die waffen nieder!

Die andere Form des Terrors: Amok

München-Moosbach geschah am 5. Jahrestag des Massakers von Anders B. Breivik

| Coastliner

"Man begreift sehr viel mehr von möglichen Mordmotiven, je mehr man über das Leben der Killer weiß. Das Bündel der erfahrenen Verletzungen und Traumata ist in allen Fällen erheblich. Ebenso erheblich ist es aber bei Hunderttausenden anderer jugendlicher oder auch etwas älterer Männer auf der Welt, die dann doch nicht zu Attentätern werden. Wer letztendlich den Entschluss zum Morden und zur Selbstauslöschung fasst, ist durch biografische Details nicht schlüssig erklärbar." (Klaus Theweleit, (1))

Medien, PolitikerInnen, die Terroranschläge in Frankreich und Verlautbarungen des „Islamischen Staates“ (IS) schufen im Sommer 2016 in Deutschland eine Atmosphäre, in der alle auf das erste islamistische Attentat warteten, nachdem das Land bisher ausgespart geblieben war.

Wie um diese Erwartung zu bestätigen, wurde dann die Reihe Würzburg, München, Ansbach aufgemacht.

Als ließe sich das alles unter einer Perspektive zusammenfassen, erklärte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU): „Der islamistische Terror ist in Deutschland angekommen.“ (2) Obwohl viele wissen, dass islamistische Attentäter auch deutsche Staatsbürger, im Land aufgewachsen (so wie das auch bei den meisten AttentäterInnen in Frankreich der Fall ist) sein können, verabsolutiert die Rede vom „Ankommen“ die natürlich auch bestehende Möglichkeit, dass sich Eingeschleuste, Geflüchtete zu vom IS gesteuerten Attentaten hinreißen lassen.

Die reflexartige Aneinanderreihung der drei Attentate vom 18., 22. und 24. Juli lenkte die unmittelbare Kritik sofort auf die Flüchtlingspolitik Merkels vom letzten Jahr, in der etwa auch die Linke Sahra Wagenknecht „Gefahrenpotenziale“ entdeckte, die man aufspüren müsse, damit „sich die Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen“. (3) Auch auf Seiten der „Linken“ wurde also suggeriert, von Geflüchteten aus Syrien und Afghanistan gingen vorwiegend „Gefahren“ aus. Auch wenn es dort Kritik an Wagenknecht gab, zeigt das Beispiel, zu welch skandalösen Positionen wahltaktischer „linker“ Opportunismus führen kann.

„Ich bin Deutscher“

Dass die AfD in diesen Chor aus allen parteipolitischen Richtungen an prominenter Stelle mit einstimmte, verwunderte nicht. Noch am Abend des Münchner Attentats, das sich schließlich als das mit zehn Toten und vielen Verletzten blutigste herausstellte, wollte sie den Beginn einer ganzen islamistischen Anschlagswelle sehen. Tweets von AfD-Mitgliedern sprachen am 22. Juli ohne nähere Kenntnis des Hergangs, aber sofort in Anspielung auf das bürgerbewegte Engagement für Geflüchtete von „verblendeten GutmenschInnen“ (sic!; die Feminisierung wurde dabei gleich mit erledigt), von „Merklern“ oder von „Linksidioten“ und fragte im Imperativ: „Wann macht Frau Merkel endlich die Grenze dicht!“ (sic!)

Doch schnell geschah in der Phase der unmittelbaren Aufklärung zum Münchner Attentat das Unerwartete: Auf einem Video, das ihn auf einem Dach zeigte, schrie der in München geborene und aufgewachsene Täter David S., 18 Jahre alt, klar hörbar: „Ich bin Deutscher!“

Wenn auch das Bekanntwerden der Tatsache, dass David der Sohn eines eingewanderten Iraners war, wieder in das Raster, nach dem jede Terrorgefahr aus dem Ausland kommen muss, passte, wurde dieses endgültig zerstört, als die gesamte Amoklauf-Szene in den Blick der BeobachterInnen kam; als etwa ein deutscher Freund Davids, ein 15-Jähriger aus Gerlingen bei Ludwigsburg, unter Verdacht eines Amoklaufs festgenommen wurde, weil er unter „Diabolic Psychopath“ die Mörder Eric Harris und Dylan Klebold, die Täter des Amoklaufs 1999 in Columbine/USA (siehe dazu den Dokumentarfilm von Michael Moore: „Bowling for Columbine“), verherrlicht, außerdem Messer, Patronen, Chemikalien, Bombenbauanleitungen sowie Fluchtpläne seiner Schule zuhause versteckt hatte. (4)

Es zeigte sich, dass das zeitliche Zusammentreffen des Münchner Attentats mit denen von Würzburg und Ansbach rein zufällig war. Für David S. war das wirklich bedeutsame Datum der 22. Juli, der 5. Jahrestag des Attentats von Anders Behring Breivik von 2011, war. Letzterer hatte in Norwegen 77 Menschen ermordet, aus antiislamischen, antifeministischen und neofaschistischen Motiven. (5)

Breivik sieht sich in der Tradition der Kreuzritter. In seiner Kampfschrift, in der er vor „Marxismus und Islamisierung“ warnt, bezeichnet er sich selbst als „Justiciar Knight Commander“. Seinen Ausführungen zufolge ist das der höchste Rang bei den Tempelrittern.

Bei der Hausdurchsuchung bei S. wurden alle Ingredenzien eines Amokläufers gefunden, der Täter nannte sich im Internet „Hass“ und „Amok“; Peter Langmans Buch „Amok im Kopf. Warum Schüler töten“ über Lebensläufe von Amokläufern wurde als Lektüre des Täters ausgemacht.

Wie viele Amokläufer vor ihm spielte er das Ego-Shooter-Spiel „Counterstrike“ mit eigener Konfiguration des Tatorts. Er war behütet und in geordneten Familienverhältnissen in München-Hasenbergl aufgewachsen, zuletzt in den wohlhabenden Nymphenburger Höfen. Neben Breivik und den Columbine-Amokläufern verehrte er Tim K., den Amokläufer von Winnenden 2009. David war sogar im Mai 2015 vor Ort in Winnenden. Die Waffe, eine Glock 17, hatte neben Breivik auch Robert Steinhäuser, Amokläufer von Erfurt 2002, benutzt.

Für David war der Iran die historische „Heimstätte der Arier“. Internet-Mitspieler äußerten über David: „Er sei sehr nationalistisch gewesen. Auf den Plattformen (…) äußerte er sich so offen fremdenfeindlich, dass viele den Kontakt abbrachen.“

David war am 20. April 1998 geboren, für ihn eine „Auszeichnung“, „dass sein Geburtstag auf den von Adolf Hitler fiel“. (6) Alle Opfer dieses rassistischen Attentäters hatten einen Migrationshintergrund.

Amokläufe – Terror von rechts?

Medien und PolitikerInnen tun sich schwer damit, Amokläufe unter Terrorismus zu fassen. Man sucht das Wort zu vermeiden, oder eiert herum wie der „Spiegel“: „Alles Terror? Mitnichten.“ Dann aber werde es doch schwieriger, „die eruptive von der geplanten Tat“ zu unterscheiden. „Irrer oder Islamist? Oder weder noch?“ Fast schon verzweifelt: Es sei eben ein „Wimmelbild“. (7)

Neofaschistische Motive für Terrorismus mag die Öffentlichkeit gerade jetzt nicht hören, sie passen nicht ins Erwartungsbild: „Schon vor den Anschlägen des Juli hatte die Terrorangst [vor dem Islamismus; d.A.] alle anderen Ängste der Deutschen in Umfragen verdrängt.“ (8)

Doch die Szene im Internet, in der sich David bewegte, ist ideologisch immer wieder eindeutig. So sagte ein Mit-Gamer des Spiels „Doom“, in dem der Columbine-Amoklauf nachgespielt wurde: „Ich liebe das System der natürlichen Auslese. Aber leider erfolgt diese unter Menschen nicht mehr.“ (9)

Eine europäische Studie zu 98 Einzelangriffen von sogenannten „einsamen Wölfen“ in der EU, der Schweiz und Norwegen kam zu dem Ergebnis, dass „von 2009 bis 2014 zwar 38 Prozent ‚religiös motiviert‘ waren, aber auch 33 Prozent von Rechtsextremisten begangen wurden.“ (10) Hier wäre noch zu klären, ob „religiös motiviert“ in jedem Fall islamistisch bedeutet, Breivik war überzeugt, mit seinem Massenmord das christliche Abendland zu verteidigen.

Das Verhältnis kehrt sich für die BRD deutlich um: Einerseits sind die durch islamistischen Terror Ermordeten noch immer sehr wenige (im Wesentlichen die Attentäter von Ansbach und Würzburg selbst, der Messermord eines Syrers am 24. Juli in Reutlingen (11) war offensichtlich nicht islamistisch motiviert). Dazu der „Spiegel“: „Seit der Axtattacke von Würzburg jedenfalls greifen Bundesbürger wieder zur Selbstjustiz. Im niedersächsischen Gailhof und im nordrhein-westfälischen Rösrath wurden Asylbewerber auf offener Straße attackiert. Im sächsischen Niesky fielen aus einem Auto heraus Schüsse auf eine Asylunterkunft. In Dresden, Heidenau und Königstein malten Unbekannte Leichenumrisse vor die Bahnhöfe und hinterließen Flugblätter mit der Aufschrift ‚Migration tötet‘.“ (12)

Auch an die Opfer der NSU-Mordserie sei an dieser Stelle erinnert, wenngleich es sich hier gerade nicht um EinzeltäterInnen handelte.

Narzisstische Kränkung des Amokläufers und des islamistischen Terroristen

David Sonboly wurde in der Schule gemobbt. Er habe schwer Anschluss gefunden und sei oft schikaniert worden. „Er habe so weibisch geredet, sagen Leute, die Sonboly aus der Schulzeit kannten. Auch sein Gang, der wirkte, als hätte er einen Handball zwischen den Beinen, gab Anlass zu Hänseleien. (…) Ein anderes Mal meldet er sich bei der Polizei, weil er von drei Jugendlichen verdroschen wurde. (…) In dieser Zeit entwickelt David offenbar einen Hass auf Türken und Araber, die, so berichten Mitschüler, zu seinen größten Peinigern gehörten.“ (13)

Auch islamistische Attentäter sind in der Regel jung und haben bereits in frühem Alter, oft schon in der Schule und in Familienkreisen, eine Kränkung ihres Selbst erlebt, die sie offenbar nicht verarbeiten konnten, wodurch sie suizidgefährdet wurden oder einen Hass auf die Gesellschaft entwickelten.

Mohammed D., der Ansbacher Täter, hatte bereits zwei Suizidversuche unternommen. Französische Kommentatoren wie Farhad Khosrokhavar (14) oder Olivier Roy (15) sehen hier eine Möglichkeit für einen Verhaltenswandel, der die erlittene Frustration mitunter nach außen wendet: Früher brachten sich Depressive still und ohne Aufsehens um, seit dem 11. September 2001 „nehmen sie andere Menschen mit in den Tod“ (16) und/oder berufen sich dabei auf den IS.

So ähneln sich islamistische Attentäter und Amokläufer, auch wenn Letztere nicht immer einer neofaschistischen Ideologie nachhängen oder diese nachgewiesen werden kann: Der aus Montabaur stammende, deutsche Ko-Pilot Andreas L. nahm an Bord eines Airbus A 320 am 24. März 2015 genau 149 Fluggäste beim Flug Barcelona-Düsseldorf in den französischen Alpen mit sich in den Tod. L. lief aus seiner eigenen Sicht Gefahr, im kapitalistischen Wettbewerb um seine Berufskarriere alsbald als Verlierer dazustehen, weil er Angststörungen hatte, Sehstörungen, Furcht vor Erblindung und ein Arzt ihn zwei Wochen vor seinem Suizid und Massenmord in eine psychiatrische Klinik einweisen wollte. (17)

Wer will heute schon ein Loser sein? Ganz besonders übrigens nicht in den USA, wo „Loser“ ein gesellschaftlich verbreitetes Schimpfwort ist, wo es mehr Waffen als EinwohnerInnen gibt und wo die weißen, männlichen und amoklaufenden Terroristen weltweit am zahlreichsten sind.

Aus dieser Sicht heraus besteht bei KommentatorInnen die Versuchung, das so unvermittelt wie als störend registrierte Amokphänomen nach der psychologischen Seite hin aufzulösen.

Der Autor und Psychoanalytiker Peter Altmeyer etwa stellt zwar ebenfalls eine Ähnlichkeit zwischen amoklaufendem und islamistischem Terroristen fest, konzentriert sich aber ganz auf das psychologische Erklärungsmuster einer „enormen Kränkungswut“, die sich dann in „eitlem Größenwahn“, einer „öffentlichen Inszenierung von Allmachtphantasien“ Luft mache. Der Amokläufer und der Islamist würden beide über längere Zeit hinweg ein „rampage killing“ vorbereiten (also kein Gegensatz zwischen „eruptiver“ und „geplanter“ Tat), sie seien beide auf der Suche nach „Resonanz“, nach einer „offenen Bühne“. Es ginge beiden erkennbar darum, „möglichst viele Opfer“ umzubringen, um ihre eigene „posthume Berühmtheit“ zu erzielen. Da gebe es eine „Ökonomie der Aufmerksamkeit“: Amokläufer und Islamist seien in einem „pathologischen Narzissmus“ auf eine „Neugeburt“ aus, die „aus einer schwachen eine starke Figur, aus dem Gekränkten einen Rächer, aus dem Verlierer einen Gewinner macht.“ (18)

Neben der psychologischen Dimension will Altmeyer aber die gesellschaftspolitische Ideologie vieler Amokläufer nicht zur Kenntnis nehmen, dabei gibt es da fließende Übergänge, die bei Amokläufern nur unterschiedlich stark ausgeprägt sind: „Es gibt Onlinegruppen, in denen die Grenzen zwischen Ausländerhass, Rechtsextremismus und allgemeiner Menschenverachtung zerfließen. Die ‚social club misfit gang‘ begrüßt Besucher mit einem Hakenkreuz und den Worten ‚Willkommen, potenzieller zukünftiger Amokläufer‘. Rund 1600 Mitglieder aus aller Welt gehören dieser virtuellen Gang an.“ (19)

So auch der 15jährige Freund Sonbolys aus Gerlingen. Er formuliert eine Ästhetik, die die ideologische Verbindung zwischen Amoklauf und Neofaschismus herstellt: „Ich wünschte, ich könnte meine Brandbomben an einem lebendigen Körper testen. Ich würde so gerne die verbrannte Haut und den Ruß auf dem Fleisch sehen.“ (20)

Unter denen, die so denken, endet da nicht manchmal notwendig einer bei einer Wiederholungstat nach dem Vorbild Breiviks? Insofern ist der Terrorismus nicht im Juli 2016 in Deutschland „angekommen“, er war längst da, würden auch Amokläufe und die dahinter stehende Ästhetik als Terror behandelt, nicht nur das islamistische Attentat.

Hoffnungszeichen der Solidarität anstatt immer neuer Repression

Wenn Amoklauf und islamistisches Attentat in der politischen und Medienöffentlichkeit gleichwertig behandelt würden, bestünde zwar die Gefahr, dass sich als Nebeneffekt gesellschaftliche Ängste stärker auf psychisch Kranke verlagern. Aber wäre damit nicht eine andere, fatale und falsche Zuspitzung wenigstens gebrochen?

Dass nämlich Geflüchtete, die hierzulande Attentate begehen, die einzig vorstellbare Form des Terrors sind, während einheimische Amokläufer, die bis heute bei weitem mehr Opfer verursachen, immer mit einem psychologischen Bonus rechnen können?

Warum wird kaum über die alltäglichen rassistisch motivierten Brandanschläge und Angriffe von deutschen RassistInnen auf Flüchtlingsheime und MigrantInnen berichtet?

Seit 1990 wurden Hunderte Menschen in Deutschland durch Neonazis getötet. Im gleichen Zeitraum kamen in Deutschland zwei Menschen durch islamistischen Terror ums Leben. Der größte (bis heute nicht aufgeklärte) Terrorangriff in der deutschen Nachkriegsgeschichte wurde nicht durch Islamisten oder die RAF verübt, sondern am 26.9.1980 von Neonazis. Durch die Explosion einer selbstgebauten Rohrbombe wurden damals auf dem Münchner Oktoberfest 13 Menschen getötet und 211 verletzt, 68 davon schwer.

Wer sich diese Fakten vergegenwärtigt, kann erkennen, dass die Hauptprobleme in Deutschland der Rassismus und der neofaschistische Terrorismus sind. Dies wird in den deutschen Medien aber kaum erwähnt.

Auch aufgrund dieser unterschiedlichen Wahrnehmung haben sich die regierungsoffiziellen Vorschläge für Gesetzesverschärfungen trotz des Münchner Amokläufers wieder schwerpunktmäßig auf Maßnahmen gegen MigrantInnen eingependelt, ganz so, als brächte eine Kehrtwende bei der Flüchtlingspolitik Merkels automatisch ein Ende der Terroranschläge.

Ein Blick nach Frankreich reicht, um das als Mythos zu enttarnen: Dort wurden 2015 insgesamt nur 65.000 Menschen aufgenommen und 30.000 abgeschoben. Wurden dadurch etwa Terroranschläge verhindert?

Sei es die Diskussion um ein Burka-Verbot, um die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft, um schnellere Verfahren zur Ausweisung, um den Zugriff der Nachrichtendienste auf die Vorratsdatenspeicherung, um verstärkte Videoüberwachung, um verstärkte Bundeswehr-Einsätze im Innern, Fußfesseln für sogenannte „Gefährder“ – alle in der öffentlichen Diskussion stehenden Maßnahmen zielen auf den Typus des geflüchteten, nicht-deutschen, islamistischen Terroristen ab. (21)

Damit ist über die Frage der Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen noch gar nichts gesagt. Könnte die nicht sogar überhaupt vom militärischen Engagement bei den Kriegen im Mittleren Osten abhängen?

Waren solche Maßnahmen vielleicht nur deshalb in Spanien und Großbritannien wirksam (beide Länder zogen ihre Truppen weitgehend zurück), während sie in Frankreich, wo das Burkaverbot seit Jahren existiert und jetzt sogar der Schwimmanzug „Burkini“ verboten wird, allesamt scheiterten?

Nur das Vorhaben, die ärztliche Schweigepflicht zu lockern, könnte im Prinzip neben traumatisierten Bürgerkriegsflüchtlingen auch auf Amokläufer abzielen. Zum Glück laufen die Ärztevereinigungen dagegen Sturm. Bereits jetzt sind Ärzte befugt, Behörden zu informieren, wenn in einem Therapiegespräch Attentatspläne offenbar werden. Ansonsten: „Würde man die Regelungen verschärfen, führte das möglicherweise dazu, dass gefährdete Menschen gar nicht erst zum Therapeuten gingen.“ (22)

Wieder würde versucht, der Repression den Vorrang vor der Prävention zu geben und etwa die Unterstützung für wichtige Einrichtungen wie das Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin der nächsten Repressionsschleife zu opfern.

Lichtblicke

Doch es gibt auch Lichtblicke angesichts dieses Ängsteschürens und der noch immer einseitigen Ausrichtung der Terrordiskussion auf Geflüchtete.

Zu allererst ist hier das aller Hetze zum Trotz anhaltende große humanitäre Engagement vieler FlüchtlingshelferInnen zu nennen.

Ein Lichtblick ist auch der beträchtliche Widerstand bei Abschiebungen: Seit Anfang 2015 wurden laut WDR 637 Abschiebungen abgebrochen. In mindestens 330 Fällen von diesen 637 geht dies nach Angaben der Tageszeitung „Neues Deutschland“ auf die Gegenwehr der AsylbewerberInnen zurück. In 160 Fällen haben die Piloten Humanität und Zivilcourage gezeigt und die Entscheidung getroffen, die Person nicht mitzunehmen. (23)

Auch im Chaos des Attentatsabends des Münchner Amokläufers, als durch überhitzte und zum Teil verantwortungslose Meldungen in den „sozialen Netzwerken“ vor einem islamistischen Terrorangriff auf eine ganze Stadt gewarnt wurde, nahmen MünchnerInnen „gestrandete, verängstigte und panische Menschen bei sich auf.

Auch der Bayerische Landtag und mehrere Moscheen öffneten spontan ihre Pforten. Unter dem Hashtag #offenetuer organisierten Twitter-Nutzer Notunterkünfte in der Nachbarschaft.“ (24)

(1) Klaus Theweleit, in: ak 618, Hamburg, 16.8.2016, S. 31

(2) Horst Seehofer, zit. nach: "Angst vor der Angst", in: Spiegel 31/2016, S. 14.

(3) Sahra Wagenknecht, zit. nach: "Volkes Stimme", in: Spiegel 31/2016, S. 38.

(4) Morten Friedel: "Wie Schüler andere Schüler abknallen", in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 31. Juli 2016, S. 2.

(5) Vgl. zu Breivik die interessanten Informationen und Charakteranalysen aus anti-maskulinistischer Sicht in Andreas Kemper (Hg.): Die Maskulinisten. Organisierter Antifeminismus im deutschsprachigen Raum, Unrast, Münster 2012.

(6) Informationen nach: "Im Tunnel des Wahnsinns", Spiegel 31/2016, S. 21ff.

(7) "Angst vor der Angst", in: Spiegel 31/2016, S. 15.

(8) Ebenda, S. 19.

(9) Zit. nach Morten Friedel: "Wie Schüler andere Schüler abknallen", in Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 31. Juli 2016, S. 2.

(10) "Angst vor der Angst", in: Spiegel 31/2016, S. 15.

(11) Siehe: http://opposition24.com/letzter-stand-zum-macheten-mord-in-reutlingen/291528, 25. Juli 2016.

(12) "Angst vor der Angst", in: Spiegel 31/2016, S. 19.

(13) Zit. nach: "Im Tunnel des Wahnsinns", Spiegel 31/2016, S. 21.

(14) Zit. nach "Angst vor der Angst", in: Spiegel 31/2016, S. 15.

(15) Vgl. zu Olivier Roy auch Lou Marin: "Frankreichs hausgemachter Terror", in: Hintergrund. Das Nachrichtenmagazin, Nr. 1/2016, S. 37ff., sowie einen jüngeren Artikel im "Spiegel" über den offen ausgetragenen Streit zwischen den französischen Islamismusforschern Gilles Kepel, der die systemkompatible Variante vertritt und den Islamismus als lineare Radikalisierung aus dem Islam heraus versteht, und Olivier Roy, der den Terrorismus für ein auch hausgemachtes Phänomen hält und von einem neuen Nihilismus spricht, nicht von einer "Radikalisierung des Islam", sondern von einer "Islamisierung des Radikalismus"; siehe Spiegel 30/2016.

(16) Farhad Khosrokhavar, zit. nach: "Angst vor der Angst", in: Spiegel 31/2016, S. 15.

(17) Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Lubitz sowie https://de.wikipedia.org/wiki/Germanwings-Flug_9525.

(18) Martin Altmeyer: "Morden im Rampenlicht", in: Spiegel 31/2016, S. 122ff.

(19) Laura Backes: "Bleib ruhig und knall alle ab", in: Spiegel 31/2016, S. 23.

(20) Zit. nach ebenda.

(21) Vgl. zu den Vorschlägen: "Filmen, Speichern, Abschieben", in: Süddeutsche Zeitung, 11. August 2016, S. 2 sowie "Das Panik-Orchester", in: Spiegel 33/2016, S. 16ff.

(22) Zit nach: "Das Panik-Orchester", in: Spiegel 33/2016, S. 18.

(23) Quellen: WDR-Fernsehen, Meldung vom 18. August 2016: "Hunderte Abschiebungen abgebrochen." ; Siehe: http://bit.ly/2bduLNs

(24) Zit. nach: "Angst vor der Angst", in: Spiegel, 31/2016, S. 19.