die waffen nieder!

Francis Sheehy-Skeffington (23.12.1878 – 26.4.1916)

Der Traum vom Erreichen der irischen Unabhängigkeit ohne Gewalt

| Oliver Steinke

Anlässlich seines 100. Todestages am 26. April 2016: Erinnerung an einen frühen Feministen, nonkonformistischen Journalisten, Schriftsteller, Esperantoverfechter, Sozialisten und Pazifisten.

Ostern 1916. Dublin, Irland, eine Stadt in Aufruhr. Eine bekannte Gestalt, ein gut, aber etwas seltsam gekleideter Mann mit dichtem, rotem Vollbart, eilt durch die Straßen des Stadtzentrums, er ist unbewaffnet und hofft darauf, dass die heftigen Kämpfe bald enden. Seine Stimme als Journalist ist einflussreich, doch diesmal verhallen seine Appelle ungehört. Denn, auch wenn die meisten Menschen diesem Aufstand ablehnend gegenüberstehen: Diesmal ist es die Stunde der bewaffneten Revolte!

Vorgeschichte

Bereits seit dem 16. Jahrhundert verwehrte die englische Kolonialmacht im Zuge von Landraub, Enteignungen und Unterdrückung des katholischen Glaubens der irischen Bevölkerung grundlegende Rechte. Nach einer der zahllosen Rebellionen wurde 1801 die grüne Insel gar komplett mit England zwangsvereinigt und erlitt in der Folge, vor allem in den Jahren 1845 bis 1851, beispiellose, durch Kartoffelfäule ausgelöste Hungersnöte. Eine Million verhungerten, obwohl in Irland weiterhin Nahrungsmittel angebaut und geerntet wurden. Die verschickte man aber gewinnträchtig nach England! Um zu überleben, wanderten weitere eineinhalb Millionen Menschen vor allem nach Schottland, England, Nordamerika oder Australien aus.

In den folgenden Jahrzehnten erstarkte die Unabhängigkeitsbewegung, und die Landbevölkerung begann, um die Rückgabe ihres enteigneten Grundbesitzes zu kämpfen. Viele Intellektuelle aus dem Bürgertum, egal ob protestantisch oder katholisch, solidarisierten sich mit diesen Kämpfen und strebten nach sozialer und politischer Gleichberechtigung für alle, ein radikaler Flügel gar nach Sozialismus und völliger Unabhängigkeit von England.

Unter ihnen der Mann, der schon bei seinen ZeitgenossInnen als Sonderling galt:

Francis Sheehy-Skeffington dürfte wohl einer der ersten Männer gewesen sein, der aus feministischen Gründen den Namen seiner 1903 geheirateten Frau, Hanna Sheehy, zu einem gemeinsamen Doppelnamen verband.

Seine Überzeugungen soll der kleine Francis schon von klein auf von seinen Eltern Rose und dem Arzt Joseph Skeffington mit auf den Weg bekommen haben, insbesondere den Glauben an humanistische Ideale, von dem er Zeit seines Lebens nicht ablassen wird. Um bei eher Äußerlichkeiten anzufangen: Er weigert sich, seinen Bart schneiden zu lassen, darin indischen Asketen gleich, ist dazu Vegetarier. Sein Freund, der später weltberühmte Schriftsteller James Joyce, sagt über ihn: „Er ist der klügste Kopf der Universität, neben mir.“ Nicht nur klug, sondern auch konsequent, denn 1904 verlässt er die Dubliner Universität, da Frauen hier nicht die gleichen Möglichkeiten eingeräumt werden wie Männern. Er ist gegen Militarismus: Den 1912/1913 nach einem harten Klassenkampf von Dubliner Gewerkschafter*innen gegründeten Selbstverteidigungseinheiten der „Citizen Army“ tritt er zunächst bei, verlässt sie aber, als ihre Ziele über Selbstverteidigung hinausgehen. Trotzdem unterstützt er die von seinem Freund, dem Sozialisten James Connolly, angeführten Streikenden durch das „Dublin Industrial Peace Comittee/Civic League“, das die Arbeiter gegen die Polizeieinsätze verteidigt und Möglichkeiten der Schlichtung erörtert, die von der Unternehmerseite allerdings abgelehnt werden.

Zu Beginn des Weltkrieges 1914 gegen Deutschland agitiert er gegen Kriegsteilnahme und Rekrutierung, wird dafür zu einem halben Jahr Gefängnis und Zwangsarbeit verurteilt und inhaftiert. Unverzüglich tritt er in einen Hunger- und Durststreik. Auch auf Druck internationaler Proteste wird er, äußerst geschwächt, wenige Tage später wieder entlassen.

Inzwischen bereiten seine militanten Freunde den Osteraufstand vor, letztlich wird dieser dem größeren Teil von Irland die Unabhängigkeit bringen.

Die Frage, ob es nicht das ganze Irland sein soll, führt zu einem erbitterten Bürgerkrieg unter den Nationalisten und andauernden schmerzhaften Spaltungen. Im Vorfeld bleibt Francis allerdings skeptisch, was Militarismus und Ausschluss von Frauen betrifft. In einem offenen Brief an den Dichterkollegen Thomas MacDonagh von den paramilitärischen „Irish Volunteers“ schreibt er: „Warum werden Frauen (bei den Irish Volunteers) ausgeschlossen? Überlege genau warum, und wenn du den Grund gefunden und klar ausgesprochen hast, dann wirst du plötzlich bei den reaktionärsten Anteilen der eigenen Bewegung stehen.“ (Irish Citizen, 22. Mai 1915)

Der Osteraufstand

Der Aufstand in Dublin wird nur von 1.200 bewaffneten Aktivist*innen getragen, wenige Frauen der „Irish Citizen Army“ sind dabei. Zu diesem Zeitpunkt ist „Home Rule“ im Parlament gescheitert, die nationalistische Bewegung fand wegen des Krieges den Zeitpunkt für einen Aufstand geeignet und kaufte auch Waffen aus Deutschland.

„Es handelt sich eigentlich um einen Putsch ohne Massenbasis. Die Aufständischen mussten noch bei der Verhaftung Spießruten laufen, und ihre Aktion wurde weithin abgelehnt, auch international. Das änderte sich eigentlich erst durch die Hinrichtungen, die zu einer veränderten Haltung der Bevölkerung führten. Es war nicht die bewaffnete Aktion, die zum ‚Erfolg‘ führte, sondern die Wirkungsweise, die bei gewaltlosen Aktionen auch zu beobachten ist (und auch z.T. so rezipiert wurde)“, so Graswurzelrevolution-Mitherausgeber Johann Bauer.

Als Pazifist beteiligt sich Francis nicht an den Kämpfen, obwohl er die auf der Straße verlesenen Ziele teilt und seine Frau Hanna den in der Hauptpost verschanzten Aufständischen Verpflegung bringt. Francis hingegen riskiert sein Leben, als er unter Beschuss einen englischen Soldaten retten will, der auf dem Pflaster zu verbluten droht. Am nächsten Tag versucht er zu verhindern, dass im Schatten des Aufstandes geplündert wird; am Abend wird er von einer Patrouille der Staatsmacht aufgegriffen. Als er unvorsichtig, aber wahrheitsgemäß seine Sympathie mit den Aufständischen äußert, wird er zunächst als Geisel genommen und am nächsten Tag ohne Gerichtsverfahren erschossen. Mit ihm zwei weitere Journalisten, die lediglich über das Geschehen berichten wollten.

Der verantwortliche Offizier und Mörder wird zwar für unzurechnungsfähig erklärt, aus der englischen Armee entlassen und für eineinhalb Jahre in ein Sanatorium gesteckt, dennoch wird er später, inzwischen nach Kanada ausgewandert, seine volle Pension erhalten.

In Irland hingegen folgten der Unabhängigkeitskrieg (1919-1921) und die Bürgerkriege (1922-1923 und in Nordirland erneut 1969-1998). Viele tausend Menschen kamen ums Leben, noch mehr wurden an Leib und Seele verwundet, die Narben sind bis heute nicht verheilt.

Doch wie es scheint, finden in einem inzwischen auch von Katholizismus emanzipierten Irland Francis Ideen des Feminismus, Antimilitarismus, der Tierrechte und eines humanen Sozialismus größere Verbreitung.

Auch wenn es noch ein weiter Weg ist: Oft scheinen gerade die bunten Vögel ihrer Zeit weit voraus zu fliegen! Danke dafür, Francis Sheehy-Skeffington!