Am 26. Mai 2016 wurde das Flüchtlingscamp Idomeni in Griechenland geräumt. Seitdem errichten viele Geflüchtete unweit davon neue "wilde Camps". Sie wollen nicht in die staatlichen Unterkünfte, in denen die Zustände nicht oder kaum besser sind als in dem geräumten Camp. Die Bilder der "illegalen" Flüchtlingssiedlung Idomeni gingen um die Welt. Der Autor und Fotograf Nicholas Ganz war bis vor kurzem vor Ort, hat in Idomeni fotografiert, zum Thema recherchiert und für die GWR den folgenden Bericht geschrieben, der die Situation unmittelbar vor Ende der Räumung beschreibt. (GWR-Red.)
Schon vor der vollständigen Räumung am 26. Mai wurden die mehr als 10.000 Flüchtlinge in dem größten europäischen Flüchtlingscamp Idomeni im Norden Griechenlands in andere Siedlungen transportiert. Die Lage in dem Ort ist katastrophal. Die Menschen haben eine ungewisse Zukunft. Es herrschen Ratlosigkeit, Frustration und eine immer weiter steigende Depression und Wut bei den Flüchtlingen vor.
Erst in der Nacht vom 18. Mai kam es zu heftigen Ausschreitungen, als Flüchtlinge versuchten mit einem Bahnwaggon als Rammbock die Grenze zu durchbrechen. Schnell wurden in dem Zuge Pläne laut, Idomeni zu schließen. Doch eine Umsiedlung des Flüchtlingscamps ist schon lange geplant.
Idomeni ist ein kleines, verschlafenes Dorf an der mazedonischen Grenze, eine knappe Autostunde von Griechenlands zweitgrößter Stadt Thessaloniki entfernt. 2011 lebten knapp 300 Menschen in dem Ort. Seit 2014 sind die Zahlen radikal angestiegen, als sich Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa in dem an den Bahnschienen angesiedelten Zeltlager einfanden. Die ursprünglich für knapp 2.000 Menschen angelegten Zelte platzten bald aus allen Nähten.
Mittlerweile hat sich ein großes Dorf aus Campingzelten gebildet. Hier lebten zeitweise bis zu 15.000 Flüchtlinge aus allen Teilen der Erde, vor allem aus Syrien und Afghanistan, aber auch aus dem Irak, Bangladesch, der indischen Kaschmir-Provinz, Marokko oder Kurdistan.
Erst im Februar 2016 verstärkten mazedonische Soldaten den bereits im November errichteten Grenzzaun, um den Flüchtlingen den Weg in das eigene Land und nach Europa zu versperren. Seitdem sitzen die Menschen in Idomeni fest. Es gab zwar einige Versuche, die Grenze illegal zu überqueren, um auf verschlungenen Pfaden nach Europa zu gelangen, aber die Flüchtlinge wurden meist von mazedonischen Soldaten verhaftet und wieder nach Griechenland deportiert.
„Wieso hat Deutschland die Grenze geschlossen?“, ist eine der meist gehörten Fragen, wenn ich den Flüchtlingen mitteile, dass ich aus Deutschland komme
Viele von ihnen sind von Deutschland und vor allem von den europäischen Politikern enttäuscht. Insgeheim vermuten sie, dass die deutsche Regierung Mazedonien gezwungen hat, ihre Grenzen zu schließen. Sie fühlen sich vergessen. Ihre Lage ist verständlich. Sie sind gestrandet im Nirgendwo. Manche von ihnen harren nun seit mehreren Monaten in Idomeni aus.
„Als wir Syrien verließen, waren die Grenzen noch offen. Wir haben uns Hoffnung gemacht, nach Europa zu kommen und hier ein friedliches Leben zu beginnen“, berichtet Wissam Alwaked (30), ein ehemaliger Lehrer aus Damaskus. „Aber als wir hier in Griechenland nach einer beschwerlichen Reise ankamen, waren die Grenzen geschlossen. Wir können nicht mehr zurück und haben alles verloren, unser Haus wurde von Assads Bomben zerstört.“
Wie Wissam geht es vielen Flüchtlingen in Idomeni. Sie haben durch den Krieg in ihrer Heimat nicht nur ihre Vergangenheit, sondern durch die politische Planlosigkeit in der EU im Umgang mit den Flüchtlingen auch ihre Zukunft verloren.
Am 4. Mai 2016 beschlossen die griechischen Behörden, das „illegale Lager“ zu räumen und auch die Bahngleise wieder frei zu bekommen, die für den Export eine wichtige Rolle spielen. Am darauffolgenden Tag kam es zu Ausschreitungen, als die Polizei einige Zelte von den Gleisen räumen wollte. Doch es sind nur wenige von den Bahnschienen gewichen. Die Behausungen haben sich dennoch merklich gelichtet, aber der Bahnhof ist weiterhin noch mit Zelten belegt und die Räumlichkeiten werden von Flüchtlingen bewohnt. Die Proteste dauern weiterhin an und finden fast täglich statt.
Am 18. Mai ist dann die Frustration in den wohl heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und der griechischen Polizei eskaliert.Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hat seit einiger Zeit damit begonnen, die Menschen in Camps umzusiedeln, die vom Militär kontrolliert werden. Viele weigern sich jedoch. Auch der 25-jährige Hussam aus Syrien hat kein Interesse, in ein solches Militärcamp umzusiedeln. „Wieso sollte ich das machen? Hier ist es sehr offen und dort ist alles mit einem Zaun umgeben. Die Situation dort soll noch viel schlimmer sein als hier, habe ich gehört.“
Die Gerüchteküche brodelt in einem Ort wie Idomeni. Auch Wissam Alwaked ist skeptisch den Militärcamps gegenüber: „Es gibt dort kaum etwas zu essen. Und hier in Idomeni werden wir jeden Tag gut versorgt. Auch wenn die Lage hier schlecht ist, geht es uns hier sicher viel besser als in den anderen Camps. Ich habe viele Leute getroffen, die von den anderen Camps geflohen sind und wieder hierhin zurückgekommen sind.“
Laut der Schutzbeauftragten des UNHCR Elodie Lemal ist die Versorgung der Flüchtlinge in den Militärcamps gesichert. Es sind dort internationale Hilfsorganisationen tätig, die für die Verteilung von Lebensmitteln und für die Gesundheitsversorgung zuständig sind.
Sie unterstreicht: „Es ist notwendig, die Flüchtlinge in die anderen Camps zu transportieren. Es sind hier mittlerweile 32 Grad, die Zustände sind miserabel. Und wir haben gerade einmal Mai. Wie soll es nächsten Monat aussehen, wenn es noch wärmer wird?“
Am 12. Mai beschwerten sich im UNHCR-Büro von Thessaloniki bereits fünf Flüchtlinge aus dem Ende April angelegten offiziellen Lagkadikia-Camp über die mangelnden Zugänge zum Asylverfahren und die fehlenden besseren Lebensumstände, die ihnen von den UNHCR-MitarbeiterInnen versprochen wurden. Ein Besuch des offiziellen Flüchtlingscamps Nea Kavala in der Nähe von Idomeni wurde mir vom Militär verweigert, so dass es mir unmöglich war, mich vor Ort über die dortigen Zustände selbst zu überzeugen.
Es gibt jedoch viele Aussagen, dass die Lebensumstände in den vom Militär kontrollierten Camps unhaltbar seien und sogar schlimmer als in Idomeni.
Es häufen sich die Berichte, dass das Antragssystem für Asylsuchende oft nur schlecht funktioniert. Den Geflüchteten drohen Abschiebungen in die Türkei.
Seit Mitte Mai hat die griechische Regierung begonnen, die Asylberechtigten vorab zu registrieren. Die wirklichen Asylanträge werden wahrscheinlich noch viel länger dauern. Bis dahin heißt es für die mehr als 54.000 Flüchtlinge, die sich derzeit in Griechenland aufhalten, weiterhin zu warten.
Die Geflüchteten werden alleine gelassen in ihrer Not, der sie eigentlich entfliehen wollten.
Durch politische Rangeleien und bürokratische Hindernisse fühlen sie sich im Stich gelassen. Niemand kann ihnen sagen, was als Nächstes kommen wird. Dabei könnte alles so einfach sein, wie Wissam zielsicher sagt: „Es sind doch nur 50.000 Flüchtlinge in Griechenland gestrandet. Europa ist groß und hat 28 Mitgliedsstaaten. Griechenland selbst ist wirtschaftlich arm und kann die ganzen Menschen nicht versorgen. Wieso verteilt die EU die Flüchtlinge nicht gleichmäßig auf alle Mitgliedsstaaten? Damit hätten wir eine Basis, um ein menschenwürdiges Leben zu beginnen und das größte Problem der Flüchtlinge wäre erst einmal gelöst.“