Die österreichische Regierung hat die monatelange Krisenrhetorik und schrittweise Annäherung an rechte Hetze in Zahlen gepackt und gegen internationales und nationales Recht Obergrenzen für Asylanträge beschlossen. Die für Geflüchtete verheerenden Implikationen sind: die Militiarisierung der Grenzen, die Fluchtwege noch gefährlicher macht, die Verlängerung der zermürbenden Wartezeiten und die Zuspitzung der schlechten Bedingungen entlang der Balkanroute.
37.500 ist die Zahl, die am vorläufigen Ende von wochenlangen Diskussionen in der österreichischen Innenpolitik steht. 37.500 ist die sogenannte Obergrenze, die nach Worten der österreichischen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner „Sicherheit, Ordnung und Lebensqualität der Bürger“ wieder herstellen soll. 37.500 Menschen sollen also 2016 einen Asylantrag in Österreich stellen dürfen.
Die, auch bei näherem Hinsehen, sehr willkürliche Zahl ist Teil eines auf vier Jahre ausgelegten Plans, nachdem jedes Jahr weniger Menschen in Österreich einen Antrag stellen dürfen (2017: 35.000, 2018: 30.000, 2019: 25.000), um insgesamt in den kommenden vier Jahren auf nicht mehr als 127.500 Asylanträge zu kommen. Die Beschränkung der Zahl der Asylanträge soll staatliche Kontrolle demonstrieren.
Die vorangehenden Monate der forcierten Krisenrhetorik legten die Basis und legitimieren diese Verschärfung der Grenzpolitik, die ihren Ausdruck nun in konkreten Zahlen, in „Obergrenzen“, gefunden hat. Doch was bedeuten Obergrenzen?
Rechtliche Grundlagen
Die Debatte um Obergrenzen ist sogar nach ihren eigenen Maßstäben absurd. Die Zahlen wurden beschlossen, bevor Gutachten über die Vereinbarkeit der Bestimmung mit österreichischem Verfassungs- und EU-Recht geprüft wurde.
Die zwei wichtigsten Konventionen im Kontext von Flucht sind die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonventionen. Internationaler Schutz (Asyl) und subsidiärer Schutz (zeitlich eingeschränkter Status) sind in diesen prinzipiell geregelt, auch wenn sich nationale Auslegungen und somit Anerkennungsquoten unterscheiden.
Beide Konventionen sind zudem als zentrale Elemente in EU-Recht integriert. Nach geltendem Recht haben alle Drittstaatenangehörige (das heißt: Menschen ohne EU-Pass) das Recht, auch ohne geltenden österreichischen Aufenthaltstitel oder Visum nach Österreich einzureisen, wenn sie bereits an der Grenze deutlich machen, dass sie um Asyl oder subsidiären Schutz in Österreich (!) ansuchen wollen. Obergrenzen für die Anzahl an Asylwerber*innen zu setzen und somit die Einreise und den Zugang zum Asylverfahren zu begrenzen, verstößt gegen rechtliche Regelwerke auf drei Ebenen: Österreichisches Verfassungsrecht, EU-Recht und Völkerrecht.
Das bedeutet zusammengefasst, dass jene Konventionen, die die Basis für den Status quo gestellt haben, ausgehebelt werden, wenn 2016 mehr als 27.500 Asylanträge gestellt werden, was bei rund 90.000 Asylanträgen im Jahr 2015 sehr wahrscheinlich ist. Das heißt, dass jene Rechte, die die Basis für Schutz in Österreich darstellen sollen, nicht mehr garantiert würden. Es ist definitiv nicht so, als ob der Status quo allzu rosig gewesen wäre. Bereits bisher gab es inkonsequenter weise keine Alternativen zur illegalisierten Reise zur Grenze.
Bereits bisher wurden jene Konventionen viel zu restriktiv ausgelegt, um dem Großteil der Geflüchteten Schutz zu bieten. Und bereits bisher war das Asylverfahren, selbst wenn rarer weise schlussendlich positiv entschieden, in vielen Fällen äußerst zermürbend und erniedrigend. Die Einführung von Obergrenzen gefährdet und verschlechtert potentiell also selbst diese äußerst prekären Zustände.
Durchsetzung: Militarisierung der Grenzen
Die Möglichkeiten, um eine Obergrenze durchzusetzen, sind begrenzt. Prinzipiell gibt es nur zwei Möglichkeiten dafür: Die erste Option – im Grunde keine wirkliche Obergrenze, sondern eher eine Verzögerung – wären Asylanträge zwar anzunehmen, sie aber nach einem Erreichen des jährlichen Kontingents an Anträgen nicht zu bearbeiten.
Das bedeutet, dass Asylverfahren noch länger dauern würden. Real ziehen sich Asylverfahren jetzt schon über Jahre, in denen Geflüchtete weder ausreichend finanziell unterstützt werden, noch legalen Zugang zum Arbeitsmarkt haben und so zu Untätigkeit verdammt sind, während sie in ständiger Unsicherheit über ihre Zukunft schweben. Wie lange, unter welchen Umständen und wo Geflüchtete dann auf das Behandeln ihres Antrags warten müssen, wird dabei von der Regierung bewusst ausgeklammert.
Die zweite Option zur Durchsetzung einer Obergrenze und auch jene, in deren Richtung die aktuelle Rhetorik der österreichischen Regierung läuft, sind massive Grenzsicherungen.
Das bedeutet „bauliche Maßnahmen“, wie der Bundeskanzler Werner Faymann die Errichtung des Grenzzauns zu Slowenien beschönigend genannt hat, und durchgehende Grenzkontrollen.
Wie kürzlich von der Regierung verlautbart wurde, soll die „Tür mit Seitenteilen“, eine andere zynische Formulierung des Kanzlers für den Grenzzaun zu Slowenien, erweitert und von zwölf weiteren Kontrollstellen an anderen Grenzübergängen in unterschiedlichen Bundesländern ergänzt werden. Für die ‚Sicherung‘ dieser 13 Grenzübergänge hat das Innenministerium neben „Beobachtung und Aufklärung des Vorgrenzbereichs“ einschließlich „Hinderung an der Weiterreise“ auch Fahrzeug- und Personenkontrollen, „lageangepasste Kontrollen im Hinterland“ sowie rasch verfügbare Einsatzkräfte gegen „gewaltsam vorgehende Personen oder Personengruppen“ geplant. Das klingt nicht nur nach Militarisierung, die große Zahlen der aufgestellen Polizist*innen und Soldat*innen, die allein am Grenzübergang Spielfeld schon gegen 1000 geht, zeigt, wie real diese bereits ist.
Wenn von Sicherung die Rede ist, dann stellt sich die Frage: „Sicher für wen?“
Da das Recht auf Einreise nach Österreich selbst bei Befolgung der Regelungen der Konventionen nur für jene Geflüchteten gegeben ist, welche in Österreich um Asyl ansuchen wollen, stellen die geplanten verschärften Grenzkontrollen bis zum Erreichen der Zahl von 37.500 besonders für jene Menschen eine massive Einschränkung dar, welche in andere Länder, wie beispielsweise Deutschland oder Schweden, weiterreisen möchten und – in Abwesenheit von spezifischen Abkommen – deswegen abgewiesen werden können. Nach dem Erreichen des ‚Kontingents‘ von 37.500 stellt sich auch für jene Menschen, die in Österreich um Asyl ansuchen möchten, dieselbe Frage. Legal bedeutet eine Hinderung der Weiterreise in dem Fall den Bruch von Völkerrecht und EU-Recht, wie oben beschrieben. Praktisch bedeutet das vor allem, dass zahlreiche Menschen an den Grenzübergängen festsitzen werden oder zu versteckten Grenzüberschreitungen gezwungen sind.
Wozu eine solche Kriminalisierung von Flucht und Fluchthilfe führt, zeigten die extrem schlechten Bedingungen für Geflüchtete, welche nach der Verschärfung der Grenzkontrollen an der österreichisch-ungarischen Grenze im September 2015 in Ungarn festgehalten wurden. Eine Kriminalisierung von Grenzüberschreitungen zwingt Geflüchtete gefährliche Fluchtwege zu nehmen, die, wie in den vielen tragischen Fällen 2015, tödlich enden können.
Beispiel Ungarn
Zur Legitimation der Abweisungen an der Grenze könnte Österreich rechtliche Grundlagen schaffen, die etwa dem Beispiel Ungarn folgen könnten. Die Deklarierung von Serbien als sicherem Drittstaat erlaubt Ungarn beinahe alle Geflüchteten an der Grenze zurückzuweisen beziehungsweise zu inhaftieren.
Österreich könnte auch beginnen, Dublin-Rückführungen hart durchzusetzen, also Rückführungen von Geflüchteten in Länder, über die sie gereist sind – im Großteil der Fälle Griechenland, Kroatien, Slowenien, Bulgarien und Ungarn – trotz schlechter Bedingungen und gegen die Empfehlungen internationaler Organisationen zu forcieren.
Mögliche Kettenreaktionen
Die Implikationen von Obergrenzen sind, wie diese Szenarien gezeigt haben, weitreichend. Als Kettenreaktion könnten Länder entlang der Balkanroute dem Vorbild Österreichs folgen und Kontingente für die Einreise von Geflüchteten einführen.
Die Folgen für Geflüchtete, die damit in den außen liegenden Schengen-Ländern festsitzen würden, sich somit noch stärker auf wenige Länder konzentrieren, wären verheerend. Asylanträge werden bereits jetzt in Griechenland kaum bearbeitet, Geflüchtete sind massiv von Obdachlosigkeit bedroht und erfahren so gut wie keine finanzielle Unterstützung.
Wessen „Sicherheit, Ordnung und Lebensqualität“?
Welche Auswirkungen die Einführung der Obergrenzen, die ‚Sicherung‘ von Grenzen sowie die Diskussion um die rechtlichen Grundlagen dafür konkret haben wird, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.
Klar ist, dass sich diese Regulierung nahtlos in die Krisenrhetorik einreiht, welche seit dem Sommer in Österreich den politischen Ton angibt und den politischen Alltagsdiskurs immer stärker an rechtsextreme Hetze annähert und die gesellschaftliche Toleranzschwelle weiter nach rechts rückt. Gemeinsam mit den kürzlich beschlossenen massiven Beschränkungen der Sozialleistungen für Geflüchtete, der Beschneidung der legalen Möglichkeiten auf Familienzusammenführung und der Drohung, Asyl mit zeitlicher Befristung einzuführen, ist der Beschluss von Obergrenzen ein weiterer Stein in der Etablierung eines brutalen Regimes, das Leben selektiert und hierarchisiert.
Die österreichische Innenministerin nennt also „Sicherheit, Ordnung und Lebensqualität der Bürger“ als auschlaggebende Kriterien für den Beschluss der Obergrenzen. Damit wird nicht nur „Sicherheit, Ordnung und Lebensqualität“ von Österreicher*innen als Gegenpol zu Asylwerber*innen dargestellt und der Schein der Unvereinbarkeit konstruiert. Zusätzlich wird das subjektive Sicherheitsgefühl von „dem österreichischen Bürger“, geformt von Krisenrhetorik und Hetze, um den Preis von realer Sicherheit vor lebensbedrohlicher Verfolgung für Geflüchtete erkauft. Ordnung ist relevant, wenn es um überfüllte Mülleimer neben Flüchtlingslagern geht, jedoch nicht, wenn Menschen durch jahrelanges Warten auf einen legalen Status jegliche Struktur verlieren oder beim Versuch, Grenzen zu überqueren, sterben.
Die zitierte „Lebensqualität des Bürgers“ geht massiv auf Kosten nicht nur von Lebensqualität, sondern auf Kosten der Leben von Geflüchteten.