Zu Beginn der Spanischen Revolution von 1936 propagierten - aufgrund der hohen Popularität der indischen antikolonialen Massenbewegung gegen den britischen Kolonialismus Anfang der Dreißigerjahre innerhalb der europäischen Arbeiterbewegung - auch Bart de Ligt (1883-1938) und viele weitere AnarchistInnen und revolutionäre SyndikalistInnen in den Niederlanden die "asiatischen Kampfmittel", wie damals Streiks, Nicht-Zusammenarbeit, ziviler Ungehorsam, Boykott und gezielte Zerstörung von Sachen genannt wurden. Doch, so Bart de Ligt, obwohl es bei den Kämpfen der CNT und FAI eine lange Geschichte der Wirksamkeit dieser Methoden gebe, stoße solche Propaganda gerade bei den spanischen AnarchistInnen und SyndikalistInnen auf Gegenwehr, weil in Spanien gleichzeitig "eine Tradition sowohl kollektiver wie individueller Gewalt existiert, die scheinbar nur äußerst schwer überwunden werden kann". (1)
Diskussion vor dem Hintergrund einer starken Tradition des revolutionären Antimilitarismus
Wie in jedem Land stellte sich den AnarchistInnen die Frage der transnationalen Solidarität: Wie sollte den spanischen GenossInnen bei ihrer Revolution von außen geholfen werden? Mit oder ohne Waffen?
Die Diskussion wurde in den Niederlanden besonders intensiv geführt, weil sich dort eine starke Tradition des revolutionären Antimilitarismus etabliert hatte. Sie spiegelte sich in Artikeln der Zeitungen „Bevrijding“ (Befreiung), dem Blatt des BAS (Bond van Anarcho-Syndicalisten) mit dem Redakteur Bart de Ligt wider, aber auch in „De Wapens neder“ (Die Waffen nieder!), dem Organ der Internationalen Antimilitaristischen Vereinigung (IAMV) oder „De Arbeider“ (Der Arbeiter), einem „frei-sozialistischen Wochenblatt“ von kleineren anarchistischen und revolutionär-antimilitaristischen Gruppen.
Der revolutionäre Syndikalist Albert de Jong stellte de Ligt direkt die herausfordernde Frage, ob die Spanische Revolution von 1936 mit Waffen unterstützt werden solle oder nicht und forderte eine klare Antwort. Die Frage entbehrt bis heute nichts von ihrer Aktualität, wir erinnern uns, dass unlängst David Graeber dieselbe Frage zur Solidarität mit dem kurdisch-syrischen bewaffneten Kampf gestellt hat – mit dem expliziten Verweis auf die Spanienerfahrung seines eigenen Vaters. Der Druck auf anarchistische AntimilitaristInnen war auch damals in den Niederlanden groß, die bewaffnete Solidarität gutzuheißen. Schließlich jedoch antwortete de Ligt mit „Nein“ und, so schreib der Historiker Gernot Jochheim, „mit ihm die anarchistische Bewegung“. (2) Gleichzeitig war sie dadurch aber auch zu einer ausführlichen Rechtfertigung verpflichtet.
„Je mehr Gewalt, desto weniger Revolution“
De Ligt führte aus: „Es ist ihre Schuld [die der gewaltlosen AnarchistInnen] nicht, dass sie immer noch eine verschwindend kleine Minderheit bilden. Doch sie sind überzeugt, dass, wenn die große Masse in Spanien ihre Auffassungen übernehmen würde, die Gewalt, wenn nicht gänzlich überflüssig, so doch nur eine verschwindend geringe Bedeutung haben würde. Aber das will nicht sagen, dass sie sich mit der revolutionären Volksbewegung nicht solidarisieren würden. Im Gegenteil! Sie stehen ihr ganz nahe, sie kämpfen für Freiheit und Recht und nehmen an der konstruktiven Arbeit – sei es in den Schulen, sei es in den Organisationen des freien Landbaus, der Industrie usw., sei es beim Roten Kreuz oder anderswo – aktiv teil. Sie sind unter denen, die selbst bereit sind, den Heeren der reaktionären Rebellen gewaltlos entgegenzutreten und alle Risikos, die aus ihrer Überzeugung folgen, zu tragen.“ (3)
In einem weiteren Artikel wies de Ligt auf die Veränderung des Charakters des revolutionären Bürgerkriegs hin: „Moderne gewalttätige Reaktion und Konterrevolution war in ihrem eigenen Rahmen nur noch zu besiegen, indem man sie an Gewalttätigkeit und Rücksichtslosigkeit übertraf. So ergab sich für einen verantwortlichen Menschen die Frage, ob er, auch wenn er es konnte, auf diese Weise noch siegen wollte…“ (4)
Die Dynamik moderner Destruktionsmittel würde die Herrscher stärker begünstigen als die Unterdrückten, wodurch Bart de Ligt zu seiner Maxime kam: „Je mehr Revolution – d.h. gesellschaftliche und geistige Erneuerung – desto weniger Gewalt; je mehr Gewalt, desto weniger Revolution.“ (5)
Im Frühjahr 1937 beschloss deshalb der BAS eine Resolution, die sich gegen die Unterstützung der Spanischen Revolution mit Waffen wandte, weil die „errungenen Erfolge durch den gewählten bewaffneten Widerstandskampf zunehmend überlagert und beeinträchtigt werden.“
In Punkt 6 der Resolution hieß es: „Der Bond van Anarcho-Syndikalisten, der sich einer Vermilitarisierung der sozialen Revolution aus prinzipiellen und praktischen Gründen widersetzt, kann daher am nationalen und internationalen Kampf nur teilnehmen im Sinne einer neuen, historisch und moralisch notwendig gewordenen gewaltfreien (bovengewalddadige) Taktik (Nichtzusammenarbeit, Boykott, Streik, bürgerlicher Ungehorsam, Fabrikbesetzungen).“ (6)
In „De Arbeider“ übernahm vor allem Henk Eikeboom in umfangreichen Beiträgen diese Position. Er führte drei Gründe an, so Gernot Jochheim in seiner Studie zu den Niederlanden, „einmal die Eigengesetzmäßigkeit von Gewalt, ihre Auswirkungen auf die Ausübenden; weiter den technischen Charakter von Gewalt, ihre Tendenz zur Organisation und Verselbständigung; schließlich die strukturelle Unterlegenheit der Revolutionäre in der Verfügung und Handhabung von Gewaltmitteln.“ Die „Arbeider“-Gruppe sah im Ablauf der Spanischen Revolution, so Jochheim weiter, „weniger eine Schwächung als vielmehr eine Stärkung der antimilitaristischen Positionen, und zwar insofern, als daß einmal mehr bewiesen werde, dass der historische Fehler der internationalen Arbeiterbewegung das faktische Abgehen von der antimilitaristischen Position war. Denn wiederum sei nun gezeigt worden, daß die Gefahr für eine soziale Revolution vornehmlich vom Militär komme. Der antimilitaristische Kampf setze demnach zu Recht daran an – und das war ja eine alte anarchistische These -, das Haupthindernis für eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft, nämlich das Militär, zu paralysieren.“ (7)
Die Diktatur der Mittel
In der IAMV schließlich kam es zur Spaltung: Albert de Jong verlor mit seinem Ansinnen, die Spanische Revolution mit Waffenlieferungen zu unterstützen gegen die gewaltfreie Fraktion.
Im Dezember 1936 verwarf die damals 500 Mitglieder starke IAMV, so Jochheim, „jegliche Form kollektiver Gewaltanwendung. Der Umstand einer zunehmenden Militarisierung auch innerhalb der CNT und FAI begünstigte diesen Entschluß. Das Gespenst eines neuen ‚roten Militarismus‘ kam auf. So lautete der kennzeichnende Titel eines Aufsatzes in der Weihnachtsnummer 1936 von ‚De Wapens neder‘: ‚Die Diktatur der Mittel – von der Volksmiliz zum Roten Heer.'“ (8)
Ein Jahr später, in seinem Buch „The Conquest of Violence“ von 1937, untersuchte Bart de Ligt, ausgehend von diesen Diskussionen, die weiteren konkreten Abläufe der Sozialen Revolution in Spanien.
Er bewunderte zunächst die konstruktive Arbeit in den Kollektiven und ländlichen Kommunen Spaniens, stellte dann aber fest: „Doch hier begann die wirkliche Tragödie. Die spanischen Anarchisten waren zwar gegen jede Form der militärischen Zwangsrekrutierung, wie alle überzeugten Antimilitaristen. Doch sie akzeptierten zumindest ‚die spontane Gewalt für die Revolution‘ und organisierten eine freie Miliz, in der die Gewerkschaftsmethoden der Zusammenarbeit zur Anwendung kommen und alles von unten nach oben kontrolliert werden sollte. Aber die Notwendigkeiten der modernen Kriegsführung machten es für die revolutionäre Armee unumgänglich, systematisch militarisiert zu werden, das Kommando wurde zentralisiert und die Zwangsrekrutierung wurde wieder eingeführt. Außerdem konnte der totale Krieg nur geführt werden, wenn er vom totalitären Staat unterstützt wurde. Je länger also der Bürgerkrieg dauerte, desto mehr begannen Militarismus und Etatismus zu wachsen, sogar in den radikalsten libertären Zirkeln. Die spanischen Syndikalisten und Anarchisten wurden von falschen Hoffnungen getäuscht, bis dahin, der Teilnahme an einem im Kern bürgerlichen Regierungssystem zuzustimmen.“ (9)
Bart de Ligt, der ein Jahr später leider starb, blieb aber nicht bei seiner Kritik stehen, sondern wagte eine Alternativvision, wobei er besonders die Entstehung militärischer Frontlinien durch die Anwendung des Milizsystems als für einen landesweiten Generalstreik hinderlich analysierte:
„Ich propagiere hier weder passiven Widerstand noch Nicht-Widerstand, sondern eine aktive Verteidigung sowohl aus einem moralischen als auch einem materiellen Blickwinkel. Der beste Weg, um Franco zu bekämpfen, wäre zweifellos gewesen, wenn es das spanische Volk Franco erlaubt hätte, das gesamte Territorium Spaniens kurzzeitig zu besetzen und dann eine riesige Bewegung gewaltfreien Widerstands gegen ihn losgetreten hätte (Boykott, Nichtzusammenarbeit usw.). Aber unsere Taktik beinhaltet auch – in weit größerem Ausmaß als militärische Taktiken – eine wirksame internationale Zusammenarbeit. Wir teilen nicht die trügerische Idee einer Nicht-Intervention: Wo immer die Menschlichkeit bedroht oder angegriffen wird, müssen alle Männer und Frauen guten Willens für ihre Verteidigung intervenieren. In diesem Falle also hätte von Anfang an eine Parallelbewegung von außen organisiert werden müssen, um die Bewegung im Innern zu unterstützen, vor allem in dem Bemühen, Franco und dessen Freunde daran zu hindern, Kriegsmaterial zu bekommen, oder es zumindest auf ein Minimum zu reduzieren.“ Wenn, so schließt de Ligts Analyse von 1937, die internationale Arbeiterbewegung „dies nur getan hätte, so wäre die Gewalt auf ein Minimum reduziert worden und die Möglichkeit einer wirklichen Revolution wäre so groß gewesen, dass sie das Antlitz der Welt verändert hätte.“ (10)
(1) Bart de Ligt: "The Conquest of Violence", 1937, hier Pluto Press, London 1989, S. 192f.
(2) Gernot Jochheim: "Antimilitaristische Aktionstheorie, Soziale Revolution und Soziale Verteidigung. Zur Entwicklung der Gewaltfreiheitstheorie in der europäischen antimilitaristischen und sozialistischen Bewegung 1890-1940, unter besonderer Berücksichtigung der Niederlande", Haag & Herchen, Frankfurt/M. 1977, S. 412.
(3) Bart de Ligt, zit. nach Jochheim, ebenda, S. 412.
(4) Bart de Ligt, zit. nach Jochheim, S. 414.
(5) Bart de Ligt, zit. nach Jochheim, S. 415.
(6) Zitate zunächst Jochheim, dann BAS-Resolution 1937, zit. nach Jochheim, S. 415.
(7) Gernot Jochheim, S. 417f.
(8) Gernot Jochheim, S. 419.
(9) Bart de Ligt: "The Conquest of Violence", S. 196.
(10) Bart de Ligt, ebenda, S. 199ff.