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„Der Verfassungsschutz ist Teil des Problems“

Ein Interview mit dem Lehrer Michael Csaszkóczy, der seit über 25 Jahren vom Geheimdienst bespitzelt wird

| Interview: Heike

Michael Csaszkóczy (* 1970 in Heidelberg) ist Realschullehrer und Antifa-Aktivist. Bekannt wurde er durch die am Ende erfolglosen Versuche der Bundesländer Baden-Württemberg und Hessen, ihm wegen "Zweifel an seiner Verfassungstreue" die Anstellung als Lehrer zu verweigern. (GWR-Red.)

Graswurzelrevolution: Michael, seit dem 17. Juni 2016 hast du es schriftlich: Der „Verfassungsschutz“ (VS) darf dich ganz offiziell überwachen, wie er das schon seit über 25 Jahren tut. Mit welcher Begründung hat ihm das Verwaltungsgericht Karlsruhe diesen Freibrief ausgestellt?

Michael Csaszkóczy: Im Wesentlichen erklärt das Gericht, dass der Inlandsgeheimdienst zur Erfüllung seiner Aufgaben jedem Verdacht nachgehen dürfe. Um die Beantwortung der Frage, ob ich selbst denn nun ein Verfassungsfeind sei, wie der ‚Verfassungsschutz‘ das ja auch nach den einschlägigen Urteilen behauptet, hat sich das Gericht damit herumgemogelt.

Ein Verdacht bestehe allein schon deshalb, weil ich mich ‚in den falschen Kreisen bewege‘, präziser: in der Roten Hilfe, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der AntifaschistInnen (VVN/BdA) und der Antifaschistischen Initiative Heidelberg organisiert bin.

GWR: Im Jahr 2010 hast du dich erstmals an Datenschutzbehörden und Gerichte gewandt, um zu verlangen, dass der Inlandsgeheimdienst endlich aufhört, dich zu bespitzeln. Ein riesiger Aufwand für dich und deine MitstreiterInnen, zumal sich das Verfahren über fast sechs Jahre hinschleppte, bis es schließlich mit einer klaren juristischen Niederlage für dich endete. Bist du enttäuscht? Überrascht?

Michael Csaszkóczy: Ach na ja, enttäuscht: Ich hatte wenig vom Gericht oder gar vom Geheimdienst erwartet. Enttäuscht bin ich allenfalls davon, dass wir es nicht geschafft haben, das Verfahren besser zur Skandalisierung der Geheimdienstpraktiken zu nutzen. Aber das ist eine generelle politische Enttäuschung: Die Machenschaften des Verfassungsschutzes – insbesondere im Zusammenhang mit dem NSU – sind ja mittlerweile kein Geheimnis mehr und flimmern zur Prime-Time fast allabendlich über die Bildschirme. Trotzdem rührt sich politisch nahezu nichts. Ohne Gegenwehr wurden die Machtbefugnisse der Schlapphüte sogar ausgeweitet und ihr Etat erheblich aufgestockt.

GWR: Was hast du dir von dem Verfahren versprochen? Hätte die Bespitzelung aufgehört, wenn das Urteil anders ausgefallen wäre? Angesichts der faktischen Unkontrollierbarkeit des Geheimdienstes wohl eher nicht, oder?

Michael Csaszkóczy: Versprochen hatte ich mir Öffentlichkeit und Skandalisierung. Und nicht zuletzt wollte ich ein kleines bisschen dazu beitragen, diesen rechten Haufen, der sich ‚Verfassungsschutz‘ schimpft, zu delegitimieren und letztlich abzuschaffen.

Ganz konkret ging es darum, die Missachtung sämtlicher rechtsstaatlicher Regeln durch den VS öffentlich zu machen und das Gericht zur Stellungnahme zu zwingen. Immerhin hatte der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim als übergeordnete Instanz in meinem Berufsverbotsverfahren ja entschieden, die ‚Erkenntnisse‘ des ‚Verfassungsschutzes‘ hätten in einem Rechtsstaat überhaupt keine Erwähnung finden dürfen. Der Inlandsgeheimdienst ignoriert dieses Urteil einfach ganz frech. Das hätte bei einem weniger willfährigen Gericht schon zu Unmut und Kompetenzgerangel führen können.

Aber na klar: Solange es ihn noch gibt, wird sich der VS sicher von keinem Gericht davon abhalten lassen, mich und viele andere weiter zu verfolgen.

GWR: Wenn das so ist: Hast du dir einen moralischen Sieg erhofft? Eine offizielle Bestätigung, dass die Bespitzelung illegitim ist? Ist dafür ein Gericht die richtige Instanz? Zumal ein deutsches?

Michael Csaszkóczy: Ich habe gelernt, dass Gerichte Bühnen sind. Sie können dazu dienen, Öffentlichkeit zu schaffen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ein Forum zu geben. Sich von ihnen nur deshalb Gerechtigkeit zu erwarten, weil sie diesen Begriff im Namen tragen, wäre blauäugig.

GWR: Der VS beschäftigt und bezahlt, wie spätestens seit dem NSU-Prozess allgemein bekannt ist, eine große Zahl von Nazis und ist nicht fähig oder gewillt, sie zu kontrollieren: Was bedeutet das für einen bespitzelten Antifaschisten?

Michael Csaszkóczy: Der ‚Verfassungsschutz‘ ist nicht nur ein unfähiger Akteur in der Auseinandersetzung mit dem organisierten Faschismus, er ist Teil des Problems. Dass es da Interessenüberschneidungen gibt, ist für AntifaschistInnen natürlich bedrohlich.

Die Bekanntheit meines Falls bietet immerhin einen gewissen Schutz. Sich prinzipiell in eine Art ‚Pseudo-Klandestinität‘ drängen zu lassen, ist für mich keine wirkliche Alternative.

GWR: Der Völkerrechtler Norman Paech sagt: „Recht und Justiz sind notwendige Mittel des Widerstandes und der Gegenwehr. (…) Aber Gerichte sind unsichere Verbündete im Kampf gegen einen auch politisch mächtigen Gegner. Man darf sie nicht beiseitelassen und auf sie verzichten, man muss jedoch klug mit ihnen umgehen.“ (1) War das deine Position? Ist sie es jetzt, nach dem Urteil, noch immer oder hast du deine Auffassung geändert? Kannst du dir überhaupt vorstellen, dich noch einmal an ein Gericht zu wenden, um Recht zu bekommen, oder ist der Rechtsweg als Mittel der politischen Auseinandersetzung für dich erledigt?

Michael Csaszkóczy: Paechs Position finde ich prinzipiell richtig, aber sehr unvollständig und ein wenig optimistisch beschrieben. In den allermeisten Fällen sind Gerichte eher Repressionsinstrumente als Mittel des Widerstands und der Gegenwehr. Es ist richtig, dieses Forum zu nutzen, wenn man glaubt, der Stand der gesellschaftlichen Auseinandersetzung würde das hergeben.

Nicht umsonst empfiehlt die Rote Hilfe immer, gegen staatliche Organe nur in gut begründeten Ausnahmefällen zu klagen und nur dann, wenn es aussichtsreich erscheint, den Prozess mit einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne zu begleiten.

In diesem Punkt haben wir die Lage leider falsch eingeschätzt: Wir dachten, in einer Zeit, in der die Verstrickung des Inlandsgeheimdienstes in die Mordserie des NSU vollkommen öffentlich diskutiert wird und tonnenweise kompromittierende Naziakten geschreddert werden, wäre es ein guter Zeitpunkt, die Bekämpfung linker Bewegungen durch diesen Geheimdienst zum Thema zu machen. Leider haben wir die ‚öffentliche Meinung‘ da überschätzt. Prinzipiell sollten wir aber Gerichtsverfahren als Ebene der politischen Auseinandersetzung nicht von vornherein ausschließen. Dieser Meinung bin ich immer noch.

GWR: Zumindest für die Frage der VS-Überwachung zieht das Solikomitee, das dich während des zermürbenden Prozesses unterstützt und begleitet hat, in seiner Presseerklärung eine ernüchternde Bilanz: „Michael Csaszkóczy ist nicht bereit, den Anschein der Rechtsstaatlichkeit durch Fortführung des Prozesses aufrechtzuerhalten. (…) Wir werden weiterhin politisch gegen einen Geheimdienst kämpfen, dessen tiefe Verstrickung mit der gewalttätigen Naziszene sich in immer neuen Skandalen bestätigt, der aber nach wie vor seine Hauptaufgabe in der Verfolgung und Kriminalisierung kritischer linker Opposition sieht. Die Gerichte sind als Austragungsort dieser Auseinandersetzung offensichtlich nicht geeignet.“ (2) Wie geht es weiter? Was sind eure nächsten Schritte? Welche Unterstützung erhofft ihr euch von den LeserInnen der GWR?

Michael Csaszkóczy: Wir werden die offensichtliche Absurdität meines Falls weiter nutzen, um Öffentlichkeit zu machen und um auch Landtagsabgeordnete immer wieder zu Stellungnahmen zu nötigen.

Es hat nach dem Ende des Verfahrens eine Kampagne gegeben, in der Leute aus verschiedenen Bereichen erklärt haben: „Von einem Geheimdienst, der immer noch nicht bereit ist, seine Verstrickungen mit dem NSU offenzulegen, der fremdenfeindlichen Organisationen wie AfD und Pegida beharrlich Persilscheine ausstellt und stattdessen antifaschistisches Engagement kriminalisiert, werden wir uns nicht vorschreiben lassen, mit wem wir politisch zusammenarbeiten und mit wem wir solidarisch sind.“ Dabei sind Leute aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, KommunalpolitikerInnen von Linkspartei bis CDU.

Und nicht zuletzt: Es geht ja nicht nur um die Beschnüffelungspraxis, sondern vor allem darum, wie der Verfassungsschutz seine eigene politische Agenda betreibt. Die Bedrohung Linker durch Berufsverbote ist noch lange nicht aus der Welt, ganz zu schweigen von der überfälligen Rehabilitierung der Betroffenen aus den 1970er und 1980er Jahren. Im Moment tourt z.B. gerade eine Ausstellung zum Thema durch deutsche Städte. Mehr Infos gibt es unter www.gegen-berufsverbote.de.

GWR: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit eurer Kampagne!

(1) Norman Paech: Rede in Dersim, "Die Kurden und das Völkerrecht", 4. Mai 2016, zit. n. Kurdistan Report Nr. 186, S. 55

(2) www.gegen-berufsverbote.de/lib-vs/pe/pe20160718.html