Fabian Scheidler: Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation, Promedia Verlag, Wien 2015, 272 Seiten, 19.80 Euro, ISBN 978-3-85371-384-6
„Es gibt ein Bild von Paul Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen, und seine Flügel sind aufgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen.
Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewandt. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“ Walter Benjamins Geschichtsphilosophische Neun, die der Philosoph wenige Wochen vor seinem Tod geschrieben hat, im Angesicht einer Welt, in der der Nationalsozialismus sich unaufhörlich ausbreitete, könnte das Motto für Fabian Scheidlers im Promedia-Verlag veröffentlichten Buch „Die Megamaschine“ sein. Der Untertitel „Geschichte einer scheiternden Zivilisation“ macht schon deutlich, worum es dem Historiker, Publizisten und Theaterregisseur Scheidler mit seinem Buch geht: Er will die „Mythen der Moderne“ dekonstruieren, die der selbst in globalisierungs- und wachstumskritischen Zusammenhängen aktive Autor als einen mehr als 5000jährigen historischen Irrweg klassifiziert. Dabei geht es um weit mehr als um eine Überwindung des Neoliberalismus oder den Austausch bestimmter Technologien (auch wenn beides notwendig ist); es geht um eine Transformation, die bis in die Fundamente unserer Zivilisation reicht“, schreibt Scheidler im Vorwort.
Sein Parcours-Ritt durch die Geschichte geht dann auch weit zurück in eine Zeit, als die Menschen nicht mehr nur Jäger, Sammler und Ackerbauern waren, sondern mit der Bearbeitung von Rohstoffen, in erster Linie Kupfer, Eisen und Bronze, begannen. Diese Zäsur wird gemeinhin als Beginn der Zivilisation beschrieben. Für Scheidler ist der Anfang Tyrannei, die Wurzel der Herrschaft und „die Mutter aller Umweltdesaster“.
Unter dieser Prämisse macht Scheidler dann einen Schnelldurchlauf durch die mehrtausendjährige Geschichte, in der sich die von ihm beschriebene Megamaschine immer mehr verfeinerte und die Menschen immer stärkerer Gewalt, immer mehr Zwängen und immer subtilerer ideologischer Propaganda unterwarfen.
Dabei gelingt es ihm an einigen Stellen, die herrschende Ideologie treffend zu dekonstruieren, so wenn er Demokratie und Marktwirtschaft nicht als Errungenschaft der Zivilisation abfeiert, wie es heute in der Regel geschieht. „Das antike Griechenland ist uns aus Schulbüchern als Wiege der Demokratie‘ bekannt. Weniger bekannt ist, dass es auch die erste Vorform der Marktwirtschaft hervorbrachte. Und der Kern dieser Marktwirtschaft war die Armee“, benennt Scheidler historische Zusammenhänge. Doch hier wird auch die Problematik einer Darstellung deutlich, die die Entwicklung der Menschheitsgeschichte nur unter der Prämisse einer scheiternden Zivilisation begreift.
Fehlende Dialektik der Aufklärung
So betont Scheidler sicher zu Recht, dass die Erfindung der Schrift die Erfassung von Menschen und ihre Einbeziehung in Militär und andere autoritäre Apparate vorangetrieben hat. Doch darauf kann man die Erfindung der Schrift nicht reduzieren. Dann kann man nicht erklären, dass die Beherrschung der Schrift in unterschiedlichen Epochen immer wieder auch ein Mittel der Emanzipation für Unterdrückte wurde. Sie haben sich oft gegen den Willen der jeweiligen Herrschaft Lesen und Schreiben beigebracht, weil es ihnen geholfen hat, die Welt besser zu erkennen. Und das war oft ein erster Schritt für ihre Veränderung. Deshalb spielte in der Bauernrevolution des 16. Jahrhunderts die Übersetzung der Bibel durch Luther eine wichtige Rolle. Auch die Flugschriften der damaligen Zeit, die von Dorf zu Dorf weitergereicht wurden, brachten aufklärerische und aufrührerische Idee in die Köpfe vieler Menschen. Der Kampf um die Bildung, zu der das Erlernen von Lesen und Schreiben gehört, gehörte auch zu der Emanzipationsgeschichte der sich befreienden Sklaven in den USA und Afrika, aber auch in der frühen ArbeiterInnenbewegung. Dieser Aspekt kommt bei Scheidler aber kaum vor. Wie bei der Schrift könnte man an vielen anderen Beispielen aufzeigen, dass die Zivilisation eben nicht nur Mittel der Unterdrückung, sondern auch der Emanzipation und Befreiung sein kann. An einigen Stellen deutet es Scheidler an, führt es aber nicht weiter aus. Das liegt an der Grundthese des Buches, die Geschichte einer scheiternden Zivilisation zu schreiben.
Ihm entgeht dann auch die Dialektik von Fortschritt und Aufklärung, die Adorno und Horkheimer in der „Dialektik der Aufklärung“ herausgearbeitet haben. Dort geht es um den Umschlag, der dazu führt, dass Fortschritt zu einem Fortschreiten von Humanität und Solidarität wurde. Wenn aber die Geschichte der Zivilisation von Anfang an nur Unterdrückung und Versklavung des Menschen bedeutet, wie es Scheidler zu erklären versucht, kann es diese Dialektik gar nicht geben. Dann versucht er immer wieder in der vorzivilisatorischen Zeit Anknüpfungspunkte für eine Epoche mit weniger Unterdrückung und Ausbeutung zu finden.
Auf historische und ethnologische Forschungen kann er sich dabei aber nicht stützen, die davon ausgehen, dass auch die Urgesellschaften von vielfältigen Unterdrückungsverhältnissen durchzogen waren.
Alternativen auf Attac-Niveau
Positiv hervorzuheben ist, dass Scheidler nicht zu den ZivilisationskritikerInnen gehört, die für ihre Utopie einer herrschafts- und ausbeutungsfreien Gesellschaft Rückgriffe auf eine angeblich positive Urgesellschaft machen. Allerdings bewegen sich seine im letzten Kapitel zusammengetragenen Möglichkeiten des Ausstiegs aus der Megamaschine zum größten Teil auf dem Niveau von Forderungen von Attac und ähnlichen NGOs. Zwischenüberschriften wie „Der Kopf ist rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann“ oder „Revolution ohne Masterplan“ sind in ihrer Allgemeinheit nicht falsch, aber doch etwas beliebig.
Vor allem bleibt unklar, wo Scheidler nach seinem Kompendium über eine Jahrtausende währende Gewaltgeschichte die Hoffnung hernimmt, dass mit vielen kleinen Schritten gerade jetzt und heute ein Umsteuern möglich ist und wer die TrägerInnen dieser Transformation sein sollen. Schade ist auch, dass Scheidler sich nicht systematischer mit anarchistischer, syndikalistischer und dissidenter kommunistischer Gesellschaftskritik beschäftigt. Dabei wird an verschiedenen Stellen im Buch deutlich, dass er mit der anarchistischen Kritik an Macht und Unterdrückung sympathisiert und dass er Rätemodelle durchaus als Alternative zur bürgerlichen Demokratie versteht.