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Ende Gelände – eine Bilanz

Kreativ, fröhlich, unermüdlich für den Kohleausstieg. 4.000 Menschen beteiligten sich an der bisher größten Braunkohleblockade

| Insa Vries

"We are unstoppable, another world is possible" ist schon von weitem zu hören. Es ist Freitagmittag. Gerade haben sich 2.500 Aktivist*innen auf den Weg gemacht, die Kohlegruben und -infrastruktur zu besetzen (1). Sie sind Teil der bisher größten Braunkohleblockade in Deutschland: Am Pfingstwochenende 2016 besetzten 4.000 Menschen aus über zwölf Ländern für 48 Stunden Kohlegruben und Gleise um ein Kraftwerk in der Lausitz.

Sie zeigten deutlich, dass der Widerstand gegen die Kohle international ist und sprunghaft wächst. Die Berichterstattung in linken Medien sieht schon die Nachfolge des Anti-Atomprotests in der „jungen, europäischen Klimabewegung“. Sogar die schwedischen Abendnachrichten übermittelten den aktivistischen Protest gegen den Vattenfall-Verkauf. Nicht alle stimmt das euphorisch: Die brandenburgische Landesregierung bezeichnete die Aktivist*innen als „aus ganz Europa anreisende Rechtsbrecher“, die FAZ spricht von „reisender Krawallszene“, der Lobbyverband Pro Lausitzer Braunkohle und Vattenfall gar von „Ökoterroristen“.

Sie alle aber sind sich einig: Die Aktion war „perfekt geplant“ – und das seit der Entscheidung für die Lausitz auf der Aktionskonferenz im November 2015. Vattenfall betreibt dort das zweitgrößte Kohlerevier Deutschlands mit vier Kohlegruben und drei Kohlekraftwerken. Auf Beschluss der schwedischen Regierung hin sollte der staatliche Energiekonzern diese Anlagen zugunsten einer Ausrichtung auf erneuerbare Energien verkaufen. In diesen Verkaufsprozess intervenierte das Bündnis mit dem Slogan „Wir sind das Investitionsrisiko“: Wenn Konzerne in die Lausitzer Kohle investieren, kaufen sie den Widerstand mit.

Aktuell steht der Verkauf kurz vor dem Abschluss, nur die schwedische Regierung muss noch zustimmen.

Den angekündigten Widerstand hat das Bündnis mit der dreitägigen Blockadeaktion in der Lausitz mehr als erfüllt. An fünf Stellen blockierten Tausende zwei Tage lang ein Kraftwerk und einen Tagebau. Sie setzten die Drosselung des Kraftwerks „Schwarze Pumpe“ um 80 Prozent durch und verhinderten so 16.000 Tonnen CO2-Emissionen. Während der Schwerpunkt der Aktion am Freitag auf der Blockade des angrenzenden Tagebaus Welzow-Süd lag, verlagerte sich der Fokus am Samstag und Sonntag auf das Kraftwerk „Schwarze Pumpe“. Kleinere und Massenblockaden isolierten das Kraftwerk von jeglichem Kohlenachschub.

Am Samstagnachmittag versiegte der Rauch aus einem der Kraftwerkstürme vollständig und die europäische Strombörse bestätigte, was schon zu sehen war: Vattenfall musste das Kraftwerk auf 20 Prozent seiner Leistung drosseln.

Die erfolgreiche Massenaktion wurde am Sonntagnachmittag beendet. Der gemeinsame Aktionskonsens war weitestgehend eingehalten worden und de-eskalatives Verhalten der Polizei und Securities gegenüber bewahrt.

Diese Bilanz ist historisch

Nie zuvor griffen Menschen in Deutschland so massenhaft in die Stromversorgung ein und konnten ein Kraftwerk dazu zwingen, seine CO2-Emissionen derart zu reduzieren. Der Slogan „Klimaschutz ist Handarbeit“ wurde Realität: Ein Wochenende lang setzten Menschen den Kohleausstieg um – gegen die Interessen von Energiekonzernen und Braunkohlelobby.

Dieser praktische Kohleausstieg entfaltet symbolische Bedeutung. Viele Menschen in Deutschland sind bereit, in der Tradition Zivilen Ungehorsams für Kohleausstieg und Klimaschutz zu protestieren. Ende Gelände ist ein starkes, aufrüttelndes und unübersehbares Signal für den dringend notwendigen Kohleausstieg. Wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen eine klare Sprache: 90 Prozent der europäischen Kohlereserven müssen im Boden bleiben, wenn wir eine Chance haben wollen, das 1,5°C-Ziel zu halten. An vielen Orten aber hat selbst diese Erwärmung schon gravierende Konsequenzen: Die Lebensgrundlagen und -orte auf Pazifikinseln schwinden, Extremwetter und Dürren verschärfen schon heute soziale und politische Konflikte in afrikanischen Staaten. Immer mehr Menschen betonen die Dringlichkeit des Klimaproblems, immer weniger von ihnen glauben daran, dass Regierungen es lösen werden. Sie identifizieren Kohleverbrennung als einen relevanten Auslöser im globalen Norden und setzen deshalb gemeinsame Zeichen für den Kohleausstieg jetzt.

Die Forderung des Kohleausstiegs teilen weite Kreise der politischen Öffentlichkeit

Ende Gelände wurde auch deshalb als ihre dringliche Artikulation anerkannt. Daran jedoch reibt sich die regionale Berichterstattung und Politik. Statt über die Inhalte der Aktion zu berichten, konzentrierten sich lokale Medien und kommunal- wie landespolitisch Verantwortliche auf angebliche Gewalt der Blockaden, für die es bis heute keine Belege gibt. Sie eröffneten in der diskursiven Arena einen Nebenschauplatz, um über ein Thema nicht reden zu müssen: Die Forderung der Aktivist*innen, der schnelle Ausstieg aus der Braunkohle, bedeutet für die Menschen vor Ort einen Strukturwandel, wenn dieser nicht gut geplant ist, sogar einen Strukturbruch.

Der Wandel ist seit Jahren absehbar. Dennoch ist die Braunkohle immer noch ein wichtiges Element in allen Plänen zur Strukturentwicklung der Region. Für das unbeirrbare Festhalten an dem auslaufenden Industriemodell sind neben wirtschaftlichen Abhängigkeiten der Kommunen von der einzigen Großindustrie (2) auch Verbindungen von Politik und Braunkohlelobby verantwortlich. Für die Braunkohleindustrie lobbyiert der Verein „Pro Lausitzer Braunkohle e. V.“, unterstützt u.a. von Vattenfall und der IG BCE. Sein Selbstverständnis, die „deutlich mehrheitlichen Interessen der Menschen in der Lausitz“ zu vertreten, erhebt einen politischen Repräsentationsanspruch. Die tatsächlich gewählten Vertreter*innen widersprechen dem nicht, sondern arbeiten eng mit dem Verein zusammen.

Die Bürgermeisterin des Ortes Spremberg ist nach eigener Aussage „Mitglied und ständig im Austausch mit dem Vorsitzenden“. Der Verein wiederum verkündet auf seiner Homepage, die Lausitzrunde, ein brandenburgisch-sächsisches Forum von (Ober-)Bürgermeister*innen und Landräten, initiiert zu haben. Offensichtlich finden beide Seiten völlig normal, dass der Lobbyverein einen gesamtgesellschaftlichen Repräsentationsanspruch erhebt und den tatsächlich gewählten Vertreter*innen ihre Arbeitsweise dirigiert. Nicht nur wirtschaftlich, auch politisch sind die gewählten Repräsentant*innen damit von der Großindustrie abhängig. Eine offene politische Debatte darüber, wie die Lausitz und die regionale Wirtschaft ohne Kohle aussehen könnten, erscheint somit als chancenlos.

Dennoch ist sie unausweichlich, denn der Kohleausstieg wird kommen und sollte geplant werden. Die Lage wird dafür nicht mehr besser als jetzt: Wenig Zeit bleibt noch für einen Übergang, bei dem Menschen nach und nach in andere Arbeitsbereiche wechseln können. Die vergleichsweise gute Konjunktur schafft jetzt Möglichkeiten für Wiederanstellung. (3)

Dennoch bedeutet diese Realität Wandel, der Menschen verunsichert und den politischen und wirtschaftlichen Interessen vieler widerspricht.

In diesem Kontext waren die harschen Reaktionen aus Teilen der Politik und Lokalpresse zu erwarten. Die Lausitzrunde bereitete die Gewaltdebatte bereits vor der Aktion vor: Mit einem Offenen Brief an Ende Gelände und massiver Plakatkampagne warnten sie vor Gewalt seitens der Aktion und bauten eine Dichotomie zwischen Zivilem Ungehorsam und politischem Dialog auf. Diese geschürten Erwartungen konnten anschließend von Vattenfall und regional Verantwortlichen leicht gefüttert werden. Die Aktion wird damit vom politischen Diskurs über den Kohleausstieg und die Versäumnisse von Industrie und Politik abgegrenzt und auf eine Phantomdebatte über angebliche Gewalt reduziert.

Die kritischen bis feindlichen Reaktionen sind in diesem Ausmaß neu, nicht aber, weil Anti-Kohleprotest plötzlich negativer gesehen wird, sondern weil die Aktion so groß war, dass sie von allen Seiten ernst genommen und kommentiert werden musste. Umwelt-NGOs reagierten mit Solidaritätserklärungen, Parteipolitiker*innen mit unterschiedlichen Meinungen, Anhänger*innen fossiler Brennstoffe und profitmaximierender Unternehmen mit Kritik. Statt aber eine inhaltliche Debatte aufzunehmen, diskreditieren sie Klimaaktivist*innen mittels Gewaltvorwürfen.

Weitere Kritik richten Pro-Kohle-Akteure gegen die Internationalität der Aktion. Menschen aus zahlreichen Ländern protestierten gemeinsam in der Lausitz, häufig zum Unverständnis vieler Lausitzer*innen, die Kohle als ihre lokale Angelegenheit betrachten. Doch CO2-Emissionen machen nicht an Landesgrenzen halt. Die Verbrennung fossiler Energieträger ist ein internationales Problem, gegen das die Aktivist*innen als Teil einer weltweiten Aktionswelle unter dem Motto „Break free from fossil fuels“ auch in der Lausitz demonstrierten.

Ende Gelände trägt zu einer lokalen Polarisierung und internationalen Dynamisierung des Kohle- und Klimakonflikts bei.

Menschen überall auf der Welt vertrauen nicht mehr darauf, dass Regierungen das Klimaproblem lösen werden, zu eng verzahnt sind Energiekonzerne und Regierungen, zu sehr fühlen sich Regierungen einem Wirtschaftssystem verpflichtet, das die Erde immer weiter zerstört.

Wo regionale, nationale und globale Antworten auf die Klimakrise ausbleiben, nehmen Aktivist*innen den Klimaschutz selbst in die Hand. Sie leisten Zivilen Ungehorsam und bauen global vernetzte Utopien anderer Wirtschafts- und Lebensweisen auf. Erfolgreiche Aktionen und langfristige Visionen einer sozial und ökologisch gerechteren Welt setzen Energien frei, die Menschen versammeln: Kreativ, fröhlich, unermüdlich. Diese Bewegung – gerade sucht sie noch ihre Demo-Gesänge und ist schon in gesamtgesellschaftlichen Konflikten angekommen – wächst schnell und zeigt, dass sie nicht aufzuhalten ist. Eine andere Welt ist möglich.

(1) Siehe Ende Gelände-Schwerpunkt in GWR 409, Mai 2016, S. 1, 3 ff.

(2) vgl. Inken Behrmann, "Vattenfall: Kohle versus Klima", Blätter für deutsche und internationale Politik, Mai 2016.

(3) vgl. Luke Haywood, "Den Ausstieg jetzt einleiten.", Der Tagesspiegel, 15. Mai 2016, http://web566.s03.savando.de/wp-content/uploads/2016/05/haywood_position_tagesspiegel.pdf

Weitere Infos & Kontakt

www.ende-gelaende.org/de

Zum Thema siehe auch: LAUtonomia geräumt, Artikel in dieser GWR, Seite 23

Termin

19. - 29.8.2016, Klimacamp in Rheinland. Infos: www.klimacamp-im-rheinland.de