Peter Seyferth (Hg.): Den Staat zerschlagen! Anarchistische Staatsverständnisse, Nomos-Verlag, Baden-Baden 2015, 306 S., 49 Euro, ISBN 978-3-8329-7986-7
Anarchist_innen sind davon überzeugt, dass der Staat durch eine herrschaftsfreie Ordnung ersetzt werden muss, um den Kapitalismus Geschichte werden zu lassen. Was der Staat ist und tut, wie er entstand und wie er überwunden werden kann, ist eines der spannendsten Themen unserer Zeit.
Der Herausgeber Peter Seyferth wählte für den Sammelband „Den Staat zerschlagen!“ zwölf anarchistische Autor_innen aus, die ihre unterschiedlichen Positionen zur marxistischen und liberalen Staatskritik darlegen, aber auch die Schwächen der anarchistischen Staatsfeindschaft deutlich machen. Siegbert Wolf widmet sich auf zehn Seiten der Idee der Entstaatlichung bei Gustav Landauer. Von der millionenfachen freiwilligen Knechtschaft der Menschen und ihrer Projektion der eigenen Verantwortung auf den Staat ist hier die Rede.
Carolin Kosuch analysiert ebenfalls die Schriften Landauers und arbeitet über seine biografische Entwicklung die Radikalisierung seines Denkens vom verträumten Dichter zum sozialistischen Protagonisten der Münchener Räterepublik heraus.
Uri Gordon resümiert in seinem Kapitel über die Zukunft der Staatskunst und über die Ablehnung des Staates der modernen Anarchist_innen. Es fehle diesen jedoch eine eigenständige, analytische Staatskritik. Der Individualanarchismus steht bei Maurice Schuhmann im Fokus seiner staatskritischen Betrachtung. Max Stirner und B.R. Tucker werden von ihm grob skizziert. In seinem Fazit schreibt er: „Der Staat ist nicht nur das Herrschaftsinstrument einer Klasse oder Schicht, sondern er ist eine bereits verinnerlichte Idee. In dieser Hinsicht ist die Herrschaftskritik des klassischen Individualanarchismus sensibler als die der sozialen Strömungen.“ (S. 100)
Helge Döhring stellt die Staatsgegnerschaft der anarchosyndikalistischen Bewegung auf ökonomischem, politischem und kulturellem Sektor dar. Bezüglich des Parlamentarismus zitiert er Rudolf Rocker: „Der revolutionäre Syndikalismus verwirft jede parlamentarische Betätigung und jede Mitarbeit in den Körperschaften der ganze Parlamentarismus hat nur den Zweck, der Herrschaft der Lüge und der sozialen Ungerechtigkeit den Schein des legalen Rechts zu verleihen.“ (S.239)
Ein Kapitel von Peter Seyfarth widmet sich dem Begründer des Anarcho-Kommunismus Pjotr Kropotkin. Bevor der Staat zerstört werden kann, muss eine intensive Vorarbeit geleistet werden, denn die Ideen der Revolution und der zu erkämpfenden freien Gesellschaft müssen verbreitet werden. Eine revolutionäre Lage allein genügt nicht. Markus Huber schreibt in seinem Kapitel über anarcho-primitivistische Weltanschauungen, die in den späten 1970er Jahren in Großbritannien und in den USA aufkamen.
Der Text von Birgit Schmidt beschäftigt sich mit der Frage, warum fast zweieinhalb Millionen Juden und Jüdinnen im ausgehenden neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhundert ihre osteuropäische oder russische Heimat verließen, um in der sogenannten Neuen Welt, in Großbritannien, im Deutschen Kaiserreich und vor allem in den USA Fuß zu fassen. (S.222) Auf dreizehn Seiten fasst Jürgen Mümken die anarchistischen Klassiker und deren Grundsatzthesen zusammen. Hierbei konzentriert er sich auf das Verhältnis von Gesellschaft und Staat dieser Autoren. Mümken arbeitet die Unterschiede der Begriffe Macht und Herrschaft heraus. Sein Interesse gilt der Geschichte des Staates und der Auseinandersetzung mit den Denkformen bei Marx und Foucault. Der Schwerpunkt bei Wolfgang Eckhardt ist Bakunins Staatskritik. Bakunin erklärte sich zum Gegner jener individualistischen, egoistischen, kleinlichen und fiktiven Freiheit, welche die Schule Rousseaus und all die anderen Schulen des bürgerlichen Liberalismus lobpreisen. Im Beitrag von David Strohmaier wird ein anarchistisches Staatsverständnis behandelt, das den Staat im Innersten auf Gewalt begründet sieht. Dabei wird besonders der Anarcho-Pazifismus als eine von vielen Strömungen innerhalb der anarchistischen Bewegung analysiert.
„Den Staat zerschlagen!“ ist ein gelungenes Werk. Der Ladenpreis ist mit 49 Euro leider sehr hoch. Laut Auskunft des Nomos-Verlages ergibt sich der Preis aus der niedrigen Auflage mit der Zielgruppe Wissenschaftsbetrieb.