die waffen nieder!

Alle Rüstungsexporte stoppen!

Die machtpolitische Funktion des Waffenhandels aufzeigen

| Jürgen Wagner

Ende Januar 2016 trat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vor die Presse und verkündete, bis 2030 würden nicht weniger als 130 Mrd. Euro in die Neuanschaffung von Rüstungsgütern gesteckt. Hierfür muss der Investitionshaushalt schnellstmöglich von 4,7 Mrd. Euro (2016) auf etwa 9 Mrd. Euro angehoben werden. Damit ist vorhersehbar, dass auch der Militärhaushalt, der ohnehin schon von 26,8 Mrd. Euro (2006) auf bislang geplante 35 Mrd. Euro (2019) steigen sollte, noch üppiger anwachsen dürfte. (1)

Im Februar 2016 wurde dann bekannt, dass die deutschen Rüstungsexportgenehmigungen im Vorjahr mit fast 12,5 Mrd. Euro ein Allzeithoch erreicht haben. (2) Zu Recht wird argumentiert, dass diese Exporte zu Krieg und Chaos beitragen und mitbeteiligt sind, Menschen zur Flucht zu zwingen. Auch trifft zu, dass diese Zahlen im krassen Widerspruch zu den Aussagen von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel stehen, die Waffenausfuhren spürbar einschränken zu wollen.

Fakt ist: Weder Gabriel noch irgendein anderer führender deutscher Politiker hat die Absicht, die Rüstungsexporte spürbar einzuschränken – im Gegenteil. Die eigentliche Frage, der dieser Artikel nachgehen will, ist daher: Weshalb ist dies der Fall?

Kurz gesagt: Dies allein auf ein „effektives“ Lobbying zurückzuführen, ist analytisch nicht weit genug gedacht. Denn eine starke einheimische Rüstungsindustrie ist die Voraussetzung, um eine „wirkungsvolle“ Militär- und Machtpolitik betreiben zu können. Und zentrale Mittel, um dies zu erreichen, sind die Erhöhung der Rüstungsausgaben sowie die „Verbesserung“ der Wettbewerbs- und damit Exportfähigkeit der Branche. Oder noch kürzer auf den Punkt gebracht: Was gut ist für die deutsche Rüstungsindustrie, ist doppelt so gut für die machtpolitischen Ambitionen Deutschlands.

Gabriel als Totengräber der Rüstungsindustrie?

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel wird fälschlicherweise immer wieder vorgeworfen, aufgrund seiner restriktiven Haltung gegenüber dem Export von Rüstungsgütern betätige er sich als „Totengräber der wehrtechnischen Industrie Deutschlands“. (3) Wie er zu diesem, an sich ja honorigen Ruf kam, ist allerdings schleierhaft, denn bei der Erhöhung des Rüstungshaushaltes und dem Ausbau der Waffenexporte handelt es sich um Kernelemente der von der Bundesregierung im Oktober 2014 gestarteten „Agenda Rüstung“, der sich auch Gabriel verpflichtet fühlt.

Dies zeigte sich deutlich in seiner rüstungspolitischen Grundsatzrede vom 8. Oktober 2014, in der Gabriel nicht einmal Waffenlieferungen in Krisengebiete eine Absage erteilte, die Unterstützung der Peschmerga befürwortete er z.B. ausdrücklich: „Aber zugleich müssen wir – und das ebenfalls mit großer Klarheit – feststellen, dass es natürlich legitime sicherheits- und bündnispolitische Interessen gibt, welche die Lieferung von Rüstungsgütern und Kriegswaffen rechtfertigen können. […] Deutschland und seine Partner haben ein eigenes Interesse daran, Piraterie, Terrorismus und Proliferation von Waffen, wie sie im Nahen und Mittleren Osten auftreten, einzudämmen. […] Die Lieferungen an die Kurden im Norden des Irak, die der Abwehr einer fanatisch-grausamen Terrorbewegung wie dem so genannten ‚Islamischen Staat‘ dienen, sind weder ein Tabubruch und noch gar ein Widerspruch zu unseren Werten und Rechtsregeln.“ (4)

Selbst wenn man es wohlwollend betrachtet, geht es also lediglich darum, Rüstungsexporte nur für Krisenregionen und hier auch nur in überschaubarem Ausmaße zu beschränken. Doch ein Großteil der deutschen Rüstungsexporte ist aus Gabriels Sicht ohnehin völlig unproblematisch, und hier gäbe es noch enormes Wachstumspotenzial – Rüstungslieferungen an zertifizierte Freunde: „Die Bundesregierung sollte die Industrie stärker als bisher in ihren Aktivitäten mit EU-, NATO- und NATO-gleichgestellten Ländern unterstützen. Die NATO hat 28 Mitgliedsstaaten. Sie geben zusammen 880 Milliarden Dollar für die Verteidigung aus. Hinzu kommen fünf EU-Länder, die nicht Mitglied der NATO sind – zusammen also 33 formale Bündnispartner. Auch Indien und Brasilien sind strategische Partner für Deutschland und Europa. In alle diese Demokratien mit ihren großen Volkswirtschaften und Verteidigungsetats kann die deutsche und die europäische wehrtechnische Industrie liefern.“ (5)

Nachdem Gabriel in derselben Rede dann auch noch explizit eine „exportpolitische Flankierung für die Verteidigungsindustrie“ ankündigte (6), kann an seiner Absicht, künftig sogar verstärkt auf Waffenexporte zu setzen, genauso wenig Zweifel bestehen, wie an der des Großteils seiner Kollegen.

Ohne Exporte keine Rüstungsindustrie!

Ursächlich für die augenscheinliche Affinität zu Waffenexporten ist nicht zuletzt der Umstand, dass der heimische Markt trotz von der Leyens jüngster Rüstungsoffensive viel zu klein ist. Mit anderen Worten: Die deutsche Rüstungsindustrie wäre ohne Exporte schlicht nicht überlebensfähig. Solange es eine deutsche Rüstungsindustrie gibt, solange wird es also auch zwingend deutsche Rüstungsexporte geben. In den Worten von Claus Günther, der BDI-Vorsitzende des Ausschusses Sicherheit: „Wir brauchen Exporte, denn allein durch die dünne nationale Auftragsdecke wird die deutsche Rüstungsindustrie nicht überlebensfähig sein.“ (7)

Weshalb die Rüstungsindustrie an Exporten interessiert ist, liegt auf der Hand; sie erhöhen die ohnehin schon ordentlichen Profite. Allerdings ist die Bundesregierung nur allzu bereit, hier unterstützend unter die Arme zu greifen, weil dies der angestrebten starken rüstungsindustriellen Basis zuträglich ist. So äußerte sich Gabriel in seiner rüstungspolitischen Grundsatzrede: „Die Erhaltung der Bündnisfähigkeit und der dazu notwendigen rüstungstechnologischen Kernkompetenzen sind ein zentrales außen- und sicherheitspolitisches Interesse der Bundesrepublik Deutschland.“ (8) Aus diesem Grund kündigte er bei dieser Gelegenheit auch gleich noch eine „exportpolitische Flankierung für die Verteidigungsindustrie“ an, die dann im Oktober 2015 in das „Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland“ einfließen sollte. In ihm wurde besagte Flankierung folgendermaßen konkretisiert: „Auf dieser Basis wird die Bundesregierung daran festhalten, die Verteidigungsindustrie bei ihren Aktivitäten insbesondere in EU-, NATO- und der NATO gleichgestellten Ländern zu unterstützen. Diese Flankierung kann auch auf so genannte Drittstaaten ausgedehnt werden […]. Die Bundesregierung wird Exportaktivitäten nach Einzelfallprüfung mit dem außenwirtschaftlichen und sonstigen Instrumentarium flankieren und dabei auch speziell verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien berücksichtigen.“ (9)

Die Bundesregierung nennt dabei drei wesentliche Gründe, weshalb diese exportpolitische Flankierung zur Stärkung der rüstungsindustriellen Basis erforderlich sei: arbeitsmarktpolitische, wirtschaftliche und machtpolitische.

Wirtschaftlicher Nullfaktor – machtpolitisches Pfund

Was die Arbeitsplätze anbelangt, so sind in der Rüstungsindustrie nach Eigenangaben gerade einmal 98.000 Menschen beschäftigt, im Kernbereich sogar nur 17.000. (10) Selbst die höhere Zahl bedeutet über den Daumen gepeilt lediglich einen Anteil von 0,24 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland. Studien belegen zudem, dass kein Sektor pro staatlich investierter Milliarde weniger Arbeitsplätze abwirft als der Rüstungsbereich. Auch volkswirtschaftlich ist die Relevanz der Rüstungsindustrie überschaubar. Sie steuert etwa 1 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Zum Vergleich: Allein die Autoindustrie kommt auf 7 Prozent. (11) Auch die viel beschworenen „Spin-Offs“, technologische Innovationen, die vom Rüstungssektor erfunden werden und danach massiv zur volkswirtschaftlichen Entwicklung beitragen, existieren lediglich in der Phantasie der Rüstungsbefürworter. In Wahrheit wird umgekehrt ein Schuh daraus: Innovationen gehen auf den zivilen Sektor zurück, derer sich die Rüstung dann bedient. So schrieb Martina Fischer bereits in einem Aufsatz aus dem Jahr 1994: „Das Argument, daß über Rüstung das technologische Niveau der Industrie insgesamt und dadurch die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern sei, wurde von verschiedenen rüstungs- und technologiepolitischen ExpertInnen bereits in den siebziger Jahren angezweifelt und vor allem im Verlaufe der achtziger Jahre anhand von Länderbeispielen sowohl bezogen auf die Industriestaaten wie auch für Dritte-Welt-Länder widerlegt.“ (12)

Eine Konversion, also die Umstellung der Rüstungsproduktion auf die Herstellung ziviler Güter, wäre also möglich und gesellschaftlich wünschenswert, wie u.a. auch eine Resolution der Delegiertenkonferenz der IG Metall Stuttgart im September 2014 deutlich zum Ausdruck brachte: „Wir verurteilen Rüstungsproduktion und Rüstungsexporte […] Arbeitsplatzverluste in der Rüstungsindustrie sind durch Wandlung in Arbeitsplätze zur Herstellung ziviler, gesellschaftlich notwendiger Produkte zu kompensieren. Rüstungsarbeitsplätze erfordern Investitionen in teure Technologie. Für dieses Geld können in anderen Bereichen (Bildung, Gesundheit…) mehr und gesellschaftlich sinnvolle Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Konversionsdebatte muss in den Rüstungsbetrieben nachhaltig geführt werden. Hier übernimmt die IG Metall eine aktive und steuernde Rolle.“ (13)

Woran es hier fehlt, ist allein der politische Wille. Und das hat primär mit der dritten und entscheidenden Antwort zu tun, weshalb die Rüstungsindustrie und ihre Exporte gestärkt werden sollen: Eine eigenständige Rüstungsindustrie gilt als unerlässlicher Machtfaktor eines erstrangigen weltpolitischen Akteurs. Jedwede Abhängigkeit vom Kriegsgerät anderer Länder schränkt die machtpolitische Beinfreiheit ein. Gleichzeitig steigen durch Exporte die Stückzahlen und tragen somit durch Skaleneffekte – so zumindest die Theorie – zur Senkung der Stückpreise für den „Heimverbraucher Bundeswehr“ bei – es wird also über Exporte mehr militärische Schlagkraft pro investiertem Euro generiert. (14)

Spätestens seit den Auftritten von Bundespräsident Joachim Gauck, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und von Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 will Deutschland erklärtermaßen mehr militärische „Verantwortung“ übernehmen – also machtpolitisch in der allerersten Reihe mitspielen. Und das geht eben nur, wenn man auch über eine hierfür „notwendige“ industrielle Basis verfügt, wie der „Bundesverband der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ der Politik hinter die Ohren schreibt: „Die Bundesrepublik Deutschland hat sich entschieden, Verantwortung für sicherheitspolitische Aufgaben zu übernehmen und sich mit ihren Partnern für die Durchsetzung gemeinsamer Werte und Ziele einzusetzen. […] Um die genannten Aufgaben entsprechend wahrnehmen zu können, kann es in einigen Fällen militärischer Maßnahmen bedürfen […]. Nur eine eigene deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie [kann] die politisch als wichtig eingeschätzte Versorgungssicherheit der deutschen Einsatzkräfte gewährleisten und so die Handlungsfähigkeit Deutschlands sichern.“ (15)

Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt auch eine umfangreiche Untersuchung über die deutsche Rüstungsindustrie, in der es zum „Wert“ der Branche heißt: „[D]ie Rüstungspolitik [ist] ein integraler Bestandteil der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie eine Kernkompetenz der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. […] Der Zugriff auf eine leistungsfähige und flexible rüstungsindustrielle Basis ist für die Bundesregierung somit eine Grundvoraussetzung ihrer militärischen und damit außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Handlungsfähigkeit. Für den Handelsstaat Deutschland ist diese Komponente seiner staatlichen Handlungsfähigkeit eine grundlegende Voraussetzung für eine effektive und nachhaltige Interessensverfolgung in einer multipolaren Weltordnung. […] Nicht seine ökonomische Dimension – sprich der Beitrag zur Wirtschaftsleistung und die Schaffung von Arbeitsplätzen – sondern die […] militärische und außenpolitische Dimension macht den Rüstungssektor zu einem unverzichtbaren Wirtschaftsbereich der deutschen Volkswirtschaft.“ (16)

Die deutsche Großmachtpolitik in den Fokus der Kritik nehmen

Rüstungsexporte sind aus Sicht der Bundesregierung machtpolitisch geboten, wie auch die Aussagen des CDU-Rüstungsexperte Henning Otte weiter belegen: „Deutschland als souveräner Staat muss in der Lage sein, seine Soldaten in Kernbereichen mit Waffen aus eigener Produktion auszustatten, um nicht auf zweitklassiges Material vom Weltmarkt angewiesen zu sein. Damit diese Schlüsselindustrien lebensfähig sind, müssen sie auch exportieren können.“ (17)

Die Gleichung ist also simpel: Ohne Rüstungsexporte keine deutsche Rüstungsindustrie. Ohne deutsche Rüstungsindustrie keine eigenständige deutsche Militärpolitik. Ohne eigenständige deutsche Militärpolitik keine deutsche Großmachtpolitik! Rüstungsexporte sind also das zwingende Ergebnis deutscher Großmachtambitionen.

Aus diesem Grund ist es zentral, neben der moralischen Verwerflichkeit von Rüstungsexporten auch diese strategisch-machtpolitische Funktion der Waffenausfuhren stärker in den Fokus der Kritik zu rücken!

(1) Wagner, Jürgen: "Karten klar auf den Tisch", IMI-Analyse 2016/02.

(2) Dämpfer für Gabriel - Rüstungsexporte auf Rekordniveau, Zeit Online, 19.2.2016.

(3) Das Zitat stammt vom CSU-Sicherheitspolitiker und ehemaligen Beschäftigten des Panzerbauers KMW, Florian Hahn. Siehe Wie restriktiv geht Gabriel tatsächlich vor?, Süddeutsche Zeitung, 24.7.2015.

(4) Rede von Bundesminister Gabriel zu den Grundsätzen deutscher Rüstungsexportpolitik, DGAP, Berlin, 8.10.2014.

(5) Ebd.

(6) Ebd.

(7) Firmen und Politik beim Trialog, Cellsche Zeitung, 18.9.2014.

(8) Rede von Bundesminister Gabriel zu den Grundsätzen deutscher Rüstungsexportpolitik, DGAP, Berlin, 8.10.2014.

(9) Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland, Berlin, 8.7.2015, S. 8f.

(10) WifOR, Quantifizierung der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie für den deutschen Wirtschaftsstandort, Berlin 2012, S. 44.

(11) Henken, Lühr/Strutynski, Peter: Händler des Todes. Rüstungsexporte als Mittel deutscher Außenpolitik: Schädlich und unmoralisch, RLS-Standpunkt Nr. 5/2013; Linnenkamp, Hilmar/Mölling, Christian: Rüstung und Kernfähigkeiten. Alternativen deutscher Rüstungspolitik, SWP-Aktuell 45, Juni 2014, S. 2.

(12) Fischer, Martina: Rüstungs- und Industriepolitik in Spanien, in: Karl, Wilfried (Hg.): Rüstungskooperation und Technologiepolitik als Problem der westeuropäischen Integration, Opladen 1994, S. 49-107, S. 64.

(13) Resolution der Delegiertenkonferenz der IG Metall Stuttgart vom 20.9.2014.

(14) Lösing, Sabine/Wagner, Jürgen: EU-Armee: Machtpolitische Imperative und Stolpersteine, in: AUSDRUCK (August 2015), S. 1-10.

(15) Politische Bedeutung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, BDSV, o.J.

(16) Heidenkamp, Henrik: Deutsche Rüstungspolitik. Ein Politikfeld im Handlungsdruck, Opladen 2015, S. 73 und 18.

(17) "Wir brauchen Waffen aus eigener Produktion", Die Welt, 20.5.2015.

Der Autor

Jürgen Wagner ist geschäftsführender Vorstand der Tübinger Informationsstelle Militarisierung e.V. (IMI). Kontakt: www.imi-online.de