"Syfo - Forschung und Bewegung". Mitteilungen des Instituts für Syndikalismusforschung Nr. 5, Edition AV, Lich 2015, 10 Euro
Erst seit einigen Jahren wird über die Aktivitäten der anarchosyndikalistischen Freien ArbeiterInnen Union (FAU) sogar im "Neuen Deutschland", der "jungen Welt" und dem "Freitag" berichtet. Dabei kann die syndikalistische Bewegung auf eine 130jährige Geschichte zurückblicken.
Die Mitteilungen des Instituts für Syndikalismusforschung „Syfo – Forschung und Bewegung“ haben sich seit 2011 zum Ziel gesetzt, „die heutige syndikalistische Bewegung in ihren Aktivitäten auf historisch-theoretischer Ebene zu begleiten“. Inzwischen liegt das fünfte Jahrbuch vor. Hier werden diverse aktuelle Bücher und Broschüren vorgestellt und besprochen, die sich mit der deutschen und internationalen Geschichte der anarchosyndikalistischen Bewegung befassen. Die Wiederauflagen altbekannter Klassiker werden hier ebenso gewürdigt, wie einige neue Darstellungen und Analysen von in Vergessenheit geratenen Bewegungen und Persönlichkeiten.
Neben vielen kleineren Meldungen sind ausführliche und informative Besprechungen, beispielsweise über den Schweizer Luigi Bertoni (1872 – 1947), den auch in Deutschland bekannteren CNT-Aktivisten Luis Andres Edo (1925 – 2009) und über den Mitbegründer des revolutionären Syndikalismus in Frankreich Emile Pougets (1860 – 1931) zu lesen. Ergänzt werden sie teilweise durch Interviews mit den HerausgeberInnen dieser Werke oder mit den BetreiberInnen von anarchistischen Bibliotheken und Archiven.
Spezielle Themen, wie etwa die Machnowetschina in der Ukraine, der Anarchismus in Rumänien, sowie Kunst und Karikaturen im Anarchosyndikalismus kommen ebenfalls zur Geltung.
Die präsentierten „Fundstücke“ aus der Vergangenheit sind in der Regel aus Papier und vermitteln lediglich einen Eindruck, wie die AktivistInnen sich nach außen hin schriftlich präsentierten und gesehen werden wollten. Wie sie untereinander oder mit ihren AnsprechpartnerInnen tatsächlich umgingen, welche Erfahrungen, Erfolge oder Misserfolge damit verbunden waren, ob sie womöglich nur ein schöner Schein oder ein papierner Existenznachweis waren – das alles lässt sich nur bedingt aus Flugblättern, Kampfschriften und Broschüren herauslesen. Die Herausgeber sind sich des Problems wohl bewusst und fragen in einigen Interviews nach. Hierdurch lassen sie das leicht angestaubte Metier der Archiv- und buchbezogenen Arbeit hinter sich und agieren lebendiger und praxisnäher.
Helge Döhring kritisiert in der Besprechung eines anarchistischen Wörterbuches Selbstbezogenheit und Weltfremdheit bestimmter anarchistischer Szenen. Anarchistische Strömungen wie „Anarchokapitalismus“, „Nationalanarchismus“ und „Christlichen Anarchismus“ findet er zumindest bedenklich bis hin zu „nicht mehr alle Tassen im Schrank“. Bei den beiden Ersteren kann man das so sagen. Aber beim Christlichen Anarchismus? Auch wenn es gute Gründe dafür gibt, Religionen kritisch zu sehen, sollten wir differenzieren. Die „Catholic Workers“ in den USA haben beispielsweise mit den IWW zusammengearbeitet und verfügten über eine Praxis, die derjenigen des Anarchismus nahekam (siehe auch das Buch „Christlicher Anarchismus“ aus dem Verlag Graswurzelrevolution, 2013).
Absolutistische Gedankengänge
In dem zur Diskussion gestellten Artikel „Über das Soll des Anarchosyndikalismus“ von Hans Jürgen Degen fordert er einen „definitiven Schlussstrich“ unter die bisherige – seiner Meinung nach – sektiererische Politik des neueren Anarchosyndikalismus. Hinweg mit dem „verquasten Jargon der Linken“, „blinden kampagnengetriebenen Aktionismus“, „Großmäuligkeit“ und „revolutionärer Selbstbeweihräucherung“, stattdessen mehr konkrete Betriebsarbeit! – So weit, so gut.
Aber dann fordert er eine rigorose Abschottung gegenüber allen linken Strömungen und vielen wichtigen thematischen Schwerpunkten, beispielsweise die Abkehr von Umweltpolitik- und Antifa-Themen. Was nützen seine auf mehreren Seiten zu einem unüberwindbar hohen Berg aufgetürmten hehren Ansprüche und wohlfeilen Postulate, wenn sie in dieser Form unter den gegebenen Umständen mangels Masse kaum umgesetzt werden können? Da Degen überall Grenzzäune und Verbotsschilder für Kooperationen aufstellt, gibt es noch nicht einmal Verbündete!
Fast fanatisch steigert er sich in geradezu „absolutistische Gedankengänge“ hinein, dargelegt in einem unangenehmen Muss-Muss-Befehlston, wie er typisch für Sektierer ist: „Untaugliches muß ausgeschieden werden“! Auf der Strecke bleiben bei seinem Anarchosyndikalismus-Verständnis die Solidarität und die Gegenseitige Hilfe. Spektrenübergreifend untereinander, einfach und ohne ideologische Vorbehalte den Nächsten zugewandt. Ganz gleich, ob jemand bei Ver.di ist oder bisher nirgendwo organisiert war.
Längst gibt es basisgewerkschaftliche Plattformen und Zusammenschlüsse wie LabourNet oder sogar im 54. Jahrgang die sozialistische Betriebszeitung „Express“, die sich teilweise einer libertären Praxis geöffnet haben. Durch diese Zusammenarbeit könnten sich meiner Meinung nach für die Zukunft ebenfalls Perspektiven für die überschaubare Anzahl von AnarchosyndikalistInnen ergeben.
Erfahrungen verarbeiten und Lernprozesse fördern
Das SyFo-Interview mit Wolfgang Haug, dem Herausgeber der 2004 nach 24 Erscheinungsjahren eingestellten anarchistischen Vierteljahreszeitung „Schwarzer Faden“ und Betreiber des „Trotzdem Verlags“, ist mit seinen 29 Seiten (!) das Highlight des Heftes geworden. Einige AkteurInnen des historischen Anarchismus kannte er noch persönlich und verlegte ihre Werke. Auf Augustin Souchy, Murray Bookchin, Noam Chomsky und viele andere wird ausführlich eingegangen.
Haug macht im Gegensatz zu Degen deutlich, dass betriebliche und antirassistische Kämpfe sowie die Flüchtlingsarbeit zusammengehören, weil die ökonomische Ungleichheit weltweit Fluchtursache und Nährboden für rechte und autoritäre Denkweisen gleichermaßen darstellt. Wer könnte diesen Zusammenhang aufgrund ihrer internationalistischen Praxis nicht kompetenter verdeutlichen als Anarchosyndikalisten?
Das Interview spannt einen weiten Bogen über Haugs Erfahrungen während der ersten Jahre in der FAU, der Gründung und Entwicklung von „Schwarzer Faden“ und „Trotzdem Verlag“, des Diskussionsnetzwerkes „Forum für libertäre Informationen“ (FLI) bis hin zur Publikationspraxis anarchistischer Verlage im Nachkriegsdeutschland.
Am Beispiel des – getrennte organisatorische Wege gehenden – spanischen Anarchosyndikalismus zeigt er, dass mensch gegenüber komplizierten Sachverhalten sehr wohl eine differenzierte Haltung einnehmen kann.
Die Sympathien der SF-Redaktion gehörte zwar der „alten“ CNT, doch auch der anderen Organisation konnte sie positive Seiten abgewinnen: „Andererseits nahmen wir wahr, dass die CGT sich leichter tat, alte Dogmen beiseite zu legen und sich so ohne Probleme in soziale Bewegungen und in viele Betriebe einzubringen.“
Der Vorzug dieses langen Interviews liegt darin, dass in ihm kein fertiges, in sich abgeschlossenes Denkgebäude präsentiert wird, sondern dass hier wertvolle und manchmal auch widersprüchliche Erfahrungen nachvollziehbar vermittelt und ausgewertet werden. Auf diese Weise werden Lernprozesse gefördert und für die zukünftige Arbeit nutzbar gemacht.
Abgeschlossen wird dieses Buch durch die Rubrik „Auf Reisen“. Eine Reihe von Veranstaltungsberichten vermittelt ein lebendiges Bild, wie die Öffentlichkeitsarbeit von Syfo aussieht.
Fazit
Insgesamt ist dieser Band eine interessante Fundgrube für alle, die sich auf historischer Ebene mit der anarchosyndikalistischen Bewegung auseinandersetzen und sich gleichzeitig für die zukünftige politische Praxis Anregungen holen wollen.