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Gewaltfrei im Bürgerkrieg

Die anarchistische Ärztin Amparo Poch y Gascón (1902-1968), die Spanische Liga der Kriegsgegner und die Soziale Revolution in Spanien

| Martin Baxmeyer

Eine große und eindrucksvolle Kundgebung hätte es werden sollen, zu der die anarchosyndikalistische Massengewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo (CNT) [‚Nationale Konföderation der Arbeit'] für den 18. Juli 1936 in Barcelona aufgerufen hatte. Ein mächtiger Protest der spanischen Bevölkerung und der ‚Völker der Welt', die in der katalanischen Hauptstadt zur ‚Gegen-Olympiade' gegen die im nationalsozialistischen Deutschland abgehaltenen Olympischen Sommerspiele zusammengekommen waren. Eine Demonstration gegen die immer größer werdende Kriegsgefahr in Europa. Namhafte Aktivistinnen und Aktivisten aus dem In- und Ausland waren als Rednerinnen und Redner vorgesehen, so etwa der deutsche Anarchosyndikalist Augustin Souchy oder Fidel Miró, der Kopf der anarchistischen Jugendorganisation. Grußadressen berühmter Genossinnen und Genossen sollten verlesen werden. Die CNT wollte ihre Ablehnung des Krieges und des Militarismus bekräftigen. Die Demonstration fand nie statt. Denn am selben Tag putschten in Spanien Teile des Militärs gegen die Zweite Republik. Der Spanische Bürgerkrieg brach aus, und Spaniens anti-militaristische Anarchisten zogen an die Front.

Anti-Militaristen im Krieg

Es gehört zur Tragik so manchen libertären Schicksals in Spanien, mitunter jahrzehntelang gezwungen gewesen zu sein, mit der Waffe in der Hand tief empfundene persönliche Überzeugungen zu verraten: im Bürgerkrieg, in der französischen Résistance und schließlich womöglich im hoffnungslosen Guerillakampf gegen Franco.

In einer bisher unveröffentlichten Filmaufnahme steht ein Schweizer Anarchist, der nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs sofort nach Spanien geeilt war, auf einer Bergspitze und sagt bitter: „Ich bin Anarchist. Ich hasse den Krieg. Ich hasse das Militär. Und trotzdem tue ich seit Jahren nichts anderes, als Krieg zu führen.“

„Verflucht sollen sie sein!“, schrieb in Spanien der anarchistische Dichter Antonio Agraz über die Truppen Francos: „Verflucht wie tollwütige Hunde/ dass sie uns zwingen/ so zu sein wie sie.“ Für viele Anarchistinnen und Anarchisten legitimierten allein der schiere Überlebenswille und die Aussicht auf revolutionäre Veränderungen den ungeliebten Waffengang.

„Der Krieg – diese überalterte Idiotie – wird nur durch die Soziale Revolution gerechtfertigt“, schrieb etwa der deutsche Schriftsteller Carl Einstein, der mehrere Monate lang mit der Kolonne Durruti kämpfte.

Der Bürgerkrieg wurde zum ‚revolutionären Volkskrieg‘ umgedeutet. Je länger er jedoch andauerte, desto mehr schwanden auch in den Reihen der Anarchistinnen und Anarchisten die anfänglichen Hemmungen und Bedenken. Insbesondere in der anarchistischen Literatur begann sich ein soldatisches Männlichkeitsbild auszubreiten, gestützt und bestätigt durch eine entsprechende Kriegsweiblichkeit voller Tränen und Hilflosigkeit. Der Zwang, sich auf Leben und Tod gegen einen mörderischen Gegner in einem offenen Krieg zur Wehr zu setzen, und die Notwendigkeit, diesen Bruch mit den eigenen Überzeugungen vor sich und anderen irgendwie legitimieren zu müssen, ließen im spanischen Anarchismus während der Bürgerkriegsjahre eine widersprüchliche Kultur entstehen, die häufig zwischen Militarismus und Anti-Militarismus, Ablehnung der Gewalt und Verherrlichung der Gewalt hin- und herpendelte.

Es gab allerdings in dieser Zeit in Spanien auch eine Organisation, die sich strikt weigerte, sich an gewaltsamen Aktionen zu beteiligen, und trotzdem die Soziale Revolution nach Kräften unterstützte.

An ihrer Spitze stand eine der bemerkenswertesten Frauengestalten des spanischen Anarchismus im 20. Jahrhundert; eine Frau, die mit ihrer ebenso unerschütterlichen wie freundlichen Eigensinnigkeit Rechte wie Linke gleichermaßen gegen sich aufbringen konnte, anarchistische Genossinnen und Genossen genauso wie konservative Katholiken. Sie war gleichfalls als Rednerin auf der gescheiterten Anti-Kriegs-Kundgebung der CNT vorgesehen gewesen, und zwar als spanische Vertreterin der War Resisters International [‚Internationale der Kriegsgegner‘].

Im Gegensatz zu vielen ihrer Genossinnen und Genossen jedoch stürzte der Ausbruch des Bürgerkriegs sie nicht in politische Gewissensnöte. Bis zum Schluss blieb sie im blutigen Irrsinn des Kriegs und der keineswegs gewaltfreien Revolution eine überzeugt gewaltfreie Anarchistin: „Unser Gewissen weist den Krieg ganz und gar zurück“, schrieb sie 1937: „Unser Herz kann Gewalt unter keinen Umständen als vernünftig und gerecht anerkennen. Kein Ereignis hat unsere Überzeugungen […] schwankend gemacht.“

Das „Schreckgespenst von Zaragoza“

María del Pilar Amparo Poch y Gascón kam am 15. Oktober 1902 in der spanischen Pilgerstadt Zaragoza zur Welt, der Hauptstadt der Region Aragón.

Es mag schmunzeln machen, dass die spätere Anarchistin und Atheistin auf den Namen gleich zweier regionaler Verkörperungen der Mutter Gottes getauft wurde: Die Virgen del Pilar, die „Jungfrau [auf] der Säule“, ist die berühmte Schutzheilige von Zaragoza. Ihr Bildnis steht in der Kathedrale der Stadt, und, da ihr Patronatsfest auf den 12. Oktober fällt, den Tag der sogenannten ‚Entdeckung‘ Amerikas durch Kolumbus, ist sie außerdem die Beschützerin alles „Spanischen in der Welt“, der sogenannten Hispanidad. Hinter dem Namen „Amparo“ verbirgt sich ebenfalls eine regional gebundene Madonnengestalt, nämlich die Virgen de los Desamparados [‚Jungfrau der Schutzlosen‘], die Schutzheilige von Valencia. Dergleichen fromme Namenshäufungen sind freilich in Spanien, wo bis heute kleine Mädchen auf Namen wie „Revelación“ [‚Offenbarung‘] oder „Encarnación“ [‚Erscheinung‘] getauft werden, nichts Ungewöhnliches. Zumal die kleine Amparo als ältestes von fünf Geschwistern in einer konservativen Familie aus der Provinzmittelschicht aufwuchs. Am Tag ihrer Geburt waren die Straßen Zaragozas noch voll von unzähligen Blumengebinden zu Ehren der Virgen del Pilar.

Falls ihr Vater, José Poch Segura, der beim Militär als Ingenieur im Offiziersrang sein Geld verdiente, allerdings gehofft haben sollte, seiner Tochter katholische Gesittung und frommen Gehorsam gleichsam ‚eintaufen‘ zu können, so sah er sich bald getäuscht. Bereits im Teenageralter überwarfen sich Vater und Tochter. Das Zerwürfnis wurde nie beigelegt. Noch als Vierzigjährige im französischen Exil zeichnete die auch künstlerisch begabte Amparo Karikaturen ihres Vaters, die ihn mit wüst rollenden Augen und gezücktem Säbel auf dem Kasernenhof zeigen. Gemessen an dem, was im Spanien der 1920er Jahre, zumal in der Provinz, als schicklich galt, war die junge Amparo aber auch wirklich ein wandernder Skandal, das „Schreckgespenst von Zaragoza“.

Zu einer Zeit, in der junge Frauen beispielsweise nur in männlicher Begleitung und possierlich herausgeputzt das Haus verließen, wollten sie nicht in den Ruch kommen, wandernde Prostituierte zu sein, spazierte Amparo alleine und in Hose, Jackett und Krawatte (!) über die Straße – eine Mode, die Marlene Dietrich aus Hollywood mitgebracht hatte. Sie studierte, gegen den ausdrücklichen Willen ihres Vaters, als eine der ersten Frauen in der Geschichte Spaniens, Medizin und schloss ihr Studium 1929 mit Auszeichnung ab.

Sie äußerte sich in der Presse ihrer Heimatstadt und Universität kritisch zur praktisch lückenlosen Männerdominanz in der spanischen Gesellschaft und trat (unter anderem) für das Recht auf Abtreibung ein. In einer katholischen Pilgerstadt hätte sie genauso gut Butterfahrten in die Hölle anbieten können.

Vor allem aber empfand José Poch den gesellschaftlichen Umgang seiner Tochter als keineswegs standesgemäß und als Schande für die Familie: Denn sie verkehrte mit Arbeiterinnen und Arbeitern. Schon als Sechzehnjährige scheint Amparo Poch y Gascón erste Kontakte zur anarchistischen Bewegung Zaragozas geknüpft zu haben. Sie war bald eine regelmäßige Besucherin der ateneos, libertärer Bildungs-und Kulturzentren der CNT, und gab dort schließlich sogar Alphabetisierungskurse. Als examinierte Frauen- und Kinderärztin richtete sie Sondersprechzeiten für Arbeiterinnen ein, denen sie für gewöhnlich die Behandlung nicht berechnete, und bei Hausbesuchen in den ärmeren Vierteln der Stadt konnte es vorkommen, dass sie selbst zum Geldbeutel griff, um einer Patientin Hausschuhe oder Hygienetücher zu kaufen, damit die Heilung überhaupt Aussicht auf Erfolg hatte. „Am Bett eines Kranken“, erklärte sie, „muss jeder Arzt alle Erwägungen über Gewinn, soziale Stellung und Prestige vergessen“.

Als sie 1934 nach Madrid zog, trat sie dem Gesundheitssyndikat der CNT bei. Sie leistete unermüdlich öffentliche medizinische Aufklärungsarbeit in den proletarischen Schichten der Hauptstadt, bekämpfte mit Feuer und Verve die heuchlerische Doppelmoral der Zeit, die Männern sexuell alles und Frauen nichts durchgehen ließ, und leitete unter anderem eine Gruppe, die sich für kostenlose und natürliche Verhütungsverfahren einsetzte. Im Mai 1936 gründete sie, gemeinsam mit Mercedes Comaposada und Lucía Sánchez Saornil, die anarchosyndikalistische Frauenorganisation Mujeres Libres [‚Freie Frauen‘].

Als der Bürgerkrieg ausbrach, war Amparo Poch y Gascón in den Reihen der spanischen Anarchistinnen und Anarchisten fast schon eine Berühmtheit.

Die Liga Española de los Refractores a la Guerra [‚Spanische Liga der Kriegsgegner‘] und der Spanische Bürgerkrieg

Ihre vielleicht ungewöhnlichste und bemerkenswerteste politische Positionierung jedoch war, dass Amparo Poch y Gascón auch in den blutigen Wirren des Bürgerkriegs und der Revolution eine überzeugte, gewaltfreie Antimilitaristin und Kriegsgegnerin blieb. Im Februar 1936, kurz nach dem kurzlebigen Sieg der Volksfront bei den Wahlen zum spanischen Parlament, war sie Präsidentin der neu gegründeten Liga Española de Refractores a la Guerra [‚Spanische Liga der Kriegsgegner‘] geworden, die sich als spanische Sektion den War Resisters International (WRI) anschloss.

Die Mitglieder der Spanischen Liga der Kriegsgegner nahmen während des Bürgerkriegs klar Partei für die republikanische, in Poch y Gascóns Fall sogar revolutionäre Seite im Kampf gegen Franco. Sie weigerten sich jedoch strikt, sich an gewaltsamen Aktionen zu beteiligen. Die CNT unterstützte die Arbeit der Liga bis zum Ende des Bürgerkriegs. Von Parteien und Gewerkschaften unabhängig organisierte Antimilitaristinnen und Antimilitaristen hatte es in Spanien im Grunde erst seit Beginn der 1930er Jahre gegeben, obwohl die Ablehnung kriegerischer Gewalt (vor allem nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs) auch im damals neutralen Spanien spürbar zugenommen hatte. Als 1931 die frisch gegründete Zweite Republik im Artikel 6 ihrer Verfassung festlegte: „Spanien verzichtet auf den Krieg als Mittel der nationalen Politik“, schöpften viele Antimilitaristinnen und Antimilitaristen Hoffnung, dem jungen Regime noch weitere Zugeständnisse abringen zu können.

1932 gründete der geachtete Pazifist José Brocca, der als spanischer Delegierter im Rat der WRI saß, die erste antimilitaristische Organisation Spaniens: den Orden des Olivenzweigs.

Brocca gehörte 1936 auch zu den Gründern der Liga. Seine ideologische Nähe zu Amparo Poch y Gascón kam nicht von ungefähr: Schon der Orden hatte sich politisch der entschieden antimilitaristischen anarchistischen Bewegung Spaniens angenähert, ohne freilich mit ihr zu verschmelzen. Vor allem bei der Frage nach der Legitimität politischer Gewalt gingen die Meinungen in beiden Bewegungen stark auseinander.

Für junge Anarchisten war die (illegale) Verweigerung des Militärdiensts seit dessen Einführung schon immer eine wirksame und verbreitete Form der direkten Aktion gewesen. Bereits im 19. Jahrhundert hatte der berühmte Anarchist Fermín Salvochea vom „Blutzoll“ gesprochen, den die Armen für die Kriege der Reichen bezahlen müssten. Als sich herausstellte, dass die Zweite Republik die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen würde, wurde die Kriegsdienstverweigerung auch unter dem neuen Regime fortgesetzt. Die Aktionen wurden dabei immer spektakulärer: 1935 etwa weigerten sich drei junge katalanische Anarchisten öffentlich, ihren Kriegsdienst anzutreten, und stellten sich den zuständigen Behörden. Nach einer beeindruckenden Solidaritätskampagne mussten sie nach drei Tagen Haft wieder freigelassen werden. Die Autoritäten erklärten sie für „geistesgestört“. Die „Geistesgestörten“ erläuterten daraufhin noch einmal öffentlich die Gründe für ihre Verweigerung und lösten damit eine Massenbewegung aus, in der sich hunderte von jungen Männern weigerten, zum Militär einzurücken. Selbst unter der Diktatur Francos wurde die illegale Kriegsdienstverweigerung als direkte Aktion fortgeführt, obwohl schließlich bis zu acht Jahre Gefängnis darauf standen.

Jenseits seiner Sympathisantinnen und Sympathisanten innerhalb der anarchistischen Großorganisationen hatte der Orden des Olivenzweigs kaum je mehr als ein paar hundert Mitglieder.

Die Spanische Liga der Kriegsgegner war sogar noch kleiner: Ihr organisatorischer Kern bestand aus gerade einmal zehn Personen. Dennoch war ihr (zumal internationales) Ansehen beträchtlich.

Für Amparo Poch y Gascón bedeutete die Weigerung, Gewalt in einer extrem gewalttätigen Situation anzuwenden oder gutzuheißen, keinen Bruch mit ihren bisherigen Überzeugungen. Im Gegenteil: Die Konzentration der Liga auf humanitäre Hilfe entsprach ihrem medizinischen Selbstverständnis. Schon 1935 hatte Poch y Gascón in einem Artikel mit dem Titel „Wider den Krieg!“ insbesondere die Frauen aufgerufen, sich sämtlichen kriegerischen Aktivitäten zu verweigern, beispielsweise der Arbeit in Rüstungsfabriken. Kriegsrelevante Forschung nannte sie „Wissenschaft, die sich im Dienst des Todes prostituiert“.

Ihre spätere Genossin bei den Mujeres Libres, Lucía Sánchez Saornil, hatte unabhängig von Poch y Gascón im gleichen Jahr dieselbe Forderung gestellt: „Die Revolution braucht keine Waffen“, hatte sie kämpferisch verkündet, „denn wenn die Waffen dazu dienen, die Revolution zu machen, dann dienen sie auch dazu, sie zu ersticken oder unmöglich zu machen.“ Positionen wie diese hatten während des Bürgerkriegs einen noch provozierenderen Ton als vorher: Denn praktisch alle kollektivierten Rüstungsfabriken, vor allem in Barcelona, standen unter der Kontrolle der CNT.

Während der Spanische Bürgerkrieg die internationale pazifistische Bewegung in ihre erste große Krise stürzte und auch innerhalb der WRI zu ernsten Zerwürfnissen führte, gibt es keine Anhaltpunkte, dass die frisch gebackene Präsidentin der Liga jemals an ihren gewaltfreien Überzeugungen irre geworden wäre. Es war wohl nicht zuletzt ihrem Einfluss zu verdanken, dass die Mujeres Libres nur sehr selten Frauen dazu aufriefen, sich (auch) am bewaffneten Kampf an der Front zu beteiligen. Und dies zu einer Zeit, in der das Heldenbild der bewaffneten Miliciana zum Kernbestand der anarchistischen Kriegspropaganda gehörte.

Im Februar 1937 forderte Poch y Gascón als Rednerin der Mujeres Libres im Rahmen einer Großkundgebung der proletarischen Jugendorganisationen in Barcelona alle politischen Kräfte auf, sich zu einigen, um den Krieg rasch zu beenden. Sie war die einzige Frau, die an diesem Tag ans Mikrofon trat.

Gewaltfreie Revolutionen jenseits der Front

Trotz ihrer zahlenmäßig geradezu lachhaften Größe war die Liga mit Amparo Poch y Gascón an der Spitze an zahlreichen revolutionären Veränderungen der spanischen Gesellschaft beteiligt. Für die Auslandspropaganda der CNT erwiesen sich die internationalen Kontakte der Liga ohnehin als wertvoll.

Das große Ansehen, das insbesondere Amparo Poch y Gascón und José Brocca international genossen, öffnete der Organisation viele Türen. Innerhalb Spaniens vereinte Poch y Gascón häufig die Kräfte der Liga mit denen der Mujeres Libres, um im Bereich der Sozialfürsorge Veränderungen durchzusetzen.

So drängten beide Organisationen die Zentralregierung in Madrid beispielsweise, die alten, kirchlichen Waisenhäuser zu schließen: düstere, meist baufällige Kästen, die wie Gefängnisse aussahen und in denen die Schutzbefohlenen zu allerlei erniedrigenden Diensten gezwungen wurden, die Amparo Poch y Gascón vor allem anderen verabscheute. An ihrer Stelle gründete sie sogenannte „Farm-Schulen“, die eigentlich zunächst nur für die zahllosen Flüchtlingskinder eingerichtet wurden, die im Laufe des Krieges, allein oder mit ihren Eltern, in die republikanische Zone flohen. Sehr bald jedoch wurden sie auch für andere Kinder geöffnet. Die „Farm-Schulen“ wurden meist in verlassenen Bauerhöfen eröffnet, aber auch in enteigneten Industriellenvillen mit großen Gärten, in denen die Kinder herumtollen und den für Anarchisten so wichtigen Kontakt zur Natur genießen konnten. Das Konzept zu dieser Art früher, bunter und fortschrittlicher Kindertagesstätte stammte von Poch y Gascón.

Selbst die Namen erinnern an heutige Zeiten. Die erste „Farm-Schule“ in San Gervasio beispielweise hieß „Las Tortugas“ [‚Die Schildkröten‘]. Als Untersekretärin für Sozialfürsorge der Regierung Caballero unter der anarchistischen Gesundheitsministerin Federica Montseny evakuierte Poch y Gascón bis Mitte 1937 außerdem zahlreiche Kinder ins (noch) sichere Ausland. Auch hierbei erwiesen sich die internationalen Kontakte der Liga als nützlich. Hinzu kamen während des gesamten Kriegs noch Poch y Gascóns medizinische Verpflichtungen, die Gründung von Feldlazaretten und improvisierten Krankenhäusern, Schulungen von Ärzten und Krankenschwestern, Besuche in ausländischen Kinderheimen, die spanische Flüchtlingskinder aufgenommen hatten, Vorträge über Erst- und Nothilfe vor Gewerkschaften und Milizkolonnen, und natürlich die ärztliche Versorgung von Verletzten des Kriegs und der erstmals in der Menschheitsgeschichte flächendeckenden Bombenangriffe auf offene Städte durch die italienische und deutsche Luftwaffe.

Man möchte meinen, es habe während des Bürgerkriegs fünf Amparo Poch y Gascóns gegeben, und nicht nur eine. Gewalt war bei all diesen Aktivitäten nicht nötig.

Nach der Niederlage im Bürgerkrieg floh Poch y Gascón, wie fast 200.000 andere Spanierinnen und Spanier auch, beladen mit nichts weiter als ihrem Leben und den zerbrochenen Hoffnungen einer Revolution, über die Grenze nach Frankreich.

Sie überlebte das Vichy-Regime und die Besetzung des Landes durch die Nationalsozialisten. Nach der Befreiung ließ sie sich mit ihrem Lebenspartner in Toulouse nieder, dem eigentlichen Zentrum der anarchistischen Exilspanierinnen und -Spanier.

Sie arbeitete wieder als Ärztin, hielt Schulungen in anarchistischen Kulturzentren und schrieb für die libertäre Presse im Exil. Nach Spanien kehrte sie nie wieder zurück.

Zu Beginn der 1960er Jahre rüstete sie sich im Gegenteil sogar, um auf Bitten eines gewaltfreien Netzwerks um die Hispanistin Marie Laffranque nach Algerien überzusiedeln, um dort die Verletzten des ebenso blutigen wie sinnlosen Kolonialkriegs zu versorgen, den Frankreich in dem nordafrikanischen Land führte.

Sie saß schon auf gepackten Koffern, als General de Gaulle den Algerienkrieg beendete. Nie rückte sie auch nur ein Jota von ihren politischen Überzeugungen ab. Am 15. April 1968 starb sie, gerade einmal 66 Jahre alt, an den Folgen eines Hirntumors. Seit 2002 ist der zentrale Empfangssaal ihrer ehemaligen Universität in Zaragoza nach ihr benannt. Auch eine kämpferische feministische Organisation trägt ihren Namen. In einer vor kurzem organisierten Ausstellung über Menschen aus Aragón, die durch ihr Tun das Gesicht der Region verändert hätten, war ihr eine ganze Sektion gewidmet.

Amparo Poch y Gascón, die freundliche und lebensfröhliche Umstürzlerin, das „Schreckgespenst von Zaragoza“, das seiner Zeit in so vielem voraus war, die gewaltfreie Kämpferin für Mitmenschlichkeit und Zärtlichkeit in Zeiten blutigen Wahnsinns, ist nach Jahrzehnten des Vergessens wieder gegenwärtig geworden. Und das ist gut so.

PS: Der Autor dieses Beitrags arbeitet zur Zeit an einer größeren Veröffentlichung zu Amparo Poch y Gascón, die Übersetzungen ihrer literarischen Erzählungen aus der Zeit des Bürgerkriegs enthalten wird: Amparo Poch y Gascón, Das Sanatorium des Optimismus. Anarchistische Erzählungen aus der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs, übersetzt, herausgegeben, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Martin Baxmeyer [erscheint voraussichtlich 2017 im Verlag Graswurzelrevolution].