Morgengrauen im Wald bei Mühlrose, Sachsen. Genauso wie das Dorf sollen auch die Bäume hier, hauptsächlich Kiefern und Fichten, durchsetzt von seltenen Laubbäumen, in den nächsten Jahren dem Tagebau Nochten weichen.
Die Rodungsmaschinen des Energiekonzerns Vattenfall rücken jedes Jahr mehrere hundert Meter voran, um den Fortschritt der gigantischen Schaufelradbagger auszugleichen. Der restliche Wald ist bereits von dutzenden, ca. 30 Meter breiten Schneisen durchzogen, auf denen der Sicherheitsdienst patrouilliert und Grundwasserpumpen stehen.
Nach mehrmonatiger Vorbereitung ist es endlich soweit. Noch vor Sonnenaufgang fahren wir, mit Klettermaterial, Plattformen und Vorräten ausgerüstet, in den Wald. Wir wollen drei große Eichen besetzen – direkt an der Rodungskante – um die weitere Zerstörung des Waldes zu verhindern.
Die globale Anti-Kohle-Bewegung, die in Deutschland jahrelang vor allem im Rheinland aktiv war, fokussiert sich 2016 verstärkt auch auf das Lausitzer Revier. Unsere Besetzung soll Teil davon sein. Der Weg in den Wald ist schlecht ausgebaut und holprig.
Die drei Eichen erreicht man erst nach etwa fünf minütiger Autofahrt zwischen den Bäumen. Sie stehen auf einer Lichtung, die direkt an den Kahlschlag im Tagebauvorfeld grenzt.
Vom anderen Ende der Lichtung sind es nur etwa 50 Meter bis zur ersten Schneise, die den Arbeiter_innen und dem Sicherheitsdienst als Weg dient.
Im Schutz der Dunkelheit erklettern wir die Bäume und ziehen dann unsere Plattformen in ca. 8 Meter Höhe – der erste Schritt ist geschafft. Ein Filmteam von Graswurzel.tv und ein Fotograf begleiten uns und halten die Ereignisse in Bildern fest.
Wir wollen uns gegen die fortschreitende Umweltzerstörung wehren
Die Verstromung der Braunkohle, die vom Großkonzern Vattenfall unter anderem hier in der Lausitz vorangetrieben wird, ist besonders schädlich für das Klima, weil dabei enorm viele Treibhausgase freigesetzt werden – bei gleichzeitig relativ schlechter „Energieausbeute“. In der Lausitz werden jedes Jahr 60 Millionen Tonnen des Rohstoffs gefördert. Landschaft verschwindet für den Abbau – Wälder werden gerodet, Dörfer umgesiedelt. Riesige Schaufelrad- und Eimerkettenbagger entreißen die Kohle dem Erdboden – sie wird dann mit Schwerlastbahnen zu den Kraftwerken befördert. In der Lausitz sind das Jänschwalde, Boxberg und Schwarze Pumpe.
Jedes Kilogramm Kohle entlässt bei Verbrennung in etwa sein Eigengewicht an CO2 in die Atmosphäre. 60 Millionen Tonnen Kohle, 60 Millionen Tonnen CO2. Das Kraftwerk Jänschwalde allein stößt jährlich etwa 25 Millionen Tonnen CO2 aus und rangiert auf der Liste der gesundheitsschädlichsten Kraftwerke Deutschlands auf Rang 1. Die fortschreitende globale Erwärmung führt weltweit zu Dürren, Hungersnöten, Überschwemmungen und anderen Naturkatastrophen. Durch steigende Temperaturen breiten sich viele Krankheiten schneller aus. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht bereits heute von zehntausend Toten jedes Jahr allein durch diesen Effekt aus.
Wenn die globale Erwärmung nicht bald gestoppt wird, können sogenannte Kipp-Punkte im Klimasystem erreicht werden – z.B. das Auftauen von Permafrostböden, in denen Methan (ein starkes Treibhausgas) gespeichert ist, oder die Versteppung von Regenwäldern. Die Zeit drängt deshalb – nicht nur in der Lausitz, aber auch hier. Im Kohleatlas, den die Heinrich-Böll-Stiftung jährlich heraus gibt, wird errechnet, dass 88% der gesicherten Kohlevorkommen im Boden bleiben müssen, um die globale Erwärmung unter diesem kritischen Punkt zu halten. Um das sicherzustellen, müssen auch die Tagebaue in der Lausitz sofort schließen, der Abbau darf nicht noch Jahrzehnte weitergehen.
Die lokale politische Situation ist brisant
Viele Menschen, die nach jahrelangem Widerstand das Loch trotzdem immer größer werden sehen, da der Konzern seine Profitinteressen durchsetzt, resignieren. Vattenfall verkauft den Kohleabbau als „dem Allgemeinwohl dienlich“ und führt das ewige, zu kurz gedachte Argument der Arbeitsplätze ins Feld. Tatsächlich sind weite Teile der Bevölkerung in der ländlich geprägten Lausitz von ihrem Job im Braunkohleabbau abhängig. In diesem Klima der Abhängigkeit ist es schwierig, an Alternativen zu arbeiten. Vattenfall gibt sich als letzter Rettungsanker einer von der Welt vergessenen Region.
Dies äußert sich in höchst unterschiedlichen Erfahrungen mit den Anwohner_innen, die wir in den Tagen, die wir nun schon vor Ort sind, gemacht haben. Wir haben uns von Anfang an um guten Kontakt und Kommunikationsmöglichkeiten bemüht. Auf der einen Seite erhielten wir Drohanrufe auf unser Projekthandy – auf der anderen bringen uns Dorfbewohner_innen Kuchen zur Besetzung, die lokale katholische Pfarrgemeinde lädt uns zu ihrem Treffen ein und wir bekommen Angebote für Dusch- und Wasserkontakte. Am 13. März haben wir ein Waldfest ausgerichtet, um in näheren Kontakt zu kommen. Mehr als 30 Leute aus dem nahen und nicht ganz so nahen Umland waren da und sind, obwohl der Sicherheitsdienst versucht hat, das zu verhindern, bis zur Besetzung vorgedrungen und haben dort gefeiert.
Langfristiges Projekt
Wir finden es wichtig, vor Ort ein neues langfristiges Projekt aufzubauen, um direkt etwas zu verändern und Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Zeit drängt, und um erfolgreich zu sein, muss die Klimabewegung in allen drei Braunkohlerevieren (Lausitz, Rheinland, Mitteldeutschland) präsent sein. Die Ende-Gelände-Aktion an Pfingsten (siehe Aufruf auf dieser Seite) ist ein Anfang – aber unserer Meinung nach ist die dauerhafte Anwesenheit von Aktivist_innen an einem Brennpunkt am effektivsten. Auf diese Art und Weise können regelmäßig Aktionen durchgeführt und der Kontakt zu den Anwohner_innen nachhaltig gepflegt werden.
Das gilt besonders durch die momentane Situation: Vattenfall will die Braunkohlesparte verkaufen – eventuelle Käufer würden den Abbau wahrscheinlich einfach fortsetzen. Widerstand in der Region lässt den Wert sinken – scheitert der Verkauf, ist ein vorzeitiges Ende der Lausitzer Braunkohle deutlich wahrscheinlicher.
Ziel unseres Projektes ist, einen solchen offenen Raum zu schaffen – am besten in Form einer Besetzung. Wir möchten euch alle einladen, mit uns dort zu leben, zu arbeiten und zu kämpfen. LAUtonomia wird nur langfristig existieren und ein Erfolg werden, wenn viele Menschen von überall her in die Lausitz kommen und es zu ihrem Projekt machen.
In der Lausitz gibt es zahlreiche Ansatzpunkte für unseren Kampf – linke, emanzipatorische Strukturen können hier viel Unterstützung gebrauchen. Neben dem Braunkohleabbau gibt es hier Dutzende Tierfabriken, in denen Tiere ausgebeutet und getötet werden. Am Tagebau Nochten gibt es einen Truppenübungsplatz der Bundeswehr, der viertgrößte in Deutschland. Und wie an vielen anderen Orten auch sind Nazis und andere Rechte hier auf dem Vormarsch.
Die zahlreichen Protestaktionen im rheinischen Braunkohlerevier sind Beispiele dafür, wie eine starke Widerstandsdynamik entstehen kann.
Unserer Meinung nach sind andauernde und entschlossene Direkte Aktionen unerlässlich, um Druck auf die Kohleindustrie auszuüben.
Wir sehen Direkte Aktionen als einen wichtigen Bestandteil des Lausitzer Widerstands
Unsere Besetzung wurde am 7. März öffentlich – zwei Tage, nachdem wir angefangen haben, unsere Plattformen zu bauen. Bis dahin waren wir vom Sicherheitsdienst unentdeckt geblieben. Seit Montag, den 14.3., ist die Situation schwieriger – die Securities zeigen vermehrt Präsenz in unserem Teil des Waldes. Sie behindern die Versorgung der Besetzung, verfolgen Besucher_innen und scheuchen sie aus dem Wald. Teilweise spazieren sie direkt durch den besetzten Teil des Waldes.
Wir sind leider momentan nicht genügend Leute, um darauf angemessen zu reagieren. Teilweise schaffen wir es nur, die Bäume besetzt zu halten und den Support von außen zu organisieren. Deshalb ist es dringend notwendig, dass mehr Leute von außerhalb zu uns stoßen. Nur dann ist es möglich, aus der Besetzung einen lebendigen Ort des Widerstandes zu machen und dort mehr Struktur aufzubauen. Dazu kommen viele andere Aufgaben. Die Pflege des Blogs und unserer Social-Media-Kanäle, Kontakt zu den Bürgerinitiativen und Anwohner_innen vor Ort, oder das Schreiben von Artikeln wie diesem hier.
Deshalb: Egal ob für ein paar Tage, einige Wochen, oder auf unbestimmte Zeit – kommt vorbei!
Wir können jede helfende Hand jederzeit gebrauchen
Die Besetzung ist ein offener Raum für alle Interessierten und soll als Anlaufstelle dienen, um sich zu informieren und/oder direkt einzubringen. Alle wichtigen Infos zum Projekt findet Ihr auf unserem Blog. (1)
Dort ist außerdem eine Anfahrtsbeschreibung abrufbar. Wenn Ihr Fragen habt, schreibt uns einfach eine Mail. Es ist außerdem sinnvoll, auf dem Projekthandy anzurufen, kurz bevor Ihr aufkreuzt, um die aktuelle Situation abzufragen. Mailadresse sowie Nummer findet Ihr auf der Website.
Termin
Ende Gelände: Klimagerechtigkeit in Aktion! 13. bis 16. Mai 2016 in der Lausitz (bei Berlin).
Infos: www.ende-gelaende.org/de