die waffen nieder!

Entwaffnen!

Zonen der Unsicherheit, Grenzen der Gewalt?

| Johann Bauer

Die Zonen der Unsicherheit wachsen. Die Nachrichten sind von täglichen Berichten über Terroranschläge, Entführungen, Vertreibungen, Kriege geprägt. Die Folgen: Fluchtbewegungen, dann die Reaktionen dagegen: Grenzschließungen, Abschiebungen, Versuche zur Entmutigung der Fluchtbereiten, Sorge um die Überforderung der Aufnahmeländer. Der Staat habe die Kontrolle verloren, Staatsversagen wird diskutiert, überfordert seien die Exekutivorgane...

Bei jedem Thema werden die gesellschaftlichen Konflikte, schon um die Definition des Problems, größer. Unter den vielen Beispielen: Wann ist etwas „Krieg“? Wann ist eine Region „sicheres Herkunftsland“?

Wie werden die genannt, die in der Silvesternacht Frauen Gewalt antaten?

Die Sprache des rechten Sektors wird rabiater:

Tatjana Festerling, die als Pegida-Kandidatin bei der Oberbürgermeisterwahl in Dresden im ersten Wahlgang mehr als 9% der Stimmen erhalten hatte, rief auf der Legida-Kundgebung: „Wenn die Mehrheit der Bürger noch klar bei Verstand wäre, dann würden sie zu Mistgabeln greifen und diese volksverratenden, volksverhetzenden Eliten aus den Parlamenten, aus den Gerichten, aus den Kirchen und aus den Pressehäusern prügeln.“

Und die Brandanschläge auf Flüchtlingsheime sprechen eine deutliche Sprache.

Die Bundesregierung reagiert auf zunehmend hetzerische Attacken in den „sozialen Netzwerken“ und den Kommentarzeilen von Zeitungen oft mit Maßnahmen, die dem Sicherheitsbedürfnis der BürgerInnen entgegenkommen sollen oder auch die Chance nutzen, den Staat zu stärken.

Oft genug steht dabei die Bundeswehr im Zentrum:

Wolfgang Schäuble, der seit der Terrorserie in Paris für einen Einsatz der Bundeswehr im Innern geworben hatte, hat sich durchgesetzt, Terrordrohungen können durch die Armee bekämpft werden, das Grundgesetz wird ergänzt: „Reichen zur Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalles polizeiliche Mittel nicht aus, so kann die Bundesregierung den Einsatz der Streitkräfte mit militärischen Mitteln anordnen.“

In „Solidarität mit Frankreich“ werden die Bundeswehreinsätze in Mali, im Nordirak und in der Türkei ausgedehnt, an einen Rückzug aus Afghanistan ist nicht zu denken.

Das Verteidigungsministerium betreibt eine rege Öffentlichkeitsarbeit:

26.12.2015: Mehrheit der Deutschen wünscht sich mehr Soldaten; 27.12.: Wir sind absolut im roten Bereich; 12.01.2016: Von der Leyen mietet israelische Kampfdrohne; 15.01.: Doppelt so viele Frauen wie 2012 leisten Wehrdienst; 16.01.: Bundeswehr bereitet Cyberattacken vor; das ist nur ein Auszug der Meldungen auf „Spiegel-online“.

Auf einen Libyen-Einsatz der Bundeswehr wird die Öffentlichkeit ebenfalls vorbereitet: Zur Stabilisierung des Staates nach einem Friedensabkommen sollen mindestens Ausbilder tätig werden, schließlich hat sich der IS dort festgesetzt. Seit langem fordert General a. D. Harald Kujat immer wieder entschieden eine Erhöhung des Wehretats auf 2 % des Bruttoinlandsproduktes, wozu sich Deutschland mit den anderen NATO-Staaten 2014 beim Gipfel in Wales sogar verpflichtet hat.

Immer häufiger wird die Wiedereinführung der Wehrpflicht verlangt.

Die Salami-Taktik setzt sich fort: Scheibchenweise wird eine Orientierung an Kriegsführungsfähigkeiten durchgesetzt

Der Ruf nach Aufrüstung: Mehr SoldatInnen, besser ausgebildet und ausgerüstet, regelmäßig auf mehreren Kriegs-„Schauplätzen“ eingesetzt, entspricht eigenartig den Tendenzen bei den StaatsbürgerInnen (Kleinstaaten, in mancher Hinsicht!), sich zu bewaffnen, an Selbstverteidigungskursen teilzunehmen. In der Konsumgesellschaft wird auch Sicherheit gekauft, die privaten Ordnungs- und Wachdienste haben in den letzten Jahren zugenommen. Der Absatz von „Survival“-Büchern, -Kalendern und die Zahl solcher Seiten im „Netz“ spiegelt die Konjunkturen der Besorgnisse.

Bei VerschwörungstheoretikerInnen, den US-Milizen und Männlichkeitsfanatikern haben sie seit Jahren ein stabiles Marktsegment erobert. Solche Stimmungen werden aber auch in der Bundesrepublik stärker.

Über Facebook rufen Menschen besonders seit den Kölner Silvesterattacken in vielen Gemeinden auf, sich zu Bürgerwehren zusammenzuschließen. Natürlich zieht das Leute an, die Gewalt legitimierenden Männlichkeitsidealen nicht fern stehen.

In einigen Städten laufen solche Wehren Patrouille, daraus können Organisationskerne rechtsextremer Gruppen entstehen – falls diese nicht ohnehin den Kern der „besorgten Bürger“ stellen.

Manchmal hilft eine etwas distanzierte Betrachtung, einen klaren Kopf zu behalten und eine Diskussion zu beginnen, was diesen autoritären Bewegungen entgegen steht.

Die Grenze, das Innen-Außen-Verhältnis gehört seit Beginn der Neuzeit zu den konstituierenden Bedingungen nicht nur der Politik, sondern auch des Selbstverständnisses der StaatsbürgerInnen. Das Schutzversprechen des Staates und die nationalistische Ideologie, die Bereitschaft letztlich für die Vergesellschaftungseinheit Staat/“Vaterland“ zu töten und zu sterben, wenn das befohlen wird, sind auch im Psycho-Haushalt der BürgerInnen verankert, letztlich sind Demokratie und Sozialstaat ebenso auf diese Struktur bezogen wie die kriegerischen und Gleichgültigkeit organisierenden Interessenlagen, die sich in Feindbildern und dem Willen zur nationalen Homogenität ausdrücken. Diese Struktur hat Weltkriege und Genozide überstanden, wurde dabei von pazifistischen und an Menschenrechten orientierten Bewegungen in Frage gestellt, bildet aber insgesamt den Horizont noch der kritischsten Diskussionen. Die Versuche von SozialistInnen und AnarchistInnen, das Thema Oben-Unten („Die Arbeiter haben kein Vaterland“ „Die Internationale erkämpft das Menschenrecht“) gegen die nationalistische Leitdifferenz Innen-Außen aufzurufen, sind überwiegend gescheitert, vor allem, weil der Staat eben auch tatsächliche Schutzeffekte (Sozialpolitik) organisierte und sich auch als Kampfboden der Klassenauseinandersetzungen durchsetzen konnte. Es war eben immer die Sprachgemeinschaft, die Organisationsgemeinschaft, der Bezug auf den Staat (bei den Sozialdemokraten besonders durch Teilnahme an Wahlen und ihre Parlamentarisierung gefördert, aber auch durch kommunale Interessengemeinsamkeiten und Kompromisse, wichtig oft auch für gewerkschaftliche Organisierung), der in Krisenzeiten aufgerufen wurde. Bei den radikalsten SozialrevolutionärInnen konnte die fundamentale Kritik am „Vaterland der Reichen“ (Hervé) von der staatsfeindlichen Abgrenzung zum Ultranationalismus „kippen“ (was nur ein Bild ist), vielleicht weil ein Transnationalismus unter den vorgefundenen Bedingungen etwas Irreales blieb, während alle tatsächlichen und alltäglichen Bezugspunkte eben in der Grenze des Nationalstaats blieben. Die ausgeschlossenen Klassen kämpften um Zugehörigkeit, das „Recht, Rechte zu haben“ (H. Arendt) war an den Nationalstaat gebunden, außerhalb war das „nackte Leben“ (Agamben) nicht viel wert.

Dies hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg durch Bündnissysteme und die Drohung des atomaren Wettrüstens nur in einigen Aspekten geändert; die Blocksysteme haben die Innen-Außen/Freund-Feind-Strukturen zunächst neu begründet. Die Wahrscheinlichkeit, dass der „kalte“ Krieg mit der Vernichtung großer Teile der Welt enden werde, war nicht gering; in mehreren Krisen (Kuba-Krise) wurde der dritte Weltkrieg nur knapp vermieden. Dies war die Situation, die uns an der Rationalität der Staaten zweifeln ließ.

Seit dem Zusammenbruch der bipolaren Ordnung und durch die „Globalisierung“ hat sich eine Weltgesellschaft entwickelt, die eine Tendenz enthält, das „Innen/Außen“-, „Zugehörig/Nicht zugehörig“-Modell in Frage zu stellen.

Die Globalisierung benötigt und nutzt zunächst Grenzen, um bestimmte Probleme der Wahrnehmung zu entziehen: den Müll, das Elend, die Verwüstungen. Auch was „Billiglohnländer“ oder Zonen der Welt sind, in denen Folter stattfindet oder wohin etwa die USA ihre zu folternden Gefangenen „exportiert“ haben.

Zuerst einmal werden Probleme und Risiken ausgelagert: Damit haben wir nichts zu tun. Die Armut und die Kriege Afrikas. Die Flüchtlinge im Mittelmeer. Die Erstaufnahmeländer nach dem Schengen-Abkommen … Dieses Abkommen ist ein typisches Beispiel, wie Grenzen verschoben werden, damit im neuen „Innen“ Kapital und Arbeitskräfte sich reibungsloser bewegen und gleichzeitig ein neues „Außen“ der Unverantwortlichkeit definiert wurde (und der Kampf geht seitdem darum, ob die Zonen der Unverantwortlichkeit vielmehr einbezogen werden müssen oder ob – die reaktionäre Antwort – nationalstaatliche Grenzen wieder engere Räume der Zugehörigkeit definieren).

Gleichzeitig aber entstehen Wahrnehmungen, die das zuvor abgeschobene und ausgegrenzte Problem ganz nah heranholen. Und die Entfernungen werden leichter überwindbar, ausgelagerte Probleme kommen zurück.

Manchmal sieht man das besonders, weil über neue Grenzen diskutiert wird (wer soll zur EU gehören, auch die Türkei? Wer bekommt in Deutschland welche Sozialleistungen: deutsche StaatsbürgerInnen, EU-BürgerInnen oder handelt es sich um ein Menschenrecht?).

Es ist beinahe unvermeidlich, dass es scharfe Reaktionen gegen diese „Auflösungstendenzen“ gibt, sie sind auch auf vielen Ebenen konfliktreich und besonders für die riskant, die bisher noch den minimalen Schutz des Staates beanspruchen konnten und mussten. Überall wo diese Prozesse Verlierer erzeugen, und das tun sie regelmäßig, versuchen gesellschaftliche Gruppen oder Staaten auch den Prozess aufzuhalten oder alte Sicherheiten zu reorganisieren, andere Gruppen rechnen sich Chancen aus, durch Unabhängigkeit (Separatismus) ihre Interessen besser zu vertreten als in der bisherigen Konstellation.

Es ist aber trotz der fortdauernden Bedeutung der nationalstaatlichen Ebene und sogar der Tendenz, neue Staaten zu bilden (koloniale Grenzen werden nicht mehr anerkannt, wenn der Staat Funktionen an internationale Zusammenschlüsse verliert, erstarkt oft auch der Regionalismus/Separatismus …), die Tendenz zu transnationalen Bewegungen und zu einer Weltgesellschaft deutlich.

Die Kommunikationsmedien folgen heute so wenig nationalen Grenzen wie kulturelle Phänomene (Bücher, Musik, Filme, Moden, die Konsumwelt …). Ökonomisch ist die internationale Verflechtung dicht wie noch nie, was sich in der Unkalkulierbarkeit von Krisen zeigt.

Sogar die Arbeitsorganisation kümmert sich weniger denn je um Grenzen, Technik nicht, Verkehrssysteme kaum, die ökologischen und gesundheitlichen Krisen gar nicht. Es ist eine internationale Zivilgesellschaft entstanden.

Die Globalisierung hat aber auch vielen Menschen die Subsistenzgrundlagen geraubt, Löhne abgesenkt, sich mit alten Formen der Versklavung in Weltmarktfabriken verknüpft, sie hat durch Destabilisierung traditioneller Strukturen, durch ökonomische und ökologische Katastrophen Wanderungs- und Fluchtbewegungen verursacht, eine Vielzahl „überflüssiger“ Menschen erzeugt, die keine Arbeit finden und nirgendwo dazu gehören. Sozialbeziehungen sind zunehmend prekär, marktförmig, individualisiert, bieten weniger Schutz und Solidarität, weniger verbindliche Normen.

Diese Entwicklungen bilden wiederum die Ursachen von Kriegen, die häufig nicht mehr Kriege zwischen traditionellen gefestigten Staaten sind, sondern Separationskriege, „Religions“-Kriege, Klimakriege, Kriege als Einkommensquelle (Piraten, Warlords, Drogenkriege …). Motive und Formen und Mischungsverhältnisse und Bündnisse können dabei schnell wechseln.

„Militarisierung“ bedeutet nicht mehr zwangsläufig, dass disziplinierte Massenheere aus dem Staatsetat ausgerüstet werden; oft bedeutet es, dass Konflikte mit Gewalt ausgetragen werden, die willkürlich, terroristisch, genozidal sein kann.

Die strategische Entscheidung heißt: Orientierung an Gerechtigkeit, der transnationale Ausgleich, Bekämpfung von Armut und Repression, Lösung gemeinsamer Probleme (Klima- und Umweltkatastrophen, Menschenrechtsverletzungen …) mit gewaltlosen Mitteln und zivilisierenden Institutionen – oder Ausgrenzung der „Überflüssigen“, wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, Regression zu nationalistischen und gewaltlegitimierenden „Lösungen“, Weltbürgerkrieg letztlich.

„Utopisch“ erscheint natürlich zunächst die Orientierung an einer „neuen Weltordnung“, die jedem Menschen Freiheit und Gleichheit sichern soll gegen die überwältigenden Strukturen der Ökonomie, gegen Diktaturen und Warlords und Traditionen, die aufgerufen oder erfunden werden, um die Bedrohungen der Gegenwart zu bannen. Aber in den sozialen Bewegungen überall auf der Welt handeln Menschen, „als ob“ es die transnationale gewaltlose Bewegung für Gerechtigkeit gäbe – und so gibt es sie.

Die Staaten wie die Bevölkerungen sind zerrissen von den Widersprüchen, für beide Perspektiven finden sich täglich Beispiele in den Nachrichten, und der Umgang mit den Flüchtlingen seit dem Sommer 2015 zeigt diese Widersprüche deutlich. Merkels Entscheidung zur Grenzöffnung erkennt das Recht auf Leben, Freiheit und Streben nach Glück an, und die deutsche Zivilgesellschaft hat in bewundernswürdiger Weise ihre Schlüsse aus der deutschen Geschichte und den Gemeinheiten der rassistischen Anschläge auf „Fremde“ seit Anfang der 1990er Jahre gezogen. Auch die Forderung an Europa, sich zu bekennen, ist notwendig. Entweder – oder! Dass es dabei Krisen und Widerstände geben würde, war allen bewusst; es ist unvermeidlich. Und natürlich gibt es in solchen angespannten Situationen Erschöpfungen und materielle Probleme, die ein Innehalten und eine Konsolidierung des Erreichten erfordern, manchmal vielleicht sogar nach zwei Schritten vorwärts einen zurück!

Über die nächste Zukunft entscheidet, dass dieses historische Geschehen nicht generell als „Fehler“ verbucht oder sogar als „Rechtsbruch“ kriminalisiert und durch eine repressive Reaktion überschrieben wird.

Warum ist es entscheidend, dass die Militarisierung der Konflikte verhindert wird?

Die europäischen Regierungen drohen auf altbekannte Muster der Sicherung durch Gewalt zurückzufallen. In Frankreich und England noch durch die koloniale Tradition gestützt, in osteuropäischen Ländern mit der endlich errungenen nationalen (Schein-)Homogenität begründet, besteht die Gefahr, dass gewagte und noch gefährdete Veränderungen rückgängig gemacht werden, eine militarisierte Abschottung statt der Öffnung für die tatsächlichen Probleme der Welt.

Gewalt legitimiert sich als Verteidigung: Gegen die Vorbereitung eines Krieges mit Massenvernichtungsmitteln, gegen den Terror, gegen die Kreuzfahrer, gegen die Diktatur, Sperrung des Zugangs zu Rohstoffen, zu sauberem Wasser, gegen territoriale Übergriffe …

Als wären es nicht die (Verteidigungs-) „Kriege gegen den Terror“ im Irak und in Afghanistan gewesen, die den Dschihadismus und seine Attentatspolitik gestärkt haben, wird militärische Interventionspolitik als allein mögliche Reaktion vorangetrieben und für zukünftige Krisen vorbereitet.

In keinem Konflikt wird es noch für berechtigt gehalten zu sagen, dass es einfach die Macht des Stärkeren, die Lust an der Eroberung ist, die als Motiv des Krieges akzeptiert wird.

Militärische Interventionen sollen völkerrechtlich legitimiert sein und möglichst mit UNO-Mandat erfolgen (auch dies zeigt die Tendenz zur Entwertung imperialistischer und nationalistischer Begründungen, solche Interessen sind gezwungen sich zu tarnen). Eine weitere Quelle der Legitimation sind die Koalitionen: Noch nie war die Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Truppen sogar sonst antagonistischer Staaten so selbstverständlich.

Das Problem wird für uns natürlich dadurch kompliziert, dass es tatsächlich Verteidigung etwa gegen Diktaturen, Entführungen, Aushungern … gibt, dass auch Militäreinsätze gerade die Eskalation eines Konfliktes aufhalten sollen (manchmal in Übereinstimmung mit den Kriegsparteien, wenn etwa UNO-SoldatInnen die Einhaltung eines Waffenstillstands überwachen). Die Betrachtung des Einzelfalls wird also durch die generelle strategische Orientierung nicht „erledigt“.

Dabei zeigt sich übrigens häufig, dass auch „die Guten“, also etwa UNO-Schutztruppen, sich schnell Frauen und Kinder unterwerfen, korrupt werden usw. Auch hier lässt das Militär eine neue Klassenspaltung aufscheinen: Die einen werden geschützt, oft die Verbündeten „des Westens“, die Brückenköpfe der Zentren in der Peripherie, die anderen, oft die Schwächsten, werden versklavt. Noch aus den Hilfslieferungen für die Hungernden ernähren sich zuerst das Militär, der korrupte Staatsapparat, Warlords, die Abgaben und Zölle an Schlagbäumen fordern. Erst was sie übrig lassen, wird an die Bevölkerung verteilt, im schlimmsten Falle noch um so Loyalität einzufordern.

Aber ganz grundsätzlich ist jede bewaffnete Aktion besonders geeignet, eine militärische Reaktion zu rechtfertigen, so dass schnell eskalierende Interventionen, effektivere Bewaffnung und bessere Vorbereitung … ebenso legitimiert sind. Deshalb muss unsere politische Konzeption sein: Entwaffnung statt Bewaffnung.

Auch der IS kämpft jetzt mit deutschen Waffen (vgl. www.taz.de/!5034151 und www.zeit.de/politik/ausland/2015-12/waffen-is-irak-amnesty).

Die reichen Metropolen können den Krieg nur legitimieren, indem sie die Opfer der eigenen Soldaten gering halten und den Krieg möglichst unsichtbar machen („Nebenbei-Krieg“, der den „normalen Gang der Wirtschaft, der Politik und des sozialen Lebens nicht stören“ sollte, so Beck S. 272): Die Toten versammeln sich jenseits der „Relevanzmauern“(Beck S. 254). Daher ist das Bombardement aus der Luft, das die Todesrisiken auf die Zivilbevölkerung „der anderen“ lädt („Kollateralschaden“), die Form des Krieges, den Demokratien wählen. So findet hier eine Grenzziehung und Hierarchisierung des wahrgenommenen Leidens statt, die bei den Opfern wiederum die Rechtfertigung für – auch terroristische – Gewaltakte bildet. Die Medienstrategie des „Krieges gegen den Terror“ scheitert, wenn Bilder der Opfer die terroristische Qualität des Krieges veröffentlichen. Die Medienstrategie etwa des IS besteht umgekehrt darin, den Terror gerade sichtbar zu machen, so Angst und Schrecken zu verbreiten, aber auch zu rekrutieren und sogar in weit entfernten Ländern neue Stützpunkte zu bilden wie offensichtlich Indonesien.

Für die Länder der Peripherie ist Gewalt, Bürgerkrieg das Problem, das alle anderen Probleme (und die sind schon fast unlösbar) noch schwerer lösbar macht. Die Ärmsten der Armen trifft der Krieg am brutalsten, entzieht ihnen noch die letzten Sicherheiten und Lebensmöglichkeiten. Denn zunehmend „ernährt der Krieg den Krieg“, Plünderungen und brutale Unterdrückung bis zur Versklavung terrorisieren große Teile der „Dritten Welt“ – mit Gewalt!

Wenn der Krieg zwischen Staaten wenigstens theoretisch zwischen Kombattanten und Nonkombattanten unterschied, im Verlauf der Kriegsgeschichte Bemühungen um eine humane Behandlung von Verwundeten und Gefangenen sich zumindest auf der Ebene vertraglicher Verpflichtungen durchsetzten, auch einzelne Waffensysteme geächtet wurden, so fallen diese Grenzen in den neuen Kriegen und privatisierten Kriegen, diese sind sogar vor allem Krieg gegen die Zivilisten. Vergewaltigungen und Menschenhandel nehmen in den Bürgerkriegsökonomien ebenso zu wie der Handel mit Rauschgift, seltenen Rohstoffen, Waffen.

Manchmal einigen sich dann nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs die Staatsklasse und die Führung der Rebellen, sie erkennen dann, dass keine Seite gewinnt, die Situation immer hoffnungsloser wird. In aller Regel hat sich das jahrelange Schlachten nur für einige gelohnt, die dann reich werden oder zu Staatsmännern aufsteigen, auf einem Berg von Leichen.

Legitimierung, Finanzierung und Bewaffnung solcher Kriegsunternehmen müssen vom Beginn ihrer Formierung an konsequent durch Boykott- und Ächtungsstrategien unterdrückt werden. Am IS ließe sich das sehr gut zeigen, es ist von ganz großer Bedeutung, dass das Selbstverständnis, der Islam erlaube oder gebiete gar solche Grausamkeiten, zerstört wird.Bisher gibt es viel zu oft Interessen, die solche Gruppen gebrauchen, etwa um sich Rohstoffe zu sichern, Einflusssphären auszudehnen, um andere politische Formationen zu bedrohen oder zu manipulieren. „Offiziell“ hat man nichts damit zu tun …

Gegen gewaltlose Strategien wird eingewandt, dass die Bewegungen oft brutalen Angriffen relativ schutzlos ausgeliefert sind, sie auf einer bestimmten Ebene – etwa der Eroberung und Beherrschung von Territorien – unterlegen sind und nur indirekt gegen manche Übergriffe kämpfen können. Auch gewaltlose Kämpfe fordern Opfer.

Es kommt vor, dass Militär auf unbewaffnete Demonstranten schießt, dass einzelne Personen ermordet werden, dass Folter und Gefängnis den Willen der Aufständischen brechen sollen, dass Gefängnisse gefüllt werden. Aber die Militarisierung der Konflikte fordert viel größere Opfer und drängt die Widerstandsbewegung zu Handlungen, die sie diskreditieren und von emanzipatorischen Zielen entfernen. Wie schon Bart De Ligt schrieb: Auf lange Sicht könnte eine Bewegung höchstens trotz ihrer Gewaltanwendung sozialistisch bleiben; „je mehr Gewalt desto weniger Sozialismus“.

Eine Militarisierung der Konflikte verstärkt auf Dauer die Tendenzen zu autoritären Konzepten und Werten (Ehre, Tradition, Heroismus, starke Männer und Führer, oft auch repressiver Religion, schließlich geht es ums Sterben), Männlichkeit verstanden als Bereitschaft zur Gewalt und rücksichtslosen Durchsetzung, Recht des Stärkeren.

Der starke, wehrhafte Staat wird das Leitbild, nicht Zivilcourage, Emanzipation, selbstkritische Bereitschaft zur Korrektur von Fehlern.

Es gibt eine Tendenz zur Rückkehr des „gerechten Krieges“, Verteidigung ist ja ohnehin gerecht. Aber auch religiöse oder nationalistisch/separatistische Rechtfertigungen haben eine starke Nähe zu Überhöhungen des Krieges – so wie es früher der letzte Krieg sein sollte oder „der Krieg zur Abschaffung aller Kriege“, zweifellos gerechte Absichten.

Wenn aber etwas in Wirklichkeit nie gerecht ist, dann Krieg.

Anmerkungen

Der Text hat Anregungen bezogen aus:

Beck, Ulrich: Weltrisikogesellschaft. Frankfurt a.M. 2007 ; Münkler, Herfried: Über den Krieg. Stationen der Kriegsgeschichte im Spiegel ihrer theoretischen Reflexion. Weilerswist 2002

www.pazifismus.eu