Schon zu Beginn der Vorbereitungen der Proteste rund um den 21. Klimagipfel (COP21) war für die beteiligten Gruppen klar: Die Mobilisierung soll nicht "nach Paris" führen, sondern "beyond Paris": also über Paris hinaus.
In dem englischen Wort „beyond“ ist schön ausgedrückt, dass es hier nicht nur um den zeitlichen Aspekt geht (um Aktionen „danach“), sondern auch um eine ganz andere Dimension von Klimaschutz, als sie in den UN-Verhandlungen gedacht wird.
Die Klimagerechtigkeitsbewegung verlässt die Marktlogik und betreibt direkte Ursachenbekämpfung. Schmutzige Industrien müssen gestoppt werden, Ressourcen müssen im Boden gelassen werden. Eigentlich ist es ganz einfach. Eine Handvoll entschlossener Menschen kann einen Braunkohlebagger für mehrere Stunden lahmlegen, wenn sie sich davor stellen oder hinauf klettern. Und je mehr Menschen sich zusammenfinden, desto länger und flächendeckender kann Zerstörung gestoppt werden.
So wurde schon vor dem COP21 das ehrgeizige Ziel gesetzt, dass es im Mai 2016 eine globale Aktionswoche geben soll, in der Gruppen auf verschiedenen Kontinenten gegen fossile Infrastruktur mobil machen („Break Free from Fossil Fuels“, 4. bis 16. Mai). Selbst für existierende Strukturen war dies ein straffer Zeitplan. Doch es war wichtig, auf einen selbstorganisierten Termin hinarbeiten zu können, der Hoffnung gibt – damit die Bewegung nicht in die gleiche depressive Starre verfällt wie nach dem Klimagipfel in Kopenhagen 2009.
Das Ergebnis macht Gänsehaut
Neben „Ende Gelände“ im Lausitzer Braunkohlerevier beteiligen sich zahlreiche AktivistInnen mit (teils mehreren) Aktionen in zwölf Ländern auf fünf verschiedenen Kontinenten an „Break Free from Fossil Fuels“.
In Nigeria gibt es während der globalen Aktionswoche Proteste an drei markanten Orten, die symbolisch für die jahrzehntelange Verschmutzung durch Ölbohrungen im Niger-Delta stehen. Mit einer Break Free-Weltpressekonferenz soll die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit u.a. auf das illegale Abfackeln von Gas gerichtet werden, das bei der Verarbeitung von Rohöl entsteht. Die Veranstaltungen werden durch namhafte Musikgruppen und „Nollywood“-Stars unterstützt.
In Australien werden Klima-Aktivist*innen am weltgrößten Kohlehafen in Newport demonstrieren. Sie wollen sicher stellen, dass Klimawandel ein Schlüsselthema bei den anstehenden Wahlen wird; gleichzeitig sind sie entschlossen, den Kohleausstieg durchzusetzen, ganz egal, wer Premierminister wird.
In den USA werden die beteiligten Gruppen die Auktionen stören, bei denen Land an Fracking-Konzerne versteigert wird. In Brasilien organisieren indigene Gruppen zusammen mit Klima-Aktivist*innen gleich vier Aktionen, die sich gegen Öl- und Gasinfrastruktur des Landes richten.
Außerdem ermöglichen die Netzwerke eine starke internationale Unterstützung für Ende Gelände. So mobilisieren auch tschechische Umweltgruppen in die Lausitz und üben öffentliche Kritik an tschechischen Konzernen, die Vattenfalls Braunkohlegeschäft übernehmen werden (nach GWR 409-Redaktionsschluss wurde bekannt, dass Vattenfall die Braunkohlesparte an den tschechischen Konzern EPH verkauft). Es gibt norwegische und polnische Mobi-Videos sowie Infoveranstaltungen und Aktionstrainings für Ende Gelände in Paris, Wien, Amsterdam und Stockholm.
Im Folgenden kommen beteiligte Aktivist*innen selbst zu Wort.
Bahadir Dogutürk von „Fosil Yakit Karsiti Inisiyatif“:
„Aliaga ist ein historisches Relikt, ein abschreckendes Beispiel für die fossile Ära. An der Ägäischen Küste gelegen, wurde diese einst grüne, vom Winde umwehte Stadt zu einer ökologischen „sacrifice zone“ erklärt.
Ausgebeutet bis auf die Knochen seit den 60ern, gibt es in unserer kleinen Stadt zwei Ölraffinerien, ein Kohlekraftwerk, eine Schiffabwrackwerft, mehrere Elektrostahlwerke und eine Reihe von anderen schweren und verschmutzenden Industrien, außerdem einen Aschedeponie-Berg und noch einen Aschedeponie-Berg. Aliaga, nur einen Schritt entfernt von der großen ägäischen Stadt Izmir, wurde dem Diskurs der „Entwicklung um jeden Preis“ geopfert, der eher heißen sollte: „Entwicklung der fossilen Konzerne“.
Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, sollen in unserer Stadt jetzt vier weitere Kohlekraftwerke gebaut werden.
Nein. Diesmal nicht, und nie mehr. Es ist genug.
Vor fast 25 Jahren, an einem warmen Maitag, gingen wir Arm in Arm von Izmir nach Aliaga – eine geschlossene Menschenkette von fast 60 Kilometern – um ein Kohlekraftwerk zu stoppen. Wie sich an der genannten Liste von abscheulicher Infrastruktur erkennen lässt, haben wir für jeden Kampf, den wir gewonnen haben, einen anderen verloren.
Aber am Samstag, den 15. Mai 2016, werden wir wieder die Arme ineinander verschränken und uns dem neusten fossilen Ungeheuer entgegenstellen.
Weil wir wissen, dass unser Widerstand nicht nur unserer Region gilt oder der Gesundheit unserer Kinder, sondern auch dem Klima, dem Planeten und unserer Zukunft. Ja, und er gilt auch einem kleinen Etwas, das menschliche Würde genannt wird. Wir sind froh, dass wir dieses Mal die Arme mit Brüdern und Schwestern auf fünf verschiedenen Kontinenten zusammenschließen, um uns von fossilen Energien freizukämpfen und von denen, die über Leichen gehen, um die Taschen der Energiekonzerne zu füllen.“
Molly von Reclaim the Power:
„Reclaim the Power wird im Mai den größten britischen Braunkohletagebau blockieren: Ffos-y-fran in Wales. Ich bin auf dem End Coal Camp dabei, weil es mich erschreckt, wie unsere Regierung ihre Verantwortung ignoriert, den Verbrauch fossiler Energien zu reduzieren; und sogar den Übergang zu erneuerbaren für uns erschwert. Was ich besonders beängstigend finde, ist, wie bei diesen Entscheidungen die Auflösung von echter Demokratie sichtbar wird.
In Myrthr Tydfil, wo unser Camp sein wird, hat die Gemeinde den Tagebau schon seit Jahren bekämpft und wir haben die Auseinandersetzung mit den Behörden darum gewonnen. Aber jetzt setzt sich der Konzern Miller Argent darüber hinweg, um noch mehr Kohle abbauen zu können.
Genau das gleiche passiert mit anderen betroffenen Gemeinschaften in Großbritannien, die sich gegen Fracking wehren, und die erleben, wie die Regierung sich über die Entscheidungen der Kommunen hinweg setzt und für die Industrie Steigbügel hält.
Gleichzeitig kann der Bau von Windkraftanlagen leicht mit kleinen Einwänden gestoppt werden. Ich will Teil der Bewegung sein, die der Regierung zeigt, dass es die Menschen sind, die die Macht haben, nicht sie. Wenn sie sich nicht an die Versprechungen halten, die sie in Paris gemacht haben, dann werden wir Klimaschutz für sie umsetzen müssen.“
Kristina Klosová von Limity jsme my:
„Kohleabbau in der tschechischen Republik findet in Nordböhmen statt und in Nordmähren. Letztes Jahr kam der Industrieminister auf die Idee, den Tagebau in Nordböhmen auszuweiten, was bedeuten würde, dass zwei Ortschaften abgebaggert werden müssten. Wir gehören zu einer Graswurzelinitiative (Wir sind die Grenzen – Limity jsme my) und haben den Protest gegen dieses Vorhaben initiiert. In diesem Jahr haben wir eine Anti-Kohle-Plattform in der tschechischen Republik gegründet, um Menschen zusammenzubringen und gegen Extraktivismus (Raubbau und Ausbeutung von Rohstoffen aus der Erde für den Export) im ganzen Land zu kämpfen. Eines unser ersten Projekte ist es, Ende Gelände in der Lausitz zu unterstützen. Unser Hauptgegner sind die tschechischen Konzerne (?EZ und EPH), die das Braunkohlegeschäft von Vattenfall kaufen wollen.
„We are the ones we have been waiting for“ ist ein Zitat, das häufig von Menschen verwendet wird, die für Klimagerechtigkeit kämpfen, und ich finde, es passt perfekt. In Zeiten, in denen Umweltvorschriften keine Bedeutung haben, Ziele nicht erreicht werden und nach business as usual gewirtschaftet wird, gibt es keine Hoffnung, dass „die da oben“ substantielle Änderungen für eine nachhaltige Zukunft einleiten werden. Wir sind es, die handeln müssen.
Die Verbrennung von Kohle ist eine der Hauptgründe für Klimawandel und darum finde ich es wichtig, mich der Bewegung anzuschließen und an Ende Gelände teilzunehmen. 2015 haben wir geschafft, den größten Tagebau in Europa für einen Tag lahmzulegen (vgl. GWR 401).
Das war großartig. Aktionen wie Ende Gelände helfen, ein Netzwerk der Solidarität zwischen Menschen aus ganz Europa aufzubauen. Ich bin nicht deutsch. Aber ich werde helfen, den Tagebau in der Lausitz zu blockieren. Denn es geht mich an.
Ich bin solidarisch mit den Menschen vor Ort, die direkt von den Folgen der Tagebaue betroffen sind, genauso wie mit Menschen aus der ganzen Welt, die unter den „unsichtbaren“ Auswirkungen unserer schmutzigen Energie leiden. Deutschland ist Nummer eins bei den Erneuerbaren, aber wir werden Licht auf die Leichen im Keller werfe und die Gesellschaft ermutigen, Druck auf die Politik und die Firmen auszuüben, damit sie aus der Kohle aussteigen und komplett zu erneuerbaren Energien wechseln.
Weitere Infos