Zum "Wochenende der Information, Solidarität und ökonomischen Unterstützung" hatten Kollektivbetriebe, anarchistische Zentren und die besetzte selbstverwaltete Fabrik Vio.Me vom 22. bis 24. April 2016 in verschiedenen griechischen Städten geladen. Unterstützt wurde der Kampf der Arbeiter des Holz- und Sägewerks Papadópoulos - Pagoúras in Patrída im Landkreis Imathía. Seit Februar 2016 halten die Arbeiter das Werk in der Nähe der Stadt Véria in Nordgriechenland besetzt und bereiten die Wiederaufnahme der Produktion in Selbstverwaltung vor.
Schon im März hatte die Solidaritätsbewegung den argentinischen Schriftsteller Andrés Ruggeri eingeladen, der in Athen und Thessaloníki sein Buch „Die Rückeroberung der Betriebe Argentieniens. Besetzen, Widerstand leisten, Produzieren“ vorstellte und im Sägewerk mit Arbeitern und Unterstützer_innen diskutierte.
Die seit Jahren unbezahlten Holzarbeiter folgen damit dem Beispiel von Vio.Me in Thessaloníki (vgl. GWR 406). Die Übernahme des Holz- und Sägewerks in Patrída könnte die beispielgebende Antwort fortschrittlicher gesellschaftlicher Kräfte auf die weitgehende Entindustrialisierung weiter Teile des ländlichen Raums in Griechenland sein. Im Landkreis Imathía liegt die offizielle Arbeitslosenquote nach nunmehr sechs Jahren Spardiktat bei 35% (Efimerída ton Syntaktón, 21.03.2016). „Guter Wille und Ideen gibt es mehr als genug, was wir dringend brauchen, ist ein gesetzlicher Rahmen. Von unserer Seite aus könnten wir schon morgen den Sicherungshebel umlegen und mit der Produktion beginnen.“
Der 54jährige Stávros beschreibt das Hauptproblem der Werksbesetzer, die alle mit ihren Familien in Patrída leben und 20 bis 30 Jahre im Betrieb gearbeitet haben. Die Arbeiter_innen von Vio.Me haben mit der Produktion ökologischer Reinigungsmittel eine alternative Nische besetzt und vertreiben ihre Produkte vor allem in sozialen Zentren, besetzten Häusern, auf informellen Straßenmärkten und über die Solidaritätsbewegung. Für ein besetztes Sägewerk ist es dagegen momentan noch bedeutend schwieriger, ohne legalen Rahmen zu produzieren.
Die Geschichte
Die Probleme des Werks begannen 2009, als die bis dahin gesunde Firma die Schulden einer Zweigstelle in Bulgarien übernahm. Ab 2010 zahlten die Besitzer nur noch monatliche Abschläge zwischen 200 und 400 Euro pro Arbeiter, kürzten gleichzeitig die Einzahlungen in die Renten- und Sozialversicherungskassen um die Hälfte und entließen nach und nach immer mehr Beschäftigte. 2011 stellte die Geschäftsleitung schließlich den Insolvenzantrag.
Die Zeitspanne bis zur endgültigen Pleite 2013 nutzten die Besitzer, um wertvolle Maschinen zu verkaufen. Nach undurchsichtigen Übernahmeverhandlungen tauchte 2015 ein neuer Investor auf, der in der Folge neue Schulden anhäufte und weitere Maschinen verkaufte.
Bis heute kennen die Arbeiter nicht einmal seinen Namen. Von den einst über 60 Beschäftigten waren inzwischen nur noch zehn übrig, die nicht gezahlten Löhne hatten sich auf gut 700.000 Euro summiert.
Im Februar 2016 schritten 12 der ehemaligen Arbeiter zur Tat und halten das Werk mit der Hilfe von Unterstützer_innen seitdem besetzt. „Wir hatten von Vio.Me gelesen, haben Kontakt aufgenommen und in der Logik von wenn ihr nicht könnt, wir können‘ damit begonnen, erste Schritte in Richtung Selbstverwaltung zu gehen. Jetzt werden wir versuchen, eine ?OINSEP (Sozialkooperative) aufzubauen. Wenn der legale Rahmen steht, legen wir sofort los.“ Die Robin Hoods des Holzes, wie sie sich selbst nennen, stellen das verbreitete Vorurteil, nach dem Griechenland einfach nichts produziere, in Frage. „Sie müssen uns nur produzieren lassen. Der Wiederaufbau kann nur durch die Arbeiter selbst gelingen. Das Werk könnte gut 50-60 Familien ernähren und der Stadt Véria, die vor sich hin rottet wie der Rest von Imathía, neues Leben bringen. Was wir jedoch sicher brauchen, ist ein staatlicher Beitrag, um den juristischen Weg für den legalen Betrieb in Selbstverwaltung zu eröffnen.“ Ob das selbst formulierte Ziel „wir wollen wie unser Namensgeber die Reichen enteignen, um den Armen zu geben“, mit staatlicher Unterstützung legal zu erreichen sein wird, ist eine andere Frage.
Ein Transporter für Vio.Me
Seit inzwischen fünf Jahren halten die Arbeiter_innen von Vio.Me in Thessaloníki ihre Fabrik besetzt. Seit drei Jahren produzieren sie in Selbstverwaltung ökologische Seifen und Reinigungsmittel. Trotz vieler rechtlicher Probleme, Räumungsandrohungen und einem von den Gläubigern der alten Eigentümer angestrengten Insolvenzverfahren hat es die Belegschaft inzwischen geschafft, den offiziellen Status einer Sozialkooperative (KOINSEP) zu erlangen und das vorübergehende Aussetzen der Zwangsversteigerung des Betriebsgeländes zu erreichen. Zurzeit wird versucht, den Betriebsteil von Vio.Me aus der Insolvenzmasse der Muttergesellschaft herauszulösen. Um weiterhin erfolgreich produzieren und besser als bisher verkaufen zu können, wird nun dringend ein Transporter benötigt. Das Griechenland Solidaritäts Komitee Köln (GSKK) unterstützt die internationale Spendenkampagne. (Infos: www.gskk.eu und www.viome.org) Neue Vio.Me-Seife ist unterdessen bei der FAU eingetroffen und kann bei verschiedenen FAU-Ortsgruppen (www.fau.org/ortsgruppen/) und im Cafe Klatsch Kollektiv in Wiesbaden (www.cafeklatsch-wiesbaden.de/) geordert werden.
Syriza – vorwärts immer, rückwärts nimmer
Begleitet vom dritten Generalstreik seit der Wiederwahl von Ministerpräsident Tzípras und gewalttätigen Auseinandersetzungen, hat das griechische Parlament einer erneuten Renten- und Steuerreform zugestimmt. Damit erfüllte die Syriza-Anel-Regierung in der Nacht zum 9. Mai die Forderungen der internationalen Gläubiger. Die mit EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und Europäischem Stabilitätsmechanismus (ESM) vereinbarten Änderungen treffen erneut vor allem ärmere Bevölkerungsschichten. So erfolgt eine Anhebung der Mehrwertsteuer von 23 auf 24%, der Steuerfreibetrag wird von derzeit 9.545 auf 9.090 Euro und für Kinderlose auf 8.182 Euro gesenkt. Gleichzeitig erhöhen sich die Abgaben für die Rentenversicherung, während die Renten abermals gekürzt werden. Anders als in Deutschland gibt es in Griechenland nach längerer Arbeitslosigkeit keine Sozialhilfe, weshalb in den letzten Jahren ganze Familien von der Rente der Großeltern leben müssen. Tsipras bezeichnete die Maßnahmen trotzdem als „soziale Reform“, mit der „die Renten gesichert, die sozial Schwachen geschützt und die Lasten bei Steuern und Renten gleichmäßiger verteilt werden“. Gegen die Maßnahmen hatte es erneut heftige Proteste gegeben. Dabei kam es am Abend des 8. Mai zu Auseinandersetzungen in Athen, bei denen Demonstrant_innen Steine, Flaschen und Molotowcocktails warfen, die Sondereinsatztruppen der Polizei ihrerseits Schlagstöcke, Tränengas und Blendschockgranaten einsetzten. In Thessaloníki griffen Demonstrant_innen das zentrale Syriza Parteibüro mit Molotowcocktails an.
Termin
17.6., 19 Uhr 30, LIZ Karlsruhe, Veranstaltung mit GWR-Autor Ralf Dreis: "Schluss mit linksradikal - Syriza macht da weiter, wo Pasok und Nea Dimokratia aufgehört haben"