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Bautzner Zustände

Kommentar

| Carola H.

Die Bilder der Ausschreitungen am Abend des 14. September 2016 in Bautzen, bei denen etwa 80 rechte Deutsche eine Gruppe von etwa 20 unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen mit lautem Gebrüll durch die Stadt jagten und einen Krankenwageneinsatz blockierten, gingen durch die gesamte deutsche Presse. Die überforderte Polizei, welche nichts von dem sich im Vorfeld verabredeten Mob gewusst haben wollte, hatte die Situation erst Stunden später unter Kontrolle. Das zuständige Landratsamt verhängte im Anschluss für einige Tage eine Ausgangssperre ab 19 Uhr und ein Alkoholverbot für die Flüchtlinge, um „weitere Eskalationen zu verhindern“.

Das Ereignis bildet den neuen Höhepunkt einer langen Kette von Übergriffen seitens rechts gerichteter BürgerInnen und Nazis in der Stadt: 2014 wurde versucht, mittels Unterschriften und Pöbeleien die Unterbringung von Flüchtlingen im chronisch unterbelegten Spreehotel zu verhindern und den Hotelbetreiber einzuschüchtern.

Es folgte der Brand einer geplanten Flüchtlingsunterkunft, bei dem Schaulustige applaudierten und die Löscharbeiten behinderten.

Angriffe auch auf Sorbinnen und Sorben

Zudem werden der sorbischen Minderheit angehörige Jugendliche immer häufiger durch rechte Schläger angegriffen und sorbische Inschriften und Wegweiser überschmiert. Das für die Ermittlungen zuständige Operative Abwehrzentrum des Freistaates Sachsen (OAZ) sieht das friedliche Miteinander in der zweisprachigen Region in Gefahr. (1)

Der Kornmarkt ist der belebteste, innerstädtische Platz und seit Jahren ein Treffpunkt für unterschiedlichstes Klientel. Neben Jugendlichen und Flüchtlingen versammelt sich hier auch das stadtbekannte Trinkermilieu. Immer wieder war es in den vergangenen Wochen zu Provokationen zwischen rechten Jugendlichen und den minderjährigen Flüchtlingen gekommen. Die Stadt diskutierte bereits ein Alkoholverbot für den öffentlichen Platz, da AnwohnerInnen sich mehrfach über Ruhestörungen und Pöbeleien beschwert hatten.

Doch wie vielerorts in Sachsen wurden auch in Bautzen die gesellschaftlichen Entwicklungen durch die Stadtverwaltung zu lang ignoriert oder unterschätzt. Die Vorfälle in Clausnitz, Freital, Heidenau und Bautzen haben gezeigt, dass Teile der Bevölkerung Sachsens ein hohes Aggressions- und Gewaltpotenzial gegenüber Flüchtlingen hegen. Nicht nur Neonazis, sondern auch „ganz normale“ BürgerInnen werden, von Wut und Hass geprägt, plötzlich selbst als HetzerInnen, Brandstifter und Schläger aktiv. Rassistische Übergriffe und Anschläge werden in breiten Teilen der Bevölkerung beklatscht und toleriert, das Vertrauen in die Politik ist verloren, der Wille zur Selbstjustiz geboren. Doch als „rechts“ würden sie sich selbst nicht bezeichnen. Rassismus ist wieder salonfähig geworden.

Mittlerweile gibt es eine beachtliche Bandbreite an gut organisierten, rechtspopulistischen Gruppierungen, die sich nach den Ausschreitungen mit einer öffentlichen Erklärung an den Bürgermeister wandten und eine „vorläufige Ruhepause“ ankündigten, um den Bautzner PolitikerInnen die Möglichkeit zu geben, eine „deutlich spürbare Verbesserung der Situation“ zu erwirken. Andernfalls wollen sie „kurzfristig weitere Veranstaltungen in Betracht ziehen“.

Bautzen bleibt bunt!

Was lange Zeit fehlte, waren Menschen, die diesen Haltungen entschlossen widersprachen.

Aus Angst vor dem sozialen Druck oder Schikanen hielten viele den Mund oder beschwichtigten das Problem, auch wenn sie mit den Zuständen nicht einverstanden waren. In den letzten Jahren formierte sich endlich eine starke Gegenbewegung: Neben Institutionen und Einzelpersonen setzt sich das Bürgerbündnis „Bautzen bleibt bunt – Budyšin wostanje pisany“ für eine tolerante Willkommenskultur ein und leistet beachtliche Flüchtlingsarbeit. Ein weiteres Bündnis namens „Bautzen stellt sich quer“ organisiert u.a. antifaschistische und antirassistische Demonstrationen.

Außerdem mangelt es an Sozialarbeit: Der von öffentlicher Hand geförderte Steinhaus e.V. liefert mit dem soziokulturellen Zentrum einen wichtigen Beitrag zur Jugendkultur, es fehlt aber an Einrichtungen, in denen ein Aufenthalt ohne Konsumzwang möglich ist. Ursache sind nicht nur Sparmaßnahmen, sondern auch die hohe Abwanderung Jugendlicher in den 1990er Jahren.

Es ist höchste Zeit, antirassistisches Engagement und Zivilcourage langfristig zu fördern, mehr Freiräume zu schaffen und sich dem rechten Mob entschieden entgegen zu stellen.