“ auch Vassilis, den „Lawyer“, also den Rechtsbeistand der Gruppe, kennengelernt. Er hilft ehrenamtlich bei Rechtsstreitigkeiten und gerichtlichen Problemen, z.B. bei angedrohten Zwangsräumungen.
An einem Freitagabend, nach Einbruch der Dunkelheit, wurde in dem kleinen idyllischen Park Platía Terpsichéas, und das mitten in Piräus, in einer Gemeinschaftsveranstaltung von „Solidarität von Piräus“ und den Freunden des Gartens Terpsichéas der Film „Casablanca“ (mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman) gezeigt, englisch im Original mit griechischen Untertiteln. Auffällig die Parallele der Flüchtlingsströme: Im Film flüchten die Menschen aufgrund des Einmarsches der Nazis in Paris 1940; es wird sogar die Route der Refugees gezeigt: Von Paris durch Frankreich nach Marseille, dann per Schiff nach Afrika, weiter auf dem Landweg nach Casablanca, um dort mit viel Glück ein Flugzeug nach Amerika zu erwischen. Während also damals, während des Zweiten Weltkriegs, die Menschen aus Europa flüchteten, zieht es heute viele der Geflüchteten gerade dorthin!
Díktyo
In der Tsamadoú Straße Nr. 13, einer kleinen Fußgängerzone, befinden sich die Räumlichkeiten von Díktyo (griech. Netz oder Netzwerk). Díktyo steht hier für zweierlei: das Netzwerk für Politische und Soziale Rechte und das Netzwerk für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen. Dazu gehört auch noch das Steki Metanaston, was soviel wie „Einwanderer-Stammkneipe“ heißt, ein selbstverwaltetes Café. Während meines Aufenthalts in Athen wurde mir von den unterschiedlichsten Leuten immer wieder die Geschichte von den Flüchtlingen im Park erzählt. Im nahe gelegenen Aréos-Park (zu deutsch Marsfeld) lebten bis vor kurzem 600 afghanische Flüchtlinge, die aber mittlerweile von der Stadt Athen in Containern am Rande der Stadt untergebracht worden sind. Díktyo und die Leute drum herum (Achilles, einer der Hauptaktiven von Díktyo sprach zu mir von einem Umkreis, also nicht nur Díktyo, sondern andere Aktive, aber sie seien alle eine große „Community“) hatten es sich zur Aufgabe gemacht, dreimal am Tag für die Refugees zu kochen, und zwar in einer provisorischen Gemeinschaftsküche gegenüber von Díktyo. Auch ein Sprachunterricht wurde für sie organisiert. Zu meiner Zeit waren immer noch Geflüchtete im Aréos-Park, auch waren hier noch ganz vereinzelt kleine Zelte zu sehen, man konnte förmlich merken, dass hier bis vor kurzem zahlreiche Menschen „gehaust“ hatten. Mittlerweile sammelten sich zahlreiche Geflüchtete auf der Platía Viktorias, einer kleinen Grünanlage an der gleichnamigen Metrostation.
Bei diesen Aktivitäten hätte ich gerne mitgeholfen. Aber Ende August waren die meisten Leute noch in den Sommerferien, Díktyo machte ein Sommercamp auf einer nördlich von Athen gelegenen Halbinsel. Anfang September waren die meisten Leute wieder in der Stadt, aber die Aktivitäten waren heruntergefahren, und so musste sich das Netzwerk (wie auch andere Gruppierungen) erst wieder reorganisieren. Ich war bei zwei der öffentlichen Versammlungen im Steki Metanaston dabei, hatte das Glück, dass mir jemand das Griechische ins Englische übersetzt hat. Hier wurden u.a. Planungen durchgeführt für neue Gruppen für die Flüchtlingshilfe. Es ging ums gemeinsame Kochen, Sprachunterricht und Organisatorisches bzw. darum, den Barbetrieb des selbstverwalteten Cafés zu organisieren. Bevor es zu konkreten Aktivitäten kam, war ich bereits abgereist.
Containerlager
Durch die Vermittlung von Solidarity4all bin ich dann auch mit dem Containerlager für Geflüchtete der Stadt in Berührung gekommen. Es ging um Kinderbetreuung, also „playing with refugee children“. Ich bin dann eines Nachmittags zu Fuß an den Stadtrand gelaufen. Durch übelstes heruntergekommenes Gewerbegebiet. Und dort, zwischen all den gammeligen Firmen und Unrat, waren sie dann untergebracht, in der Agía Polikarpou Nr. 89. Auf einem größeren eingezäunten Gelände standen viele Container. Es gab eine Eingangskontrolle. Ich habe dann gleich Anthi gefunden, eine junge Griechin, meine Kontaktperson. Sie erzählte mir, dass die ursprünglich hier vor allem untergebrachten Afghanen bereits weitergezogen seien, hoffentlich bereits in Deutschland. Die Geflüchteten hier bekommen Verpflegung von der Armee. Die zusätzliche Hilfe, die hier im Moment gebraucht würde, ist die Kinderbetreuung. Dafür wollten sie nur Frauen einsetzen, mit Männern hätten sie keine guten Erfahrungen gemacht. Ich bin dann also weitergezogen. Auffällig war die Polizei, die sich aber auf den Eingangsbereich beschränkte. Anthi sagte mir, es sei der Polizei nicht erlaubt, weiter einzudringen, sie diene auch mehr als Schutz für die Flüchtlinge.
Nosotros
Im Zentrum von Exárchia, in der Themistokleous 66, liegt das Nosotros, ein alternatives Zentrum, ein nicht-kommerzieller, rein demokratischer Ort, unabhängig von jeder politischen Ideologie, von Hierarchien oder Verordnungen; „frei & sozial“ steht bereits auf dem Eingangsschild. In den Sommermonaten hat hier nur die Dachterrasse auf. Hier oben, über den Dächern von Exárchia und mit Blick auf die Platía Exarchíon, kann man bei gemäßigter Musik chillen. Im Winterhalbjahr gibt es regelmäßig politische oder Musikveranstaltungen, Theaterworkshops und andere Aktivitäten. Es werden diverse Sprachkurse angeboten. Es gibt die „Kouzína Nosotros“, die jeden Tag mittags geöffnet hat. Hier kann man preiswert essen (man gibt soviel, wie man mag oder kann), und hier haben auch schon exquisite Köche gekocht.
Embros
Im Stadtteil Psirrí, ganz in der Nähe des touristischen Trubels, aber doch ein wenig abseits, in der Riga Palamídou 2, etwas versteckt hinter der Ágii-Anárgiri-Kirche, liegt das von KünstlerInnen besetzte Theater Embros (= Vorwärts!).
In den Sommermonaten gibt es kein Programm, und auch das Café hat nicht geöffnet. Es treffen sich nur interne Gruppen oder es gibt nichtöffentliche Tanzproben. Aber ansonsten gibt es hier Theater, Performances, Tanz etc. Dabei ist das Embros selbstverwaltet und arbeitet ohne Hierarchien. Jeden Sonntag ab 19 Uhr gibt es eine öffentliche Versammlung.
Die Stimmung in Griechenland
Ich habe in Athen überwiegend Leute aus dem linken Milieu kennengelernt. Während meines Aufenthalts (also vor der griechischen Wahl vom 20. September 2015) war das linke Lager gespalten, ein großer Teil der Parteimitglieder von Syriza ist ausgetreten, wovon einige dann direkt der von Syriza (links) abgespaltenen Partei Laikí Enótita („Volkseinheit“) beigetreten sind. Der andere Teil hat nach wie vor fest zu Tsipras gehalten, hält ihn für einen ehrlichen Menschen, der bezüglich des dritten Memorandums sein Bestes versucht hätte. Eine kleine Umfrage von mir bei Mitgliedern von der „Solidarität von Piräus“ ergab, dass die meisten für Syriza waren, was auch damit zusammenhängt, dass diese Partei den vielfältigen Solidaritätsgruppen und anderen selbstorganisierten Aktivitäten positiv gegenübersteht und sie unterstützt (z.B. über Solidarity4all). Alle anderen (etablierten) Parteien werden als mafiös abgelehnt. Die generelle Stimmung der Griechen würde ich nicht als hoffnungslos bezeichnen, aber schon von einer großen Ratlosigkeit geprägt, da keine/r so recht weiß, wie es – im privaten wie im staatlich/gesellschaftlichen Umfeld – weitergehen soll. Ein Großteil der Bevölkerung muss mit verdammt wenig Geld versuchen, über die Runden zu kommen. Neofaschistische oder rassistische Aktivitäten, Äußerungen etc. habe ich in Athen nicht erlebt. Demgegenüber waren in einigen Teilen von Athen die Geflüchteten sehr präsent, z.B. an der Platía Viktorias.
Stromsperren
Die Verarmung immer breiterer Bevölkerungsgruppen hat dazu geführt, dass diese Leute ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen können. Im Gegenzug wurde ihnen von der Elektrizitätsgesellschaft der Strom abgestellt. Eine landesweite solidarische Aktivität in diesem Zusammenhang besteht darin, diese Stromsperren zu überbrücken bzw. aufzuheben, eine illegale Aktion. Ich habe mit einer Frau gesprochen, die an solchen Aktionen beteiligt war, diese Form der „Selbstverteidigung“ aber auch bei sich zu Hause praktiziert hat. Dann kam eines Tages ein Mann von der Elektrizitätsgesellschaft vorbei und wollte ihre Stromsperre offiziell wieder freischalten. Dass sie das schon selbst gemacht hatte, war dann auch okay. Hintergrund war gewesen, dass von Staatsseite Stromsperren und Ähnliches nicht mehr rigoros eingesetzt werden, nachdem es zu einem tragischen Unfall gekommen war. Aus der Not heraus hatte eine Frau in ihrer Wohnung einen improvisierten Holzofen betrieben, allerdings ohne ein gescheites Abzugsrohr vorzusehen. Dabei hat sie sich mit Kohlenmonoxid geschädigt, ihre 13-jährige Tochter ist dabei gestorben. Aus diesem Grund sind diese illegalen Aktionen des Stromsperrenaufhebens nicht mehr sonderlich verbreitet. Dies führt aber im Gegenzug dazu, dass sich bei vielen Leuten Schulden gegenüber der Elektrizitätsgesellschaft anhäufen, verstärkt durch stark gestiegene Stromkosten plus der automatischen Einziehung der Fernsehgebühren über die Stromrechnung. Diese neuen Schuldenberge bilden die Saat für die zukünftige Armut dieser Privatleute.
Sprachkenntnisse
Ich musste schmerzlich feststellen, dass mangelnde Sprachkenntnisse die Teilnahme an vielen Aktivitäten verhindert haben. In Touristenhochburgen kommt man als Tourist meist mit Englisch, manchmal sogar mit Deutsch zurecht. Aber in einer Großstadt wie Athen gibt es viele Leute, die nur Griechisch können oder Englisch nur so gebrochen sprechen und verstehen, dass eine inhaltliche Unterhaltung nicht wirklich möglich ist. Je tiefer ich versuchte, mich in Griechenland vor Ort zu engagieren, umso eher fiel mir die massive Sprachbarriere auf, wenn man kaum Griechisch kann. Ich habe dabei erkannt, dass ich mit meinen Bemühungen (auch und gerade bei zukünftigen Reisen) ohne gutes Griechisch nicht viel weiter kommen werde.
Meine Erfahrungen, mich aktiv bei Solidaritätsgruppen einzubringen
Wer mithilft, bekommt einen besseren Zugang, insbesondere tiefere Einblicke in die (örtlichen) Zusammenhänge und Strukturen. Es ermöglicht einem auch, (leichter) Fotos zu machen, da man einfach dazu gehört. Als außen stehender Fotograf ist das oft schwierig.
Aktivitäten über die Reise hinaus
Ich konnte während meines Aufenthalts in Athen/Piräus ausreichend Anregungen für von Deutschland aus praktizierte Solidarität gegenüber Griechenland sammeln:
Von Aktiven, aber auch von Solidarity4all wurde mir gegenüber der Wunsch bzw. Bedarf geäußert, dass „Solidarität von Piräus“ eine mobile Küche, eine sogenannte Gulaschkanone oder Feldküche braucht. Damit möchte man die warme Mahlzeit, die ja im Moment nur ortsgebunden verfügbar ist, räumlich flexibler anbieten können, um somit auch Arme und Bedürftige in anderen, auch abgelegenen Teilen von Piräus erreichen zu können. Die Idee ist, mittels einer Spendenaktion Geld einzusammeln, um davon eine gebrauchte Feldküche hier in Deutschland kaufen zu können, und dann nach Piräus zu transportieren.
Eine Medikamentensammlung hier in Frankfurt am Main zu organisieren, und zwar für die K.I.F.A. (Athener Gesundheitszentrum und Apotheke), die mir hierfür eine Liste mit achtzehn verschiedenen Medikamenten/Wirkstoffen zusammengestellt hat.